Chapter 22
Ich parkte mein Auto vor dem Haus, von dem ich niemals gedacht hatte, es je wieder betreten zu können. Die weiße Wandfarbe, die tagsüber so hell und strahlend wirkte, sah jetzt grau und dunkel aus. Die Nacht malte Schatten auf die Fensterläden; das einzig Freundliche war der Mond, der die Szenerie matt erleuchtete.
Tief atmete ich durch, sowie ich die wenigen Stufen bis zur Haustür nahm. Meine Finger zitterten und mir war am ganzen Körper kalt. Obwohl ich während der Fahrt kein einziges Mal hatte anhalten müssen, um meinen Tränen freien Lauf zu lassen, lauerten sie doch knapp unter der Oberfläche.
Ich klingelte. Und wartete. Mehrere Minuten lang. Dann klingelte ich ein zweites Mal. Nachdem weitere drei Minuten vergangen wahren, drehte ich mich um, in der Annahme diese Nacht in meinem Auto verbringen zu müssen, als plötzlich die Tür aufschwang.
„Wir haben nach Mitternacht; wer erlaubt sich die Frechheit und -", begann meine Mutter ihre Schimpftirade, stoppte aber, als sie mich vor sich stehen sah.
„Joshua?"
Ich nickte und diesmal konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten.
„Hi, Mom."
Meine Mutter kümmerte sich gut um mich. Tatsächlich war unser Verhältnis besser als jemals zuvor. Sie war stolz auf mich und darauf, dass ich eingesehen hatte, dass ich einen Deal mit dem Teufel einging, indem ich mit meinem besten Freund anbandelte. Es war schon ironisch: Das erste Mal hatte ich meine Mutter stolz gemacht – und trotzdem fühlte ich mich so schrecklich wie noch nie.
Aber ich beschwerte mich nicht. Konnte ich ja auch gar nicht. Schließlich war es ganz und gar meine alleinige Entscheidung gewesen, Alec zu verlassen und über die Semesterferien wieder bei meinen Eltern einzuziehen.
Mein Vater verhielt sich mir gegenüber wie gewohnt: distanziert und uninteressiert. Als hätte er niemals meinetwegen im Krankenhaus gelegen. Ich sprach ihn nicht darauf an und er verlor mir gegenüber kein Wort. So lief das schon immer in unserer Familie: Wir machten weiter wie bisher und verschlossen die Augen vor eventuellen Problemen.
Trotz meine Mutter, die sich auf ihre Art um mich sorgte, war meine kleine Schwester doch die Einzige, die mich wirklich zum Lachen bringen konnte. Ich hatte sie wahnsinnig vermisst und war froh, etwas Zeit mit ihr verbringen zu können.
Gerade half ich ihr, aus Decken ein Prinzessinnenschloss in ihrem Zimmer zu bauen. Wir spannten Laken von der einen Zimmerseite zur anderen und befestigten sie mit diversen Dingen wie Schals, Socken und Strumpfhosen. Liz trug wie gewohnt ein rosafarbenes Kleidchen und hatte ihre Haare, die im Gegensatz zu meinen mausbraun waren, zu zwei Zöpfen geflochten.
„Und jetzt spielen wir Hochzeit!", rief sie aufgeregt und klatschte in die Hände. Ich grinste sie an.
„Mit Ball und verzauberten Kutschen, wie bei Cinderella?", scherzte ich.
„Oh ja." Sie nickte mit einem Ausdruck kindlichem Ernst im Gesicht. „Du bist Cinderella."
„Und wer bist du dann? Etwa der Prinz?", hakte ich verwirrt nach. Es war noch nie passiert, dass Liza freiwillig ihre Prinzessinnenrolle an jemand anderes vergab.
„Nein", kicherte sie jetzt, als hätte ich etwas richtig Lustiges gesagt. Dann winkte sie mich zu sich, bis unsere Köpfe auf selber Höhe waren. Sie presste ihren Mund an mein Ohr und formte einen Trichter mit ihren Händen, als befürchte sie, sonst gehört zu werden. „Alec ist der Prinz", wisperte sie mir aufgeregt zu. Ich zuckte zusammen. Allein seinen Namen zu hören schmerzte wie hundert Nadelstiche.
„Liz ... Das geht nicht. Alec, er ... er ist gerade im Urlaub." Ich konnte ihr nicht in die Augen blicken.
„Oh", meinte Eliza enttäuscht. Doch dann hellte sich ihre Mine auf. „Aber ich bin die gute Fee, ich kann ihn herzaubern!" Sie strahlte mich an. „Und ich mache ihn hübsch, wie die gute Fee Cinderella hübsch gemacht hat, damit Mommy und Daddy ihn nicht erkennen. Ich hab nämlich gehört, wie sie ganz böse Dinge über ihn gesagt haben." Verschwörerisch schaute sie mich an. Ich konnte nur zurück starren. Böse Dinge? Bei dem Gedanken an meine Eltern und daran, was sie über Alec gesagt haben könnten, kam mir beinahe die Galle hoch.
„Nein, Liza. Hör auf damit. Alec hat keine Zeit." Meine Wörter kamen härter raus als beabsichtigt und die Augen meiner Schwester wurden wässrig. Am liebsten hätte ich sie in den Arm genommen und mit ihr gemeinsam geweint. Stattdessen schnappte ich mir eine goldene Plastikkrone und ging vor ihr in die Hocke.
„Aber wie wär's, wenn wir statt Cinderella den Froschkönig nachspielen?"
Am nächsten Morgen fühlte ich mich wie gerädert. Es nahm mich mehr mit, als erwartet, dass meine Eltern offensichtlich hinter meinem Rücken schlecht über Alec redeten. Außerdem hatte ich gestern bis spät nach Mitternacht meinen ehemals besten Freund über Instagram gestalkt. Er hatte ein neues Foto von sich und einer hübschen Brünette gepostet. Seine Augen waren rot unterlaufen und ich konnte mit absoluter Sicherheit sagen, dass er sturzbetrunken war. Wer das Mädchen neben ihm war, wusste ich nicht. Aus Eifersucht hätte ich am liebsten mein Handy gegen die Wand geworfen.
So gesehen war es kein Wunder, dass ich in keiner sonderlich guten Laune war, sowie ich die Treppe ins Erdgeschoss nahm und in das Esszimmer taperte. Der Tisch war bereits von meiner Mutter, die jeden Morgen um Punkt 07:30 Uhr aufstand, gedeckt worden. Meine Eltern und meine Schwester saßen wie eine happy Friede-Freude-Eierkuchen-Vorzeigefamilie um den Tisch herum, mein Vater wie gewohnt hinter einer Zeitung verschanzt während meine Mutter versuchte, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Erst als ich mich auf meinen Stuhl fallen lies, gab sie ihre Versuche auf und wandte sich ihrem nächsten Opfer zu – mir.
„Wie siehst du denn aus, Joshua? Du solltest wirklich früher zu Bett gehen! Schau, ich habe dir schon einen Tee gekocht; der weckt dich sicherlich auf. Trink, dann kann ich dir großartige Neuigkeiten erzählen."
Ich sagte ja bereits: Sie kümmerte sich um mich. Wenn auch auf ihre eigene Art und Weise. Ich nippte an dem heißen Getränk. Dabei musste ich an Alec denken; daran, wie er mir morgens immer einen Kaffee mit Zucker zubereitet hatte. Ich hätte einiges dafür gegeben, das bittere Gebräu in meinen Händen gegen eine frische Tasse heißen Kaffees eintauschen zu können.
„Also, was ist deine großartige Neuigkeit, Mom?", fragte ich und verdrehte innerlich die Augen. Ich wappnete mich – Mutters großartige Neuigkeiten waren niemals großartig. Zumindest nicht für mich. Sie zog ihren Zopf fester, ein Zeichen dafür, dass es sich um etwas sehr Brisantes und Auregendes handelte.
„Die Raynolds haben sich damit einverstanden erklärt, dein Date mit Alyssa zu wiederholen!"
Der Tee, der gerade einen Weg in mein Körperinneres finden sollte, schoss mir geradewegs aus der Nase heraus. Hustend und schnaubend schnappte ich nach Luft. Ich konnte es nicht glauben. Das konnte nicht ihr Ernst sein. Oder?
„Joshua!", donnerte mein Vater. Er war wohl nicht sonderlich erfreut darüber, dass ein Teil meines Getränks auf seiner Zeitung gelandet war. Betreten blickte ich auf das nun nass gesprenkelte Papier.
„Sorry, Dad."
Mein Vater beachtete mich nicht weiter. Stattdessen wandte er sich an meine Mutter und ergriff ihre Hand.
„Ginevere, du solltest dich wirklich mehr um die Erziehung deiner Kinder kümmern. Die hast in letzter Zeit sichtlich vernachlässigt." Er klang verächtlich und seinen Gesichtsausdruck, als er mich ansah, konnte ich nur als angeekelt beschreiben.
Schwuchtel!
Unterwürfig nickend senkte meine Mutter den Kopf, während Vater geräuschvoll vom Tisch aufstand und das Zimmer verließ. Wenige Momente später hörte ich seine Arbeitstür ins Schloss fallen. Mom zuckte zusammen und umfasste ihre Hand. Ich erkannte tiefe weiße Abdrücke, genau an den Stellen, an denen Dad sie soeben noch festgehalten hatte.
„Mom ... Ist alles okay zwischen euch beiden?", fragte ich zögerlich, da mein Vater zwar öfters aus der Haut fuhr, ihr aber noch nie körperliche Schmerzen zugefügt hatte. Sofort richtete sie sich wieder kerzengerade in ihrem Stuhl auf.
„Mit deinem Vater und mir ist alles in Ordnung, Joshua. Es gibt nichts, worüber du dir Gedanken machen müsstest." Energisch räumte sie die Teller und Gläser zurück in die Küche, obwohl ich noch nicht einmal gefrühstückt hatte. Liza hatte sich glücklicherweise schon in ihr Zimmer verzogen, sodass sie die Szene zwischen unseren Eltern nicht mitbekommen hatte.
„Gibt er dir die Schuld dafür, dass ich mich in einen Jungen verliebt habe?", sagte ich geradeheraus. Das Glas, das meine Mutter soeben in die Spülmaschine räumen wollte, fiel ihr aus der Hand und zersprang auf den Fliesen. Ruckartig drehte sie sich zu mir um, ohne die vielen kleinen Scherben zu beachten.
„Sprich diese Worte in unserem Haus nie wieder aus, vor allem nicht vor Edward. Denke sie noch nicht einmal. Du bist nicht in Alec verliebt. Das ist nur die Pubertät; dein Gehirn redet dir das ein. Das ist eine vorübergehende Einbildung. Hast du mich verstanden?" Ihre Stimme, leise und eisig kalt, jagte mir Schauer über den Rücken. Immerhin hatte ich jetzt meine Antwort: In ihren Worten schwang Angst mit. Angst vor der Reaktion meines Vaters. Ich hatte ins Schwarze getroffen; er machte sie für meine Sexualität verantwortlich.
„Hast du mich verstanden, Joshua?"
Ich nickte.
„Gut. Und erwähne deinem Vater gegenüber ja nichts von diesem Gespräch. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen kann, ist noch mehr Aufregung und Stress. Dass er sich bei seiner Arbeit ein wenig zurücknehmen muss, macht ihn bereits ganz unruhig. Halte dich also still und sorge dafür, dass diese fixe Idee von dir und einem anderen Jungen ganz schnell wieder verschwindet." Sie atmete tief durch.
„Dein Date mit Alyssa ist heute um 19 Uhr. Du wirst sie im Mona's treffen und nach dem Essen nach Hause fahren, wie es sich gehört. Enttäusche mich nicht noch einmal." Sie öffnete den Schrank neben sich, um das zersplitterte Glas mit einem Handbesen vom Boden zu fegen. Ich betrachtete die vielen kleinen Scherben und kam nicht umhin zu denken, dass der Scherbenhaufen genauso gut mein Leben hätte darstellen können.
Wochenende! 🤩
Habt ihr irgendwelche coolen Pläne, die ihr unter der wunderbar warmen Sonne umsetzen wollt?
In diesem Kap lernen wir Joshs Familie näher kennen. Was sagt ihr zu der Art und Weise wie Joshuas Vater seine Frau behandelt?
Und findet ihr auch, dass Liz ein ziemlich schlaues, ziemlich süßes Mädchen ist?
Habt noch einen schönen Abend! 😘
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