49. Ein bodenlos dummer Trottel
Niall's Gedanken rasten, als er mit Louis an seinem Küchentisch saß.
Mary sah die beiden Männer vor sich fassungslos an. „Ihr wollt mich doch auf den Arm nehmen."
„Schön wär's", gab ihr Mann zurück und fuhr sich mit den Händen über das blasse Gesicht.
Louis ließ seinen Blick ungeduldig zwischen den beiden hin und her gleiten. Seine Gedanken drehten sich, nichts in ihm schien auch nur für einen Moment lang stillzustehen.
Er konnte einfach nicht glauben, was in der letzten Stunde passiert war.
„Das Problem ist, dass wir das Gegenteil nicht beweisen können, solange Evelyn an ihrer Aussage festhält", murmelte Mary und ließ sich ebenfalls auf der Sitzbank in der Nische nieder.
Niall dachte einen Moment lang nach und sah dann zu Louis. „Ich weiß, dass wir an bestimmten Orten in der Schule Überwachungskameras haben, falls es zu Unfällen oder Streitigkeiten kommen sollte."
Louis seufzte. „Ja, die Aufnahmen bekommt mein Vater direkt nach Hause auf seinen privaten Rechner."
„Warum das denn?", wollte Niall irritiert wissen.
Louis verdrehte die Augen. „Weil er ein Idiot ist. Er sieht sich das an, wie andere Leute Pornos."
Niall und Mary zogen gleichzeitig die Augenbrauen nach oben.
Diese Bilder würden sie nie wieder aus ihren Köpfen bekommen.
„Also, nicht so", stellte Louis klar, als er ihre Blicke sah. „Ich meine nur, er sieht sich das manchmal an, weil er wissen will, was so auf den Gängen los ist, wenn er nicht da ist."
Niall warf ihm einen irritierten Blick zu. „Warum?"
Louis zuckte die Schultern. „Weil er weiß, dass ihn niemand leiden kann."
„Was für eine Überraschung", kommentierte Mary und brachte ihren Mann kurz zum Lachen, der sie anschließend vorsichtig auf seinen Schoß zog.
Louis seufzte.
Eigentlich wäre er niemals auch nur auf die Idee gekommen, sich mit einem anderen Menschen einzulassen. Aber mit Harry war es von Anfang an anders gewesen.
Niall presste die Lippen zusammen und schien einen Moment lang nachzudenken. „Womit denkst du, müssen wir ihn erpressen, damit er uns die Aufnahmen zeigt?"
Louis seufzte. „Wenn etwas drauf ist, was uns weiterhelfen könnte, weiß er das längst. Ich glaube nicht, dass er uns das freiwillig zeigen wird."
„Keiner redet hier von freiwillig", antwortete Niall.
Mary warf einen Blick auf die Uhr. In einer Stunde würde sie die Kinder holen müssen. „Werden die Daten denn irgendwo zwischengespeichert?"
Louis schüttelte den Kopf. „Nicht, dass ich wüsste."
„Glaubst du nicht, er würde mit sich reden lassen, wenn du ihm auf die einfühlsame Art kommst?"
Louis lachte bitter auf. „Nein", antwortete er. „Ganz abgesehen davon, dass die einfühlsame Art hier keinen Sinn macht. Ich kann ihm schließlich nicht sagen, dass ich verstehe, dass er Harry beschuldigt, eine Schülern angefasst zu haben."
Harry saß unterdessen auf der Wache und dem Polizisten gegenüber, der ihm vor einer Stunde fast die Schulter ausgekugelt hatte.
Mittlerweile hatte er ihm die Handschellen abgenommen.
Stattdessen fixierte er ihn jetzt mit seinem Blick. „Haben Sie sich jetzt beruhigt?"
Harry verdrehte die Augen. „Nein."
„Hören Sie, wir können das hier auch auf die harte Tour machen", erklärte der Beamte. „Oder sie können einfach kooperieren und uns erzählen, was passiert ist."
„Hab ich doch schon."
„Also, Sie unterrichten diese Schülerin seit diesem Schuljahr, richtig?"
„Ja."
„Und wann hat laut Ihnen diese...", er schien nach dem richtigen Wort zu suchen. „Diese ... Belästigung angefangen?"
Harry dachte einen Moment lang nach, bevor er sprach. „Ich weiß es nicht", gab er zur Antwort. „Wenn ich mich recht erinnere, hat das schleichend angefangen, ein paar Wochen nach dem Jahresstart."
Der Polizist nickte und machte sich ein paar Notizen. „Und Sie sind sich sicher, dass Sie ihr niemals falsche Signale gesendet haben?"
Harry zog die Augenbrauen nach oben.
Hatte er sich gerade verhört?
„Wie bitte?"
„Naja", fuhr der Polizist fort, „Haben Sie ihr zu irgendeinem Zeitpunkt vielleicht unabsichtlich das Gefühl gegeben, dass Sie Ihre Anspielungen erwidern?"
Harry blinzelte den Beamten böse an. „Sie meinen, indem ich sie aus Versehen im Nebenraum flachgelegt habe?"
Sein Gegenüber verzog keine Miene. „Beispielsweise", antwortete er.
Harry fuhr sich mit den Händen über das vor Wut leicht gerötete Gesicht.
Er wusste nicht, was er diesen Idioten erzählen sollte - im Endeffekt glaubte ihm doch ohnehin niemand.
Nicht nur, dass hier sein Beruf auf dem Spiel stand, für den er jahrelang studiert und nebenbei in zwei verschiedenen Jobs gearbeitet hatte - es ging hier eigentlich um etwas anderes.
Es war demütigend.
Es war verdammt demütigend, auf einer Polizeiwache zu sitzen, weil man beschuldigt wurde, eine Minderjährige angefasst zu haben - und das auch noch als jemand, der eigentlich mit ihrem Schutz beauftragt war.
Er konnte sie sehen, die verurteilenden Blicke, die man ihm zuwarf, während ihm noch immer die Schultern schmerzten.
„Wenn es wirklich so gewesen ist, wie Sie sagen", griff der Polizist ihr Gespräch wieder auf, „Warum haben Sie dann nie etwas gesagt?"
Harry lachte verächtlich auf. „Sie denken doch wohl nicht im Ernst, dass mein Chef auch nur eine Sekunde lang gezögert hätte, die Situation gegen mich zu verwenden."
Niall und Louis waren unterdessen auf dem Weg zu Arthur.
Zwar hatten sie keinen Plan, aber der hätte ihnen in dieser Situation ohnehin nichts genützt. Sie mussten es zumindest versuchen.
Als Niall auf den Parkplatz von Louis' Elternhaus fuhr, staunte er nicht schlecht.
Sah aus, als wäre dort jemand ziemlich wohlhabend aufgewachsen. Das Haus wirkte von außen beinahe peinlich anders, mit dem Stuck an seinen Wänden und der betont sauberen Fassade.
Niall verdrehte die Augen, als er den Motor abstellte. „Ja, genauso sieht er aus."
Louis seufzte. Er konnte ihm seine Vorurteile nicht wirklich übel nehmen.
Der junge Lehrer verlor keine Zeit und stieg aus, bevor er es sich wieder anders überlegen konnte.
Das Herz schlug ihm tatsächlich bis zum Hals, und er war sich auch ziemlich sicher, dass sie hier nichts erreichen würden - zumindest nicht auf den ersten Versuch.
Als Louis hinter ihm ebenfalls die Treppen zur Tür hinauflief und auf die Klingel drückte, fragte er sich, was in Niall's Kopf vor sich ging. Und vor allem fragte er sich, ob er ihn verurteilte, weil er so ein verdammter Idiot gewesen war.
Eine Frau mit mittellangem, braunem Haar öffnete die Tür.
„Louis", grinste sie, „Schön, dich zu sehen. Wollt ihr-"
„Ist Arthur da?", wollte Louis wissen, und Niall wunderte sich darüber, dass er seinen Vater beim Vornahmen ansprach.
Die Frau, von der Niall annahm, dass es Louis' Mutter war, nickte. „Ich hole ihn."
Louis wich ihrem Blick aus und trat nervös von einem Bein auf das andere.
Die beiden Männer hätten vermutlich beide am liebsten auf dem Absatz kehrt gemacht, um sich wieder ins Auto zu setzen.
„Was macht ihr beide denn hier?", wollte der Schulleiter wissen, noch bevor Niall seine Silhouette überhaupt im Türrahmen erkennen konnte.
„Kannst du dir das nicht denken?", fragte Louis mit unterdrückter Wut.
„Wart ihr noch nicht bei der Polizei?"
„Nein", antwortete Niall. „Hören Sie, wir haben doch in den Gängen des Schulgebäudes stellenweise Überwachungskameras angebracht. Dürften wir uns die Aufnahmen mal ansehen?"
Arthur verzog keine Miene, zumindest versuchte er das.
Louis allerdings konnte das Zucken in seinem Mundwinkel sehen.
„Wie kommt ihr darauf, dass die Aufnahmen bei mir zu Hause sind?"
Ein entnervtes Stöhnen drängte sich aus Louis' Brust. „Hör auf mich für blöd zu verkaufen."
Arthur schüttelte entrüstet den Kopf. „Pass auf deinen Ton auf, junger Mann."
„Ja, klar", sagte Louis und drängte sich an seinem Vater vorbei in sein Elternhaus.
Niall sah sich staunend um. Alles wirkte so makellos. Der Marmor glänzte, kein einziges Staubkorn war zu sehen, kein Ding lag an einem Platz, an den es nicht gehörte.
„Louis, was soll die Scheiße?", polterte Arthur, als dieser sich an seinen Rechner setzte.
Ohne seinem Vater eine Antwort zu geben, loggte Louis sich ein und winkte Niall zu sich. „Weißt du noch, wann das ungefähr angefangen hat?"
Niall dachte einen Moment lang nach und zuckte dann die Schultern. „Anfang des Jahres, denke ich."
„Sie denken also, ihr Chef hätte Ihnen nicht geglaubt?"
„Keine Ahnung", antwortete Harry. „Er hätte es mir definitiv in die Schuhe geschoben."
„Wie kommen Sie darauf?"
„Weil er ein bodenlos dummer Trottel ist."
Der Polizist seufzte. „Können Sie eigentlich auch sachlich bleiben?"
„Klar kann ich", antwortete Harry. „Aber Respekt beruht auf Gegenseitigkeit. Wo ist der Respekt dabei, mir die sexuelle Belästigung einer Schülerin anzudichten?"
Der Polizist schien hin und her gerissen zu sein zwischen dem, was Harry ihm erzählte und dem, was Evelyn seinem Kollegen im Nebenzimmer erzählte.
„Also so wie ich das verstanden habe, begannen die Spannungen zwischen Ihnen und Ihrem Schwiegervater schon vorher", schlussfolgerte er.
Der Lehrer verzog angewidert das Gesicht. „Bitte nennen Sie ihn nicht so."
Der Gedanke, dass etwas von seiner DNA in Louis steckte, und Louis wiederum gelegentlich in ihm selbst ließ ihn erschaudern.
Um Gottes Willen.
„Was war der Auslöser für Ihre Probleme?"
„Wenn ich das mal wüsste", murmelte Harry und fuhr sich über das blasse Gesicht. „Da war von Anfang an keine sonderlich große Sympathie vorhanden. Aber richtig ausfallend wurde er eigentlich erst, als ich eine Affäre mit einem verheirateten Kollegen hatte."
„Eine Affäre?", fragte der Polizist und fuhr sich durch das dunkle Haar. Er hatte irgendwie eine südländischen Ausstrahlung. Sein Name jedenfalls klang italienisch.
Nicht, dass Harry ihn hätte aussprechen können.
Bei dem Gedanken an seine Affäre mit Nick färbten sich seine Wangen dunkelrot. Das war wirklich nicht gerade sein Lieblingsthema. Aber wenn es ihm helfen sollte, hier rauszukommen - bitte.
„Wir haben ein paar Monate lang miteinander geschlafen", erklärte Harry also. „Als Arthur davon Wind bekommen hat, hat ihn das so sehr gestört, dass er mich während meines Urlaubs auf ein Seminar in der englischen Einöde geschickt hat. Dort habe ich Louis kennengelernt."
„Louis ist Ihr Partner?"
Harry nickte. „Seitdem ist der Ofen aus."
Der Polizist verkniff sich einen Kommentar zu Arthur's Verhalten und versuchte stattdessen, seinen Gesichtsausdruck zu lesen.
Sagte er wirklich die Wahrheit?
Arthur sah aufgebracht zwischen den beiden Männern hin und her. „Ihr könnt doch nicht einfach so an meinen Rechner gehen, ohne zu fragen."
Louis verdrehte die Augen. „Halt die Klappe."
Niall zog die Augenbrauen nach oben. Solche Töne kannte er von Louis überhaupt nicht.
Louis' Mutter stattdessen sah die Männer nur irritiert an. „Was ist denn überhaupt passiert?"
„Das ist eine gute Frage", antwortete Louis, ohne den Blick von dem Bildschirm zu nehmen. „Das versuchen wir auch gerade, herauszufinden."
„Warum bist du denn so aufgebracht?", fragte sie. „So kenne ich dich gar nicht."
Ein tiefes Seufzen drängte sich aus der Brust des Bibliothekars.
Wie zur Hölle sollte er das bitte erklären?
Dann entdeckte er plötzlich etwas auf dem Bildmaterial, das ihm bekannt vorkam. „Ist sie das?", wollte er von Niall wissen.
Dieser versuchte, auf den verpixelten Schwarz-Weiß-Bildern etwas zu erkennen. „Ja, ich denke schon."
Louis spulte weiter vor und sah sich die nächsten Stunden an.
Bisher nichts auffälliges.
„Ihr verschwendet eure Zeit", murmelte Arthur und lehnte sich gegen die Wand.
Niall biss sich wütend auf die Lippen. „Sie haben echt Nerven."
Louis durchforstete schnellstmöglich die ersten beiden Wochen des Schuljahres.
Das konnte doch nicht wahr sein.
„Ihr Freund hat die meisten Nerven", antwortete Arthur. „Evelyn ist siebzehn Jahre alt."
Niall verkniff sich einen gehässigen Kommentar. „Er würde das niemals tun, und das wissen Sie auch."
„Ach ja?", entgegnete Arthur. „Woher denn? Weil er sich auch sonst so vorbildlich verhalten hat?"
Louis verlor langsam die Geduld mit seinem Vater. „Er hat dir nie etwas getan."
„Außer einen wahnsinnigen Wirbel ins Kollegium zu bringen", fügte Arthur hinzu.
Niall glaubte nicht, was er da hörte. „Er hat sich doch nur verliebt."
Arthur lachte spöttisch auf. „Verliebt", wiederholte er. „Und deshalb muss man die funktionierende Ehe eines verheirateten Mannes ruinieren?"
Der Ire hoffte doch sehr, sich verhört zu haben. „Sie meinen nicht, dass dazu immer zwei gehören?"
„Wie funktionierend kann die Ehe schon gewesen sein, wenn er sich auf eine Affäre eingelassen hat?", warf Louis ein, ohne aufzusehen.
Dann fand er plötzlich, wonach er suchte.
Es war nur ein kurzer Ausschnitt, vielleicht eine halbe Minute lang. Aber man konnte deutlich erkennen, wie Evelyn auf Harry zuging, wie sie sich ihm näherte, als der Gang sonst menschenleer war.
Louis beobachtete die Szene einen Moment lang.
Der Lehrer streckte die Arme aus, um sie daran zu hindern, ihm noch näher zu kommen. Er nahm einen Schritt zurück und stolperte dabei fast über seine eigenen Beine.
Niall sah fragend zu ihm, ehe Louis ihn eilig zu sich winkte. „Komm mal her."
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Hallo Freunde, heute mal ein außertourliches Update an einem Montag. Diejenigen, die mir auf Instagram folgen wissen ja, dass ich es gestern nicht mehr geschafft habe. Es war etwas stressig. Letzte Woche hauen die Kaninchen ab, diese Woche sind sie todkrank und brauchen mehrmals täglich Medikamente und Beobachtung. Also seht es mir bitte nach.❤️
Ich freue mich natürlich trotzdem auf eure Meinungen zu dem Kapitel!
Was denkt ihr, wie wird der Spaß ausgehen?
All the love,
Helena xx
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