Chapter 03
Es war Samstag. Normalerweise liebte ich Samstage, weil ich keine Kurse hatte, die ich besuchen musste und stattdessen machen konnte, was ich wollte. Lesen. Mit Alec zocken. Im Park joggen. Einen Film mit Alec schauen.
Aber auf diesen Samstag freute ich mich gar nicht.
Denn am Abend würde ich auf die Party gehen müssen, der die Jungs schon so entgegen fieberten. Und das, obwohl ich mir eh schon einen Schnupfen eingefangen hatte. Hmpf.
„Joshi, öffne mal die Tür!", brüllte Alec aus seinem Zimmer. Anscheinend hatte er unsere Freunde mit dem Auto vorfahren sehen. Schweren Herzens legte ich mein Handy aus der Hand, auf dem ich gerade noch ganz vertieft Candy Crush gespielt hatte.
Sowie ich unsere Tür geöffnet hatte, trat auch schon die ganze Mannschaft ein: Evangeline mit den schwarzen Haaren, den immerzu dunkel umrandeten grünen Katzenaugen und dem ebenfalls schwarzen Kleid, das kaum die Mitte ihrer Oberschenkel berührte. Miles, der unverhohlen auf Evas Hintern starrte und sich dabei immer und immer wieder durch das straßenköterblonde Haar fuhr. Ein Zeichen dafür, dass er nervös war. Der braunhaarige Computerfreak Eric, der heute ein stahlgraues Shirt zu seiner schwarzen Brille trug und mit Brittainy neben sich herumalberte. Sie sah in ihrem blauen Kleid, den Federohrringen und der roten Flechtfrisur wie immer umwerfend aus.
„Hey." Ich umarmte erst die beiden Mädchen, dann klopfte ich meinen Kumpels umständlich auf den Rücken. „Wollt ihr kurz reinkommen? Könnte noch ein bisschen dauern bis wir los können. Alec kann sich nicht entscheiden, welches Shirt sich am besten dafür eignet, möglichst viele Mädels aufzureißen." Ich verdrehte die Augen und warf mich neben Eric auf die Couch.
„Gar nicht wahr!", tönte es aus Alecs Zimmer. Er hatte wohl mitbekommen, was ich gesagt hatte. „Joshi hat nur mal wieder Ewigkeiten im Bad gebraucht."
Miles gackerte, als wäre dies ein besonders lustiger Witz. Was er nicht war. Dann stieß er Eva den Ellbogen in die Seite. Die warf ihm allerdings nur einen angepissten Blick zu, bevor sie zu einem Sessel stolzierte und auf dessen Armlehne Platz nahm. Miles schaute ihr bedröppelt hinterher.
Im nächsten Moment trat Alec aus seinem Raum, in ... meinen Lieblingsshirt. Es war blau und hob die hellen Farbsprenkel in seinen braunen Augen hervor. Mein Mund wurde trocken.
„Und was denkt ihr? Wie viele Chicks bekomme ich damit ab?", witzelte er und drehte sich einmal im Kreis. Eva stieß einen Pfiff aus.
„Sehr wahrscheinlich mehr, als Miles in einem ganzen Monat."
Miles, der inzwischen ein Gespräch mit Britt angefangen hatte, schnappte empört nach Luft.
„Baby, du weißt ja, ich würde sie alle fallen lassen, wenn ich dafür dich haben könnte. Du brauchst nicht eifersüchtig auf Melissa, Katie, Sabrina, Melanie und Tanja sein", zählte er seine Bettgeschichten der letzten Monate - oder gar Wochen? - auf, ehe er Evangeline zuzwinkerte. Diese prustete verächtlich.
„Können wir dann?" Die Frage kam gereizter heraus als beabsichtigt.
„Oh oh", flüsterte Miles. „Der ist ja immer noch so schlecht drauf wie heute morgen."
„Geht's dir gut, Joshua? Du wirkst ein wenig verstimmt." Britt schaute mich fragend an. Ich seufze leicht.
„Ja ... Alles gut. Nur ein kleiner Schnupfen." Ich vermied es, in Alecs Richtung zu sehen.
„Das kenn ich, Alter." Eric klopfte mir auf die Schulter. „Das fuckt einen so ab. Auch wenn Finja immer sagt, ich würde übertreiben und rumheulen wie ein Baby."
Finja war seine Freundin, die er bereits anbetete seit sie zusammen dieselbe Middle School besucht hatten. Auch wenn Eric sich oft über sie aufregte, wusste er, dass er wahnsinniges Glück hatte. Wenn sie sich mal wieder darüber stritten, welche Farbe die Gardinen in ihrer Wohnung, die sie gerade gemeinsam bezogen, haben sollten, dauerte es meist weniger als einen Tag, bevor er mit einem riesigen Strauß roter Rosen in der Hand angekrochen kam. Seine Freundin hatte ihn total im Griff.
„Und jetzt kommt! Ich muss heute schon früher los, um die grässlichen Zierkissen unbemerkt zu entsorgen, bevor Finja nach Hause kommt." Er zog mich mit sich. Ich folgte ihm, ohne mich nochmal nach den anderen umzudrehen, war mir aber Alecs Blicken, die sich in meine Jacke brannten, nur allzu bewusst.
„Brittainy! Wie schön, dass du gekommen bist. Und sogar in Begleitung!"
Ein zierliches, blondes Mädchen mit beachtlichem Vorbau öffnete uns die Tür zu einer Studentenwohnung. Sie musste schreien, um das Wummern der Musik zu übertönen, welches durch die Zimmer tönte. Das musste wohl die Freundin aus ihrem Kurs sein, von der Britt erzählt hatte. Brittainy fiel ihr um den Hals und gratulierte ihr zum Geburtstag. Auch wir anderen murmelten ein ‚Alles Gute'. Dann wandte meine Freundin sich wieder an uns.
„Das ist Sky!", brüllte sie und deutete dabei auf die Blondine, die freundlich einen Schritt zur Seite trat, damit wir uns in den schmalen Flur quetschen konnten, in dem vor lauter Jacken und Schals kein Boden mehr zu sehen war. Britt deutete auf uns und ratterte unsere Namen herunter. Ich glaubte nicht, dass Sky sie verstanden hatte. Ich schielte rüber zu Alec.
Er und Miles hatten die Köpfe zusammen gesteckt, wobei sie immer wieder den Blick zu Sky, die sich bereits wieder einen Weg in die Massen bahnte, schweifen ließen. In meinem Magen machte sich ein bitteres Gefühl breit. Ich wusste nicht, was mit mir los war. Seit Alec in dem blauen T-Shirt mit den kleinen Knöpfen am Ausschnitt aus seinem Zimmer getreten war, sank meine Laune rapide. Inzwischen war ich sogar soweit, dass ich es für keine schlechte Idee mehr hielt, mir hier und heute die Kante zu geben.
Entschlossen schnappte ich mir Britts Hand und zog sie mit mir. Erst als wir bei dem großen Bierfass in der Küche angekommen waren, hatte sie wieder die Chance zu reden. Was sie auch sofort nutzte.
„Josh? Was machst du da? Ist alles okay?", fragte sie, während ich mir bereits einen roten Plastikbecher füllte. Ich drückte ihn ihr in die Hand, dann schnappte ich mir einen zweiten.
„Du bist für heute mein drinking buddy!", verkündete ich laut, legte den Kopf in den Nacken und trank meinen Becher in wenigen Schlucken leer. Es schüttelte mich. Eww, wie konnte man dieses lauwarme, herbe Gesöff auch nur ansatzweise genießbar finden? Egal. Ich brauchte mehr davon. Nur für diese Nacht. Schnell schenkte ich mir nach und setzte mir den Becher erneut an die Lippen, als sich Brittainys Finger um meinen Arm schlossen.
"Jetzt ernsthaft, Joshua. Hast du wirklich nur einen Schnupfen oder ist da noch etwas anderes, das du mir sagen möchtest?" Sie sah mich ernst an, Besorgnis spiegelte sich in ihrer Miene. Ich senkte meinen Arm wieder.
„Ja, Britt, es geht mir gut", versicherte ich ihr genau wie vorhin. Sie schaute mich zweifelnd an, ihr Bier immer noch unangetastet.
„Okay, okay!", stieß ich hervor. „Es liegt nicht nur am Schnupfen! Ich fühle mich schon den ganzen Tag beschissen und der Besuch gestern bei meinen Eltern ..." Meine Stimme verklang. Das Gespräch mit ihnen, vor allem mit meiner Mutter, hatte mir wohl doch mehr zugesetzt, als ich mir eingestehen wollte. Besonders ihre Verabschiedung beschäftigte mich noch immer.
Es wäre schön, Joshua, wenn du dir ein bisschen mehr Mühe geben würdest, was die Suche nach der Mutter deiner Kinder betrifft. Du wirst deinen Vater und mich bestimmt nicht vor der ganzen Kirche blamieren wollen, indem du uns keine Enkel schenkst, oder?
Den letzten Satz hatte sie besonders anklagend gesagt.
„Bitte, du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen. Morgen wird es mir wieder gut gehen. Aber heute brauche ich das. Nur für diese Nacht!", flehte ich sie an. Einen Moment schaute sie noch skeptisch, bevor sie ergeben seufzte.
„Also gut. Aber beschwer dich bloß nicht bei mir, wenn du den Rest des Wochenendes über der Toilettenschüssel verbringst!" Sie wusste, wie schlecht ich Alkohol vertrug. „Auf eine legendäre Nacht, drinking buddy!", rief sie und hob den Becher, um mit mir anzustoßen. Ich tat es ihr gleich und zusammen leerten wir alles auf ex.
Dass diese Nacht tatsächlich legendär werden sollte, war mir zu dem Zeitpunkt noch nicht bewusst.
Etwa eine Stunde später befand ich mich inmitten eines Meeres aus wogenden, verschwitzten Körpern im Wohnzimmer, das als Tanzfläche diente. Sämtliche Möbel waren an die Wände geschoben worden, um mehr Platz zu schaffen.
Ich tanzte mit einem blonden Mädchen, das ich noch nie gesehen hatte. Brittainy hatte ich in der riesigen Menge an Studenten und Studentinnen irgendwann aus den Augen verloren.
Blondie vor mir begann sich in schlangenförmigen Bewegungen an meinem Körper zu reiben. Ihre Brüste sprangen aus ihrem hautengen schwarzen Top beinahe in mein Gesicht und ihre Arme lagen um meinem Hals. Sie ließ mich ziemlich kalt. Trotzdem spielte ich mit, fasste sie an den Hüften und bewegte mich im Takt der wummernden Bässe. Der ganze Raum drehte sich und ich fühlte mich so losgelöst von meinem Körper wie lange nicht mehr. Es war ein herrliches Gefühl.
Ein weiteres Mädchen, das erstaunliche Ähnlichkeit mit Blondie vor mir aufzeigte, tanzte auf uns zu. Der einzige Unterschied war, dass ihre Haare dunkelbraun waren. Blondie und Brownie. Lustig. Brownie lehnte sich in Richtung Blondie und schrie ihr etwas ins Ohr. Diese nickte daraufhin wie wild, bevor sie ihre Lippen an meine Ohrmuschel legte.
„Ein paar Freunde und ich spielen jetzt ein Spiel! Machst du mit?", schrie sie, wobei mich ihr heißer Atem am Hals traf. Das Gefühl war mir unangenehm, also schob ich sie soweit zurück, dass sich unsere Oberkörper nur noch leicht berührten. Ich blickte ihr ins Gesicht, welches vor meinen Augen leicht verschwamm, und meinte ein verheißungsvolles Grinsen auf ihren Lippen zu erahnen.
„Okay!", brüllte ich zurück. Meine Stimme hörte sich komisch an. Undeutlich und aufgeregt. „Ich bin voooll dabei, Baby!"
Blondie lachte, dann hakte sie ihre Finger in die Gürtelschlaufe meiner Jeans und zog mich in dieselbe Richtung, in die Brownie gerade davon gestakst war. Sie führte mich lachend und drängelnd die Treppe hoch. Hätte ich mich nicht an ihr festgehalten, wäre ich sehr wahrscheinlich schon längst die Stufen runtergepurzelt. Im ersten Stock angekommen, öffnete sie eine der Türen und wir schoben uns gleichzeitig hindurch, wobei ich ihre Hand an meinem Hintern spürte. Ich musste kichern.
Dann nahm ich zum ersten Mal die Leute in dem kleinem Raum wahr, die in einem mehr oder minder runden Kreis auf dem Boden saßen. Ich entdeckte Blondies Freundin Brownie, die uns sofort bemerkte und erfreut grinste.
Und ein Mädchen mit blonden Haaren und pinkem Röckchen, das ... och, nee.
Candy.
So süß sie auch aussah und ihr Name klang – ihr Charakter war das genaue Gegenteil. Sie war wie Alec und ich in Washington County aufgewachsen, ging mit uns in die Elementary School sowie in die Highschool. Schon damals konnte sie es nicht lassen, mich wegen der unterschiedlichsten Dinge aufzuziehen. Als sie dann in der elften Klasse Alec nach einem Date fragte, gab er ihr einen Korb, mit der Begründung, er würde mit niemanden ausgehen, der seinen besten Freund ärgerte. Und anstatt bei sich selbst die Schuld zu suchen, schob Candy mir diese in die Schuhe. Auch auf Alecs lieb gemeinten Vorschlag, sich doch mal einer allumfassenden Charakterüberholung zu unterziehen, reagierte sie eher gereizt. Anstelle dessen hatte sie es sich nun zur Aufgabe gemacht, mir wann immer sie konnte eins auszuwischen.
Neben ihr saß ein heftig fummelndes Pärchen – das Mädchen lag halb auf seinem Begleiter und man konnte ihre Zungen sehen. Dass die zwei ihre ganz eigene Party zu Hause weiterführen würden, war wohl allen Anwesenden klar.
Ich wandte meinen Blick von den beiden ab. Stattdessen schaute ich zu einem schwarzhaarigen Jungen mit langen Beinen, der sich gerade angeregt mit dem Typen rechts neben sich unterhielt. Isaac. Ich kannte ihn aus ein paar meiner Kurse und wusste, dass er schwul war. Ich hatte nichts gegen Schwule ... Glaubte ich zumindest.
Ich erinnerte mich an die angewiderten Blicke meiner Eltern, sowie sie zwei Männer sahen, die einander an den Händen hielten. Einmal hatten sie sogar ein Restaurant frühzeitig verlassen, weil ein unübersehbar schwules Pärchen an dem Tisch neben ihnen Platz genommen hatte. Das war an ihrem vierzehnten Hochzeitstag.
Ich selbst würde zwar niemals so extrem reagieren, aber mir war klar, dass Mom und Dad einen Homosexuellen nicht auch nur einen Schritt in ihr Haus setzten lassen würden. Nicht mal, wenn es draußen so stark stürmen würde, dass Bäume durch die Luft flögen. Nicht mal, wenn ich es wäre.
Verwirrt über die Richtung, in die meine Gedanken wanderten, runzelte ich die Stirn und wandte mich so abrupt von Isaac ab, dass sich der ganze Raum drehte. Huch! Schnell schloss ich die Augen, und als ich sie wieder öffnete, blickte ich direkt in das Gesicht von ...
„Alec!" Ich lief unsicher und mit einem plötzlichen, glücklichen Grinsen im Gesicht auf ihn zu. Er saß direkt gegenüber von Blondie und lächelte leicht, als ich mich neben ihn auf den Boden plumpsen ließ.
„Hey, du Schnapsnase."
„Ich bin keine Schaps ... Schap ... Schnapnase. Hab nur Bier getrunken", korrigierte ich ihn. Mannomann, war unsere Muttersprache schon immer so schwierig zu artikulieren gewesen?
„Ist klar, Joshi. Ist klar", murmelte er irgendwie spöttisch. Machte er sich etwa über mich lustig? Ich kniff die Augen zusammen und brachte mein Gesicht ganz nah an seines, als könnte ich dadurch nachvollziehen, was er dachte. Doch der Ausdruck seiner Augen war nicht zu deuten, auch nicht dann, als er nach meinem Arm griff, damit ich nicht wie ein totaler Volltrottel zur Seite kippte. Was bewegte sich dieser Boden auch ständig?! Darauf sollte ich Sky echt mal aufmerksam machen.
Sky.
Meine Laune verfinsterte sich. So wie Alec sie vorhin abgecheckt hatte, würde er heute Nacht besseres zu tun haben, als mir die Treppen zu unserer Wohnung hinaufzuhelfen. Aber Moment mal ...
„Wo ist Sky?", fragte ich. Verdutzt blickte Alec mich an, dann nickte er in eine dunkle Ecke im hinteren Teil des Raums, wo besagtes Mädchen mit einem Typen knutschte, der sie um einen Kopf überragte und mindestens doppelt so breit war.
„Das ist Kyle. Ihr Freund", beantwortete Alec meine unausgesprochene Frage mit unbewegter Stimme. So als würde ihn nicht interessieren, was Sky wann und mit wem machte. Unerklärbare Erleichterung durchströmte mich.
„Du fährst also wieder zurück zur Wohnung?"
„Jaaa ...?" Alec zog das Wort in die Länge und schaute mich dabei wieder mit diesem nicht zu deutenden Ausdruck in seinem Gesicht an.
„Joshi ... ich weiß, das haben dich die Mädchen schon gefragt und ich will dich auch nicht nerven ... aber ist alles okay bei dir? Ich meine, sonst trinkst du doch nicht so viel ... Nicht, dass du das nicht dürftest!", beeilte er sich zu sagen, sowie sich meine Miene verfinsterte. „Die Rolle des besoffenen, peinlichen Idioten spiele sonst nun mal ich." Sein Lächeln fiel dabei so schräg und süß aus, dass ich beschloss, ihm doch eine Antwort auf seine – absolut ungerechtfertigte und super nervige! – Frage zu geben.
„Jupp, mit mir ist alles klar. Schließlich bist du jetzt da." Ich grinste, bevor ich meinen Kopf auf seine Schulter legte. Alec blieb für einen Moment ganz still – er bewegte sich nicht, sagte nichts –, bis er letztendlich leise lachte und mir durch die Haare strubbelte. Hmpf. Damit waren dann wohl auch die letzten Überreste meiner Frisur dahin. Obwohl, Frisur konnte man das Wirrwarr auf meinem Kopf ja nicht gerade nennen ...
„Ich hatte ganz vergessen, wie anschmiegsam du wirst, wenn du betrunken bist." Ich hörte die Belustigung in seiner Stimme. Als Antwort vergrub ich meinen Kopf an seinem Hals. Eww. Er roch nach Bier, Schweiß und Zigaretten. Wenn ich jedoch ganz tief einatmete, konnte ich noch ganz leicht den Duft seines Shampoos wahrnehmen.
Ich hob meinen Kopf wieder von seiner Schulter, gerade rechtzeitig, um mitzubekommen, wie Brownie eine leere Flasche in die Mitte unseres Kreises legte. „Ich gehe davon aus, jeder hier kennt die Regeln zu Flaschendrehen, ja?"
Zustimmendes Gemurmel ertönte. Ich verdrehte die Augen. Ich meine, wer kannte denn bitte nicht die Spielregeln zu Flaschendrehen? Der unkreative Titel verriet doch schon alles.
„Okay, also, wir werden diese Flasche hier benutzen", sie deutete auf besagte Bierflasche, „und ich beginne mit dem Drehen. Der, auf den der Flaschenhals zeigt, muss zwischen Wahrheit oder Pflicht wählen. So etwas wie Joker gibt es hier nicht. Wer mitspielt, spielt mit, wer sich etwas nicht traut, ist raus. Keine Ausnahmen." Sie schnatterte noch weiter, doch ich ich blendete sie aus und wandte mich wieder meinem Kumpel zu.
„Ist das deine?" Ich nickte in Richtung der leeren Bierflasche auf dem Boden. Alec war der Einzige, der weder Becher noch Flasche in der Hand hielt. Er schüttelte den Kopf.
„Ich trink heute nicht. Irgendwer muss ja deinen versifften Arsch wieder nach Hause transportieren." Ein Schmunzeln lag auf seinen Lippen. Ich schnaufte empört.
„Mein Hintern ist nicht versifft!"
„Wer's glaubt. Du bist in etwa so betrunken wie mein Onkel auf Moms Hochzeit", piesackte er mich und spielte damit auf die zweite Hochzeit seiner Mutter Sue vor knapp vier Jahren an. Alec hatte seinen Vater nie kennengelernt; er hatte sich von Sue scheiden lassen und war weggezogen, noch bevor Alec geboren war. Sue hatte das damals ziemlich mitgenommen, so dass sie sich erst Jahre später wieder auf einen Mann eingelassen hatte. Alec selbst hatte kein Interesse daran, seinen leiblichen Vater aufzuspüren. Er meinte, dass er jemanden, der seine Mutter so schlecht behandelt hatte, nicht in seinem Leben brauchte. Stattdessen war Sues zweiter Ehemann Tristan das, was einer Vaterfigur am nächsten kam.
Aber die Hochzeit der beiden war nicht ganz reibungslos verlaufen. Jackson, Sues Bruder, hatte zu der Zeit um das Aus einer langjährigen Beziehung getrauert und befunden, dass die Hochzeit seiner Schwester der perfekte Ort für ein Besäufnis wäre. Mit seiner gelallten Hochzeitsrede – in der es darum ging, dass Beziehungen sowieso nicht hielten und Hochzeiten somit die größte Verarsche wären – hatte er den geballten Zorn vonseiten Tristans lateinamerikanischer Familie abbekommen.
Ich wollte schon Alecs Aussage widerlegen, da drang Brownies Stimme wieder bis zu meinem Gehirn vor.
„Dann fangen wir mal an!" Sie dreht die Flasche und setzte sich neben ihre Freundin Blondie. Ich beobachtete die leere Glasflasche, wie sie sich um sich selbst drehte. Einmal. Zweimal. Dreimal. Seufzend lehnte ich meinen Kopf gegen Alecs Schulter und schloss die Augen. Erst als ich Brownie quietschen hörte, hob ich meine Lider wieder.
„Jace!", rief sie laut und schrill. Ich blinzelte ratlos. Wer war Jace? „Wahrheit oder Pflicht?", fuhr sie fort.
„Pflicht", meldete sich eine tiefe Stimme. Es war der Junge, der vorhin mit Isaac gesprochen hatte.
„Küss Isaac für eine halbe Minute." Brownie brauchte nicht lange zum Überlegen und sowie sie ihre Aufgabe in die Welt posaunte, hatte sie meine gesamte Aufmerksamkeit. Würde ich vielleicht auch einen Jungen küssen müssen? Das hatte ich nicht bedacht. Bei dem Gedanken wurde mir merkwürdig warm im Bauch und meine Atmung ging hektischer. I-ich konnte doch nicht ... ich konnte doch keinen Jungen küssen!
„Küssen, küssen, küssen!", riefen die Anwesenden.
Ich schnappte nach Luft. Ich war wie hypnotisiert, als Jace sich Isaac mit einem erfreuten Lächeln zuwandte. Auch dieser grinste verheißungsvoll, bevor er Jace eine Hand in den Nacken schob und ihn näher zog. Ich konnte nicht wegschauen. Ihre Augen schlossen sich, ihre Münder trafen sich. Im Hintergrund zählte Brownie leise von dreißig abwärts: „Achtundzwanzig, siebenundzwanzig, ..." Sie küssten sich, als wären sie ganz alleine in diesem Raum; mit offenen Mündern, leisem Seufzen und fahrigen Händen.
„Vierzehn, dreizehn, zwölf, ... "
Jace Finger fanden einen Weg unter Isaacs T-Shirt. Ich hielt die Luft an.
„Drei, zwei, eins ... Stopp!" Ihre Münder lösten sich leise schmatzend voneinander und brachen damit meinen seltsamen Bann. Ich füllte meine Lungen mit Sauerstoff, weil ich unbewusst die Luft angehalten hatte. Dann wandte ich ertappt, fast schon beschämt, meinen Blick von den zwei Jungs vor mir ab. Allerdings nur um in die schokobrauen Augen meines besten Freundes zu schauen. Wir waren uns so nahe, dass ich die kleinen goldenen Punkte um seine Iris herum erkennen konnte. Wieder hielt ich den Atem an. Alec schaute mich unverwand an, nicht das kleinste Lächeln zierte seine geschwungenen Lippen. Dann zog er plötzlich die Augenbrauen zusammen. Seine Stirn war gerunzelt und er fixierte etwas links auf meiner Wange.
„Du hast da was", murmelte er und bevor ich reagieren konnte, fuhr seine Hand blitzschnell vor, seine Finger rieben leicht über die Stelle neben meinem Ohr. Als er seine Arm zurückzog, waren die Fingerspitzen rot verfärbt.
„Lippenstift ..." Seine Stimme war so leise, dass ich ihn kaum verstand. Aus irgendeinem Grund störte es mich, dass er mir den Lippenstift eines Mädchens aus dem Gesicht wischen musste. Ich lief rot an und rieb mir mit dem Handrücken über die Wange.
„Weg?", fragte ich. Die einzige Antwort, die ich bekam, war ein knappes Nicken, ehe er sich wieder auf das Geschehen vor uns konzentrierte mit einem verwirrten Ausdruck im Gesicht.
,,So! Jetzt musst du drehen, Jace!", rief Brownie aufgeregt. „Außer du und Isaac möchtet schon gehen?" Sie lächelte verschmitzt. Jace lachte leise, legte seine Hand auf Isaacs Schenkel und zwinkerte ihm zu.
„Das können wir auch noch später nachholen, nicht wahr?", raunte er ihm so laut zu, dass jeder im Kreis es mitbekam. Meine Augen wurden groß. Die Andeutung war mehr als eindeutig. Mich überkam eine Gänsehaut und ich lehnte mich nach Wärme suchend an Alecs Seite.
Jace beugte sich vor und gab der Flasche Schwung. Sie kreiste und kreiste, bis sie sich schließlich einpendelte und still liegen blieb, den Hals auf ... Alec gerichtet. Ich spürte, wie sämtliche Blicke zu ihm und zu mir, dem, der sich noch immer gegen ihn gelehnt hatte, wanderten. Ich fühlte mich seltsam entblößt und kuschelte mich noch näher an meinen Freund, der wie aus Reflex einen Arm um meine Taille schlang. Sofort fühlte ich mich geborgen und geschützt.
„Ich wähle auch Pflicht", sagte Alec ohne auf die Nachfrage von Jace zu warten. Dessen Augen huschten zwischen uns beiden hin und her. Erst zu Alec. Dann zu mir. Und wieder zurück. Ein belustigtes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.
„Ich weiß, es wird nicht gerne gesehen, wenn Aufgaben zweimal gestellt werden, aber ..." Er hielt inne und das Grinsen wurde noch breiter. Mich überkam ein schreckliches Gefühl und ich spürte, wie Alecs Atem stockte.
„Ich möchte, dass du deinen besten Freund da küsst."
Was sagt ihr eigentlich zu der Kapitellänge?
Zu lang? Zu kurz? Oder genau richtig?
Auch wenn ich eigentlich nicht glaube, dass irgendjemand dieses Kap als zu kurz empfunden hat. 😅
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