Chapter 02
„Wie schön, dass du dich auch mal wieder blicken lässt, Joshua. Geben sie euch auf der Uni so viel auf, dass du es nicht einmal mehr schaffst, regelmäßig an den Wochenenden vorbeizuschauen? Sloan hat mich beim letzten Gottesdienst bereits vorgewarnt, dass die Kinder, sobald sie erst mal ausgezogen sind, keinen Gedanken mehr an die Familie verschwenden. Ich hoffe nur, dass du zumindest ein schlechtes Gewissen hast, deine Schwester so lange warten gelassen zu haben."
Alec und ich hatten noch nicht einmal einen Schritt durch die Tür gesetzt und schon überfiel mich Mom mit etlichen Vorwürfen. Ich seufzte leise.
Meinen Freund begrüßte sie mit einem unterkühlten ‚Hallo, Alec', bevor sie zur Seite trat, um uns Eintritt zu gewähren. Ich hoffte wirklich, dass sich die heutige Konversation stärker auf den neusten Klatsch und Tratsch Washington Countys konzentrierte und weniger auf meine scheinbar unzähligen Verfehlungen.
Während wir durch die unpersönliche Eingangshalle liefen, blendete ich das Geschnatter meiner Mutter aus. Anstelle von Babyfotos von mir und Liza hingen an den Wänden Bilder von bekannten Künstlern und auf einer eleganten, weißen Kommode stand eine kunstvoll getöpferte Vase samt großem Blumenstrauß.
Da Dad als erfolgreicher Immobilienmakler arbeitete, war ich in dem angesehenen Stadtteil Washingtons aufgewachsen. Meine Familie konnte sich teure Restaurants sowie Luxushotels leisten und gehörte der wohlhabenden Schicht Washingtons an. Dass meine Eltern mir erlaubt hatten, eine staatliche Universität zu besuchen, erstaunte mich noch heute.
Wir betraten das weiträumige Wohnzimmer und als Mom nicht hinschaute, wandte Alec sich mir zu und verdrehte die Augen. Meine Mundwinkel zuckten und ich fühlte mich sofort besser. Vielleicht würden wir diesen Abend ja doch halbwegs unbeschadet überstehen.
„Joshua! Alec!" Eine helle Kinderstimme bewahrte mich davor, mich noch weiter von meiner Mutter über das Unileben ausfragen lassen zu müssen. Erwartungsvoll drehte ich mich auf dem Barhocker in der Küche einmal um mich selbst und konnte gerade noch rechtzeitig aufstehen, da schlangen sich zwei dünne Ärmchen um meinen Hals. Ein zierlicher Körper warf sich gegen mich.
„Hey, Äffchen", begrüßte ich meine Schwester, die nun auch ihre Beine um mich wickelte. Alec, der uns von dem Barhocker neben meinem aus beobachtete, schmunzelte belustigt. Als Liza quietschend ihren Arm nach ihm ausstreckte, reichte er ihr die Hand.
„Guten Tag, kleine Madame", sagte er und schüttelte ihre Hand.
„Alec", wiederholte meine Schwester erfreut und drückte sich noch näher an mich heran. Dann begann sie unwillig mit den Beinen zu zappeln.
„Lass mich runter, Josh", jammerte sie. Ich stellte sie zurück auf ihre Beine und durfte nun zusehen, wie sie Alec an seinem T-Shirt Richtung Tür schleifte.
„Elizabeth, erst die Hände waschen, bevor du irgendwas anfasst. Du warst gerade mit deiner Freundin im Zoo, ich möchte gar nicht wissen, was du dir alles eingefangen haben könntest. Später schauen wir auch noch nach Zecken", schaltete sich Mom ein. Liza verzog unwillig das Gesicht.
„Aber Mommy -"
„Keine Widerworte. Erst Hände waschen, dann spielen."
Mit einem Seufzen tat Liza, was unsere Mutter von ihr verlangte. Sobald sie fertig war, rannte sie erneut zu meinem Freund und packte ihn am Arm. „Komm, ich will dir zeigen, was wir im Kindergarten gebastelt haben", rief sie aufgeregt. In der nächsten Sekunde verschwanden die zwei um die Ecke in den Flur, auf sicherem Weg in das Zimmer meiner Schwester. Doch ehe sie vollständig aus meinem Sichtfeld verschwanden, drehte Alec den Kopf und warf mir über die Schulter einen Blick zu, der irgendwo zwischen Verzweiflung und Heiterkeit lag. Ich biss mir auf die Lippe, damit mir kein Prusten entkam. Ja, Lizzy hatte durchaus ihren eigenen Kopf. Alec würde nicht drumherum kommen, sich jedes ihrer Bilder und Basteleien anzusehen.
„Mom, brauchst du noch Hilfe beim Kochen?", fragte ich Mutter, die geschäftig in einem großen Topf rührte.
„Nein, danke, Joshua. Den Tisch habe ich bereits vor eurer Ankunft gedeckt. Du könntest jedoch deinem Vater Bescheid sagen, dass es in einer halben Stunde Essen gibt. Er ist in seinem Büro."
Ich verzog kaum merklich das Gesicht. War mein Vater in seine Arbeit vertieft, tat man sein Bestes, wenn man ihn nicht störte. Nichtsdestotrotz nickte ich und stieg die Treppe mit dem geschwungenen Geländer hinauf. Ich hörte Lizas aufgeregtes Kichern und Alecs Stimme, lief allerdings an der Tür, an deren Klinke ein rosa Plüscheinhorn hing, vorbei. Auch mein altes Zimmer, das ich vor drei Wochen noch bewohnt hatte, ließ ich links liegen. Am Ende des Flurs blieb ich stehen.
„Dad?", rief ich und klopfte gegen das weiße Holz der Bürotür. Es dauerte einige Sekunden bis ich ein tiefes Brummen vernahm. Ich öffnete die Tür und blieb knapp hinter der Schwelle stehen.
„Hallo, Dad. Ich soll dir ausrichten, dass es bald Abendessen gibt. Du hast noch dreißig Minuten."
Mein Vater schaute von seinen Papieren auf und blickte mich an. In seiner Miene erkannte ich weder Freude noch Überraschung oder irgendeine andere Emotion.
„Sag Ginevere ich bin pünktlich unten." Das war's. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Unterlagen vor sich zu. Ich ließ die Schultern sinken. Manchmal fragte ich mich ernsthaft, ob er überhaupt wusste, dass ich ausgezogen war. Oder ob es ihn interessierte.
Wahrscheinlich nicht, gab ich mir selbst die Antwort. Leise verließ ich das Büro wieder, als plötzlich die Tür zum Zimmer meiner Schwester aufflog. Heraus trat Alec. Oder sollte ich eher sagen Elsa aus Frozen? Er trug einen blauen Umhang und auf seinem Kopf thronte eine platinblonde Perücke.
Unwillkürlich prustete ich laut auf. „Wo sind denn deine Handschuhe, Elsa?", stichelte ich. Unsere Blicke trafen sich über den Flur hinweg und Alec warf mir ein schiefes Grinsen zu. Mein Magen flatterte, sowie er sich spaßhaft im Kreis drehte und seine Perücke dabei gefährlich in Schieflage geriet.
„Die hab ich wohl verloren. Lust, mir beim Suchen zu helfen? Vielleicht treiben wir währenddessen auch noch ein angemessenes Outfit für dich auf. Jeans und Shirt werden auf Miss Lilly Mermaids Teekränzchen nicht gerne gesehen."
Amüsiert folgte ich ihm in Lizas rosa Prinzessinnenzimmer. Ich hatte bereits meine Vermutungen, in welches Kostüm meine Schwester mich stecken würde.
Letzten Endes hatte Liza meine Befürchtungen bestätigt. Im Olaf-Kostüm und mit Krönchen auf dem Kopf hatte sie mich dazu genötigt, ein Kaffeekränzchen an ihren Puppentisch, der eindeutig nicht für 18-jährige Jungs gedacht war, abzuhalten. Alec und ich mussten aus kleinen Porzellantassen trinken und imaginäre Cookies essen und hatten uns nebenbei mit Miss Lilly Meermaid unterhalten. Ich wäre liebend gerne noch zwei weitere Stunden in dieser unbequemen Körperhaltung hocken geblieben, statt die angedrohte halbe Stunde später mit meiner Familie am großen Esstisch zu sitzen und Mutters Sticheleien über mich ergehen zu lassen. Sie hatte die dicke Kerze in der Mitte angezündet und wir hielten uns an den Händen, um Gott für dieses Mahl zu danken.
„Und Alec? Erzähl mal, hast du schon ein nettes Mädchen an der Uni kennengelernt? Von Joshua können wir da leider nicht viel erwarten, es scheint, als würde keins der Mädchen sein Interesse erregen."
Unter dem Tisch legte sich Alecs Hand auf mein Knie und drückte dieses beruhigend. Er wusste, wie sehr ich dieses Thema hasste.
Nein, keins der Mädchen an der Uni erregte meine Aufmerksamkeit. Nein, meine Ansprüche waren nicht zu hoch. Nein, ich möchte nicht mit der Tochter einer deiner Freundinnen aus der Kirche ausgehen, Mom. So lief es immer, wenn meine Mutter sich auf dieses Thema versteifte; ohne dass wir je zu einem Ergebnis kamen.
„Ja, Mrs. Collins, ich habe viele nette Mädchen getroffen."
Oh ja, er hatte wirklich eine große Anzahl von netten Mädchen getroffen. Vor allem nachts. In seinem Bett. Ich schnaubte spöttisch.
„Allerdings war nie die Richtige dabei. Im Grunde genommen sollten wir es doch alle wie Josh machen - warten bis man die Eine findet und sich solange auf das Studium konzentrieren."
Wartete ich? Das war mir gar nicht bewusst. Bisher hatten mich Mädchen schlichtweg nicht interessiert - so unvorstellbar es auch klang. Doch ich hatte eigentlich nicht vor, mich aufzusparen und auf ‚die Eine' zu hoffen. Ich war bereits auf Dates gewesen und es hatte immer Spaß gemacht. Mit manchen Mädchen hatte ich mich auch öfters getroffen. Allerdings war nie mehr daraus geworden.
„Gewiss ist das eine sehr ehrenhafte Tat, doch sollte man nicht zu lange von der Richtigen träumen, sonst steht man mit Mitte zwanzig immer noch unverheiratet da."
Ich verschluckte mich an meiner Suppe. Mitte zwanzig?! Ich war gerade mal achtzehn Jahre alt, hatte die gesetzliche Volljährigkeit erst seit einigen Monaten erreicht, und meine Mutter redete davon, mich in ... Wie viel? Fünf? Sechs? Jahren zu verheiraten.
„Mitte zwanzig? Das ist aber nicht mehr lange hin, Mrs. Collins", versuchte Alec meine Mutter von dieser durchgeknallten Vorstellung abzubringen. Doch erfolglos.
„Na, ein Glück!", empörte sie sich. „Dein Vater und ich kennen uns schon seit wir fünfzehn Jahre alt waren! Und mit einundzwanzig habe ich ihn geheiratet."
Dad, der sich bis dato nicht an dem Gespräch beteiligt hatte, brummte zustimmend. Mutter beschrieb mit ihrer Hand eine elegante Geste, die wohl uns alle, die sich in diesem Raum befanden, mit einschließen sollte, während sie weitersprach: "Und seht, was daraus geworden ist!"
Ähm, eine zurückgebliebene, konservative Beziehung?
„Wir führen eine gesunde, vernünftige Ehe, genau, wie Gott es uns vorbestimmt hat." Mom setzte sich, wie um ihren Standpunkt weiter zu verdeutlichen, noch aufrechter hin und schob eine ergraute Strähne ihres blonden Haares, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatte, zurück in ihren strengen Dutt. „Und genauso wird es auch bei Joshua und Elizabeth ablaufen. Sie werden beide nette Ehepartner finden."
Ich öffnete den Mund, um an diesem abstrusen Gespräch teilzunehmen, in dem meine Mutter über ihre Kinder redete, als wären sie gar nicht anwesend. Aber bevor ich auch nur ein Wort hervorbringen konnte, sprach sie schon weiter. Sie überging mich. Mal wieder.
„Wusstest du, Edward, dass gerade Missy Faithlinns Cousine mit ihrem Sohn ins Dorf, nahe der Kirche, gezogen ist? Ich glaube Anne Walker war ihr Name. Oder Annie? Na, wie auch immer, das ist auch nicht von Bedeutung für uns. Relevant ist nur, dass ihr Mann wie du im Immobiliengewerbe tätig ist. Ich dachte mir, ich lade die beiden bei Gelegenheit zum Dinner ein, dann kannst du dich mit Mr. Walker über das Geschäft unterhalten. Was hältst du davon?"
Ich war sprachlos. Sie hatte mich nicht einfach nur übergangen, sondern gar das Thema gewechselt!
„Ich vertraue dir, Ginevere. Wenn du meinst, dass ein Treffen mit... wie auch immer er heißt... nötig ist, dann werde ich mich dir nicht in den Weg stellen", sagte Dad ohne die Augen von seinem Teller zu lösen. Mom schien das geringe Interesse meines Vaters nicht zu bemerken und hörte wie immer nur das, was sie hören wollte. Erfreut lächelte sie über seine Worte, die sie als Schmeichelei auffasste. Dann führte sie ihre ziemlich einseitige Konversation fort.
„Missy hat auch erwähnt, dass er oft aus dem Ausland arbeiten muss. Momentan soll er sich, ihren Angaben nach, in China aufhalten. Hört sich das nicht vortrefflich an? Mit solch einem erfolgreichen Mann Geschäfte zu machen, wirkt sich sicherlich ebenso auf unseren sozialen Status aus."
Ich biss die Zähne aufeinander, bis es knirschte. Immer ging es meinen Eltern darum, möglichst gut dazustehen, die angesehensten Freunde zu haben, die tollsten Partys zu schmeißen. Das war sogar wichtiger als die eigenen Kinder.
Und mein Vater - es war ihm vollkommen egal, was meine Mutter alles tat, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Ob sie ein Geschäftstreffen, ein Essen mit Freunden oder eine Wohltätigkeitsveranstaltungen veranstaltete - es könnte ihn nicht weniger interessieren. Nicht einmal auf ihre Versuche, mit ihm ein Gespräch zu beginnen, ging er wirklich ein. Er war ein ignoranter Ehemann, dem es nur ums Geschäft ging. Die verzweifelten Bemühungen seiner Frau gingen vollkommen an ihm vorbei.
Alec schien meine Anspannung zu spüren. Seine Finger, die nach wie vor auf meinem Knie ruhten, begannen kleine Kreise zu beschreiben. Sofort konzentrierten sich all meine Sinne auf diese beinahe unmerklichen Bewegungen. Es beruhigte mich, machte mich zugleich allerdings auch ganz kribbelig.
Ich schielte zu ihm rüber.
Er schien ganz gelassen, ließ sich nichts anmerken und folgte weiter dem unsinnigen Gelaber meiner Mutter. Ich wusste nicht, was mit mir los war. Schon seit einiger Zeit reagierte ich seltsam auf seine Nähe. Mich überliefen Schauer, sobald er mich anfasste, ich konnte nicht genug von seinem Geruch nach Waschmittel und frischer Sommerwiese bekommen und -
„Josh?" Alecs Stimme unterbrach meine wirren Gedanken. Mein Kopf ruckte hoch. „Alles gut bei dir? Du hast für einen Moment so entrückt ausgesehen." Er musterte mich mit zusammengezogenen Augenbrauen. Seine Hand war von meinem Bein gerutscht.
„Ja, klar. Mir geht's gut." Ich lächelte ihn bedrückt an. Er schaute mich noch ein paar Sekunden lang an, dann drehte er sich zu Liza, die das ganze Essen über kaum ein Wort gesagt hatte. Sie hatte inzwischen ihren leeren Teller durch eine Barbie im Prinzessinnendress ausgetauscht.
„Komm Kleine, lass uns doch mal schauen, ob Ken schon fertig angezogen für den Ball ist."
Wie findet ihr Joshs Eltern?
Also, ich mag sie nicht sonderlich ...
Oh, und falls ihr's nicht auf meinem Board oder dem Klappentext gelesen habt: Updates gibt es alle zwei Tage. :D
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