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Sobald sie den Geruch der Kekse wahrnimmt, fällt ihr auf, dass sie heute den ganzen Tag über auf dem Markt helfen kann. Im nächsten Moment denkt sie an Yeshua, denn sie nun nicht sehen muss, bis ihr wieder einfällt, dass er wahrscheinlich ebenfalls den ganzen Tag auf dem Markt sein wird und sie verflucht diesen Jungen.
„Komm, Luz. Wir helfen Papa beim Verzieren der Kekse", sagt Astraia und schnappt sich die kleine Hand ihrer Schwester, um sie mit nach unten zu ziehen. Die beiden haben noch ihre Schlafanzüge an, sind aber bester Laune.
„Guten Morgen", flöten auch ihre Eltern. Es ist ein Schneesturm angesagt, aber sie wollen trotzdem auf den Weihnachtsmarkt. Da Wochenende ist, wird es heute auf dem Markt noch voller sein und so werden sie höchstwahrscheinlich ein noch besseres Geschäft machen.In New Evans nimmt man die Schneestürme nicht besonders ernst, da es immer nur kleine Lüftchen sind. So war es zumindest in den letzten paar Jahren immer, wenn die Schule wegen eines angesagten Schneesturmes ausgefallen ist. Ihre Mutter macht sich in der nächsten halben Stunde fertig und fährt schon einmal zum Weihnachtsmarkt. Astraias Vater muss wieder einmal Kekse backen.
„Sollen Luz und ich die Kekse nicht übernehmen und du fährst zu Mama?", fragt Astraia. So könnte sie sich möglicherweise davor drücken, Yeshua zu begegnen. Einen Tag im Dezember Ruhe vor diesem Jungen.
„Und was macht ihr, wenn ihr genug Ladung habt?", fragt ihr Vater.
„Sie euch bringen", erwidert Astraia.
„Dann verlieren wir wertvolle Zeit. In der Zeit, in der du die Kekse sonst abholst, backe ich ja schon die nächste Ladung. Bei euch wären keine Kekse drinnen da Luz noch nicht darauf aufpassen kann und ich nicht will, dass ihr das Haus abfackelt", antwortet ihr Vater.
„Dad, ich bin neunzehn", entgegnet Astraia empört.
„Ja, aber ich meine damit, dass ihr keine Kekse im Ofen lassen sollt, während ihr die Kekse wegbringt", sagt er lächelnd und streicht ihr über den Kopf.
„Okay, okay. Ich gebe mich geschlagen. Komm Luz, wir gehen uns anziehen", sagt Astraia und verschwindet mit ihrer Schwester in ihrem Zimmer. Danach sind die beiden wieder mit vollem Elan dabei und helfen ihrem Vater, bevor sie die erste Ladung abgeben müssen. Immerhin musste Astraia so die ersten paar Stunden des Tages Yeshua nicht sehen.
„Sag Mal, wieso willst du dich eigentlich vor dem Markt drücken?", fragt ihr Vater, während sie die Kekse gerade einpackt. Luz ist nicht in der Nähe, denn sie ist in einer Ecke des Wohnzimmers mit ihrer Puppe verschwunden.
„Ich will mich nicht drücken", erwidert Astraia.
„Ist da etwas oder jemand, denn du nicht sehen willst?", fragt ihr Vater sie grinsend.
„Nein, wie kommst du darauf?", lügt Astraia.
„Ist meine kleine etwa verliebt?", fragt ihr Vater.
„Bah. Nein. Doch nicht in den" , platzt es aus ihr heraus.
„Aha. Also ist da doch jemand", grinst ihr Vater. „Ertappt"
„Okay. Wir haben so einen neuen in der Klasse", sagt sie und verdreht dabei die Augen.
„Und?", fragt er.
„Und ich habe ihm auf dem Markt umgerannt. Volle Kanne. Er hat mich total blöd angemacht", erwidert sie.
„Und deshalb willst du ihn nicht wiedersehen?", fragt er.
„Genau", lügt sie. Sie hatte keine Lust das ganze Thema noch einmal zu erklären. Sie wollte sich in den wenigen Stunden, die sie ohne Yeshua verbringen konnte, keine Gedanken über ihn machen. Nun packt sie weiter die Kekse ein und ihr Vater quetscht sie auch nicht weiter aus. Sie fragt sich, weshalb er nichts von der Aktion mit der Puppe weiß. Das hätte ihre Mutter ihm doch bestimmt erzählt und diese hatte es eindeutig mitbekommen.
Gleich, als Astraia auf dem Markt auftaucht, ohne Luz, weil diese Zuhause bei ihrem Vater bleiben wollte, begegnet sie Yeshua. Er stellt sich ihr in den Weg und lässt sie nicht durch.
„Was willst du?", fragt sie.
„Mit dir reden"
„Kapierst du es nicht? Ich will nicht mit dir reden", sagt sie und versucht um ihn herum zu gehen.
„Rede mit mir. Bitte", versucht er es noch einmal.
„Ich muss weiter. Die Kekse werden kalt"
„Ich lasse dich erst durch, wenn du mir die Chance gibst mit dir zu reden", sagt er.
„Wenn es sein muss", erwidert sie. „Worum geht es denn?", fragt sie.
„Um dich und mich", antwortet er.
„Heute Abend, okay? Ich liefere erst die Kekse ab. Meine Mutter wundert sich bestimmt schon, wo ich bleibe. Ich habe erst heute Abend Zeit. Beim Karussell, okay?", fragt Astraia und er macht tatsächlich den Weg frei. Bedanken tut sie sich trotzdem nicht. Sie beschließt, nicht dort aufzutauchen. Der Junge hatte jetzt schon genug Schaden angerichtet.
Den ganzen Tag über hilft sie in der Keksbude und transportiert Kekse hin- und her. Als sie gerade den letzten Karton aufhebt und voranschreitet, knallt sie mit jemand zusammen.
„Yeshua, du Ars-", sagt sie, kommt jedoch nicht weiter, weil jemand anderes vor ihr steht.
„Oh Entschuldige. Ich dachte, du seist jemand anders", sagt sie schnell. Der Junge, der vor ihr steht, sieht gut aus. Er ist komplett schwarz gekleidet und ziemlich groß. Sie muss zu ihm hochschauen, wenn sie mit ihm reden will. Unter seiner Mütze verstecken sich schwarze Haare und seine braunen Augen strahlen sie an.
„Mir tut es leid. Ich habe dich total umgerannt", erwidert er. „Und deine ganzen Kekse", sagt er.
Dieses Mal hatte Astraia die Kartons nicht zugeklebt und die Kekse waren aus dem Karton gekullert.
„Scheiße", flucht sie nun.
„Soll ich dir neue backen?", fragt er. Sie muss lachen.
„Das würdest du machen?", fragt sie. Er nickt.
„Immerhin bin ich Schuld daran, dass deine Kekse zu Boden gefallen sind und du sie nun nicht mehr verkaufen kannst", sagt er.
„Ich glaube, dass mit dem Backen dauert vielleicht etwas lange", lächelt sie.
„Wie kann ich es denn wieder gut machen? Dadurch verlierst du doch Geld, oder nicht? Die ganze Arbeit und du kannst sie nicht mehr verkaufen", sagt er und inzwischen hatten sie auch alle Kekse wieder eingesammelt. Sie halten die Kekse nun unentschlossen in den Händen.
„Weißt du was?", fragt er.
„Was denn?", fragt sie.
„Ich kaufe die Kekse", sagt er.
„Aber die sind doch alle auf der Erde gelandet", erwidert sie.
„Ja, und? Dreck reinigt doch bekanntlich den Magen", sagt er.
„Kann ich trotzdem eine der Tüten darin bekommen?", fragt er grinsend und sie stellt den Karton nun kurz auf den Boden. Dadurch würden sie zwar schneller kalt werden, aber sie konnte das Angebot nicht ausschlagen. Sie hält die Tüte auf und er füllt sie mit den Keksen. Dann drückt er ihr einen zehn Euro Schein in die Hand und ist in der nächsten Sekunde in der Menge verschwunden. Sie hebt den Karton wieder auf und transportiert den Rest zu ihrer Mutter. Den Zehner vergisst sie allerdings in die Kasse zu legen und er bleibt in ihrer Winterjacke versteckt.
In dem ganzen Trubel und Stress denkt sie nicht ein einziges Mal an Yeshua und vergisst tatsächlich auch das Treffen mit ihm. Erst als er vor ihr steht, denkt sie wieder daran und haut sich gegen die Stirn. Sie hatte es tatsächlich vergessen, auch wenn sie nie vorhatte, hinzugehen.
„Ich habe eine halbe Stunde in der Kälte gewartet", beschwert er sich bei ihr.
„Hättest doch auch gleich herkommen können und dafür nicht erst eine halbe Stunde warten müssen", sagt sie.
„Du hattest nie vor, zu kommen, oder?", fragt er und auf einmal klingt seine Stimme wieder so unglaublich traurig, wie vor ein paar Tagen schon einmal.
„Ich habe es wirklich vergessen", erwidert sie.
„Du kannst dir jemanden anderen suchen, denn du verarscht", sagt er und setzt eine Puppe auf das Brett der Bude, in der Astraia steht. Als sie realisiert, dass es so eine Puppe ist, wie Luz sie hat, ist er schon wieder verschwunden. Sie schaut zu seinem Stand, doch dieser ist zu. Er ist abgehauen und sie weiß nicht, wann sie das nächste Mal die Gelegenheit dazu bekommt, ihn zu sprechen. Das mit der Puppe ist nett. Vielleicht ist er doch in Ordnung. Inzwischen ist es schon spät geworden und sie beschließt, Luz die Puppe zu bringen. Diese war den ganzen Tag Zuhause geblieben.
Vorher sucht sie Yeshua allerdings auf dem gesamten Markt, was über eine Stunde dauert und keinen Erfolg mit sich bringt. Sie möchte sich bei ihm entschuldigen und sich bedanken. Nach einer Stunde gibt sie auf und geht zum Auto, um nach Hause zu fahren. Bevor sie dies allerdings tut, setzt sie sich ins Auto, macht die Heizung an und drückt auf das Telefon, um Lumi anzurufen.
„Was gibt's?", fragt diese sofort.
„Schau Mal" , erwidert sie und hält die Puppe in der Hand.
„Ist das Luzis?", fragt sie. Astraia schüttelt den Kopf.
„Sie sieht auch ein bisschen anders aus und so neu", erwidert Lumi und da steckt Sirius seinen Kopf ins Telefon.
„Hey, Astraia. Was gibt's?", fragt auch er sie.
Sie hält noch einmal wortlos die Puppe in die Höhe.
„Hat Luz nicht auch so eine?", fragt er.
„Eben. Die hat mir Yeshua in die Hand gedrückt und ist dann abgehauen", erklärt sie ihren beiden Freunden. Die beiden sind in letzter Zeit auffallend oft zusammen.
„Er ist einfach abgehauen, ohne einen Ton zu der Puppe zu sagen?", fragt Lumi misstrauisch.
„Hast du etwas wieder die Zicke raushängen lassen?", fragt Sirius.
„Schon wieder? Hab ich etwas verpasst?", fragt Astraia lachend.
„Vielleicht ist das seine Art, sich zu entschuldigen", erwidert Lumi und nun berichtet Astraia den beiden von dem ganzen Tag.
„Du bist ein Arschloch", ist das Fazit der beiden Freunde.
„Ich hab es ja verstanden und ich will mich auch entschuldigen", erwidert sie.
„Ich habe ihn aber nicht gefunden", sagt sie.
„Spätestens morgen wirst du ihn doch sowieso auf diesem Basar da treffen, oder?", fragt Sirius.
„Ich glaube schon. Keine Ahnung." , erwidert sie.
„Okay. Wir müssen Schluss machen. Pizza ist da", ruft Lumi und schon blickt ihr nur noch ein schwarzer Bildschirm entgegen. Sie muss ihn morgen suchen und sich entschuldigen. Sie würde ihn morgen so oder so sehen. Immerhin hatte er eine Bude gegenüber von ihr. Entweder sie sieht ihn dort oder eben auf dem Basar. Sie würde das wieder gerade biegen. Schließlich beschließt sie, loszufahren und sich auf den Weg nach Hause zu machen, um die fröhliche Botschaft, dass Luz Puppe eine Freundin bekommt, zu überbringen. Astraia wusste nicht, wie sie all dies an Weihnachten noch toppen sollte.
„Luz?", ruft sie, als sie nach Hause kommt und die Schuhe auszieht.
„Wir spielen verstecken", ruft sie.
„Wer? Du und Papa?" , fragt Astraia.
„Astraia und Luz", ruft Luz.
„Okay. Sag Mal Piep", sagt sie und beginnt, ihre kleine Schwester zu suchen. Sie kann sie nach zehn Minuten jedoch immer noch nicht finden und lockt sie nun aus ihrem Versteck heraus.
„Ich habe eine Überraschung für dich", sagt sie und innerhalb von einer Millisekunde ist Luz aufgetaucht.
„Wo hast du dich denn versteckt? Ist ein gutes Versteck", lacht Astraia.
„Verrate ich nicht. Muss ich mich wieder verstecken. Was ist die Überraschung?", fragt Luz aufgeregt und hüpft herum.
Sie kramt die Puppe hinter ihrem Rücken hervor.
„Eine neue Puppe?", fragt Luz. Sie ist es nicht gewohnt, zweimal die gleiche Sache zu bekommen.
„Eine Freundin für deine Puppe. Jemand hat sich dafür entschuldigt, dass seine Freunde letztens so blöd waren und deine Puppe kaputt gemacht haben", sagt sie und muss lächeln. Verdammt. Dies war in keinster Weise süß. Yeshua war nicht süß.
„Danke", sagt sie, umarmt Astraia und verschwindet wieder im Wohnzimmer, um die Puppen einander vorzustellen. Wieso konnte sie nicht genauso wie Luz sein und das alles nicht hinterfragen. Astraia macht sich ständig Gedanken über viel zu viele Sachen. Sie hätte einfach mit ihm reden sollen, als er sie darum gebeten hat. Ihm eine Chance geben. Immerhin scheint er auch nette Seiten zu haben. Morgen würde sie ihn suchen und sich entschuldigen.
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