19 ⭒ Rattenfallen
⟁ CW: Mord, Folter ⟁
19.10.1981
Als das Treffen endlich zu einem Ende kam und Clement das Haus- eine weitere Übergangslösung, Malfoy Manor war nach dem Kampf dort mehr oder weniger unbewohnbar- verlassen konnte, ging die Sonne schon hinter den Baumwipfeln auf.
Er seufzte schwer, zog seinen Mantel enger um sich. Es war viel zu kalt. Manchmal glaubte er, es war nun schon drei Jahre durchgängig Herbst gewesen.
Er hatte verzweifelt gehofft, die Tonnen von Gewicht würden nun von seinen Schultern abfallen, doch nun schnürte es sich erstickend eng um seinen Brustkorb. Zwölf Tage, das hatte er sich in den letzten Stunden so oft gesagt, dass es zu seinem Mantra geworden war. Zwölf Tage, zwölf Tage musste er sich bedeckt halten, zwölf Tage und das alles würde endlich vorbei sein.
Am liebsten würde er sich in seiner Wohnung einschließen und zwölf Tage niemandem mehr öffnen. Vielleicht würde er das tatsächlich tun.
Er tippte mit dem Zauberstab gegen die Ziegel einer Mauer nahe des Eingangs. Der Anblick schmerzte ihn seltsam, war er doch so ähnlich zur Winkelgasse.
Eine dunkle Gestalt, Rhona, lehnte direkt an der Steinwand. Heute war sie scheinbar besonders auf auffällige Unauffälligkeit bedacht, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und die Haltung völlig von dem Eingang abgewandt. Trotzdem wusste er es besser, als zu glauben, sie würde den Eingang nicht genauestens im Auge haben.
Er eilte ohne ein Wort an ihr vorbei, doch sie selbst grüßte ihn auch nicht.
Unbeirrt hielt er den Blick auf ihre Apparierstelle fixiert, das offene Ende der schmalen, unscheinbaren und doch langen Sackgasse, hinter der das Haus verborgen war.
Vielleicht war es sein Instinkt, vielleicht sah er sie aus dem Augenwinkel noch, wie sie sich plötzlich von der Wand abdrückte und ihm hinterher ging, doch ohne das Klicken ihrer Absätze auf dem Pflasterstein.
Obwohl er nichts weniger wollte, als mit irgendjemandem zu sprechen, verlangsamte er seine Schritte, ihre verschnellerten sich.
"Was ist, hab ich was vergessen?", fragte er und zwang ein Lächeln in seine Stimme, kam zum Stehen. Realisierte in dem Moment, in dem sie ihn einholte, den Bruchteil einer Sekunde zu spät, dass es ein Fehler gewesen war.
Sie packte ihn, ihr Zauberstab presste sich gegen seinen Hals.
"Hallo, Peter," grüßte die Gestalt hinter ihm, und sie war definitiv nicht Rhona. Als es ihm mit viel Mühe gelang, den Kopf zu drehen, blitzten ihn Regulus Blacks graue Augen vernichtend aus dem Schatten der Kapuze an.
"R-Reg? Was machst du denn hier? Das ist gerade viel zu gefährlich-!"
"Nenn mir einen Grund, dich leben zu lassen." Die Spitze von Regulus' Zauberstab drückte sich schmerzhaft in seinen Hals. "Und für dich heißt es Regulus."
Er schluckte schwer. Von Anfang an hatte er gespürt, dass Regulus etwas gegen ihn hatte. "Du- Du kannst mir nichts tun! Du hast es geschworen! "
Regulus lachte nur leise und schob ihn in Richtung der Appariergrenze. "Denkst du, ich vergesse, was ich auf mein Leben geschworen habe? Ich sagte doch, Schlupflöcher zu finden ist meine Expertise. Und töten kann ich auch ohne Magie, es geht nur langsamer."
So sehr er sich dagegen sträubte, Schritt für Schritt stolperte er auf die Grenze zu. Angst schnürte ihm die Kehle zu. Was hatte er mit ihm vor, wenn er ihn erst an einen Ort gebracht hatte, an dem nicht jeden Moment ein anderer Todesser zu ihnen stoßen könnte?
Regulus gab ihm einen weiteren Stoß und sie hatten die Grenze erreicht. "Komm schon, wir machen einen kleinen Ausflug."
"Wo-wohin?!"
Er bekam keine Antwort. Stattdessen bot sich ihm nur der seltene, beängstigende Anblick eines bitteren Lächelns auf Regulus Blacks Lippen, bevor er mit ihm apparierte.
⁂
Sirius wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit er den Brief gefunden hatte, in der er seine Nagelhäute blutig gebissen hatte und rastlos auf dem Flur auf und ab gelaufen war.
"Er ist freiwillig gegangen, er steckt nicht in Schwierigkeiten," wiederholte Remus, der wahrscheinlich glaubte, Sirius würde nicht mitbekommen, dass er ihm den Weg zum Bad versperrte.
"Und wenn nicht? Wenn nicht, dann verschwenden wir hier Stunden, die wir dafür nutzen könnten, ihn zu suchen," zischte er.
"Es war noch nichtmal eine Stunde," meldete sich Dorcas zu Wort. "Moody sagt, er hat sofort zwei Ordensmitglieder losgeschickt, die ihn suchen."
Er schnaubte nur und verschränkte die Arme. "Und wie viele gute Mitglieder sind noch übrig? Niemand von denen kennt ihn, niemand kennt ihn wie ich, wie sollen sie ihn dann finden?"
"Moody sagt auch," erwiderte Marlene, "dass er jeden umbringt, der dich einen Fuß aus diesem Haus setzen lässt. Er sucht selbst mit. Ist er dir auch nicht gut genug? Regulus ist freiwillig gegangen, hier kommen nur die rein, denen er wirklich vertraut, und das sind echt wenige. Selbst wenn jemand hier reingekommen wäre und Regulus gezwungen hätte, den Brief zu schreiben, dann wäre er schlau genug, einen Hinweis darin zu hinterlassen."
"Woher willst du denn wissen, dass da kein verdammter Hinweis ist?" Aufgebracht wedelte er ihr mit dem Zettel vor der Nase herum, als ihm die Blitzidee kam, noch einmal Regulus' Zimmer zu durchkämmen. Vielleicht hatte er dort etwas hinterlassen.
Er war schon auf der Treppe, als ein helles, silbernes Licht den Flur erleuchtete.
Sofort drehte er sich um, wappnete sich, gleich Moodys Stimme zu hören, doch der Patronus hatte tatsächlich eine Gestalt. Sie war blass und neblig, doch er glaubte, eine Katze zu erkennen.
"McGonagall?" fragte er verwirrt, doch Remus schüttelte entschieden den Kopf.
Die Katze sprach mit Regulus' Stimme. "Der Grimmauldplatz braucht ein paar Rattenfallen," sagte er nur.
Ihnen blieb keine Zeit für Verwirrung, denn wenige Sekunden später öffnete sich die Haustür mit einem lauten Quietschen, jemand, der wie James klang, rief etwas, der Rest ging in Walburgas Geschrei unter.
Er stürzte die Treppen herab und zog zuerst die schweren Vorhänge, die sie vor das Porträt gehängt hatten, wieder zu. Walburgas Gezetere über "Schlammblüter, Bestien, Blutsverräter" in ihrem Haus starb ab und er sah sich auf dem Flur um.
Erleichterung durchströmte ihn, als er Regulus entdeckte, zumindest bis er bemerkte, dass dieser einen offenbar verängstigten Peter festhielt, den Zauberstab- Sirius' Zauberstab- gegen seinen Hals gedrückt.
"Was-"
"Lass ihn los, jetzt," zischte James, der hinter Regulus in der Tür stand, bedrohlich und hob den eigenen Zauberstab.
Sirius musterte sie überfordert. "Warum... Warum gehen wir nicht erstmal ganz ruhig ins Esszimmer?"
Kaum hatte er das Zimmer betreten, schob Regulus Peter grob auf einen Stuhl und beschwor, mit einem beinahe lässigen Schlenker des Zauberstabs, schwere Seile um ihn herauf.
Sirius' Kehle war eng. Er sah Regulus sich umdrehen, sie alle fesseln, sah schon die schwarze Tinte auf seinem Arm- Regulus drehte sich um und gab ihm seinen Zauberstab zurück.
"Hier. Danke," sagte er knapp und hinderte dann James daran, Peter loszubinden. "Hör mir doch einfach für einen Moment zu!"
"Was zur Hölle ist hier überhaupt los?", fragte Marlene verwirrt.
"Regulus glaubt, Pete sei der Spion," erklärte Lily ihr ruhig, ihr neutrales Gesicht wie in Stein gemeißelt.
"Was?" Auch Peters Stimme mischte sich unter die entsetzten Ausrufe von Marlene, Dorcas und Remus.
"Nein," sagte Regulus und hielt die Hand vor sich, um sich Gehör zu verschaffen. "Ich weiß es."
"Du hast es dir vielleicht eingeredet, aber das heißt noch lange nicht-" fing James knurrend an, doch Regulus sprach einfach über ihn hinweg.
"Ich habe ihn beobachtet, wie er heute Morgen ein Todessertreffen verlassen hat."
James verstummte schlagartig.
"Dort war er gestern Nachmittag. Hat jemand von euch schonmal daran gedacht, Moody zu fragen, wobei er ihm gestern geholfen haben will? Oder einfach nachzusehen?" Schneller, als Peter sich wehren konnte, hatte er seinen linken Arm gepackt, von den Seilen befreit.
"Fass ihn nicht-"
Er zog den Ärmel hoch.
Auf der blassen Haut von Peter Pettigrews Unterarm ringelte sich eine tiefrote Schlange.
Sirius musste sich an eine Wand lehnen, damit seine Beine nicht unter ihm nachgaben.
James' Arme fielen an seine Seiten herab.
"Pete. Pete, sag mir, dass-"
"Ich- ich-" Peter sah sich mit weiten Augen in der Runde um. "Ich kann das erklären! Es ist nicht so, wie ihr denkt!"
Regulus rollte mit den Augen und verließ das Zimmer. Eigentlich wollte Sirius ihm folgen, doch stattdessen blieb er auf Peter fixiert, der um Worte haderte.
"Ich bin kein Todesser, das musst du mir glauben! Bitte, James, es war eine Mission von Dumbledore, wie die von Remus, ich sollte nur für den Orden spionieren!" Seine Stimme überschlug sich vor Aufregung.
James seufzte. "Ich wusste es. Aber warum hast du uns nichts erzählt, Pete? Wir hätten dir doch helfen können..."
Seine Erleichterung spiegelte sich in Peters Gesicht. Sirius wollte sie auch fühlen, doch es war, als hielt ihn irgendetwas davon ab.
"Es war strikt geheim zu halten, ihr wisst, wie Dumbledore und Moody da drauf sind..."
"Und du hast nicht mitbekommen, wer uns verraten haben könnte?", fragte Sirius, gerade als Regulus wieder in das Zimmer kam, ein Tablett in den Händen.
Es musste einen Spion geben, das konnte er nicht leugnen, und an manche Informationen konnten nur die wenigsten gelangen.
Warum konnte er Peter nicht einfach glauben? Er wollte es so verzweifelt.
"Was soll das?", fragte James, als Regulus das Tablett vor Peter abstellte. Eine edle Glaskaraffe, gefüllt mit einer klaren Flüssigkeit, und ein einzelnes Trinkglas standen darauf.
"Ein Getränk," sagte Regulus unschuldig, "Ein Glas Wasser. Das bietet man als guter Gastgeber eben an. Ich weiß doch selbst, wie erschöpfend solche langen Treffen sein können. "
"Er hat uns alles erklärt, er ist nicht der Spion," zischte James.
Regulus zuckte mit den Schultern. "Dann habe ich mich wohl geirrt," sagte er und schnitt Peters rechten Arm auch los, bevor er ihm das Glas Wasser hinhielt.
Bevor Peter es verwirrt annehmen konnte, schob James das Glas wieder Regulus entgegen. "Stopp. Du zuerst."
"Bitte?" Regulus zog skeptisch die Augenbrauen hoch.
"Du trinkst zuerst," knurrte James.
"Ich habe keinen Durst, danke."
Er verengte die Augen. "Trink. Du zuerst oder Peter wird es nicht anrühren."
"Nein danke," wiederholte Regulus.
Für einen schon für Sirius viel zu unangenehm langen Moment starrten die beiden sich nur herausfordernd an, bis Regulus schließlich genervt seufzte und das Glas energisch in fast einem Schluck austrank. Einen weiteren Moment lang schwieg er, und Sirius musterte ihn angespannt, wartete beinahe darauf, dass er jeden Moment umfallen würde.
"Da," sagte Regulus schließlich. "Kein Gift. Denkst du, hinter allem, was ich tue, steckt ein geheimes Motiv?"
"Genau das denke ich," erwiderte James und Sirius konnte es ihm nicht unbedingt übel nehmen. Dann schenkte er sich selbst ein Glas ein und musterte Regulus genau, als er es zu seinen Lippen führte. "Du hättest einen Bezoar oder ein sonstiges Gegengift nehmen können. Aber wenn nichts drin ist, sollte es dich ja auch nicht stören, wenn ich etwas davon trinke?"
"Deine Wahl, Potter. Es stört mich nur, wenn du meinem Gast das ganze Getränk wegtrinkst. Wenn ich irgendjemanden vergiften wollen würde, würdest du mir jetzt einen ziemlichen Gefallen tun."
Es war, als hielt der ganze Raum den Atem an, als James einen Schluck trank.
Einige angespannte Sekunden verstrichen.
Nichts geschah.
Langsam schenkte er Peter ein Glas ein und reichte es an ihn weiter, doch er und Regulus hatten sich wohl entschieden, ihr Starrduell fortzusetzen. Erst, als Peter das Glas ausgetrunken hatte, unterbrach Regulus dieses, um stattdessen ihn zu fixieren.
"Also, Peter. Hast du die Potters heute Nacht an Voldemort verraten?"
Peter sah verwirrt auf und-
nickte? "Ja!"
James drehte den Kopf so schnell zu ihm, dass er für einen Moment scheinbar fast die Balance verlor. "Was?!"
Peter riss die Augen auf. "Ich meinte ja- Ja! Was?! Ja, ich habe es getan! Ich-" Er schlug die Hand vor den Mund, sah von dem Glas zu Regulus, zu James, wieder zu der Karaffe, zurück zu Regulus. "Was hast du mit mir gemacht?!"
Dieser fischte ein kleines Fläschchen aus seiner Tasche und legte es vor Peter auf den Tisch. "Wer hätte gedacht, dass aus deinem Mund auch mal wieder die Wahrheit kommt, Pettigrew."
Dorcas war die erste, die die angespannte Stille durchbrach. "Du hast mein Veritaserum gestohlen."
"Schon vor Ewigkeiten." Scheinbar zufrieden lehnte Regulus sich gegen eine Wand, verschränkte die Arme und beobachtete Peter. "...Glaubst du mir jetzt, Potter?"
James starrte Peter nur wie versteinert an. "Sag mir, dass das eine Lüge war. Sag mir sofort, dass du gerade gelogen hast!"
"Er kann nicht lügen. Oder konnte es nicht, so lang er nicht wusste, dass er es getrunken-"
"Du halt dich da raus! Pete?!"
Peter ließ seine Hand sinken und starrte ins Nichts.
"Was hast du getan?", murmelte Sirius und ging langsam auf den Tisch zu. "Was hast du-"
"SAG MIR, DASS DAS EINE LÜGE WAR!", brüllte James und schlug mit der Faust auf den Tisch.
Peter zuckte, genau wie Sirius, zusammen, doch er sah weiter keinen von ihnen an.
"Ich kann nicht," murmelte er schließlich.
"Du hast sie verraten?", fragte Sirius, obwohl er die Antwort nicht brauchte.
"Euch alle," antwortete Peter leise und sah schließlich zu James auf, bevor er anfing, zu erzählen. Die Panik in seiner Stimme war plötzlich von einer seltsamen Ruhe ersetzt, vielleicht reine Erleichterung, es nicht mehr geheim halten zu müssen.
"In der siebten Klasse hat Dumbledore mir aufgetragen, für den Orden die Ränge des Dunklen Lords zu infiltrieren. Moody hat mir Informationen zugespielt, und zu Beginn war das genug. Aber ihr habt doch keine Ahnung, wie das ist. Plötzlich war ich so weit oben, war so nah an ihm dran- Was denkt ihr, was sie mit mir angestellt hätten, wenn sie mir nicht mehr vertraut hätten? Ich brauchte immer neue Information, immer bessere, die konnten Dumbledore und Moody mir schon längst nicht mehr bieten. Zuerst habe ich dafür gesorgt, dass ihr ihnen immer einen Schritt voraus seid, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sie dahinter kommen würden. ...Ich habe Regulus' Brief zuerst nur gestohlen, um mich abzusichern, um irgendetwas in der Hand zu haben, aber ihr wart nicht da, nachdem Marlene und Dorcas das Tagebuch gestohlen hatten! Er hat jeden gefoltert, der ihn nur falsch angesehen hat, hat sie einfach geschlachtet... Ich habe etwas Gutes gebraucht, um ihn von mir abzulenken, und dann hatten sie auch mit euch keinen Erfolg... Das wäre sofort auf mich zurückgefallen, wenn ich nicht etwas noch besseres hätte anbieten können."
"Und etwas besseres waren die Leben von Harry, Lily und mir?! Du hast uns drei ausgeliefert, du hast in Kauf genommen, dass sie uns umbringen, Sirius, Remus und Regulus genau so, nur um deine eigene Haut zu retten," sagte James schließlich, und seine Stimme hatte wieder diesen fremden, kalten Ton angenommen.
Peter sah ihn verzweifelt an. "Ja, das wollte ich-" er seufzte frustriert und Sirius konnte nur bitter lachen. Er schien noch immer nicht gegen das Veritaserum anzukommen. "James, du musst das verstehen, bitte-"
"Es ist nicht schwer, es zu verstehen. Du bist feige, das verstehe ich, und weißt du, ich hätte es dir sogar verziehen. Du weißt, dass ich es dir immer verziehen hätte, wenn es nur mein Leben gewesen wäre. Wenn es mein Leben gewesen wäre, dann hätte ich gewollt, dass du es opferst, um dich zu retten. Aber... Sirius. Remus. Regulus. Lily. Harry."
Mit jedem Namen senkte Peter den Blick weiter, bis er den Kopf schließlich in die Hände legte. Seine Schultern fingen zu beben an, als würde er weinen, doch Sirius konnte sich nicht dazu bringen, ihn zu bemitleiden.
James jedoch scheinbar auch nicht. Er starrte Peter eine Weile scheinbar teilnahmslos an, während niemand im Raum es wagte, sich zu bewegen. "Du hättest uns um Hilfe fragen können. Du weißt, dass wir gestorben wären, um dich zu beschützen."
Langsam wurde Peters Schluchzen zu einem aufgelösten Lachen. Mit geschwollenen, blutunterlaufenen Augen sah er plötzlich Sirius an. "Was für eine schöne Vorstellung, vier beste Freunde, die alle sterben würden, um sich gegenseitig zu beschützen. Was hat uns das je gebracht? Du konntest schon Remus nicht beschützen, James, Greyback hätte ihn trotzdem fast umgebracht-"
"Wag es nicht, das für deine Verteidigung auszunutzen," knurrte Remus, doch Peter ignorierte ihn.
"- Du konntest sie nicht beschützen, als sie entführt worden, du hast es ja nicht einmal bemerkt!"
"Vielleicht ist das ja passiert, weil, ich weiß nicht, uns irgendjemand verraten hat?!", zischte Sirius und war sich nicht sicher, warum er sich gerade davon abhielt, auf ihn loszugehen.
"Ihr seid nicht die Helden, die ihr gern glaubt, zu sein! Wenn ihr dem Dunklen Lord gegenüber steht, dann seid ihr nichts als ein kleiner Kieselstein in seinem Weg, und er wird euch beiseite räumen, naives loyales Gerede oder nicht! Vielleicht wärst du bereit gewesen, dein Leben für mich zu lassen, James, aber das ist Krieg. Solche Versprechen sind nicht genug."
James verließ den Raum ohne ein weiteres Wort, doch diesmal folgte Sirius ihm.
Er stand gespenstisch still und bleich in der Mitte des Korridors. "Ich war so dumm," sagte er leise und seine Stimme klang nur noch leer.
Vorsichtig machte Sirius einen Schritt auf ihn zu, entschied sich zögerlich dafür, ihm eine Umarmung anzubieten. "Prongs-"
Den Bruchteil einer Sekunde früher sah sein geschultes Auge die Wut in James überkochen, wie ein Faden, der zerriss, bevor schon ein Set teurer Vasen auf dem Boden zerschmetterte.
"ER HAT UNS VERRATEN!", schrie James und riss offenbar alles von den Wänden, was ihm in die Hände kam. Ein Porträt brach er über seinem Knie entzwei, eine Büste kam mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden auf und verlor ihre Nase.
Sirius drückte sich gegen eine Wand und sah ihm versteinert zu.
Er zerschmetterte das Glas einer Vitrine, prügelte weiter darauf ein, auch nachdem seine Hände zu bluten anfingen, und zu allem Übel flogen die Vorhänge vor Walburga Blacks Porträt auf, doch sie hatte nicht den ersten Satz beendet, bevor schon James' Faust ein Loch in die Leinwand schlug, wo eben noch ihr wutverzerrtes Gesicht gewesen war.
"James-"
"Er- hat- uns- ver-ra-ten!", er unterstrich jede Silbe mit einem weiteren Teller aus der Porzellansammlung, den er zu Boden schleuderte. "Und- ich- war- zu- fei-ge,- es- mir- ein-zu-ge-stehn!"
"James..."
Er packte das Regal, brachte es gleich ganz zu Fall- und stand plötzlich wieder still, schwer atmend. Sirius realisierte, dass es schlicht nichts mehr in dem Flur gab, was er noch zerstören konnte.
Auch James schien das zu merken, einer seiner Atemzüge stockte, und bevor Sirius mit vorsichtigen Schritten seine Seite erreicht hatte, fiel er schluchzend am Fuß der Treppe in sich zusammen.
Langsam hockte er sich zu ihm, legte die Arme um ihn. James erwiderte die Umarmung so fest, dass es mehr als schmerzhaft war, als fürchtete er, irgendetwas würde ihm auch noch Sirius entreißen, sein Schluchzen verschmolz mit Schreien aus purem Schmerz.
James' Finger gruben sich tief in seine Schultern, während er seinen Kopf näher an sich drückte und ihm verzweifelt über den Rücken strich. In seinen eigenen Augen standen Tränen und er hatte bei bestem Willen nicht den geringsten Schimmer, wie er James trösten sollte.
Es war naiv, das wusste er, doch in Sirius' Kopf wurde James nicht ängstlich, wütend, oder traurig. James Potter, der Sonnenschein von Gryffindor. Er konnte wahrscheinlich an einer Hand abzählen, wie oft er schon Tränen in James' Augen gesehen hatte.
Bei seiner Hochzeit, nach dem Tod seiner Eltern, in der Nacht des ersten Vollmonds, den sie mit Remus verbrachten. In der stürmischen Dezembernacht, in der Sirius vor der Haustür der Potters aufgetaucht war, und selbst dann hatte er James nur mit roten, aufgequollenen Augen aus dem Bad kommen gesehen.
Eine warme Hand legte sich auf seine Schulter. Lily, mit Harry auf ihrer Hüfte, setzte sich zu ihnen und legte selbst die Arme um James. Ehe er sich versah, saß Remus auch bei ihnen, dann kam Marlene dazu, Dorcas lehnte sich an sie.
Regulus kam als letzter aus dem Esszimmer und fing still an, in dem Flur aufzuräumen, bis Sirius ihn schließlich an einem Ärmel mit zu ihnen zog.
Ewigkeiten, die ebenso gut Minuten wie Stunden hätten sein können, kauerten sie in den Trümmern des Hausflurs und hielten aneinander fest, hielten an dem fest, was ihnen noch geblieben war.
"Tut mir- Tut mir leid um euren Flur...", murmelte James irgendwann heiser.
Regulus stand auf und musterte Walburga Blacks Porträt, in dem immer noch ein riesiges Loch klaffte. "Keine Sorge," sagte er mit einem leichten Schmunzeln, "so sieht sie viel besser aus."
James lachte matt und raffte sich schließlich auch auf, rieb sich letzte Tränenspuren vom Gesicht. "Peter. Ist er-?"
"Er kann sich verwandeln, wie er will, aber er kann diesen Raum nicht verlassen."
"Es... Ich muss mit Dumbledore sprechen."
"Keine gute Idee. Du hast eine gute Dosis Veritaserum intus, die wirst du wohl bis heute Abend nicht los werden."
"Das ist mir egal, er soll ruhig meine ehrliche Meinung hören."
"James," warf Remus ein, "das ist wirklich nicht schlau. Mit Dumbledore muss man geschickt umgehen."
Sein Protest stieß auf taube Ohren. "Kann einer von euch ihn rufen?", fragte James nur, bevor er im Bad verschwand.
⁂
Dumbledore stand wenige Momente, nachdem sie den Flur zumindest notdürftig wieder aufgeräumt hatten, vor ihnen.
James sah immer noch schrecklich aus, als er aus dem Bad kam, so dass sogar Dumbledore ihn scheinbar besorgt musterte. Er lehnte Regulus' Angebot, sie in ein anderes Zimmer zu führen, ab, und stellte sich direkt in dem Flur vor Dumbledore auf.
"Peter Pettigrew ist der Spion. Er hat uns an Voldemort verraten," sagte er nüchtern.
"Das tut mir leid, James-"
"Tut es nicht."
Dumbledore hob skeptisch eine Augenbraue. "Wir können euch in einem neuen Haus unterbringen-"
"Nein. Wir wollen Ihre Hilfe nicht mehr."
"Ich glaube, das wäre keine weise Entscheidung. Du weißt doch, in welcher Gefahr du und deine Familie sind."
"Ich verlasse den Orden."
Sirius verschluckte sich beinahe an purer Luft. Lily sah ihn mit schockiert geweiteten Augen fragend an, doch er schüttelte nur ebenso ratlos den Kopf. Das hatte auch er nicht erwartet.
Dumbledore schien selbst ein wenig überrascht. Er neigte den Kopf und durchbohrte James wie üblich mit seinem Blick. "Ich weiß noch genau, dass du einer der ersten warst, der dem Orden begeistert beigetreten ist, Du wolltest in diesem Krieg etwas beitragen, nicht nur untätig daneben stehen, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht. Wenn es wegen deiner Verletzung ist, dann musst du dich deswegen nicht sorgen, der Orden arbeitet schließlich nur den geringsten Teil tatsächlich in der Offensive."
"Die Verletzung ist mir verdammt egal. Ich komme nicht in den Orden zurück, solang Sie ihn führen, solang Sie Mitglied sind," zischte James und sein Blick verdunkelte sich. "Ich verabscheue Sie. Ich verabscheue Sie dafür, was sie meinen Freunden angetan haben."
Dumbledore sah James nur weiter hinter den Halbmondgläsern seiner Brille an, musterte ihn, als wäre er ein besonders spannendes Testsubjekt und nicht mehr. "Ich bedaure, dass du so fühlst, James. Was ist der Grund dafür, wenn du mir die Frage erlaubst?"
James lachte ungläubig. "Sie schicken Siebtklässler als Spione zu Voldemort und Fenrir Greyback und laden ihnen das Gewicht des ganzen Kriegs auf ihre Schultern. In Hogwarts wird jedem Hilfe zuteil, der nur danach fragt? In Hogwarts wird jedem Hilfe zuteil, von dem Sie wissen, dass er Ihnen danach nützlich sein wird, weil er schließlich in Ihrer Schuld steht! Ich verabscheue Sie, ich verabscheue mich dafür, Sie verehrt zu haben. Ich verabscheue mich dafür, dass ich sie nicht vor Ihnen beschützen konnte."
"Im Krieg muss man jedes Talent einsetzen, wenn man gewinnen will. Ich verspreche dir, deine Freunde waren frei in ihrer Entscheidung. Niemand wurde zu irgendeiner Mission gezwungen, sie hätten jederzeit aussteigen können."
"Hätten sie das?"
Dumbledore seufzte und schien enttäuscht den Blick abzuwenden. "Ich nehme an, du wirst dich nicht überzeugen lassen. Dann steht deine Entscheidung wohl. Der Orden verliert mit dir einen äußerst fähigen Kämpfer, mit euch allen. Das könnte uns unsere Oberhand in diesem Krieg kosten."
"Felsenfest," erwiderte James. "Wir kämpfen weiter gegen Voldemort, aber nicht für sie. Nie wieder für sie."
Einen Moment lang schwieg Dumbledore. "Dann muss es so sein. ...Ich werde Moody informieren, damit er Pettigrew nach Azkaban abführt-"
"Pettigrew geht nicht nach Azkaban," unterbrach Regulus ihn.
"Wie habt ihr dann vor, mit ihm zu verfahren?"
"Sie haben ihn gehört, wir arbeiten nicht mehr für Sie. Unsere Pläne gehen Sie nichts mehr an," sagte Regulus mit einem Schulterzucken, bevor er Dumbledore mit einem feindseligen Blick fixierte.
"Und jetzt verlassen Sie mein Haus."
✩
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