Teil 21 * Die Bücher 17
Liebste Marie!
Heute habe ich dich gesehen! O Gott! Ich habe dich wirklich gesehen!
In der Kirche, beim Abschlussgottesdienst! Ich wollte eigentlich gar nicht hingehen, meine Schüler waren ja nicht mehr dabei, aber wegen der Kollegen, so zum Abschied in die Ferien, hat es mich doch hingezogen.
Ich saß ganz hinten, weil ich ja keine Aufsichtspflicht hatte, da kamst du mit einer Klasse, bist an mir vorbeigegangen, hast mich aber nicht angeschaut.
Du warst so schön, wie ich dich in Erinnerung hatte.
Oder noch schöner?
Du hast irgendwie von innen geleuchtet, ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll oder kann. Du hast glücklich ausgesehen!
Scheinbar hast du auch ein bisschen zugenommen, ein kleines Bäuchlein hat sich unter deinem engen Kleid abgezeichnet, und deine Brüste schienen auch voller geworden zu sein, deine Wangen etwas runder.
Es geht dir also gut.
Ich habe ja mitbekommen, dass du unter der Trennung von Benni so gelitten hast, dass du 10 Kilo abgenommen hast. Die Trennung von mir hast du augenscheinlich leichter überwunden.
Es macht mich froh!
Es macht mich froh!
Ja, verdammt, es macht mich froh!
Und es zwickt auch nur ein klein wenig!
Was willst du? fragte mein Alter Ego. Dass sie leidet wie ein Hund? Leidet wie du?
Nein! Natürlich nicht! Aber ein bisschen?
Dass sie mich ein bisschen vermisst?
Ich war kurz davor, nach dem Gottesdienst zu dir hinzugehen. Wenn du mich so schnell vergessen hast, könnte ich ja ein paar Worte mit dir reden!
So von Kollege zu Kollegin!
Aber ich merkte, wie sich mein Hals verengte, wie die Tränen wieder hochstiegen.
Ich habe dich eine Weile beobachtet, wie du die Kinder leise angewiesen hast, sich zu setzen. Es gab ein Problem, weil alle neben dir sitzen wollten.
Ich musste lächeln, die Tränen hörten auf, in den Augen zu brennen.
Meine Marie! Alle lieben sie!
Einen Schüler, der etwas lauter redete, hast du ruhig zurechtgewiesen. Der arme Kerl hat so traurig dreingeschaut, dass er mir direkt leidgetan hat. So fühlt man sich, wenn man Marie verärgert hat! dachte ich.
Ich hätte eigentlich gehen sollen, damit du mich nicht doch noch entdeckst, aber ich konnte die Augen nicht von dir losreißen. Meistens habe ich dich zwar nur von hinten gesehen, hin und wieder auch im Profil.
Ich hätte stundenlang in dieser Kirche sitzen können!
Nach dem Segen bin ich schnell hinausgegangen, um auf meine Kollegen zu warten. Ich stand etwas abseits und konnte die Königin beobachten, wie sie Hof hielt.
Unzählige Mütter und Väter gaben dir die Hand, überreichten dir so viele Blumensträuße, dass du sie zwischendurch ablegen musstest.
Und immer wieder glaubte ich die Worte „Schade!" und „uns verlassen!" zu hören.
Mein Herz setzte aus. Du gehst weg! Von deiner Schule? Aus Regenburg?
Wohin?
Womöglich zu Paul!
Hat er sich bei dir gemeldet?
Habe ich ihn womöglich dazu animiert?
Zu einem anderen?
Zu einem, der dich so von innen strahlen lässt?
Ich musste weg! Ließ die Kollegen Kollegen sein! Ich konnte unmöglich mit zum Abschlussessen. Ich musste erst eine paar Liter Tränen loswerden und dann Paul anrufen.
Wenn er ... ?
Wenn er wirklich......?
Dann wäre diese Freundschaft Geschichte!
Dann wäre er ein noch größerer Verräter als Brutus!
Und vor allem: Dann wäre mein Verzicht vollkommen unsinnig geworden!
Aber warte, Bruder! drohte ich ihm bei mir. Wenn das der Fall ist, werde ich wieder um sie kämpfen! Und ich werde sie wieder zurückerobern! So wahr ich Niklas Ebeling heiße.
Ich war so wütend und aufgebracht, dass ich erst vor meiner Haustüre merkte, dass ich mein Auto vor der Kirche stehen gelassen hatte. Auch auf das Heulen habe ich vor Wut vergessen!
Noch auf der Straße wählte ich Pauls Nummer. „Bist du mit Marie zusammen?" brüllte ich ihn an, als er sich meldete.
Er antwortete nicht gleich. „Nein!" stieß er schließlich heraus. „Wie kommst du denn da drauf?"
„Sie geht weg! Sie geht von ihrer Schule weg! Die Eltern haben sich von ihr verabschiedet!" schluchzte ich.
„Du hast sie also wieder gesehen?" drehte er den Spieß um.
„Nein! Habe ich nicht! Unsere Schulen hatten Abschlussgottesdienst!" Ich verfluchte ihn innerlich, dass er mich wieder zwang, mich zu rechtfertigen.
„Du hattest eine Neunte!" wandte er ein. „Die sind schon längst entlassen!"
Da wurde ich wütend. „Ja, genau! Aber deshalb darf ich trotzdem in die Kirche, wenn ich das will!"
„Ich muss jetzt auflegen!" Seine Stimme bekam wieder diesen leidenden Ton, den ich so gut kannte. „Ich bekomme rasende Kopfschmerzen!"
Und zum ersten Mal kriegte er mich nicht dazu, mich zu entschuldigen!
„Dann leg dich hin! Schöne Ferien!" presste ich heraus und beendete das Gespräch.
Ich lief zur Kirche zurück, um meinen Kopf freizubekommen und um mein Auto zu holen. Als ich kurz vor dem Parkplatz war, sah ich, dass nur noch ein einziges weiteres Fahrzeug außer meinem dastand, der feuerrote Flitzer! Du stiegst gerade ein und warst weg, bevor meine zitternden Beine zu dir rasen konnten.
So nah!
Zum zweiten Mal war ich dir so nah gewesen! Ich fuhr in den Biergarten, in dem sich die Lehrkräfte meiner Schule sich trafen.
„Na! Du scheinst ja schwer unter dem Ferienbeginn zu leiden!" zog mein Chef mich auf. „Du bist ja käseweiß!"
„Hast du ein Gespenst gesehen?" fragte Olga, die mich immer ein wenig anschmachtete.
Ja! Die Liebe meines Lebens! dachte ich, lachte aber pflichtschuldig über ihren Scherz.
„Geht Frau Buchner von der Schule Ost weg?" fragte ich den Chef.
Er sah mich länger an, als es hätte sein müssen. Was sollte ich in diesem Blick lesen?
„Ja! Eine Weile hat sie sich beurlauben lassen. Mein Kollege ist sehr unglücklich darüber, und ich auch, ehrlich gesagt. Sie hat den Schülern sehr gutgetan, und wir haben immer davon profitiert!"
Ich habe mich an dem Schluck Radler verschluckt, den ich gerade genommen hatte. Beurlaubt? Was hieß das denn?
Warum lässt sich eine fantastische Pädagogin wie du beurlauben?
Fehlt dir etwas?
Aber dann hättest du dich ja krankschreiben lassen können!
Essen konnte ich dann nichts mehr. Ich habe ziemlich schnell ausgetrunken und bin nach Hause gefahren.
Und nun sitze ich wieder hier, sollte mich auf die Ferien freuen und bin krank vor Sorge um dich!
Marie! Was ist los?
Gehst du nun ganz und gar aus meinem Leben?
Ich weiß nicht, ob ich das aushalten werde!
Marie, langsam glaube ich nicht, dass ich all das noch lange schaffen werde! Mein Herz heilt und heilt nicht!
Ich will dich, meine Schöne! Ich will dich so sehr!
Ich will dich in meinem Leben haben!
Niklas
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Hallo Kladde!
Ab sofort spreche ich nur mit dir! Niklas haben die Krokodile gefressen!
Heute war ja der letzte Schultag. Ich wollte eigentlich noch im Lehrmittelzimmer aufräumen, aber Kerstin, die wahrscheinlich schon in Urlaub geflogen ist, weil es noch billiger ist, hat sich natürlich krankgemeldet.
Meine Nachfolgerin Marion hat sich strikt geweigert, die Klasse zu übernehmen, weil sie nicht „verpflichtet ist, unvorbereitete Vertretungen zu übernehmen", wie sie doziert hatte. Mit der wird der Chef so seine Freunde haben.
Das ist so eine Träne, wenn ich einen Schritt mache, braucht sie drei. Den ganzen Tag erzählt sie, was sie nicht oder anders machen wird als ich.
Kinder nennt sie Rangen, dumme Kinder kann sie nicht leiden, freche brüllt sie nur an!
Ich würde mal sagen, die hat ihren Beruf verfehlt!
Also bin ich mit in die Kirche. Mir war schlecht vor Angst, dass ich Niklas treffen würde. Aber dann habe ich mich etwas beruhigt, seine Klasse war ja sicher nicht beim Gottesdienst.
Ich habe ihn auch nicht gesehen, Gott sei Dank!
Nach dem Gottesdienst haben mich dann die Eltern total überfahren. Beinahe hätte ich geheult! So viele Blumen habe ich bekommen, ich könnte einen Stand auf dem Markt eröffnen.
Dann kam noch Frau Maurer, Roberts Mutter.
Er war lange Zeit mein Sorgenkind, in der Ehe der Eltern kriselte es schwer, er hat kräftig um sich geschlagen. Er hat mich viele Nerven gekostet und auch viel Zeit, aber noch nie war ein Kind dann auch so dankbar, wie auch seine Eltern, die sich wieder zusammengerauft haben.
Sie erzählte mir, dass sie mit dem Herrn Ebeling im Schullandheim gewesen war.
Dass sie meine Adresse von ihm haben wollte, er sie aber nicht hatte. „Behauptete er wenigstens!" erklärte sie und sah mich durchdringend an.
Ich lächelte sie an, ich glaube zumindest, dass es ein Lächeln wurde. „Warum sollte er denn meine Adresse haben?" stellte ich mich dumm.
Sie grinste leicht. „Nun gut! Also, der Robert hat sein Taschengeld gespart und das für sie gekauft. Ich weiß, dass sie keine Geschenke von Schülern annehmen dürfen, aber er ist ja nicht mehr ihr Schüler, und Sie sind erst einmal keine Lehrerin mehr!" Sie gab mir ein kleines Päckchen. „Machen Sie es erst morgen auf! Da ist Ihr Dienst ja erst mal wirklich vorbei!" Sie drückte mich noch einmal. Was sollte ich da denn machen?
Ich schob das Geschenk erst einmal ein. Dann schleppte ich die Massen an Blumen zu meinem Auto. Nur noch ein weiteres stand da.
Es war eindeutig das von Niklas! Die Nummer war die, die der Hausmeister mir genannt hatte: R-NE 888. Also war er das auch auf dem Schulparkplatz gewesen!
Was ging da vor sich? Wo steckte er? Versteckte er sich vor mir?
Das brauchte er wirklich nicht!
Schnell fuhr ich in die Pizzeria, die wir für unser Schulschlussessen ausgewählt hatten.
Der Chef hielt eine schöne Rede, Marion verdrehte die Augen. „Du hast den Haufen ganz schön verzogen!" stieß sie hervor. „Mit mir können sie nicht so umspringen! Ich kenne meine Rechte!"
„Ich auch!" antwortete ich ruhig. „Aber Zusammenarbeit ist immer eine Sache von Gegenseitigkeit!"
Ich hatte es nicht schlecht erwischt mit meinem Chef und meinen Kollegen.
Natürlich hatte ich viele Pflichten übernommen, natürlich machte ich viele Vertretungen, aber dafür bekam ich auch immer wieder stundenweise frei, wenn eine Klasse im Schullandheim war oder auf Ausflug.
Meistens habe ich mir zwar dann Kinder mit besonderen Lernproblemen geholt und eine Zusatzübungsstunde gehalten. Aber hin und wieder war ich auch einfach eine Stunde eher nach Hause gefahren.
Mein Stundenplan war immer perfekt, ohne Freistunden, und der Chef hielt mir den Rücken frei, wenn Eltern etwas auszusetzen hatten, was ja immer wieder vorkommt. Gerade in der Grundschule, mit all den Helikoptereltern, die allesamt künftige Nobelpreisträger zur Welt gebracht hatten.
Mein Chef überreichte mir noch einen Blumenstrauß, einen Gutschein für ein teures Babyausstattungsgeschäft, einen riesigen Teddybären und ein kleines Päckchen. Ich fand darin ein Bettelarmband mit lauter Köpfen von Frauen und ein paar wenigen Männern, die mit den Namen der Kolleginnen und Kollegen graviert waren. Am Verschluss hing ein großes Herz, auf dem ich las: Danke! Alles Gute!
Da flossen dann endgültig die Tränen. „Jetzt heult die auch noch!" maulte Marion, und urplötzlich musste ich lachen.
Ich würde mal nach der Geburt an der Schule vorbeischauen, um zu sehen, ob diese Type noch lebte!
Dann musste ich sie aber doch fragen, warum sie so feindselig mir gegenüber war.
Ihre Blicke erdolchten mich fast. „Ich habe dich auf dem Ball mit dem Ebeling gesehen! Er hat dich mit Blicke ausgezogen! Ich hatte ihn an seiner Schule eine ganze Weile angebaggert, aber er hat mich nicht einmal bemerkt! Und da warst du wohl schon schwanger von deinem Mann, was man so hört! Du bist eine gottverdammte Bitch!" Damit stand sie so abrupt auf, dass ihr Stuhl umfiel, und verschwand.
Alle sahen mich fragend an. Zum Glück war das Gegacker wie immer so laut gewesen, dass niemand Marions Worte verstehen hatte können.
Ich zuckte nur mit den Schultern. „Ich glaube, sie mag mich nicht!" sagte ich nur.
Klara lachte. „Ob du das überlebst?"
Der Chef verdrehte die Augen. „Mit der ist bisher noch keine Schule ausgekommen! Und nachdem keiner sie wollte, haben wir sie gleich gekriegt!" meinte er mit Galgenhumor. „Sie können gerne Ihre Tochter mit in den Unterricht bringen, wenn Sie bloß wieder anfangen! Ich richte Ihnen auch ein Stillzimmer ein."
Das tat wieder so gut, dass meine Augen feucht wurden. Das eine oder andere hatte ich wohl richtig gemacht!
Zumindest im Berufsleben!
Privat haperte es noch ein wenig.
So, Kladde, das war das Wichtigste von diesem Tag!
Und nein, ich werde nicht über Niklas schreiben!
Ich werde nicht schreiben, wie mein Herz gerast ist, als ich sein Auto gesehen habe!
Ich werde auch nicht schreiben, wie meine Augen blitzschnell die Umgebung nach ihm abgesucht hatten.
Und ich werde nicht davon schreiben, wie gerne ich diesen Tag mit ihm geteilt hätte.
Wie gern ich den Stolz in seinen Auge gesehen hätte, wenn ich ihm von den Worten des Chefs erzählt hätte.
Wie gerne ich seine Lippen auf meine gefühlt hätte!
All das werde ich nicht schreiben, vergiss es!
Und jetzt fahre ich in die Stadt, ganz alleine!
Ich kaufe mir verrückte Klamotten, langsam werden mir meine Sachen zu eng, und ich brauche jetzt ja erst einmal keine braven Schulsachen mehr!
Und ich denke nicht daran, wie gerne ich diese Shoppingtour mit Niklas machen würde – an einem letzten Schultag vor den großen Ferien, dem schönsten Tag in einem Lehrerjahr!
Mach's gut Kladde!
Marie, die auf dem besten Weg ist, einen gutaussehenden jungen Mann, der so gut küssen kann, zu vergessen!
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