Teil 43 Das fünfte Jahr
Niklas schreibt:
Unser fünftes Jahr! Drei Kinder, zwei davon Säuglinge!
Na ja! Einfach ist anders!
Aber jeder Tag war ein wundervolles Geschenk, weil uns unsere Liebe alles schaffen ließ.
Zum Glück stillte Marie nur zwei Monate, zwei Babys satt zu bekommen überstieg ihre körperliche Leistungsfähigkeit. Ich musste sehr energisch werden, um sie zu überzeugen, dass es für Muttermilch einen Ersatz gab, für eine Mutter allerdings nicht, und für die Liebe meines Lebens erst recht nicht!
Erst nach einem Kreislaufkollaps gab sie endlich nach, und ich war ziemlich sauer auf sie! Gott sei Dank hatte Raffaela ein Auge auf sie, rief mehrmals am Tag an, war besorgt, als sie nicht an ihr Handy ging, sah nach dem rechten. Weiß Gott, was hätte passieren können.
Wir steckten den Sturkopf ins Krankenhaus, wo man sie mit Infusionen aufpäppelte. Raffaela zog ein paar Tage lang zu mir, um mir mit den Zwillingen zu helfen. Dann waren zum Glück Weihnachtsferien.
Oliver, mein Nicht-Schwiegervater, organisierte eine Haushaltshilfe für uns, die er auch bezahlte. Die Perle Maria kam nun täglich am Vormittag ein paar Stunden, was Marie anfangs maulend akzeptierte und bald schon zu schätzen wusste wie ich.
Die Frau Mitte vierzig, die selbst keine Familie hatte und auch noch in unserer Nähe wohnte, wurde bald unersetzlich für uns, wurde zu einem Familienmitglied, zu einer dritten Oma für die Kleinen.
Sie kaufte ein, kochte, putzte, machte die Wäsche – und sie schien sehr glücklich dabei zu sein. Oliver bezahlte sie sehr gut, hatte auch einen Fond für ihre Rente angelegt. Die soziale Ader schlug bei allen Familienmitgliedern voll durch. Kaum zu glauben, dass Maries Eltern einmal Mitglieder der Schickimicki- Gesellschaft gewesen waren, die ihre Töchter vernachlässigt hatten.
Durch die Spende von Frau Bauer konnten wir zwei weitere Klassenzimmer fertigstellen, was uns unheimlich stolz machte. Auf uns beide und auf all die Menschen, die uns unterstützt haben. Marie quatschte dem Regierungsbeamten eine zweite Förderlehrerstelle ab, zusätzlich zur dritten Lehrerstelle.
Das heißt, quatschen musste sie gar nicht viel. Als der arme Mann ihren Namen hörte, fragte er nur: „Liebe Frau Goldenberg! Was wünschen Sie denn dieses Mal?" Ich hatte ihn in Verdacht, dass er das Geplänkel mit meiner Hübschen sehr genoss. Er war ja bei der Einweihungsfeier hier gewesen, zeigte sich sehr beeindruckt, nicht nur von unserem Projekt, sondern sicher auch von meiner charmanten Noch-Immer-Nicht-Ehefrau.
Apropos! Beim letzten Heiratsantrag war ich doch etwas enttäuscht! Wir hatten drei Kinder, ich hatte ihr doch hoffentlich bewiesen, dass ich durchaus beziehungstauglich war! Hatte sie durch ihre erste Ehe ein solches Trauma erlitten?
Verglich sie mich womöglich mit Benni, dem Wurm?
Es tat ein wenig weh, aber ich habe mich schnell wieder gefangen.
Vielleicht sollten wir so offen darüber sprechen wie über alles sonst?
Aber seltsamer Weise konnte ich dieses Thema nicht ansprechen.
Na ja! Schwamm drüber! Das ist ja nur ein winziges Teilchen, das mir nicht so passt, sonst ist alles perfekt! Mehr als perfekt!
Also, wir schrieben zwei Stellen aus. Als wir die Bewerbungen durchsahen, die Regierung ließ uns freie Hand bei der Auswahl, mussten wir lachen. Da hatte sich doch tatsächlich diese Marion beworben!
Die hatte vielleicht Nerven.
Doch meine unvergleichliche Marie hatte wieder einmal den siebten Sinn.
„Irgendwas stimmt da nicht!" sagte sie nachdenklich. „Ich rufe die mal an!"
Kopfschüttelnd ließ ich sie natürlich gewähren, denn vor allen anderen hatte ich ziemlich schnell begriffen, dass das zierliche Ding keinem Disput aus dem Weg ging.
Was wir dann erfuhren, ließ uns alles, was geschehen war in einem anderen Licht sehen, im richtigen Licht.
Marion fühlte sich seit Jahren zu Frauen hingezogen, was in ihrem christlichen Elternhaus eine absolute Schande gewesen wäre. Das ständige Verstellen hatte sie seelisch krank gemacht. Sie war eigentlich in Marie verknallt gewesen, hatte nur eine Rolle gespielt. Vor einem Jahr hatte sie sich dann ernsthaft in eine Frau verliebt, hatte sich geoutet, stand kurz vor der Hochzeit.
Marie bat sie zu einem Vorstellungsgespräch. „Jeder verdient eine zweite Chance!" erklärte sie mir, und ich musste ihr Recht geben. Schließlich hatte ich auch eine bekommen!
Als wir die junge Frau dann sahen, verschlug es uns erst einmal die Sprache. Sie hatte bestimmt 15 Kilo abgenommen, ihr hübsches Gesicht kam dadurch zur Geltung. Sie strahlte uns an, hatte diesen verbissenen Ausdruck vollkommen abgelegt. Wir unterhielten uns lange und ausführlich, am Ende war unsere Entscheidung einstimmig. Sie passte! Die neue Marion passte voll und ganz zu uns.
„Meine zukünftige Frau hatte mit dem Gedanken gespielt, sich auch vorzustellen, wir wollten aber erst sehen, ob ihr mich akzeptieren könnt, wie ich heute bin!" gestand sie ein. „Ich habe mir ja einiges erlaubt mit euch!"
Nach einem kurzen Telefonat traf Ines ein, eine hübsche Rothaarige, die sehr verliebt in Marion zu sein schien. Und Liebe war ja immer gut! entschieden wir.
Wir hatten also unsere neuen Kollegen gefunden, waren zwei Liebespaare, die für unsere Partner und unseren Beruf brannten.
Paul war sehr glücklich und zufrieden. „Aber nicht, dass ihr glaubt, ich suche mir jetzt einen Mann, damit wir alle sexuellen Orientierungen beisammen haben!"
Nach der vierten hatten zwei Mädchen den Schnitt fürs Gymnasium erreicht. Sandy ließen wir ziehen, sie war sehr gefestigt in ihrem Lernverhalten wie auch in ihrem Selbstbewusstsein. Elli überredeten wir, wenigstens noch ein Jahr zu bleiben. Was war schon ein Jahr in einem so jungen Leben!
Der freie Platz war schnell belegt.
Dennis, unser Sargnagel am Anfang, hätte auf die Realschule wechseln können, entschied sich aber dagegen, vorerst zumindest. Wir waren seine Familie, die erste, die er je gehabt hatte.
Alle Schüler hatten die reelle Chance, den Quali zu schaffen und vielleicht auch den M-Zug.
Marie hielt es nicht lange zu Hause, immer öfter packte sie die Zwillinge ein und besuchte uns. Die beiden wuchsen in einer Großfamilie auf, mit vielen Geschwister, geliebt und betreut von allen.
Adrian und Moritz – wir ermahnten uns immer gegenseitig, dass wir sie nicht nur „die Jungs" oder „die Zwillinge" nannten, sondern sie als eigenständige Persönlichkeiten sahen - waren zuckersüß und wunderhübsch, wenn ich das sagen darf, weil sie mir ja auch wie aus dem Gesicht geschnitten waren, und sie waren superbrav. Nicola beschäftigte sich viel mit ihnen, liebte sie heiß und innig!
Glücklicher als wir fünf konnte keine Familie sein, auch wenn unser Zusammenleben etwas anders war, als bei normalen Familien.
Kurz vor Beginn des neuen Schuljahres, unseres dritten, bekam Marie wieder Magenschmerzen.
Aber schwanger konnte sie dieses Mal ja nicht sein, ihre Eileiter waren ja durchtrennt worden. Die Tabletten halfen gut, also machten wir uns keine Sorgen. Sie nahm sogar etwas zu.
Nur, dass sie ihre Periode schon eine Weile nicht mehr bekommen hatte, realisierten wir nicht bei all der Hektik. Sie hatte nie Probleme gehabt, keine Bauchschmerzen, keinerlei Beeinträchtigungen, deshalb war das in all den Jahren nicht das große Thema für uns beide gewesen. Bei einer Routineuntersuchung sah sie der Frauenarzt ernst an.
„Sie hätten sich ein wenig mehr Zeit lassen sollen mit dem nächsten Baby!" erklärte er. „Eine Zwillingsschwangerschaft ist für den Körper einer so zierlichen Frau nicht ohne!"
Marie lachte. „Wie? Was? Ich bekomme doch kein Baby! Ich habe mich sterilisieren lassen!"
Der Arzt sah sie zweifelnd an, las aufmerksam den Bericht des Krankenhauses auf dem Computer, schüttelte den Kopf. „Das steht nichts drin von Sterilisation!"
Marie wurde kreidebleich, ich nicht minder. Ich begleitete sie ja zu allen Untersuchungen. Sie hatte mich nie drum gebeten, aber ich wusste, dass sie mich gerne dabei hatte.
Sie war manchmal etwas fatalistisch, hatte ein wenig Angst, wir müssten für unser Glück bezahlen.
Und Arzttermine verunsicherten sie jedes Mal, weil sie eine schlechte Nachricht befürchtete.
An diesem Tag war ich besonders froh, dabei zu sein. Es war nicht direkt eine schlechte Nachricht, aber vor Freude springen konnten wir auch nicht, noch nicht.
Bis wir zu Hause waren, hatten wir uns schon an den Gedanken gewohnt, eine Stunde später waren wir überglücklich. Sie war schon im vierten Monat, es würde ein Mädchen werden, eine kleine Leonie. Sie musste ein paar Monate nach der Geburt von Adrian und Moritz schwanger geworden sein. Ich machte mir schon auch große Sorgen um ihre Gesundheit, aber Raffaela beruhigt mich.
Kurz überlegte ich, ob ich den Chirurgen zur Rechenschaft ziehen sollte für seine Vergesslichkeit, aber wer konnte schon sauer sein auf einen Arzt, der einem ein viertes Kind geschenkt hatte?
„Eines sage ich dir, Ebeling: Wenn sie wieder aussieht wie du, bin ich ernsthaft beleidigt!" kündigte meine süße Marie an.
Ich liebte sie so wahnsinnig, wie verrückt! Sie jammerte nicht, sie beklagte sich nicht, dass sie schon wieder schwanger war, dass das Schuljahr wieder ohne sie beginnen würde. Sie war aufgedreht vor Freude über dieses Geschenk des Schicksals.
Ich musste an Bennis Worte denken, die sie aufgeschrieben hatte, die einzigen richtigen Worte, die ich ihm zugestand: Du wirst eine fantastische Mutter sein!
Das war sie wirklich, und das würde sie auch für die kleine Leonie sein. Sie war nie überbesorgt, packte die Kinder nicht in Watte, wie ich es gerne getan hätte. Sie erzog eigentlich auch nicht, sie liebte einfach!
Ich kann das nicht so gut in Worte fassen, aber sie behandelte jeden als eigene Persönlichkeit, auch mich und die Schüler.
Sie wollte keinen formen nach ihren Vorstellungen, sie akzeptierte jeden, wie er war, mit Fehlern und Eigenheiten, mit Begabungen und Charakterzügen.
Das machte sie zu einer so hervorragenden Pädagogin, so einer wunderbaren Mutter und zu einer unübertrefflichen Partnerin.
Zu einem so wertvollen Menschen, den alle lieben mussten. Also, platonisch! Denn wirklich lieben durfte nur ich sie. Ich nahm mir vor, dieses Mal nicht enttäuscht zu sein, wenn sie meinen Heiratsantrag wieder ablehnte, sondern dankbar zu sein, wenn diese außergewöhnliche Frau mir wieder versprach, mich immer zu lieben: Was war dagegen schon irgendeine Unterschrift irgendeines Beamten auf irgendeinem Schriftstück.
Leonie kam am 1. November zur Welt, deshalb darf ich noch darüber schreiben. Der Frauenarzt riet wieder zu einem Kaiserschnitt, weil Marie so schmal gebaut war. „Aber das ist dann der Letzte!" ermahnte er uns. Er setzte sich selbst mit dem Chirurgen in Verbindung, ein anderer als beim letzten Mal, damit wir ganz sicher sein konnten, dass dieses Mal die Sterilisation nicht verbummelt wurde.
Als ich Leonie zum ersten Mal sah, wurde mir etwas mulmig, denn sie sah aus wie Nicola damals, also wieder wie ich!
Ich fragte die Hebamme, wie das möglich war. „Sie haben eben sehr starke Gene!" antwortet sie.
Und sorry, süße Marie, das war jetzt nichts, worüber ich unglücklich hätte sein können! Du musst dich damit abfinden, dass du vier Klone von mir zu Hause hast!
Wir waren mit unserem Schlafzimmer ins Dachstudio gezogen, hatten einen Arbeitsplatz mit einer Trennwand abgeteilt.
Das hatte den Vorteil, dass wir unsere Große hin und wieder anschwindeln konnten: „Wir müssen noch was für die Schule machen!"
Ihr Blick ließ uns ahnen, dass sie uns zum Teil durchschaute. Adrian und Moritz zogen in Maries ehemaliges Arbeitszimmer, als sie groß genug waren, dass ich sie in der Nacht alleine lassen konnte.
Leonie würde dann meines bekommen, aber erst in ein paar Wochen!
So, süßeste Marie! Das war unser fünftes Jahr, das wir als sechsköpfige Familie abschlossen, mit einer dreiklassigen Privatschule.
Beides hatten wir uns wohl auf diesem Faschingsball nicht ausmalen können, aber, dass das mit uns was Größeres wird, ahnte ich damals schon!
Ich bin auch nicht mehr traurig oder böse auf mich wegen der verlorenen neun Monate. Das Schicksal hat uns mehr als entschädigt dafür.
Ich hoffe, du siehst das ebenso!
Noch immer stehst du und steht meine Liebe zu dir an erster Stelle. Noch immer versuche ich, dich mit Beweisen meiner Liebe zu überraschen.
Ob mit einem neuen Song, den ich lerne, mit einem Abendessen nur für uns, mit einem Schmuckstück, das ich aus Zeitmangel im Internet bestellen muss.
Im Gegenzug bestellst du Bücher, die in Talkshows vorgestellt werden, doppelt, damit wie sie gleichzeitig lesen können.
Noch immer sehen wir mindestens einmal im Monat „Notting Hill", noch immer sitzen wir an schönen Sommerabenden an der Donau, ich mit der Gitarre, du mit einem bewundernden, liebevollen Blick auf mich.
Noch immer verzehrt sich mein Körper vor Sehnsucht nach deinem, pocht mein Freund im Süden, wenn du mich anlächelst! Noch immer genieße ich es, wie du auf meine Berührungen reagierst, wie dein Atem schnell und flach wird, wenn ich dir sage, dass ich dich will, dass ich dich brauche! Noch immer genieße ich auch unsere abendlichen Gespräche bei einem Glas Wein, das etwas rar geworden ist, weil du entweder schwanger bist oder stillst!
Sorry! Das war jetzt fies! Zu mindestens 50% bin ich ja daran schuld! Und ich bin es gerne! Unsere Kinder sind die Sonne in meinem Leben, aber du bist der am hellsten leuchtende Stern am Himmel!
Niklas, der die Ablehnung seines Heiratsantrages vollkommen gelassen hingenommen hat! Denn du hast mir wieder versprochen, mich ewig zu lieben! Und mehr, süße Marie, wünsche ich mir für mein Leben nicht!
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