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Am nächsten Tag verschläft Astraia natürlich und kommt fast zu spät zu der Arbeit, die sie an diesem Tag schreiben. Ihre Haare sind noch völlig verstrubbelt und sie kommt gerade noch rechtzeitig in das Klassenzimmer. Der Lehrer ermahnt sie zwar, aber als sie sich entschuldigt, erteilt er noch einmal seine Gnade und sie darf sich setzen und mitschreiben. Auf einmal, als sie sich umschaut, da sie wirklich nicht die geringste Ahnung hat, was sie schreiben soll, sieht sie ein bekanntes Gesicht, was zuerst unbekannt zu sein scheint. Und im nächsten Moment fallen ihr fast die Augen aus dem Kopf. Neben ihr sitzt der Junge, der sie auf dem Weihnachtsmarkt umgerannt hatte. Sie braucht einen Augenblick, weil er keine Mütze aufhat und seine Winterklamotten von gestern über seinem Stuhl hängen. Dann schaut sie schnell wieder auf ihr Blatt, doch nun wirbeln ihre Gedanken nur so in ihrem Kopf und sie kann sich nicht mehr konzentrieren. Sie weiß nicht, was sie schreiben soll und weiß nicht, was dieser Junge in ihrer Klasse soll. Er war vorher noch nie hier gewesen, sie hatte ihn noch nie gesehen und sie kannte eigentlich jeder ihrer Klassenkameraden. Aber wenn er neu sein sollte, weshalb sollte er dann ausgerechnet heute an diesem Tag, an dem sie die Arbeit schreiben, herkommen und auch noch mitschreiben? Sie betet dafür, dass er, aus welchem Grund auch immer, nur heute zu Besuch ist. Sie würde es sich selbst nicht erklären können, aber hoffen konnte man. Nach einer Weile, als sie sich noch einmal umgeschaut und vergewissert hatte, dass alle angefangen hatten zu schreiben und es wirklich der Junge vom Weihnachtsmarkt war, fängt auch sie an zu schreiben.
In der Pause gesellen sich Lumi, Sirius und Astraia zusammen an den Tisch, an dem sie immer ihr Mittag zu sich nehmen.
„Lumi, Sirius. Ist dieser Typ da neu?", will Astraia unauffällig fragen.
„Welcher?", fragt Sirius, ebenfalls leise.
„Der da mit den Hosenträgern?", fragt Lumi, eine Spur zu laut. Der Junge ist natürlich der einzige in einem Umkreis von hundert Kilometern, welcher Hosenträger trägt. Astraia haut ihrer besten Freundin in die Seite.
„Nicht so laut", sagt sie, doch es ist zu spät. Der Junge kommt schon grinsend auf die drei zu. Lumi ist gerade noch dabei sich zu entschuldigen, als der Junge sie unterbricht.
„Hast du mich vermisst?", fragt er grinsend.
„Nein. Ganz und gar nicht. Ich hätte gut darauf verzichten können, dich noch einmal wiederzusehen", gibt Astraia lächelnd zurück.
„Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt, oder? Wie unhöflich. Ich bin Yeshua, und wie heißt ihr?", fragt er und hält Astraia die Hand hin.
„Sirius, Lumi und...", will Sirius gerade sagen, doch Astraia unterbricht ihn, gerade noch rechtzeitig.
„Meinen Namen brauchst du nicht zu kennen, da ich deine Bekanntschaft nicht weiter eingehen möchte", sagt sie und steht auf. Ihre beiden Freunde stehen nun ebenfalls auf und laufen Astraia hinterher.
„Ich werde deinen Namen noch früh genug erfahren. Immerhin gehen wir nun in eine Klasse" , ruft der Junge ihr noch hinterher.
„Hey, was ist denn los?", fragen sie gleichzeitig.
„Das, meine Freunde, ist der Junge vom Weihnachtsmarkt", erklärt sie ihnen.
„Der Typ? Dafür sieht der doch viel zu gut aus", kommt es von Sirius.
„Und er ist zu nett. Meinst du wirklich?", fragt Lumi.
„Sonst hätte es dieses Gespräch wohl eben nicht gegeben, oder?", fragt sie und verabschiedet sich von ihren Freunden. Für heute hatte sie genug vom Unterricht und schwänzte die letzten beiden Stunden einfach. Ihre Mutter konnte sowieso jede Hilfe gebrauchen und solange Yeshua, wie sie nun wusste, noch Unterricht hatte, würde sie ihrer Mutter ungestört helfen können. Doch als sie auf dem Weihnachtsmarkt ankommt, stellt sich etwas anderes heraus.
Yeshua steht grinsend vor ihr.
„Hast du mich vermisst?", fragt er.
„Ist das nun dein Standartspruch?", fragt sie genervt.
„Vielleicht", sagt er lächelnd.
„Verrate mir wenigstens deinen Namen. Dann lasse ich dich auch den restlichen Tag in Ruhe", versucht er sie noch einmal in ein Gespräch zu verwickeln.
„Wie wäre es mit dem ganzen Dezember?", fragt sie.
„Hätte ich auch nichts gegen. Du scheinst nicht gerade sympathisch zu sein", erwidert er.
„Dann brauchst du wohl meinen Namen auch nicht wissen", sagt sie und will schon wieder abdampfen, denn die nächste Ladung Kekse wartet Zuhause auf sie.
„Das wäre nur gerecht. Du kennst meinen Namen. Nun möchte ich auch deinen Namen wissen", erwidert er.
„Astraia", erwidert sie, damit sie endlich gehen kann und bereut es in der nächsten Sekunde schon wieder, denn er fängt an zu lachen.
„Astraia also", sagt er grinsend.
„Ja. Astraia. Können wir jetzt aufhören, meinen Namen dauernd zu wiederholen?", fragt sie.
„In Ordnung. Bis später vielleicht" , grinst er.
„Hey. Du meintest, du lässt mich in Ruhe, wenn ich dir meinen Namen sage", ruft sie noch hinter ihm her.
„Das war eine Lüge", ruft er zurück und ist dann in der Menge verschwunden. Nachdem er in der Menge verschwunden ist, macht sie sich wieder auf den Weg nach Hause, um die restlichen Kekse zu holen. Sie ärgert sich immer noch über ihn, denn sie konnte getrost auf diesen Trottel verzichten. Trotzdem versucht sie sich keine weiteren Gedanken über ihn zu machen, denn an diesem Tag sieht sie ihn, bis sie zurück zu ihrer Mutter kommt, nicht noch einmal und atmet erleichtert auf.
Nachdem sie alle Kekse bei ihrer Mutter abgeliefert hat, schaut sie sich ein wenig auf dem Weihnachtsmarkt um, der wirklich riesig ist, obwohl New Evans eine Kleinstadt ist. Um Weihnachten rum nimmt dieser Markt fast die ganze Stadt ein. Sie schlendert über den Markt und kauft sich die eine oder andere Leckerei. Auch für Lumi und Sirius kauft sie etwas, dass sie den beiden am nächsten Tag mit in die Schule bringen würde und auch Luz sucht sie etwas aus, über das sie sich garantiert freuen wird. Bei dem Gedanken an Luz muss sie Grinsen. Dann taucht jedoch auf einmal Yeshuas Gesicht vor ihrem auf und ihr Lächeln erlischt.
„Lange nicht gesehen. Hast du-", will er beginnen, doch sie unterbricht ihn.
„Nein!", sagt sie und will sich gerade umdrehen und den Stand verlassen, als er einen weiteren Satz formt.
„An wen hast du da denn gerade gedacht, dass deine Mundwinkel so nach oben gegangen sind? Heimlicher Verehrer?" , fragt er grinsend. Sie fragt sich, warum er dies wissen will.
„Erstens: Das geht dich überhaupt nichts an. Zweitens: Nein, ich habe an meine kleine Schwester gedacht", erwidert sie.
„Wie heißt sie denn?", fragt er und scheint wirklich Interesse daran zu haben.
„Wieso sollte ich dir ihren Namen nennen? Ich habe kein Interesse daran, mit dir zu reden.", sagt sie genervt.
„Nein, aber es interessiert mich wirklich. Weißt du, ich habe keine Geschwister", antwortet er zögernd.
„Es geht dich nichts an und es interessiert mich nicht. Was willst du eigentlich von mir?", fragt sie.
„Ich möchte es wieder gut machen?", fragt er unsicher.
„Was wieder gut machen?", fragt sie.
„Dass ich neulich so scheiße reagiert habe", sagt er.
„Ach, echt? Woher kommt die Erkenntnis?", fragt sie. Er nuschelt irgendetwas in sich hinein, was sie nicht verstehen kann, weshalb sie beschließt einfach abzuhauen und ihn stehen zu lassen.
„Jetzt warte doch Mal. Wie heißt sie denn nun?", fragt er. Damit er ihr nicht weiter auf die Nerven geht, ruft sie ihm den Namen ihrer kleinen Schwester zu. So viel dazu, dass er sie den Dezember über in Ruhe lassen würde. Oder zumindest diesen einen Tag heute. Dann dreht sich um und läuft möglichst schnell zum Auto, um von diesem Ort wegzukommen. Auf dem Weg nach Hause passiert zunächst nichts ungewöhnliches, doch Zuhause will Luz unbedingt mit auf den Markt, was Astraia allerdings gar nicht in den Kram passt, denn sie will nicht, dass Yeshua ihre kleine Schwester sieht. Sie kann sich selbst nicht erklären, weshalb sie dies nicht will, aber es geht ihr gegen den Strich, dass Luz mit will. Obwohl sie sonst jede Sekunde mit ihrer kleinen Schwester genießt. Nach ein paar Diskussionen und ein paar Tränen erklärt Astraia sich schließlich dazu bereit, Luz mitzunehmen. Immerhin würde Yeshua sie in den nächsten vierundzwanzig Tagen des Dezembers sowieso irgendwann sehen.
„Du musst mir aber helfen", sagt sie zu der kleinen.
„Ja", sagt sie und zeigt ihrer großen Schwester ihre Mukkis.
„Hier, kannst du das tragen?", fragt sie und drückt Luz zwei kleine Tüten Kekse in die Hände.
Diese macht große Augen und schaut Astraia an.
„Die müssen ins Auto. Magst du die dahin tragen? Ich nehme die hier", sagt sie und nimmt zwei weitere Kartons in die Arme, die sie vorsichthalber, falls Yeshua noch einmal kommen sollte, ordentlich zugeklebt hatte, sodass nichts mehr heraus fallen sollte. Aber er wollte sich ja auch entschuldigen. Sie versteht die Welt nicht mehr. Sie fährt mit der kleinen noch sechs weitere Runden mit dem Auto hin und her, weil sie sie alleine nicht bei ihrer Mutter lassen kann und beschäftigt sich dann mit Luz. Sie steht mit dem Rücken zu den anderen Buden und spielt mit Luz, während ihre Mutter fleißig alles Mögliche verkauft. Bald müsste man das Sortiment mit mehreren Sorten auffüllen. Nach ein paar Stunden wollen ihre Mutter und sie die Bude schließlich schließen, da es spät geworden ist und ihre Mutter kümmert sich ein paar Minuten um Luz. Diesen Frechdachs konnte man in diesem Trubel nicht alleine lassen. Als sie schließlich alles aufgeräumt hat, mustert sie die Buden um den Stand ihrer Mutter herum das erste Mal. Und zu ihrem Entsetzen stellt sie fest, dass Yeshuas Bude direkt Gegenüber von der ihrer Mutter steht, denn dieser grinst sie über beide Ohren an. Das konnten ja tolle vierundzwanzig Tage werden.
Nachdem sie das nächste Mal nach oben schaut, steht er nur zentimeterweit von ihrem Gesicht entfernt.
„Ist das Luz?", fragt er neugierig und zeigt auf ihre kleine Schwester.
„Wenn du ihr auch nur einen Finger krümmst oder sie anfasst, dann bringe ich dich um", erwidert Astraia. In diesem Moment kommt ihre Mutter dazu und ermahnt sie, nicht in so einem Ton mit ihren Kunden zu sprechen.
„Das ist kein Kunde, sondern ein Mitschüler", antwortet Astraia genervt.
„Oh, das ist aber schön. Neuen Freund gefunden?", fragt ihre Mutter.
„Neuen Feind wohl eher", sagt sie und rollt mit den Augen.
„Möchtest du ein paar Kekse?", fragt ihre Mutter ihn.
„Wenn ich sie auch bezahlen darf", lächelt er und greift sich eine Packung. In diesem Moment fragt Astraia sich, ob er von den Geldproblemen ihrer Familie wusste. Im nächsten Moment verwirft sie den Gedanken wieder. Sie wüsste nicht, woher er es wissen sollte. Das ging niemanden etwas an und die einzigen, die in der Schule etwas davon wussten, waren ihre beiden besten Freunde. Noch nicht einmal die Lehrer schöpften einen Verdacht, denn sie bekam oft die alten Sachen von Lumi, was nicht weiter auffiel, da diese einen riesigen Kleiderschrank hatte. Außerdem kaufte sie in Second Hand Läden ein, wobei sie einige Schätze für wenig Geld ergattern konnte. Sirius und Lumis Eltern unterstützen sie außerdem in allen, denn die Eltern der Freunde kannten sich seitdem die drei Babys waren. Sie hatten sich in einem Babykurs kennengelernt und ihre Mütter wurden zu besten Freunden. Dabei spielte Geld nie eine Rolle. Und wenn nun eine Mal Hilfe brauchte, waren sie füreinander da. Falls Astraias Eltern Mal kein Geld mehr hatten und die Kinder dringend eine neue Schultasche brauchten, waren sie zur Stelle und gingen mit Astraia und Luz shoppen. Dann durften sie sich den schönsten Rucksack von allen aussuchen.
„Ich werde ihm keine Kekse verkaufen", sagt Astraia und verschränkt die Arme ineinander.
„Sei nicht so albern. Du bist keine fünf mehr", antwortet ihre Mutter und schaut Luz lachend an, die sich nun ebenfalls neben ihre Schwester gestellt hatte. Nun müssen Astraia und Yeshua auch lachen. Doch Astraia hört sofort wieder auf, als auch Yeshua anfängt zu lachen.
„Ich nehme die Kekse auch umsonst", versucht Yeshua es nun auf eine andere Weise. Anscheinend weiß er tatsächlich nichts von den Geldproblemen, denn dann hätte er diesen Vorschlag nicht gemacht. In diesem Moment schlagen bei Astraia alle Alarmglocken. Sie brauchen jeden Cent und an ihr sollten keine Gewinne zu Grunde gehen.
„Ich verkaufe sie dir ja schon", sagt sie, vielleicht etwas zu hastig. Sie fragt sich, ob er etwas bemerkt hat. Doch er nimmt die Kekse, bezahlt und bedankt sich, um daraufhin zu verschwinden.
Ihre Mutter hatte ihn inzwischen schon ins Herz geschlossen, was noch ein weiterer Grund war, Yeshua zu meiden. Auch wenn sie ihre Mutter liebt, hatte sie einen schrecklichen Männergeschmack, was die Männer für ihre Töchter anging. Und zumal Astraia niemals im Leben etwas von diesem Yeshua wollte. Sie weiß nicht, weshalb, aber sie ist immer noch wütend auf ihn. Obwohl er sich schon entschuldigt hat und alles versucht, um etwas über sie zu erfahren. Irgendwie passt ihr das nicht in den Kram, obwohl sie sonst nie nachtragend ist. Am Abend ruft sie noch einmal Lumi an, um ihr von dem restlichen Tag zu berichten.
„Will er etwas von dir?", fragt diese aufgeregt.
„Ich habe keine Ahnung. Warum sollte er?", fragt Astraia, nun verunsichert.
„Weil er so oft bei dir ist", sagt sie und wackelt mit den Augenbrauen, was die beiden zum Lachen bringt. Nun beginnt sie die Gründe aufzuzählen. Die beiden facetimten so gut wie jeden Abend, weil Astraia es vermeidet, mit Menschen zu telefonieren. Sie muss ihre Gesichter dabei sehen. Eine alte Macke, die sie nicht ablegen kann.
„Du hast ihn umgerannt, er war wütend und hat erst danach gesehen, wie umwerfend du bist. Nun will er alles tun, damit er mit dir zusammen kommen kann.", schwärmt sie.
„Im Märchen vielleicht. Aber nicht im echten Leben" , erwidert sie.
„Wieso nicht? Kann doch sein. Nun will er alles über dich erfahren, weil er sich unsterblich in dich verliebt hat", schwärmt Lumi weiter.
„Nope, Nein und nochmals Nie", sagt Astraia.
„Außerdem kennt er mich gerade erst ein paar Tage", fügt sie noch hinzu.
„Ich glaube, er ist einfach nur ein Arsch nach seiner nächsten Beute"
„Würde er sich dann so bemühen?" , fragt Lumi, doch auf diese Frage kann Astraia nicht mehr antworten und auch nicht mehr darüber nachdenken, denn Luz kommt, mit einem großen Teddybär in der einen und einem Buch in der anderen Hand, zu ihr und fragt sie, ob sie etwas vorlesen kann. Momentan hat sie eine Phase, in der sie nicht alleine einschlafen kann und immer zu ihrer großen Schwester will, was Astraia ihr nicht verübeln kann.
„Ich muss Schluss machen", sagt sie noch ins Telefon und legt auf, um sich um Luz zu kümmern. Auch wenn Lumi keine Geschwister hatte, hatte sie Verständnis. Jedes Mal. Für alles. Astraia glaubt, dass Lumi einer der besten Menschen ist, die sie je kennenlernen durfte. In dem Moment, in dem Luz eingeschlafen ist, fällt Astraia auf, dass sie doch noch etwas für ihre kleine Schwester hatte. Sie hatte in dem ganzen Stress und der Aufregung vergessen, es ihr zu geben. Dann würde sie dies eben morgen tun. Genauso wie sie die Mitbringsel ihren besten Freunden morgen geben würde. Astraia liebt die Weihnachtszeit. Alle sind so viel glücklicher und freundlicher und aufgeschlossener. Bis auf Yeshua. Aber trotz ihm herrscht um die anderen herum sehr viel Liebe. Es liegt Liebe in der Luft, wenn es auf die Weihnachtszeit, das Fest der Liebe zugeht.
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