52. Chaos?
Die drei Männer betraten Harry's Apartment erst weit nach Mitternacht.
Harry war still, und doch konnte Niall ihm die Erleichterung deutlich ansehen. Doch mit der Erleichterung kam auch die Erschöpfung, und sein Körper war langsam bereit, ihn wieder ruhen zu lassen.
Erst jetzt bekam er wieder langsam Farbe in sein Gesicht.
Louis fühlte sich wie in einem Fiebertraum. Als wären die Ereignisse des letzten Tages an ihm vorbeigezogen, als wären sie gar nicht wirklich passiert.
Und Niall versuchte einfach nur, beide Zustände irgendwie miteinander in Einklang zu bringen.
Sie ließen sich auf Harry's Sofa nieder, und Harry zog die Beine dicht an den Körper. Er fror, und doch fühlte er sich wie gelähmt, während seine Gedanken noch immer rasten.
Keiner von ihnen wusste in diesem Moment, wie es mit ihnen weitergehen würde.
Harry und Niall hätten beinahe ihre Jobs verloren - und Louis seinen Vater.
Es war ein schreckliches Gefühl, mitten in der Nacht mit der Ungewissheit in der Brust aus dem Fenster zu starren, während der Regen sanft gegen die Scheibe prasselte.
Arthur war von der Polizei bis auf Weiteres aus dem Schuldienst suspendiert worden - und Evelyn würde sich wegen ihrer falschen Anschuldigungen verantworten müssen.
Eigentlich war Harry all das egal. Es gab ihm keine Genugtuung, dass man Arthur suspendieren und Evelyn bestrafen würde. Es gab ihm auch keine Genugtuung, dass er aller Voraussicht nach seine Anstellung an der Schule behalten und seine Klasse weiterhin unterrichten konnte.
Sein Inneres fühlte sich an wie ein einziges, schwarzes Nichts.
Er konnte nicht begreifen, was in den letzten Stunden geschehen war. Noch nicht.
Und trotzdem waren da die Zweifel zwischen seinen Gedanken, die ihn quälten, weil er nicht wusste, ob er irgendetwas hätte anders machen können, um diese Katastrophe zu verhindern.
Immerhin war Arthur Louis' Vater und er hatte ihr Verhältnis nicht zerstören wollen, schon gar nicht auf eine so grobe Art und Weise.
Allerdings ließ sich daran nun nichts mehr ändern. Und er konnte Louis verstehen, immerhin redete er selbst mit seinem Vater auch kein Wort mehr; wenn auch aus anderen Gründen.
Aber er konnte nicht anders, als sich schuldig und verantwortlich zu fühlen. Immerhin hätte er zumindest versuchen können, sich mit Arthur gut zu stellen. Dafür war er allerdings zu stolz gewesen.
„Woran denkst du?", fragte Niall und setzte sich vorsichtig neben ihn. Die grünen Augen waren matt und müde.
Harry zuckte nur die Schultern. „Ich weiß es nicht", gab er wahrheitsgemäß zur Antwort. „Ich glaube, ich möchte einfach nur schlafen."
Louis seufzte. „Verständlich", murmelte er und griff sanft nach seiner Hand.
Harry sah die beiden Männer abwechselnd an. „Könnt ihr hierbleiben?"
Ein warmes Lächeln schlich sich auf Niall's Lippen. „Natürlich", antwortete er und zwinkerte ihm bestätigend zu. „Und du denkst daran, was der Polizist dir empfohlen hat: Du gehst morgen zum Arzt und holst dir für den Rest der Woche eine Krankschreiben, damit du wieder auf die Beine kommst."
Der junge Lehrer zuckte die Schultern. Er war eigentlich nicht so wirklich überzeugt von dieser Idee, andererseits fragte er sich, was er in der Schule wohl ausrichten wollte. Man konnte ihn ohnehin zu nichts gebrauchen.
Allein zu Hause zu sein war allerdings sein schlimmster Albtraum - das war auch der Grund, warum er sich selbst mit der stärksten Erkältung noch immer in den Unterricht schleppte.
Louis drückte seine Hand kurz. „Du kannst mit mir in die Bibliothek kommen, wenn du willst."
In Harry's Augen funkelte ein kleiner Hoffnungsschimmer. Dann legte er den Kopf in die Hände und fuhr sich über das blasse Gesicht. „Ich kann euch beiden gar nicht genug danken."
„Quatsch", winkte Niall ab. „Dachtest du, wir hätten dich da einfach sitzen lassen?"
„Nein", gab Harry zur Antwort. „Aber ihr hättet Evelyn auch einfach glauben können."
„Klar", schnaubte Niall und tippte sich an die Stirn. „Ich kenne sie doch. Und ich kenne dich."
„Abgesehen davon hätten wir auf den Überwachungsbildern ohnehin die Wahrheit gesehen", fügte Louis hinzu.
„Wie seid ihr eigentlich an die rangekommen?", wollte Harry wissen.
Louis seufzte. „Mein Vater hat sie zu Hause auf seinem Hauptrechner gespeichert."
„Und er hat sie dir einfach gegeben?"
Ein verächtliches Lachen drängte sich aus Louis' Brust. „Natürlich nicht. Aber ich lasse mich doch nicht auf den Arm nehmen. Er hatte die meisten Aufnahmen gelöscht - eine hat er allerdings vergessen."
Harry schüttelte ungläubig den Kopf. „Dieser Mann ist wirklich unglaublich", murmelte er. „Manchmal frage ich mich ernsthaft, was ich ihm getan habe."
„Nichts", erklärte Louis. „Es gibt einfach von Zeit zu Zeit Menschen, die er als seine Opfer auswählt. Das hat absolut nichts mit dir zu tun."
Niall dachte einen Moment lang nach. „Ich glaube, er konnte einfach nicht damit umgehen, dass du nicht auf den Mund gefallen bist - und deine Schüler dich dafür respektieren."
„Naja", gab Harry mit einem Augenrollen zurück. „Ich bin mir nicht sicher, ob der Tag heute von sonderlich großem Respekt mir gegenüber gezeugt hat."
„Evelyn ist eine Ausnahme", entgegnete Niall und fuhr sich durch das blonde Haar. „Und ich hoffe, dass sie sich nächstes Mal besser überlegt, welche Gerüchte sie in die Welt setzt."
„Irgendwie will ich gar nicht, dass man sie bestraft", seufzte Harry. „Sie ist siebzehn. Da macht man manchmal unkluge Dinge."
Louis konnte nicht glauben, was er da hörte.
„Das mag schon sein", sagte er. „Aber es ist ein Unterschied, ob ich eine einfache Jugendsünde begehe oder das Leben eines anderen Menschen ruiniere."
Niall nickte zustimmend. „Und sie wusste, dass das hätte passieren können."
„Im Endeffekt ist das alles völlig egal", räumte Harry ein. „Was ich aus dieser Geschichte gelernt habe ist, auf wen ich mich verlassen kann."
Seine Freunde lächelten ihn liebevoll an und legten die Arme um seine Schultern.
„Du verursachst aber auch wirklich ganz schön viel Chaos", kicherte Niall und kniff ihn leicht in die Wange.
Harry warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. Er hasste es, wenn Niall das tat, und das wusste er ganz genau.
„Chaos?", wiederholte er fassungslos. „Was kann ich bitte für dieses Chaos?"
„Ich glaube, Niall redet eher von so Situationen wie letzter Woche, als du betrunken um sieben Uhr morgens vor seiner Tür gestanden hast", schlussfolgerte Louis mit einem amüsierten Grinsen auf den Lippen.
Niall nickte. „Genau."
Harry verdrehte erneut die Augen. „Ihr könnt mir das nicht ewig vorhalten."
„Klar können wir", widersprach Louis und zog die Augenbrauen nach oben.
„Du hältst besser die Klappe", ordnete Harry an und durchbohrte Louis mit einem mahnenden Blick. „Immerhin hättest du das Ganze viel früher verhindern können."
Niall gähnte und lehnte sich auf Harry's Sofa zurück. „Könnt ihr mich wecken, wenn ihr morgen Früh mit eurer Diskussion fertig seid?"
Louis kicherte und warf ihm ein Kissen ins Gesicht. „Dann schlaf gut."
Während Harry aufstand und stich streckte, beobachtete er, wie die beiden Männer sich neckten. Er war froh darüber, dass sie sich so gut verstanden - und er wusste auch, dass Niall niemals irgendjemandem vorenthalten würde, wenn er ihn nicht leiden konnte.
Sie waren Freunde geworden, und Harry's Herz füllte sich mit Liebe und Zuneigung, wenn er daran dachte, wie sehr die beiden dafür gekämpft hatten, zu beweisen, dass er unschuldig war - weil sie von Anfang an an ihn geglaubt und ihn nicht verurteilt hatten.
Weil sie ihn kannten. Sein wahres Ich, und nicht nur das, was auf den ersten Blick am plausibelsten erschien.
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Hey, Hey, Hey Freunde :)
Sieht alles nach einem Happy End für Larry aus dieses Mal, nicht wahr? :)
Am Sonntag kommt noch der Epilog und dann ist die Geschichte zu Ende ... :( Das macht mich selbst traurig.
Aber es nützt ja alles nichts :p
Was ich euch noch sagen wollte: Ich habe soeben meine neue Geschichte "Titanic" veröffentlicht! Ihr könnt gern mal reinlesen, wenn ihr möchtet - ich würde mich freuen, euch dort zu sehen.
All the love,
Helena xx
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