Kapitel 39 - Tracklist
Nachdem Maryana bei ihrem letzten Besuch im Tonstudio schon so böse überrascht geworden war, ging sie an diesem Tag mit einem ganz anderen Gefühl an die Arbeit.
Sie erwartete nichts und war gleichzeitig auf alles gefasst.
Selbst dass sie von Mitch wieder konsequent ignoriert wurde, war ihr heute völlig gleichgültig.
Stattdessen verkroch sie sich wieder auf das altbekannte Sofa, klappte ihr Notebook auf und verfolgte von dort aus, wie Harrys Soloalbum langsam Gestalt annahm.
Konzentriert gab er Anweisungen, wie die einzelnen instumentalen Solos eingespielt werden sollten. Dass Maryana angekommen war, war ihm dennoch nicht entgangen.
»Hey«, begrüßte er sie kurz über die Schulter, widmete sich dann aber wieder voll und ganz seiner Musik.
Erst etwa zwei Stunden später, als Harry und die Band es endlich wagten eine Pause einzulegen, stand Harry vor Maryana und brachte sie alleine dadurch dazu, von ihrem Notebook aufzusehen.
»Brauchst du mich?«, fragte er ohne große Umschweife.
Überrumpelt runzelte Maryana die Stirn. »Was?«
»Naja, interviewtechnisch, meine ich.«
Maryana überlegte kurz.
Für gewöhnlich hätte sie nun sofort gefragt, was es mit den finalen Lieder auf sich hätte, warum Harry sie geschrieben hat und worum es dabei geht.
Angesichts ihrer derzeitigen Lage war sie sich jedoch nicht sicher, ob sie das überhaupt wissen wollte und ob Harry nicht wieder seinen passiv-aggresiven Ton anschlagen würde - zumal sie ohnehin schon wusste, worum es in manchen Liedern ging.
»Ich bin mir ehrlich gesagt noch nicht ganz sicher«, gab Maryana zögerlich zu.
Seufzend legte Harry den Kopf in den Nacken. Auch er schien sich aktuell nicht besonders wohl zu fühlen.
»Darf ich mich zu dir setzen?«, fragte er dann und nickte auf die leere Seite des Sofas, auf dem sich Maryana breitgemacht hatte.
Sie war seit gestern vorsichtig und wusste nicht, was sie von Harry erwarten sollte. Sie
konnte nicht mehr einschätzen, wie er zu ihr stand, nachdem er gestern so abgeklärt, kalt und vorwurfsvoll gewesen war.
»Klar, setz dich«, nickte die Blondine und klappte ihr Notebook zu. Harrys Blick verriet bereits, dass er etwas zu sagen hatte.
Stöhnend ließ er sich neben Maryana auf die Couch sinken und stützte den Kopf auf seine Hand.
»Ich dachte schon, ich hätte dich vergrault und du würdest heute nicht herkommen«, murmelte er vor sich hin und wirkte weitaus ruhiger als gestern.
Maryana bemühte sich möglichst gleichgültig zu wirken, bezweifelte aber, dass sie es auch überzeugend nach außen transportieren konnte. Beiläufig zuckte sie mit den Schultern.
»Dafür hat es wohl nicht gereicht, ich bin ja hier.«
»Hör mal, Maryana«, seufzte Harry und sah sich prüfend um. Wieder waren sie alleine, alle anderen waren mit sich selbst beschäftigt.
»Ich hab dich gestern vielleicht ein bisschen scharf angeredet.«
Erstaunt zog Maryana die Augenbrauen nach oben. Sie hatte sich ja auf vieles eingestellt, allerdings kamen diese einsichtigen Worte nun doch überraschend.
Vorsichtshalber hielt sie sich zurück und ließ Harry den Raum, weiterzusprechen.
»Ich will mich gar nicht entschuldigen«, stellte Harry direkt klar. »Es hat nämlich richtig gut getan, das endlich mal rauszulassen und ich hab auch alles genau so gemeint. Nur der Ton war vielleicht ein bisschen hart.«
Vorsichtig suchte Harry Maryanas Blick - und da war er wieder. Für einen kurzen Moment erkannte die Blondine wieder den Menschen in Harrys Augen, der sich in den letzten Monaten in Rekordzeit in ihr Herz geschlichen hatte.
»Schon gut«, winkte Maryana wenig beeindruckt ab, obwohl Harrys Worte sie durchaus beruhigten. »Du hattest.. du hast ja recht.«
Aufmerksam sah Harry sie weiterhin an.
»Achja?«, fragte er erstaunt. »Das heißt?«
»Dass du eben recht hast. Ich glaube wir haben uns in letzter Zeit beide nicht ganz korrekt verhalten, aber ich war wohl die Schlimmere von uns beiden«, räumte Maryana ein, ohne besonders emotional zu klingen.
Sie ahnte, dass Harry gerade viel mehr daran interessiert war, ob sie sich der Sache mit David angenommen hatte, doch ihre Beziehungsprobleme wollte sie ihm nicht direkt auf die Nase binden.
»Also«, lenkte Maryana stattdessen die Aufmerksamkeit wieder auf ihre Arbeit. »Der wenig gesprächige Kerl am Mischpult hat mir vorhin deine vorläufige Tracklist vom Album gegeben. Wollen wir sie durchsprechen?«
»Ich weiß nicht, wollen wir?«, gab Harry die Frage sofort zurück.
Sie wussten beide, dass in Gesprächen über einige dieser Lieder alte Wunden aufgerissen werden würden und womöglich direkt in die nächste brenzlige Situation führen könnten.
Nachdem Harry gestern aber so abgeklärt gewirkt hatte und auch Maryana inzwischen nichts mehr schocken konnte, nickte sie zuversichtlich.
»Meinetwegen schon.«
Maryana warf einen Blick auf den Zettel, der neben ihr lag.
»Meet me in the Hallway«, las sie laut vor und sah Harry fragend an.
Sie konnten beide so tun, als wäre zwischen ihnen alles geklärt, doch egal wie oft sie sich nun ihre Fehler der letzten Monate eingestehen würden - die ungezwungene Leichtigkeit war weg. Stattdessen lauerte in jeder Frage die Möglichkeit, beim Gegenüber einen wunden Punkt zu treffen.
Für dieses Gespräch hatte sich Maryana fest vorgenommen, nichts an sie herankommen zu lassen.
»Was willst du von mir wissen?«
»Naja, worum geht's? Was willst du der Welt mitteilen?«, schlug die Autorin vor. »Sowas eben.«
»Es geht darum, einen Menschen zu verlieren«, erklärte er knapp. »Und nur schwer damit klarzukommen oder es eben nicht akzeptieren zu können. Ob es dabei um eine Trennung, Krankheit oder einen bevorstehenden Todesfall geht, soll derjenige entscheiden, der den Song hört und das fühlen, was man dabei eben fühlt. Verlust und Verzweiflung haben viele Gesichter. Ich bin kein Fan davon, das festzulegen oder Liedern eine bestimmte Handlung zu geben.«
»Verstehe«, nickte Maryana und notierte sich wenige Stichpunkte neben den ersten Track. »Das zweite ist Sign of the Times. Das wird als Single ausgekoppelt, nicht?«
»Ja, richtig. Im Grunde geht es darum, Dinge zu akzeptieren, anzunehmen und mutig in die Zukunft zu sehen. Man wird immer wieder in schwierigen Zeiten stecken, das tut die Welt auch heute. Aber es ist nicht alles schlecht, man muss einfach immer wieder kämpfen, so klischeehaft das auch klingt.«
Wieder nickte Maryana verstehend. Bislang hatte sie sich nicht angesprochen gefühlt.
Harry war ein hervorragender Künstler, der sich um so vieles mehr und um so viel bedeutsameres Gedanken machte, als über sie.
Nachdem ihr Blick jedoch auf das nächste Lied
des Albums rutschte, geriet Maryana doch ins Schleudern. Bis hierher war alles gut gelaufen, doch nun würde es schwierig für sie werden, das Gesagte nicht auf sich zu beziehen.
»Dann kommt... Carolina.«
Unwohl behielt Maryana ihren Blick eine Spur zu konzentriert auf dem Stück Papier.
Auch ohne Harry anzusehen, konnte sich trotzdem vorstellen, wie er in diesem Moment reagierte.
Der leichte Hauch eines Lächelns umspielte seine Lippen, während er etwas verträumt mit den Ringen an seiner Hand spielte und ohne zu zögern erzählte.
»Carolina ist über ein Mädchen aus Carolina, das mich nachhaltig beeindruckt hat und mir nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Der Text ist recht ehrlich und steht vermutlich für sich. Ich hab' selten einen Text und eine Melodie so schnell geschrieben. Wie es im Song selbst heißt - I met her once and wrote a song about her.«
Maryana konnte sich nicht erklären, wie Harrys Stimme so ruhig sein konnte. Sie selbst strich sich nervös die blonden Haare hinters Ohr und überlegte krampfhaft, ob sie sich dazu etwas notieren sollte. Immerhin wusste sie selbst am Besten, was oder viel besser wer hinter diesem Lied steckte.
Als sie ihren Blick endlich unruhig von der Tracklist losreissen konnte und nun doch Harrys Augen traf, lächelte er sie leicht an.
»Ernsthaft, ich hab' über die Hälfte dieses Liedes geschrieben, als ich noch in Jeffs Büro gesessen habe. Das war keine Stunde nachdem wir uns zum ersten Mal in diesem Café alleine getroffen haben«, erinnerte sich Harry grinsend. »Ehrlich gesagt warst du noch gar nicht ganz aus dem Café verschwunden, da wusste ich schon, dass Carolina entstehen wird.«
Auch Maryana erinnerte sich lebhaft an den Tag, an dem sie so nervös zu ihrem ersten offiziellen Treffen mit Harry gefahren war.
Damals hatte sie nicht geahnt, wie sehr dieser Mensch ihr Leben auf den Kopf stellen würde. Wenn sie nun allerdings an die Stichpunkte dachte, die sie sich schon damals, nach ihren ersten Eindrücken von ihm gemacht hatte, musste sie sich eingestehen, dass die Begeisterung nicht gerade einseitig war.
Eingenommen von ihren eigenen Erinnerungen an diesen Tag, zauberte sich auch in Maryanas Gesicht ein leichtes Lächeln, als sie Harry ansah.
»Dann warst du wohl doch der Erste von uns beiden. Du hast also über mich geschrieben, noch bevor ich etwas über dich zu Papier bringen konnte«, fiel ihr grinsend auf.
Für eine Weile waren all ihre Differenzen, die Hürden, alles was zwischen ihnen stand, vergessen.
Lachend nickte Harry.
»Und ich werde es auch als Erstes veröffentlichten«, bemerkte er und ballte seine Hände gespielt stolz zu einer Siegerfaust.
»Und du wirst auch mehr Geld damit verdienen«, stimmte Maryana lachend mit ein, ehe ihr wieder auffiel, in welcher Situation sie sich gerade befand.
Sofort erstickte ihr Lachen und sie sah Harry stattdessen zweifelnd an.
Auch diesem war der plötzliche Stimmungsumschwung nicht verborgen geblieben.
»Ich weiß«, schlug Harry plötzlich ernstere Töne an. »Im Gegensatz zu dir hat mir niemand befohlen, über dich zu schreiben. Aber mir bedeutet dieses Lied eine ganze Menge, genau wie du es tust. Ich hasse und liebe es im Moment, es ist verrückt. Und wenn es dich David gegenüber in Schwierigkeiten bringt, tut es mir wirklich leid. Aber ich muss es auf meinem Album haben, es gehört einfach dazu. Und es gehört zu mir.«
Im Gegensatz zum vorherigen Tag sah Harry Maryana dieses Mal aufrichtig bedauern in die Augen, als er sprach. Keine Häme, keine Schuldzuweisung, keine Schadenfreude. Stattdessen machte er den Eindruck, als würde er sich schuldig fühlen, diesen Staub wieder aufgewirbelt zu haben.
Seufzend schüttelte Maryana den Kopf.
»Mach dir darüber mal keine Gedanken, Harry«, lenkte sie ein. »Wie gesagt, du hattest gestern recht.«
Aufmerksam hielt Harry inne. »Das heißt?«
»Ach egal«, winkte Maryana einmal mehr ab. Was David und sie anging, war Harry der letzte Ansprechpartner, den sie sich wünschte.
»Lass' uns lieber über Two Ghosts sprechen.«
Harry stand ins Gesicht geschrieben, wie gern er mehr über Maryanas Anspielung erfahren hätte, hatte aber genug Taktgefühl, um es dabei zu belassen.
Nachdem sich die beiden kurz in den Erinnerungen ihrer ersten Begegnungen verloren hatten und sich für wenige Augenblicke daran erinnert hatten, wie beeindruckt sie voneinander gewesen waren, hatte auch die kommende Konversation etwas mehr Leichtigkeit inne.
Immer wieder war Maryana Themen ausgesetzt, die Harry ihretwegen in seinen Songs verarbeitet hatte und immer wieder fühlte sie sich ertappt und unwohl dabei, doch im Großen und Ganzen war ihr der Harry, den sie kannte, wieder etwas näher.
Er war zumindest wieder er selbst, auch wenn sich ihre Beziehung zueinander sichtlich verändert hatte. Das Gesicht, das er ihr gestern gezeigt hatte, war erstaunlicher-, aber auch glücklicherweise wieder verschwunden. In Harry steckte eben doch ein vernünftiger, guter Kerl.
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Hey, ihr Lieben!
Nachdem sich diese Geschichte so laaaangsam dem Enden zuneigt, hab' ich eine neue veröffentlicht. Sie heißt »obsessed«.
Wer mir folgt, hats vermutlich schon mitbekommen, aber vielleicht mag ja wer
von euch noch vorbeischauen.
Dieses Mal ist ganz 1D am Start, im Mittelpunkt steht aber Niall.
Vielleicht sieht man sich dort, ich würde mich freuen.
Alles Liebe! xx
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