Teil 5 * Die Bücher 1
Liebste Marie,
vielleicht sorgt ein gnädiges Schicksal dafür, dass du diese Zeilen einmal liest, wenn ich auch kaum daran glauben kann.
Die beiden Nächte mit dir, der etwas kurze Tag dazwischen, waren für mich ein einziger Traum. Ich fühlte mich wie in einem reinen Glückstaumel.
Als du auf dem Ball gesagt hat, dass du bleiben wirst, konnte ich mein Glück kaum fassen. Die Stunden danach in der Stadt fühlten sich an, als sei ich nochmal ein Teenager, so jung und losgelöst habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt.
So viel gelacht habe ich wahrscheinlich noch nie, wie mit dir zusammen.
Ich war verknallt wie ein 14jähriger, und ich war sicher, das mit uns beiden wird etwas Festes.
Etwas, das ich bis dahin tunlichst vermieden hatte!
Die Nacht mit dir im Arm ging hart an die Grenze meiner Beherrschung, aber das hast du ja gemerkt und zuckersüß kommentiert!
Doch ich war sehr stolz auf mich, dass ich mein Versprechen gehalten habe.
Als ich dich dann endlich ganz besitzen durfte, war ich im absoluten Himmel. Noch nie hatte ich annähernd so gefühlt, noch nie war ich so hungrig, noch nie so erfüllt wie in dieser Nacht.
Diese Lust, die ich bei dir erleben durfte, war vollkommen unbekannt für mich!
Alles schien perfekt!
Alles passte zusammen!
Deshalb habe ich dich gebeten, eine Beziehung mit mir zu beginnen.
Doch kurz darauf brach meine Welt zusammen.
Ich versuche, dir hier die Erklärung zu geben, die ich dir hätte geben müssen, was ich aber auf keinen Fall konnte.
Du bist Marie, die Liebe meines Freundes, meines besten Freundes Paul, die er bis heute nicht vergessen kann. Ich hatte den Hauch einer Hoffnung, dass er mittlerweile über dich weggekommen ist, aber das ist leider nicht der Fall.
Du würdest jetzt vielleicht fragen: Ist er dir denn wichtiger als ich?
Und wenn ich den Mut dazu hätte, es dir ins Gesicht zu sagen, müsste ich antworten: Ja!
Zum besseren Verständnis muss ich dir aber eine Geschichte erzählen.
Charly und ich durften an unseren 16. Geburtstag zum ersten Mal weggehen, bis zehn Uhr.
Meine Eltern hatten mir das Versprechen abgenommen, auf meine Schwester achtzugeben und sie auf alle Fälle nach Hause zu begleiten. Gegen zehn war ich schon ziemlich abgefüllt und habe mit einem Mädchen im Hof rumgemacht, war nicht zu bewegen, nach Hause zu gehen.
Also hat Charly sich alleine auf den Weg gemacht, wollte den Eltern erzählen, dass ich sie heimgebracht hätte und noch mit zu Paul gegangen wäre. Zwei Gassen weiter haben sie zwei Kerle geschnappt. Paul war ihr zum Glück nachgegangen und hat den einen angegriffen.
Charly konnte weglaufen, aber Paul haben sie zusammengeschlagen. Er hatte einen gebrochenen Kiefer, ein paar Zähne weniger und eine schwere Gehirnerschütterung, die ihm noch heute Kopfschmerzattacken beschert. Beide, Charly und Paul haben bei meinen Eltern dichtgehalten, es so hingedreht, als wäre nur Paul aus heiterem Himmel angegriffen worden.
Vielleicht könntest du jetzt verstehen, warum ich es ihm nicht antun kann, mit dir zusammen zu sein.
Ich bezahle heute meine Schuld ab, und glaub mir, ich bezahle sehr teuer.
Als ich gestern von ihm nach Hause kam, habe ich mir erst einmal die Kante gegeben. So reagieren Männer nun mal, auch wenn sie wissen, dass nach dem Kater der Schmerz zurückkommt.
Und der Schmerz, dich verloren zu haben, Marie, ist das Schlimmste, was ich je aushalten musste. Ich sehne mich so unglaublich nach dir, fühle deine Haut unter meinen Händen, deinen Körper so nah an meinem, deine Hände auf meinem Körper. Ich kann vor Sehnsucht kaum atmen.
Aber es ist nicht nur der Sex, der so grandios war, wie ich Vergleichbares noch nicht annähernd erlebt habe. Es ist dein Lachen, dein Humor, deine Offenheit, deine Schönheit, deine Klugheit. Und es ist, dass ich nun nicht mehr herausfinden kann, ob deine Augen blau, grau oder blaugrau mit einem leichten Grünstich sind.
Ich bin furchtbar wütend auf das Schicksal, dass es zugelassen hat, dass ich mich ausgerechnet in dich verliebe. Aber ich bin dem Schicksal auch unendlich dankbar, dass es zugelassen hat, dass ich dich kennenlernen durfte.
Ich hoffe, du bist ordentlich sauer auf mich, denkst das Schlechteste von mir, wünscht mir die Pest an den Hals. Denn ich kann es kaum ertragen, dass du vielleicht traurig bist, dass du grübelst, dass du hoffst!
Marie, du bist die Liebe meines Lebens, aber du bist eben auch Pauls!
Meine Handknöchel bluten, weil ich sie an der Wand wund geschlagen habe, aber mein Herz blutet tausend Mal so viel.
In Liebe!
Niklas.
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Hallo Niklas,
Saukopf, Bastard, Drecksack, Hurensohn, Mistkerl, Saukerl!
Mehr Schimpfworte fallen mir im Moment nicht ein.
Zuerst einmal: Dankeschön! Dankeschön für die schönste Nacht meines Lebens, Dankeschön dafür, dass du mir gezeigt hast, wie gut Sex sein kann.
Was zählen dagegen schon Tränen, Herzschmerz, Traurigkeit, Fassungslosigkeit?
Ich glaube, ich habe wieder ein bisschen mehr davon kapiert, wie Männer ticken. Und wie du weißt, habe ich das Lernen auf diesem Gebiet bitter nötig.
So, das war jetzt die Ironie, aber ich will ja meine wirklichen Gedanken aufschreiben.
Ich will schreiben über Erinnerungen an eine unglaubliche Zeit mit dir, so kurz sie auch war.
Ich will diese Erinnerungen festhalten, denn endlich einmal habe ich welche – und nicht nur Hoffnungen, Träume und Wünsche. Die Stunden mit dir waren echt, so echt, dass ich dir deine Worte sogar geglaubt habe, jedes Einzelne.
Das, was du meinem Körper an Gutem getan hast, was du ihm beigebracht hast, war unendlich schön.
Als ich auf dem Ball beschlossen habe, bei dir zu bleiben, war ich unendlich stolz auf mich.
Auf meinen Mut, auf mein Vertrauen in dich.
Ich würde nicht mehr ängstlich zur Seite sehen, wenn ein Mann sich für mich interessierte.
Und ich wurde reichlich belohnt für diesen Entschluss. Die Zeit in der Stadt hat mir ein neues Leben geschenkt, hat mir für ein paar Stunden meine Jugend zurückgebracht.
Die Nacht in deinen Armen war unendlich schön, und auch dafür danke ich dir.
Was danach kam, werde ich nie vergessen, auch wenn ich es nicht im Detail aufschreibe.
Dass danach das abrupte, unverständliche Ende kam, kann die wundervollen Erinnerungen nicht auslöschen, auch wenn ich wohl besser vergessen sollte.
Aber manches verstehe ich einfach nicht, zum Beispiel die Sache mit der Beziehung, die du mit mir führen wolltest!
Also, das hätte es nicht noch gebraucht, der Schmerz wäre auch so schon groß genug, kaum auszuhalten gewesen.
Ich hätte gerne eine Erklärung, warum du so aus vollkommen heiterem Himmel verschwunden bist, denn dann würde ich womöglich begreifen, was geschehen ist.
Aber ich weiß, ich werde keine bekommen. Das macht das Ganze kaum erträglich.
Vielleicht hast du ja eine Freundin, an die du dich plötzlich erinnert hast, vielleicht auch eine Frau und Kinder, die im Skiurlaub waren. Vielleicht hast du mich auch nur eine Nacht lang ausprobiert und am Ende gemerkt, dass ich doch keine Beziehung wert bin.
Vielleicht hast du aber auch nur ein wenig Spaß gesucht und warst überfordert von einem so unerfahrenen Mäuschen, wie ich es nun mal bin.
All das zu hören würde es mir möglich machen, dich zu vergessen, mit dir abzuschließen.
Aber keine Antwort zu erhalten, ist das Grausamste, was du mir antun konntest. Worte können niemals so verletzen wie dieses Schweigen.
Ich wünsche dir nichts Schlechtes, aber auch nicht viel Gutes!
Marie
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