Teil 2
Niklas
„Du scheinst dringend einen zu brauchen!" antwortete er.
Irgendwie kam sie ihm etwas naiv vor.
Ließ sich in die Bar abschleppen und wunderte sich dann, wenn der Kerl mehr wollte als tanzen!
Sie wurde ein wenig rot. „Ich ... ich ... habe nicht so viel Ahnung von diesen Dingen!" stotterte sie und seine scharfen Worte taten ihm sofort leid.
Aber so recht verstand er nicht, was sie ihm sagen wollte.
Sie sah fantastisch aus, schien Single zu sein, hatte sie die letzten Jahre im Kloster gelebt?
Doch, bevor er nachfragen konnte, kam ihre Schwester. „Marie, komm! Wir gehen was essen!"
Jetzt hatte er wenigstens mal einen Namen für das schöne Kind.
Sie ging mit den beiden, mit denen sie gekommen war, ins angrenzende Speiselokal.
Er setzte sich an den Tisch daneben, Rücken an Rücken mit ihr.
Sie bemerkte ihn nicht.
„Na? Gefällts dir?" fragte der Mann.
„Ja! Schon! Ein bisschen ungewohnt, so viel männliches Interesse!" antwortete sie.
Die Schwester lachte. „Das Interesse war schon immer da! Aber deine Antennen waren sehr streng unter Verschluss!"
Na! Das war ja eine interessante Unterhaltung! dachte Niklas.
Marie lachte. „Meinst du?"
„Wir wissen es! Wir haben nämlich Augen im Kopf, im Gegensatz zu dir!" stellte der Mann fest.
Niklas musste ihm in Gedanken zustimmen.
Marie zuckte mit den Schultern. „Wenn man mit 15 den ersten Jungen küsst und dann 13 Jahre mit dem gleichen Mann verbringt, haben die Antennen eben keine Zeit, sich zu entwickeln!"
Niklas zuckte zusammen.
Was?
Was hatte er da zu hören bekommen?
Dann war sie schon 28?
Okay! Das war überhaupt kein Problem, er war 32.
Aber 13 Jahre, fast ihr halbes Leben, mit ein und demselben Mann zusammen?
Er bekam ein schlechtes Gewissen, weil er die drei so belauscht hatte.
Irgendwie musste er jetzt aus dieser Kiste rauskommen.
Vorsichtig stand er auf, ging zur nächstliegenden Türe hinaus, kam zu einer anderen wieder herein und ging geradewegs auf sie zu.
Sie lächelte ihn wieder auf diese süße Art an. „Hallo! Mein edler Ritter!" stellte sie ihn Schwester und Schwager vor.
Er gab den beiden die Hand. „Ihr könnt mich aber auch Niklas nennen!" schlug er lachend vor.
Alle nannten ihre Namen.
Da kam sein Wasser, Bier hatte er aufgegeben.
Es wurde ja doch immer nur warm, weil er sie andauernd retten und verfolgen musste.
„Dann trinken wir doch Brüderschaft, Marie!" schlug er vor.
Sie hakten ihre Arme ein, tranken einen Schluck.
„Und jetzt der Kuss!" Aus dem Augenwinkel sah er die beiden anderen grinsen. Sie hatten wohl nichts dagegen.
Er griff sanft nach Maries Kopf, sie hielt ihm die Wange hin, doch er drehte sie ganz leicht, berührte mit seinen Lippen die ihren.
Der Blitz, der ihn durchzuckte, erinnerte ihn an die ersten vorsichtigen Küsse der frühen Teenagerzeit. Er hatte ihn schon lange nicht mehr so intensiv gefühlt – genauso wenig, wie das Pochen hinter den Knöpfen seiner Jeans nach einer so unschuldigen Zärtlichkeit.
Marie
Das war schön gewesen!
Ein Kuss!
Ein Mann hatte sie geküsst!
Nicht richtig, aber wunderschön!
Mehr Gedanken fand sie nicht in ihrem Kopf.
Das bestellte Essen kam, sie schluckte krampfhaft ein paar Bissen hinunter, dann schob sie ihm den Teller hin. „Willst du? Für deine edlen Taten?"
Er lachte sie offen an.
Ob er ahnte, was ihr den Appetit geraubt hatte?
Nun, für ihn war das ein Bruderschaftskuss gewesen, aber für sie die erste Erfahrung mit Zärtlichkeit und Erregung seit vielen Jahren.
Und diese Erfahrung würde sie ganz tief in sich abspeichern!
Sie würde Seiten ihres Tagebuches füllen mit neuen Träumen, Wünschen und Hoffnungen.
Denn das konnte sie gut: Träumen, wünschen, hoffen!
Zu mehr würde es sowieso nicht reichen!
Mehr würde für sie nicht drin sein!
Er nahm das halbe Essen an, räumte den Teller leer.
Doch was geschah dann?
Er nahm sie in die Arme, ließ seine Lippen über ihre Wange streichen, fand zu ihrem Mund und küsste sie dieses Mal sehr leidenschaftlich.
„Auf einem Bein steht man so schwer!" flüsterte er in ihr Ohr, spielte mit der Muschel, und sie hob beinahe ab.
Der Kuss dauerte ewig! Oder war das jetzt schon der dritte, vierte oder fünfte?
Als sie wieder die Augen öffnete, bemerkte sie, dass Sophie und Harald gegangen waren.
Diese Verräter!
Sie konnte sich das amüsierte Grinsen der beiden vorstellen. Konnte ihre Gedanken hören: Die Kleine hat sich küssen lassen! Endlich!
Niklas
Niklas verstand nicht im Geringsten, was mit ihm geschah.
Er saß in einem Speiselokal, küsste eine wunderschöne Frau und konnte nicht damit aufhören!
Als die Bedienung die Teller abräumte und sich vernehmlich räusperte, tauchte er aus einem Strudel der Leidenschaft auf.
„Wir zahlen, bitte!" brachte er irgendwie heraus.
„Ist schon passiert!" meinte die rundliche Frau lächelnd.
Die beiden waren ja schon sehr süß! Aber hier sollten sie nicht so rummachen!
Er nahm Marie bei der Hand, zog sie in den Ballsaal zurück.
Wunderbarer Weise spielte die Band eine langsame Runde.
Er hielt sie fest im Arm, sah am Rande einige ihrer Verehrer etwas verdutzt dreinschauen, drehte sich vollkommen losgelöst mit ihr im Kreis.
Haut ab! Sie gehört mir! dachte er und wunderte sich gleichzeitig über seine Gedanken.
In der Pause führte dieses Mal er sie in die Bar, aber er hatte keine eindeutigen Absichten.
Er wollte sie nur bei sich haben, sie vor den notgeilen Typen beschützen, sie nahe bei sich spüren.
Er küsste sie immer wieder, aber seine Küsse forderten nichts.
Er streichelte ihren Nacken, ihre Arme – mehr wollte er nicht.
„So möchte ich dich die ganze Nacht im Arm halten!" flüsterte er und hatte keine Ahnung, ob er das wirklich gesagt hatte.
Der Longdrink wurde genau so warm, wie alles, was er heute bestellt hatte, und ihm wurde immer heißer.
Nach gefühlten zehn Minuten stand Sophie vor ihnen. „Marie, komm! Wir fahren jetzt!"
Ein eiskalter Guss traf ihn.
Nein! schrie es in ihm. Nicht weggehen! Bleib bei mir!
Und laut sagte er: „Bleib bitte! Wir können noch irgendwo einen Kaffee trinken! Ich will dich noch nicht gehen lassen!"
Sie schien eine Weile mit sich zu kämpfen, doch leider gewann wohl die Vernunft. „Ich muss! Ich schlafe bei den beiden!" flüsterte sie, und sie klang ein wenig traurig.
„Gibst du mir deine Nummer?" bat er, nein, flehte er.
Sie schrieb ein paar Zahlen auf einen Bierfilz, er steckte die Pappscheibe in seine Hemdtasche.
Dann brachte er sie schweren Herzens zur Garderobe, wo Sophie und Harald schon warteten. Auf der Treppe nach unten küsste er sie immer wieder, er war verrückt danach, sie zu küssen!
„Bleib bitte!" startete er einen letzten Versuch und kannte sich nicht wieder. Er bettelte tatsächlich darum, dass eine Frau nicht wegging! „Ich will nicht mit dir schlafen! Nur dich die ganze Nacht in den Armen halten!"
Und er glaubte sich selbst jedes Wort, das er so gequält hervorstieß.
Marie
Marie stockte auf der letzten Stufe, die sie noch von ihrer Schwester trennte, die schon ihren Mantel in den Händen hielt.
Ja! dachte sie. Ja! Ich werde bleiben! Ich bin 28 Jahre alt, gefühls- und erfahrungsmäßig 15, aber ich will bleiben. Bei diesem hübschen Mann, bei diesem wahnsinnig netten Kerl, der so gut küssen konnte und der den ganzen Abend nicht im Geringsten übergriffig geworden war.
Bei wem, wenn nicht bei ihm, sollte ich denn bleiben wollen?
„Ja!" sagte sie dann auch leise, nur für ihn hörbar. „Ja! Ich werde bleiben!"
Er drückte sie fest an sich. „Danke!" murmelte er in ihr Haar.
„Fahrt ihr ruhig!" sagte sie zu Sophie.
Harald wollte widersprechen, doch ihre Schwester nickte.
Es musste sein!
Sie verstand!
Niklas hielt sie noch immer im Arm. Der Ball war zu Ende, Menschenmassen verließen den Saal. Schnell holte er seine Jacke, half ihr in ihren Mantel, zog sie nach draußen.
Er führte sie zu einem Taxi, beide ließen sich in die Stadt bringen.
Es war Faschingssamstag, also eigentlich Faschingssonntag, auf den Straßen war noch eine Menge los.
Hand in Hand, Arm in Arm liefen sie durch die Straßen ihrer Stadt, die sie noch nie so geliebt hatte wie heute.
Niklas
Niklas war vollkommen überdreht, aufgedreht.
Sie war geblieben!
Bei ihm geblieben!
Du weißt aber schon, was du ihr versprochen hast? fragte sein Alter Ego.
Ja! Und ich werde es halten! antwortete er und ignorierte das amüsierte Lachen.
Sie tranken einen Kaffee, aßen Weißwürste, tranken ein Glas Wein.
Sie lachten mit den anderen jungen Leuten, tanzten eine Polonäse mitten in der Stadt, er fühlte sich so jung und losgelöst wie seit Jahren nicht.
Oder wie noch nie?
Die Küsse, die er sich immer wieder stahl, waren mal sanft und zärtlich, mal heiß und leidenschaftlich.
Um fünf Uhr schlossen die Lokale, die Straßen wurden leer. Er führte sie wie selbstverständlich zu seiner Wohnung.
Oben setzten sie sich an den Tisch, müde waren sie beide noch nicht. Er machte eine Flasche Prosecco auf, schenkte zwei Gläser ein.
Dann musste er wenigstens ein wenig von ihr erfahren. „Was machst du eigentlich beruflich?"
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