Kapitel 12 - Kompromisse [1]
»Sie sind hellauf begeistert!«, freute sich John und lehnte sich gut gelaunt in seinem Stuhl zurück, als er Maryana in seinem Büro gegenübersaß. »Erst vor zwei Tagen hat Jeff höchstpersönlich hier angerufen, um sich noch einmal für die tolle Zusammenarbeit zu bedanken. Harry scheint sich mit dem Engagement sehr wohl zu fühlen!«
Verlegen lächelte Maryana. Sie hätte in diesem Moment jedes Recht gehabt, stolz auf sich zu sein, doch trotzdem fiel es ihr schwer, sich ebenso ehrlich zu freuen wie es ihr Verleger augenscheinlich tat.
Immerhin hatte Harry bisher noch kein einziges Wort von ihren bisher provisorisch zusammengeschusterten Seiten gelesen. Wenn er seinem Manager also erzählt hatte, dass er von ihrer Zusammenarbeit begeistert wäre, beschränkte sich das lediglich auf ihre Begegnungen, nicht auf Maryanas Können.
»Das freut mich«, lächelte Maryana und überspielte gekonnt ihre Unsicherheit.
»Ach, Maryana.«
Zufrieden faltete John seine Hände, als er sich auf den Schreibtisch vor ihm stützte.
»Wer hätte gedacht, dass wir eines Tages so weit kommen, was? Ich wusste, dass es das Richtige war, an dich zu glauben, aber dass wir eines Tages diese Richtung einschlagen würden - das hab' ich nicht kommen sehen.«
Ungläubig, aber vollkommen selig, schüttelte John den Kopf. »Bist du denn inzwischen auch überzeugt, dass es das Richtige war, den Job anzunehmen oder bereust du es?«
Unwissend zuckte Maryana mit den Schultern.
Tatsächlich hatte sie darüber noch nicht nachgedacht. Ab dem Moment, in dem sie den Auftrag angenommen hatte, hatte es für Maryana keinen Sinn mehr gemacht, sich diese Frage zu stellen.
Sie war stets darauf bedacht, im Jetzt zu leben. Sich mit imaginären Szenarien zu befassen, die lediglich im Konjunktiv stattfanden, war für sie damit bloß vergeudete Mühe.
»Ehrlich gesagt... Ich weiß nicht. Ich glaube schon«, antwortete sie überrumpelt. Immerhin konnte sie mit der Situation, so wie sie im Moment war, gut leben.
Sie hatte einen sicheren Job mit mehr Einkommen, als sie sich hätte erträumen können und lernte einen Menschen kennen, dessen Erfahrungen womöglich auch ihren eigenen Horizont noch erweitern könnte.
»Achja stimmt, wen frag ich da«, fiel nun auch John gut gelaunt auf. Er kannte Maryana inzwischen schließlich gut genug, um ihre Eigenarten zu kennen. »Aber du fühlst dich wohl, nicht?«
Diese Frage konnte Maryana guten Gewissens abnicken - selbst wenn sie sich manchmal gar etwas zu wohl und vertraut mit Harry fühlte.
»Das ist schön!«, strahlte sie John an. »Ist das nächste Treffen schon geplant?«
»Ja, nächsten Donnerstag. Ich werde wieder zu ihm ins Appartement fahren«, berichtete die Blondine.
»Sehr schön, sehr schön!«, nickte der grau melierte Verleger zufrieden. »In deine Arbeit will ich dir auch überhaupt nicht reinpfuschen. Da hast du sicherlich alles in Griff. Falls du aber doch eine Schreibblockade haben solltest oder dir irgendetwas auf dem Herzen liegt - meine Tür steht dir jederzeit offen!«
»Das weiß ich«, lächelte Maryana ihn sanft an. »Danke, John. Ich will dich auch gar nicht länger aufhalten.«
Während er noch eine abwinkende Geste machte, schnappte sich Maryana wieder ihre Tasche und erhob sich. »Wir sehen uns!«
»Bis dann, Liebes! Und grüß David von mir!«
»Mach ich.«
Schnell verschwand sie wieder aus dem Büro des Verlegers und war keineswegs schlauer als zuvor. Maryana hatte John nicht ohne Grund aufgesucht. Sie musste und wollte sich endlich wieder vor Augen halten, worum es in diesen ganzen Treffen mit Harry überhaupt ging.
Es war ein Job - Arbeit, für die sie bezahlt wurde und die sie auch professionell leisten musste.
Doch Johns und auf Umwegen auch Jeffs und Harrys lobende Worte trugen wenig dazu bei, dass sie sich dessen wieder bewusst werden würde.
Sie hatte Harry gern und wurde regelmäßig von einer Welle Vertrauen erfasst, wenn sie ihm in die Augen sah, bloß um sich anschließend noch mehr in seiner angenehmen Aura zu verlieren.
Zwar konnte sich die Blondine nicht erklären, woher diese Zustände rührten, doch ihr war klar, dass dem Ganzen schnellstens ein Riegel vorgeschoben werden musste.
Über eine Woche hatte sich Maryana nun ihren Bedenken, was ihre Einstellung Harry gegenüber betraf, hingegeben und hin und her gegrübelt. Aber all das Kopfzerbrechen brachte ohnehin nichts.
Letztendlich war sich Maryana sowieso sicher, dass es auch überhaupt nichts gab, worüber sie sich Gedanken machen musste.
Ihr Fazit stand fest: All ihre Probleme waren hausgemacht.
Sie war sich sicher, dass es an ihr liegen musste. Sie hatte all diese Gespräche mit Harry herausgefordert. Alles, was sie tun musste, war diesem Vertrauen, das aus dem Nichts entstanden war, keine Möglichkeit mehr zu geben, aufzulodern und endlich tatsächlich diese professionelle Distanz zu Harry zu wahren.
Zwar wollte sie David in diesem Punkt ungerne recht geben, doch offensichtlich trug es nicht zu ihrer Produktivität bei, wenn die Gespräche mit Harry auf beiden Seiten so tiefgehend waren.
Von nun an würde sie sich also bedeckt halten, nicht zuviel von sich preisgeben und schon gar nicht ihre Ansichten mit ihm diskutieren.
Harry war immerhin derjenige, der bei dieser ganzen Sache im Mittelpunkt stehen sollte. Maryana wollte sich ein Bild von ihm machen, seinen Weg begleiten und über sein Leben schreiben. Sie selbst war dabei vollkommen irrelevant. Es gab also keinerlei Grund dafür, dass sie etwas erzählen sollte.
Mit diesen Vorsätzen im Kopf, kam Maryana einige Tage später in Beverly Hills an.
Mit neuem Zugangscode verschaffte sie sich Zutritt zum Gebäude, sowie auch zum Fahrstuhl und war dieses Mal zumindest darauf vorbereitet, dass sie in Kürze inmitten von Harrys Appartement stehen würde.
Gewöhnen würde sie sich an diese Konstruktion jedoch bestimmt niemals.
Der Fokus liegt auf Harry. Du selbst stehst im Hintergrund. Am besten gibst du überhaupt nichts über dich preis. Auch nicht, wenn er fragt, wurde Maryana von ihrer eigenen Stimme in ihrem Kopf ermahnt, als sich die Fahrstuhltüre öffnete.
»Hallo?«, rief sie fragend in das weitläufige Appartement, als sich dann auch schon Harry in ihr Blickfeld schob.
Konzentriert balancierte er in Zeitlupe eine Tasse Tee, die nicht voller hätte sein können, aus Richtung der Kücheninsel, hin zum Sofa.
»Hey, setz dich!«, bot er ihr sofort an und schenkte der Blondine ein charmantes Lächeln. »Ich bin gleich da. In circa einer halben Stunde«, lachte er dann und sah entschuldigend auf seine randvolle Tasse.
»Lass dir Zeit«, musste nun auch Maryana lachen, ließ sich aber bereitwillig auf der altbekannten Couch nieder. Von hier aus warf sie wieder einen skeptischen Blick auf Harrys hauseigenen Aufzug.
»Ist dein Fahrstuhl-System hier eigentlich wirklich so sicher? Kann denn jeder, der deinen Zugangscode hat, einfach so in deine Wohnung? Da ist ein Schlüssel doch sinnvoller«, wollte sie wenig überzeugt wissen.
Ohne von seinem Tee aufzusehen, schüttelte Harry den Kopf, während er immer noch gemächlich in Maryanas Richtung schlurfte.
»Nein, nein. Nur, wenn ich es freigeschaltet hab'. Das war nur der Besuchercode und der geht auch nur, wenn ich Zuhause bin. Und ich kann auch per Überwachungskamera kontrollieren, wer da im Aufzug steht. Ich selbst hab zwar keinen Schlüssel, aber ne Berechtigungskarte und 'nen eigenen Code«, erklärte er dann und war endlich nur noch wenige Schritte von seinem Ziel entfernt.
Erst als er seine Tasse Tee vorsichtig auf dem Glastisch abgestellt hatte, sah er aufmerksam auf Maryana.
»Willst du auch einen?«, bot er dann höflich an, was Maryana jedoch dankend ablehnte.
Unsicher bemerkte sie, wie Harrys prüfender Blick länger auf ihr ruhte, als ihr wohl dabei war.
»Alles gut bei dir?«, fragte er dann mit leichten Sorgenfalten auf der Stirn.
Irritiert hielt sie kurz inne.
Aufgrund ihrer Situation hatte sie sich in letzter Zeit vermehrt die Nacht um die Ohren geschlagen und hatte versucht, sich über ihr weiteres Verhalten Harry gegenüber klarzuwerden, doch sie hatte nicht gedacht, dass man ihr das auch ansehen würde.
»Äh, ja, klar«, lächelte sie Harry schulterzuckend an. »Alles wunderbar, wollen wir anfangen?«, fragte sie und klappte demonstrativ ihre Notizen auf.
Dass es schon wieder der Sänger war, der hier die Fragen stellte, war genau das, Maryana hatte vermeiden wollen. Entsprechend schnell wollte sie das Gespräch daher auch auf das Wesentliche lenken.
Erstaunt ließ sich Harry nun der Blondine gegenüber nieder. Er war sichtlich überrascht von Maryanas plötzlicher Arbeitsmoral, doch er schien ihr keine Steine in den Weg legen zu wollen.
»Klar, nur zu«, nickte er also einverstanden und überließ Maryana mit einladender Geste das Wort.
Flüchtig warf die junge Autorin einen Blick auf ihre Notizen. Drei Dinge hatte sie sich aufgeschrieben, die sie mit Harry noch besprechen wollte.
»Der Aufbau steht ja so weit«, fing sie an zu reden und sah dabei wieder direkt auf Harry. »Ein paar Fragen bleiben aber doch noch offen. Was deine One Direction-Zeit angeht - inwieweit willst du da auf deine Bandkollegen eingehen? Oder willst du sie komplett außen vor lassen? Oder sollen wir uns mit ihnen in Verbindung setzen, damit sie auch zu Wort kommen?«
Kurz überlegte Harry.
»Sie waren genauso Teil dieser Band wie ich, man kann sie also gar nicht außen vor lassen. Und die Fans wollen sicherlich auch etwas über die Jungs lesen«, dachte er laut nach und zum ersten Mal dachte Harry nun also doch auch wirtschaftlich. »Allerdings will ich auch ungern irgendetwas ausplaudern, was sie nicht in der Öffentlichkeit haben wollen. Ich würde vorschlagen, sie geben zwar kein eigenes Kapitel her, aber tauchen immer wieder dazwischen auf - quasi als Wegbegleiter, denn genau das sind sie.«
Verstehend nickte Maryana und notierte sich das Ganze knapp.
Sie stellte Harry noch einige weitere Fragen zu unwichtigen Details, die ihren Schreibfluss letztendlich aber behindern würden, bis ihr Blick schließlich auf den letzten Stichpunkt fiel.
Es hatte seinen Grund, weshalb er das Schlusslicht dieser kurzen Liste darstellte.
Ohne einen tatsächlichen Anlass dafür zu haben, war es der Blondine unangenehm, dieses Thema auf den Tisch zu bringen.
»Okay, und dann doch noch etwas Wichtiges, Harry«, fasste sie sich ein Herz, als dieser aufmerksam aufhorchte.
»Thema Dating. Ich weiß inzwischen, dass du ein sehr privater Mensch bist, aber das willst du in diesem Buch ja ablegen. Wir können also keinen Bogen um deine Freundinnen machen, ohne dabei an Authentizität zu verlieren. Du müsstens in diesem Buch also über deine Beziehungen sprechen, wenn das okay für dich ist.«
Fragend sah Maryana Harry an, als dieser unbeeindruckt, nach hinten gelehnt, auf seinem Sofa hing.
»Ich hatte keine Beziehungen«, zuckte er dann knapp mit den Schultern.
Um ein Haar hätte Maryana an dieser Stelle laut aufgelacht, rief sich dann aber wieder
die Professionalität, die es an den Tag zu legen galt, in Erinnerung.
»Bei allem Respekt, Harry, aber wir wollten hier ehrlich sein«, tastete sie sich dennoch vorsichtig heran und sah den braunhaarigen jungen Mann wissend an.
Dieser jedoch blieb seiner Linie treu.
»Bin ich«, antwortete er und zog die Schultern einmal mehr nach oben. »Wenn du also nicht in meine frühe Schulzeit zurückgehen willst, hatte ich keine ernsthafte Beziehung.«
Skeptisch runzelte Maryana die Stirn, was für Harry wohl Anlass genug war, diese Aussage weiter auszuführen.
»Ich meine - klar, ich bin auch nur ein Mann. Und ich habe eine ganze Menge Frauen kennengelernt. Manche besser als andere, aber ich habe mit keiner von ihnen eine Beziehung geführt.«
»Okay«, seufzte Maryana gedehnt und senkte ihren Blick wieder auf ihr Notizbuch. »Aber in den Medien stand doch -«
»Ach, was dort steht ist doch sowieso Bullshit. Wenn es nach denen geht, ist man mit jedem zusammen, wenn man nur zweimal miteinander gesehen wird. Aber hast du schon mal jemanden zwei Mal getroffen und ihn letztendlich gut genug gekannt, um sicher zu sein, dass das miteinander klappen würde?«
Überrumpelt von dieser Frage sah sie wieder auf. Sie wollte keine Fragen beantworten - schon gar nicht, wenn es um ihr Dating-Verhalten ging.
Doch Harry hatte sich inzwischen ohnehin in Rage geredet und sah ihr tief in die Augen, als er weitersprach.
»Ich sag dir was, Maryana«, meinte er und lehnte sich nach vorne, als er redete. »Meiner Meinung nach ist die Liebe der einzige Lebensbereich, in dem man zu keinerlei Kompromiss bereit sein sollte. Es heißt immer, zu einer guten Beziehung gehöre es, Kompromisse einzugehen und dass es normal wäre, sich dadurch zu verändern. Aber daran will ich nicht glauben. Meine Mutter hat immer schon zu mir gesagt, niemand sollte mit weniger zufrieden sein, als mit seinem perfekten Partner, der einen genau so sein lässt, wie man sein will«, war er sich sicher.
»Ich verliebe mich in niemanden, der mich einschränkt oder Kompromisse von mir verlangt. Es gibt noch so vieles an mir, woran ich arbeiten muss. Ich bin noch lange nicht der, der ich sein könnte und das ist mir auch bewusst. Wenn mir auf diesem Weg zu mir selbst also meine perfekte Partnerin über den Weg läuft, dann bin ich dankbar. Wenn nicht, dann eben nicht, aber am Ende bin ich zumindest bei mir. Aber ich will niemanden in mein Leben lassen, der mich einschränkt oder mich gar aufhält. Wenn mich jemand wirklich liebt, dann alles, was ich bin. Und das ist bisher nie der Fall gewesen.«
Verblüfft sah Maryana in Harrys Augen. Diesen Redeschwall hatte sie nicht kommen sehen und gerne hätte sie seine Worte eins zu eins genau so in das Buch übernommen.
»Kling' ich sehr irre?«
Fragend musterte Harry Maryana, als er nach seinem Tee griff.
In deren Kopf hallten seine Worte immer noch nach.
Harry hatte strikte Ansichten, das stand fest. Doch diese waren auch definitiv nicht aus der Luft gegriffen. Er stand mit aller Überzeugung hinter dem, was er gesagt hatte.
»Ich glaube, wir verstehen Liebe falsch, indem wir nach ihr suchen«, versuchte sich Harry noch einmal zu erklären, nachdem sich Maryana immer noch in Schweigen gehüllt hatte und ihm aufmerksam zuhörte. »Bestimmt gibt es diesen einen Mensch, der mich so lässt, wie ich bin oder mich sogar unterstützt und weiterbringt. Aber danach zu suchen, wird mich bestimmt nicht zu ihr bringen - so pathetisch es klingen mag. Also arbeite ich in der Zeit, die andere auf der Suche verbringen, an mir selbst. Am Ende ist man ja doch nur selbst dieser eine Mensch für sich.«
Gedankenverloren rührte Harry in seiner Tasse und ließ Maryana eine Weile Zeit, um über seine Worte nachzudenken.
Er hatte sich soeben in einem Thema verloren, das Maryana nicht näher hätte gehen können.
Während ihr Kopf noch damit haderte, hatte sich ihr Herz längst von der professionellen Distanz, die sie unbedingt wahren wollte, verabschiedet.
Dieses Thema war ihr zu wichtig und Harrys Ansichten zu interessant, als dass sie sich selbst daraus hätte zurückhalten können, wie sie es sich vorgenommen hatte.
»Sagst du also, du warst noch nie verliebt? Dass du nie einen Menschen getroffen hast, der sich an einigem an dir gestört hat, aber da war es längst zu spät?«, fragte sie vorsichtig und skeptisch zugleich.
Aufmerksam löste Harry den Blick von seiner Tasse und lächelte schwach.
Er wusste ganz genau, dass er es wieder einmal geschafft hatte, Maryana in ein intimeres Gespräch, als ihr lieb war, zu verwickeln.
Und wieder hatte sie selbst dabei den ersten Schritt getan.
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