Teil 31* Die Bücher 27
Liebste Marie!
Bisher war ich noch nicht erfolgreich bei der Suche nach dir. Ich habe meinen Chef gebeten, bei deinem nachzufragen, aber der wusste nichts von einem Umzug. Eine neue Adresse hast du nicht gemeldet, versicherte er.
Aber du bist ja beurlaubt, vielleicht hast du auch nicht daran gedacht!
Dann rief Charly an, freute sich, dass ich meine Wohnung wieder für mich hatte.
„Dann kann ich dich ja wieder mal besuchen!" schlug sie vor.
Der Anruf brachte mich auf eine Idee. Ich dachte an die Geburtstagsanzeige von ihr, setzte mich an den Computer und gab die Annonce auf.
Ganz einfach, nicht viel Text, aber groß:
Marie, ich liebe dich! Aber ich kann dich
nicht finden! Melde dich bitte!
Niklas
Der Preis für die dreispaltige Anzeige war stolz, aber ich hätte auch das Zehnfache dafür bezahlt! Für die Samstagsaugabe war die Zeit zu knapp, aber eine Woche später würdest du sie lesen! Und wenn nicht, würde ich sie so oft schalten, bis du sie liest! Und noch größer, wenn es sein musste!
Und ich würde die Radiosender anrufen, damit sie einen Aufruf machten! Ich würde nichts unversucht lassen. Vielleicht hatte Charly noch ein paar Ideen! Ich freute mich auf den nächsten Tag, war voll guter Gedanken! Am Freitag wollten wir wieder mal um die Häuser ziehen, vielleicht traf ich dich ja in einem Club?
Einen etwaigen Verehrer würde ich kurzerhand ausknocken, dich in die Arme nehmen und so lange küssen, bis du jeden Widerstand aufgibst! Dann würdest du mir zuhören!
Mein Plan war perfekt!
Glücklich fuhr ich in die Schule.
Meine Begeisterung wurde am Freitagabendnach den Clubbesuchen etwas gedämpft, weil du natürlich nirgendwo zu finden warst. Aber vielleicht war das ja auch ein gutes Zeichen, dass du offensichtlich nicht auf der Suche warst!
Hoffentlich nicht, weil du schon fündig geworden warst!
Meine Stimmung stieg und fiel mit meinen Gedanken.
Ich trank ein wenig zu viel, wimmelte Mädels, die mich anbaggerten, grober ab, als es nötig gewesen wäre.
Charly brachte mich schließlich lachend nach Hause.
„Gut, dass du eine ältere Schwester hast!" sagte sie. Wir leerten noch eine Flasche Wein, quatschten über Paul, ich erzählte von Dr. Seeliger.
Sie fand meine Idee mit der Anzeige gut!
Schließlich torkelte ich ziemlich beschwipst, aber glücklich grinsend ins Bett.
Im gefühlten Morgengrauen so um zehn, läutete es. Ich zog mir die Decke über den schmerzenden Schädel. Vergiss es! brummelte ich.
Beim Frühstück zwei Stunden später, fragte mich Charly: „Hast du die Glocke heute gehört?"
„Schon!" Ich sah sie grinsend an. „Aber wer am Samstag um zehn klingelt, kann nur ein Feind sein!"
„Ich war gerade im Bad und habe zum Fenster hinuntergeschaut. Eine schwangere Frau ist wie vom Teufel verfolgt weggelaufen, als sie mich gesehen hat!" Sie sah mich aufmerksam an. „Gibt es da etwas, was ich wissen müsste, Kleiner?"
Ich schüttelte lachend den Kopf. „Ich kenne keine schwangere Frau!" versicherte ich. „Seit Marie kenne ich gar keine Frau mehr!"
Dann ließen wir uns den Berg an Eiern mit Speck schmecken, den sie gebraten hatte. Sie blieb bis Sonntagmittag. Das hatte wieder einmal gut getan!
In der folgenden Woche hatte ich zwei Termine bei Dr. Seeliger. Er lobte mich dafür, dass ich das mit Nico so schnell in Angriff genommen hatte, und auch, dass ich so einfallsreich auf der Suche nach dir bin. Nach der letzten Sitzung entließ er mich als geheilt, wenn ich wieder Probleme hätte, sollte ich mich melden.
Beschwingt ging ich nach Hause. Es war Freitagnachmittag, morgen würde die Anzeige erscheinen:
Ich träumte mich glücklich zu dir, in deine Arme, fühlte schon beinahe deine Lippen auf meinen, so sicher war ich, dass ich Erfolg hätte.
Morgen! Morgen werde ich dich zurückbekommen!
Und wenn nicht morgen, dann übermorgen oder in einer Woche!
Süßeste Marie! Ich kann es kaum erwarten!
Niklas, der sein Spiegelbild dämlich angrinst, der hofft und auch ziemliches Muffensausen hat!
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Hallo Kladde!
Die Zeit vergeht! Seltsamerweise vergeht die Zeit, seltsamerweise dreht die Welt sich weiter.
Der Geburtstermin meiner Süßen rückt näher.
Die Tasche ist gepackt, alle zusammen warten wir, dass es losgeht. Angst habe ich nicht.
Wie es kommt, kommt es. Ich weiß, dass es kein Spaziergang werden wird, aber andere Frauen habe das millionenfach überstanden.
Gespräche über Niklas würge ich mit einem falschen Lächeln ab.
„Ach kommt!" sage ich zum Beispiel. „Ich habe damit abgeschlossen! Jetzt zählt nur noch Nicola."
Ich weiß, dass keiner mir meine Coolness abkauft, aber sie akzeptieren meinen Wunsch, nicht mehr über ihn zu sprechen.
Überhaupt behandeln sie mich wie ein rohes Ei, aber das will ich gar nicht!
Ich will nicht mehr die leidende, die traurige, die heulende Marie sein!
Ich will wieder ich sein!
Will die Marie sein, die ich nach der Trennung von Benni werden wollte.
Selbstständig wollte ich sein!
Frei!
Mein eigener Herr!
Auf niemanden mehr Rücksicht nehmen!
Warum haben sie mich auf diesen vermaledeiten Ball mitgenommen?
Warum musste Niklas an diesem Tag da sein?
Warum musste ich sein Interesse erwecken?
Warum hat er mich angebaggert?
Nicola trat mich heftig!
Ja, sie hatte Recht!
Alles musste so kommen, damit ich sie bekam!
Mein wunderhübsches Mädchen, das sie sicher werden würde.
Dieses Kind der Liebe, daran musste ich einfach glauben.
Natürlich war sie nicht geplant, auch von mir nicht, aber ich liebe sie unendlich.
Was würde er sagen, wenn er es erfahren würde?
Ich musste lachen.
Wie reagierte ein Mann mit 32 oder vielleicht mittlerweile 33, darauf, von einer Minute zur anderen Vater zu sein?
„Sollen wir ihn dann mal schocken?" fragte ich Nicola, und sie boxte begeistert.
„Du würdest deinen Papa schon gerne kennenlernen, oder?" Der nächste Tritt. Beruhigend legte ich meine Hand auf den riesigen Bauch. Ich hatte seltsamerweise nicht viel mehr an Gewicht zugenommen, als die Kleine wohl wog.
Ein, zwei Kilo Wasser vielleicht, hauptsächlich in den Beinen. Aber diese Kugel kam mir vollkommen überdimensioniert vor.
Ich wälzte mich aus dem Bett, wollte mich unter die Dusche hieven. Da bemerkte ich die Feuchtigkeit zwischen den Beinen und erschrak fürchterlich.
Panisch rief ich nach meiner Mutter, die sofort hereinkam und sah, was los war.
„Ganz ruhig, mein Mädchen! Die Fruchtblase ist geplatzt! Dann macht sich die kleine Madame wohl auf den Weg in die Welt!"
„Aber es ist zu früh!" schrie ich. „Und jetzt wird sie sterben, wenn die Fruchtblase geplatzt ist!"
Zum ersten Mal war ich mehr als dankbar, dass meine Mutter eine sehr wenig gefühlsbetonte, pragmatische Frau sein konnte, die außerdem noch Ärztin war.
„Es ist eine Woch, bis zum berechneten Termin. Das ist vollkommen normal! Und die Fruchtblase muss platzen, sonst bleibt sie ewig da drinnen."
Sie rief Papa, der mit meiner Tasche ankam und uns ins Krankenhaus brachte. Kaum war er losgefahren, als mich die erste Wehe traf - trotz der vielen Stunden im Kurs, trotz allem, was ich im Internet gelesen hatte, vollkommen unvorbereitet. Ein Schmerz, wie er für mich unvorstellbar gewesen war!
Hoffentlich kommen da nicht mehr als fünf oder sechs! dachte ich.
Sie brachten mich ins Untersuchungszimmer. Schnell zog ich meine Kladde hervor, um meine letzten Gedanken aufzuschreiben.
Vielleicht würden sie das Ding Niklas geben, falls ich nicht überlebte! Er sollte wissen, wie sehr ich ihn geliebt hatte.
Marie. Auauauauau! Hecheln! Hecheln! Hecheln!
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