Kapitel 77
Leonie und Florian
Leonie lag noch lange wach, träumte mit offenen Augen von einem Paar grüner Augen, zwei zärtlichen Händen, samtweichen Lippen, einem blonden Haarschopf, einem schmalen Gesicht, einer leisen, ruhigen Stimme, wunderbar sozialen Ansichten und... und... und!
Träumte, bis sie nach langer Zeit endlich einschlief.
Als sich das Jungvolk beim Frühstück traf, sah Jonas die Freundin fragend an.
„Ist Florian nicht geblieben?" fragte er leise.
„Nein! Er wollte nicht!" antwortete sie ebenso leise, es ging die anderen nicht wirklich etwas an.
„Gut!" antwortete der Freund ihres ganzen Lebens.
„Stimmt!" Sie war ganz seiner Meinung und lächelte ihn an.
„Verknallt?" fragte er.
„Hm!" gestand sie.
„Er ist ein guter Typ! Würde gut zu uns passen!" Jonas grinste sie an.
„Hm!" Sie grinste zurück.
„Und wie geht es jetzt weiter?"
Sie zuckte mit den Schultern. „Er hat gesagt, er ruft an!"
„Und meinst du, er traut sich?"
„Wenn nicht, rufe ich ihn an. Bei so vielen Informatikern um mich herum werde ich ja wohl seine Telefonnummer herausbekommen."
Kaum hatten sie nach dem gemeinsamen Frühstück den Tisch abgeräumt, läutete das Telefon.
Als sich Florian meldete, streckte sie nur den Daumen in die Luft, und Jonas scheuchte das Jungvolk nach draußen.
„Hallo, Florian! Schön, dass du anrufst!"
„Ich halte immer meine Versprechen!" antwortete er, und sie hörte das Lächeln in seiner Stimme.
„Hast du gut geschlafen?" fragte sie.
Na, eine blödere Frage ist dir wohl nicht eingefallen! schimpfte sie mit sich.
„Nein!" antwortete er.
„Oh!" Seine Antwort verschlug ihr noch mehr die Sprache.
„Und du?"
„Auch nicht!" gestand sie.
„Gut!" Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals. „Dann sollten wir uns vielleicht wiedersehen?"
„Ich wäre sehr dafür!"
In Florians Ohren rauschte das Blut.
Sie wollte ihn auch heute noch treffen.
Es war vielleicht doch kein Spiel gewesen.
Die Prinzessin wollte ihn wiedersehen!
„Ich hole dich ab, okay? Jetzt gleich?"
Und dann, was machst du dann?
Egal! Mir wird schon was einfallen!
Für die Prinzessin?
Er lag im totalen Clinch mit sich selbst.
„Gut! Bis dann!" Warum raste denn ihr Herz gar so? Sie war 25, nicht unerfahren beim Daten, warum rauschte das Blut so in ihren Ohren?
Eine halbe Stunde später fuhr sein Auto auf den Parkplatz.
Er hatte sich schick gemacht, eine neue Jeans, ein neues T-Shirt im Schrank gefunden.
Sie stand an der Eingangstüre, sah aus wie ein Model.
Kurz wollte ihn wieder der Mut verlassen.
Sie war so umwerfend schön.
Doch aus irgendwelchen Gründen hatte sie beschlossen, ihn wiedersehen zu wollen.
Und er würde den Teufel tun und kneifen.
Er sprang aus dem Auto und nahm sie in die Arme.
Leonie fand es mittlerweile sehr praktisch, dass sein Mund auf Höhe des ihren war. So brauchte sie sich nicht zu strecken, brauchte seinen Kopf nicht nach unten ziehen, konnte ganz einfach ihre Lippen auf seine legen.
Und das tat sie dann auch.
Da war es wieder, das Gefühl, das sie auf ihrer Geburtstagsfeier durchströmt hatte, als alle Nervenenden ihres Körpers vibriert hatten, als das Blut aus ihrem Kopf an eine Stelle zwischen ihren Beinen geströmt war, als ihre Wirbelsäule geprickelt hatte.
Da war wieder dieses Begehren, das sie so noch nie erlebt hatte.
Florian hatte keinen genauen Plan, wie der Tag mit ihr verlaufen sollte, was er unternehmen wollte mit der Prinzessin, und das war auch gut so.
Denn alle Pläne hätte er über Bord werfen müssen nach diesem Kuss.
Er wusste, es würde geschehen.
Er würde mit ihr schlafen.
Es gab keine andere Möglichkeit mehr.
Sie hatten beide eine Nacht mehr oder weniger darüber geschlafen, und sie wollten beide jetzt und hier noch dasselbe wie nach der Feier.
Sie wollten sich.
Sie schloss die Türe wieder auf, unter vielen heißen Küssen stiegen sie die Stufen nach oben.
Sie küssten sich quer durch das riesige Loft, sie öffnete die Türe zu ihrem Zimmer.
Dann lieferte sie sich seinen Händen, seinen Lippen und seinem Körper aus.
Florian liebte sie langsam und hingebungsvoll, so wie man eine Prinzessin lieben musste.
Sie fühlten beide wie nie zuvor.
Als sie danach engumschlungen schwer atmend nebeneinander lagen, waren beide glücklicher als je im Leben.
„Ich liebe dich, Leonie!" stöhnte er.
„Ich liebe dich, Florian!" stöhnte sie.
Als sie beide lachend durchs Bett rollten, dachte sie an ihre Eltern.
Wenn sie immer so viel lachten im Schlafzimmer.
Als sie früher immer geglaubt hatte, sie erzählten sich Witze.
Als sie später begriffen hatte, als sie sich so ein Glück auch für sich gewünscht hatte.
Und Florian Berg, Sozialpädagoge in der Stiftung ihrer Großfamilie, war der erste Mann, mit dem sie im Bett so lachen konnte.
Sie lachten noch ein paar Mal, wunderten sich über die Leidenschaft, die sie immer wieder ergriff, sie überspülte, sie atemlos machte.
Und beide wussten, dass sie die Liebe gefunden hatten, er fassungslos, sie ein wenig überrascht, aber beide unendlich glücklich.
Von diesem Tag an hatte die Wohngemeinschaft Reiser/Maybach ein neues Mitglied.
Als Mona und Simon von ihrem wunderbaren Langzeiturlaub zurückkamen, begrüßte sie ihre Tochter an der Hand ihres neuen Freundes, des ersten, den die Eltern kennenlernen durften.
Am Telefon hatte sie Leonie schon informiert, sie hatten nichts dagegen, wenn der junge Mann bei ihnen wohnte.
Sie waren für alles offen, vor allem für alles, was mit Liebe zu tun hatte.
„Florian Berg!" stellte er sich artig vor.
Mona musste lächeln.
Berg!
Ausgerechnet!
So ein Zufall!
„Ihr Vater heißt nicht zufällig Fabian?" fragte sie lachend, wusste sie doch, dass das nicht möglich war.
„Mein Adoptivvater! Doch!" erklärte er verwundert.
Mona verschlug es den Atem, Simon grinste sie wissend an.
„Und ihre Mutter heißt Franziska?" Sie konnte es kaum glauben, was das Schicksal schon wieder für Kapriolen schlug.
„Ja!" Florian war sehr verwundert über dieses Gespräch.
Mona begann zu lachen, erst ganz verhalten, dann lauter, schließlich kicksend, nahe an der Hysterie.
Simon hielt sie im Arm, kämpfte auch gegen einen leicht verrückten Lachanfall.
Das konnte es doch gar nicht geben.
„Mama! Papa!" Leonie war stocksauer.
Als Mona wieder sprechen konnte, holte sie erst tief Luft und gab dann die Erklärung für ihr seltsames Verhaltens ab.
„Tut mir leid, Florian! Aber das Schicksal denkt sich schon seltsame Dinge aus in meinem Leben.
Ich war mit Ihrem Vater sechs Jahre verheiratet."
Als Florian der Sinn ihrer Worte ins Gehirn gesickert waren, musste er sich erst einmal setzen.
„Mona? Mona Reiser ist Mona Berg, geborene Carsten?" fragte er ungläubig.
Sein Vater hatte ihm vor Jahren einmal in weinseliger Stimmung von seiner ersten Ehe erzählt, von der schönen Mona, der er aber intellektuell nicht gewachsen gewesen war.
Dass sie sich einvernehmlich getrennt hatten, dass er dann seine Mutter kennen und lieben gelernt hatte, dass sie beide glücklich gewesen waren, ihn zu bekommen, wenn er auch nicht sein Vater war.
Und diese Mona sollte nun die Mutter seiner Prinzessin sein?
Das war alles mehr als unglaublich.
Sie lagen sich alle vier lachend in den Armen.
„Wenn ich das meinem Vater erzähle! Der glaubt das nie!" Er stockte kurz. „Für meine Mutter wird das nicht leicht sein! Diese Mona war immer ein Angstfaktor für sie!"
Doch als Florian seinen Eltern alles erzählte, mit Leonie in seinem Arm, lösten sich seine Bedenken in nichts auf.
Er sah den liebevollen Blick des Mannes, der Zeit seines Lebens sein Vater gewesen war, auf seine Mutter, sie sah den Blick auch und alles war gut.
Sie nahmen Leonie in die Arme, und er wusste, dass sie sie bedingungslos lieben würden.
So schloss sich der Kreis Fabian-Mona-Simon-Franziska.
Von seinem leiblichen Vater wusste Florian nichts, wollte auch nichts wissen.
Kurz nach der Hochzeit von Leonie und Florian hängte auch Hannes seinen Job an den Nagel.
Die nächste Generation war gefordert, das Ruder zu übernehmen, und sie war bereit dazu.
Seine geliebte Britta quittierte den Schuldienst und ging mit ihm ein Jahr auf Weltreise.
Seine geliebte Mia hatte ihn losgelassen, oder vielmehr, er hatte sie losgelassen.
Er wünschte ihr noch jeden Abend eine gute Nacht, schickte einen Luftkuss in den Äther, doch dann freute er sich darauf, Britta in den Arm zu nehmen, sie zu lieben, mit ihr zu lachen.
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