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Finale: Erstes Kapitel

Seite an Seite mit Vic, Pim und Elle aus leeebasils Feder (Leute, schaut unbedingt in ihr Buch "Ascian" rein, sie ist eine grandiose Autorin!) sind Vìn und Kostya ins Finale eingezogen. Und diesmal wartete keine Challenge wie gewohnt auf uns, nicht einmal wirklich eine Schreibaufgabe mit bestimmten Vorgaben - es ging schlicht und (überhaupt nicht) einfach darum, das erste richtige Kapitel zu verfassen.

"Die Chroniken von Castrhys: Über die Berge von Zaarlos" wird mit einem Prolog starten, also ist das, was ich euch hier gleich vorsetze, nicht direkt das, was euch letztendlich zuerst in meinem Buch begrüßen wird. Aber es ist doch das erste richtige Kapitel, wenn auch sicher nicht der finale Entwurf. Ich bin also sehr gespannt, was ihr davon haltet, und freue mich gleichzeitig ungemein, das hier mit euch zu teilen. Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis ich wirklich mit dem Hochladen der Kapitel beginne, weil ich meine Storys gern beende und überarbeite, bevor ich sie nach und nach mit euch teile. Im Verlauf des Schreibens wird mein Verständnis für die Charaktere tiefer und mein Schreibstil besser - einen ersten Entwurf des "Ersten Kapitels" habe ich schon vor einer ganzen Weile geschrieben. Für das Finale habe ich mich komplett neu daran gesetzt und nur einige Formulierungen und die grobe Richtung beibehalten, natürlich inklusive der später wichtig werdenden Details. Aber für den interessierten Leser (der sich ein Kapitel aus Sicht einer sehr flachen Hauptfigur antun will), hänge ich den ursprünglichen Entwurf gern hintenan.

Aber jetzt kommen wir erst einmal zum aktuellen Entwurf des ersten Kapitels, mein Beitrag zum Finale von novel-arium. (Und jetzt muss ich euch wirklich das Kapitel hierhin setzen. Sonst halte ich noch eine emotionale Rede, und Lesemietze kann ein Lied davon singen, dass ich dann heute nicht mehr fertig werde.)
Spoiler-Alert: keine Spoiler, stürzt euch drauf!

Vìn hatte das Pech, eines der Kinder zu sein, die auf Zaarlos geboren wurden.
Die Welt hier oben auf der Eisinsel war eine kalte und feindliche. Der Wind heulte ebenso laut wie das Monster, das unter ihrem Herzen lebte, und der Schnee, der im Inneren des Militärlagers schweren Soldatenstiefeln weichen musste, türmte sich am Rand des Camps zu hohen Wehen auf. Der Trampelpfad, den Vìn so mühsam zwischen den ersten Baumstämmen des Westwaldes hindurch geschaffen hatte, war kaum noch zu erkennen. Mit zusammengebissenen Zähnen stapfte sie durch die weißgrauen Massen, die Wadenmuskeln angespannt gegen das Beißen der Kälte. Innerhalb weniger Herzschläge waren die dünnen Lederschlappen, die Elèn für sie gefertigt hatte, völlig durchweicht.

Der Eisregen während der letzten Monate war schlimm gewesen. Aber der erste Frost hatte die Männer in ihren hölzernen Baracken mit den dünnen Wänden trotzdem überrascht. Sie waren mit ihren Kriegsäxten in den Wald gestürmt, aber auch mit Feuerholz konnten sie diesen Feind nicht besiegen. Das Lazarett platzte aus allen Nähten, und zwei der Soldaten hatte die Kälte mit steifen Leibern unter die Erde getrieben. Schwächlinge waren sie, allesamt.
Vìn erfüllte der Wintereinbruch mit grimmiger Genugtuung. Sorgen um ihr Überleben hatte sie sich schon immer machen müssen. Aber wenn erst Eiswinde und Schneestürme das Militärcamp belagerten, dann zeigten sich die wahren Sieger in der Schlacht des Nordens. Vìn trug ihre Krone aus weißen Flocken, die sich kaum von ihrem wirren Haarschopf abhob, mit Stolz.

Ihre Schützlinge waren weniger begeistert von den niedrigen Temperaturen. Ein schriller Schrei zerriss den pfeifenden Wind so problemlos, dass er nur von einem Wesen kommen konnte, das Seite an Seite mit den Böen aufgewachsen war. Vìn beschleunigte ihre Schritte, trotz der schneebedeckten Felsen sicheren Fußes. Der braun gescheckte Falke, der sich so empört beschwerte, hackte mit der Wut eines Hungernden auf einen Artgenossen ein. Das kleinere Jungtier zog flatternd an seiner Kette, hatte aber keine Chance gegen das zähe Männchen. Zeuge dessen scharfer Krallen waren die Narben, die blass gegen die hellbraune Haut an Vìns Handgelenk hervorstachen.
»Genug davon«, knurrte sie den aufgeregten Falken an, der mit einem erneuten Kreischen zu ihr herumfuhr. Furchtlos begegnete ihr blitzender Blick seinen scharfen Augen, und nach einem Wimpernschlag sprang das Männchen in die Höhe. Seine geschickten Flügel fanden sofort eine Brise, und er wäre in den Schutz der Kiefern entflohen, hätte Vìn nicht das Lederband an seinem Fuß erwischt.
»Ich schau' nach, ob ich einen Happen für dich finde, ja? Nun halt' still.«
Unter Protesten aus der Vogelkehle trug sie den Falken zu dem abgehauenen Baumstamm, der ihm als Horst diente. Diesmal sorgte sie dafür, dass die Eisenkette sich nicht erneut lösen würde. Der fedrige Jäger hüpfte missmutig auf dem engen Raum hin und her und steckte dann den Kopf unter den Flügel. Er wusste, wann er verloren hatte.
Es tat Vìn weh, das stolze Tier so besiegt zu sehen. Es gab keine Rationen, auf die sie verzichten könnte, um ihm ausreichend Nahrung zu beschaffen. Vielleicht würden die kräftigeren Adler genug Beutetiere zurückbringen, um ihre kleineren Verwandten zu ernähren, aber solche Glücksfälle waren selten. Und für Vìn gab es keine Wahl, die Vögel oder ihre Geschwister zu ernähren. Die hatte es nie gegeben. Wenn der Hunger andauerte, würde sie die schwächsten Falken töten müssen, ihnen wenigstens diese letzte Freiheit schenken. Aber noch waren es aufgewühlte Gemüter und nicht schwache Körper, die ihnen der Futtermangel bescherte.

Mit einem Mal war der Falke wieder hellwach, auf einen Punkt hinter Vìn fixiert. Sie fuhr herum, einen Herzschlag, bevor ein brechender Zweig den Eindringling verriet.
Sie hätte ihn viel früher entdecken müssen. Es war nicht nur die Farbe – das Dunkelrot seiner Haare und Tunika –, die sich wie getrocknetes Blut gegen den Schnee abhob. Es waren die feine Machart seiner ledernen Beinkleider, die warmen Stiefel und die Ornamente auf seiner Weste, die ihn als Fremden in ihrer Welt auswiesen. Und doch war er Vìn nicht fremd.
Ihr Atem, zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorgepresst, bildete weißen Dampf in der klaren Luft. Die Kälte spürte sie nicht mehr – nichts wärmte so sehr von innen wie brennender Hass. Sie bemerkte erst, dass ihre Hände sich zu Fäusten geballt hatten, als der süße Schmerz von Fingernägeln in Haut sie zurück in die Gegenwart holte.

»Du hast hier nichts verloren, Kostya.« In ihren Worten schwang ein Knurren mit, und etwas tief in ihrem Inneren regte sich. Der Schnee knirschte unter seinen Stiefeln und ihr rasender Herzschlag dröhnte als Echo seiner Schritte. Dann war er bei ihr. Lohfarbene Augen blitzten auf, und geschwungene Lippen verzogen sich zu einem gefährlichen Lächeln. Sie musste den Kopf heben, um den Blickkontakt zu halten, aber sie würde nicht vor ihm zurückweichen. Nicht hier, wo die Wildnis die Randbereiche des Lagers bereits erobert hatte. Es war Zaarlos, diese schöne, sture Insel, die sie geboren und ihr Urinstinkte eingegeben hatte. Sie zwangen Vìn mit schnappenden Kiefern zu aufrechtem Stand, wenn der Winter sie niederdrücken wollte, und warnten sie mit leisem Jaulen, wenn ihre Familie in Gefahr geriet. Und jetzt, so dicht vor Kostya, dass sie seine Körperwärme spüren konnte, tropfte diesem Monster in ihrem Inneren der Geifer von den Zähnen.
Vìn war bereit, seinen Blutdurst zu stillen.

»Du irrst dich«, antwortete Kostya ihr in gedehntem Sarkasmus, »Ich bin auf der Suche nach meiner Ehre. Du hast sie nicht zufällig hier gesehen?«
Der Zorn machte sie beinahe blind. Dieser Mann hatte nie auch nur eine Spur von Ehre gehabt. Nicht, als er einen Fuß auf Zaarlos gesetzt und sie noch im selben Schritt zu einem Leben im Dreck unter seinen Stiefeln verdammt hatte. Nicht, als er die ersten Worte mit dieser kühlen, angenehmen, grausamen Stimme gesprochen hatte. Nicht, als er zum Mörder ihres jüngsten Bruders geworden war.

Ihr Monster hieb seine Klauen in den fleischlichen Käfig, der es gefangen hielt. Doch diesmal war sein Antrieb nicht nötig. Vìns Muskeln waren bereits zum Zerreißen gespannt, bereit zum Sprung. Kostya hatte nicht genug Leben, die sie ihm nehmen könnte, um ihre Familie zu rächen. Aber sie würde ihm ein Ende bereiten, das schmerzhafter war als Amiels Tod durch die Klinge des Soldaten, länger als Fjodors Verenden durch den andauernden Hunger, grausamer als das langsame Erfrieren, das Felin geraubt hatte.
Ihre Welt drehte sich in einem Strudel aus Wut und verzehrender Trauer, als ihr Sichtfeld verschwamm. Seine Augen waren das Einzige, das sie noch klar erkennen konnte, und das Funkeln in ihnen hätte sie warnen sollen. Doch als das Ungeheuer unter ihrem Herzen sich mit einem Brüllen nach vorn warf, auf seine Beute, die ein ebenso gefährlicher Räuber war, sprang sie ebenfalls los.
Kostya wich schneller vor ihr zurück, als sie erwartet hatte. Er brachte einen der unbewohnten Adlerhorste zwischen sich und Vìn, und bevor sie über den Baumstamm hinwegsetzen konnte, nickte er nach rechts.
»Du willst diese Szene nicht unschön machen, wenn wir ein derart junges Publikum haben.«
Ihr Monster jaulte frustriert auf, als sie es mit aller Kraft zurückdrängte. Ein Schweißtropfen rann ihre Schläfe hinunter, und sie musste tief durchatmen, um die Kontrolle wiederzuerlangen. Sie hasste Kostya für alles, was er getan hatte. Und sie hasste, dass er recht behielt.

In den Überresten einer zerfallenen Soldatenbaracke kauerte ein Bursche von kaum sieben Jahren. Seine Kleider waren schlammbesprizt und er wäre zwischen den morschen Holzbalken nicht aufgefallen, wäre sein Schopf nicht von reinem Goldblond gewesen. Er hätte nicht hier sein sollen. Doch Leiv hatte das Talent, immer dort aufzutauchen, wo er nichts zu suchen hatte.
Kostya machte einen einzigen Schritt in seine Richtung. Vìn zuckte zusammen – jetzt war es Furcht, die ihr Herz rasen ließ. Der Feind stand zwischen ihr und ihrer Familie, und Leiv hatte mit großen Augen seine Schwester fixiert. Als Kostya über seine Schulter zu ihr zurücksah, ließ sein Grinsen sie erneut aufknurren.
»Sei dankbar, dass er ein kleiner Junge ist.« Die Kälte in seiner Stimme ging ihr bis ins Mark. »Einen Kampf mit mir überlebst du nicht.«
Kostya wandte sich um und ging. Für einige Wimpernschläge verharrte sie wie steifgefroren – für den Hass, der in ihr aufwallte, gab es keine passende Reaktion. Nur Vìns Augen folgten der hochgewachsenen Gestalt, und ihr Ungeheuer tigerte in seinem Käfig auf und ab. Kostya irrte sich. Sie würde überleben, sie würde gewinnen, sie würde töten. Und Leiv war kein kleiner Junge.

Ihr Gesicht war eine Grimasse, als sie sich von Kostya losriss und ihren Fokus auf ihren Bruder richtete. Sie konnte nicht zulassen, dass ein einziger Mann ihre Prioritäten derart durcheinanderwarf. Er hätte Leiv niemals vor ihr entdecken dürfen, und erst recht nicht zwischen sie treten. Egal, wie sehr sie den Mann hasste, sie konnte nicht zulassen, dass er sie erneut derart ablenkte. Das Wohlergehen ihrer Familie musste vorgehen – sollte Kostya sich vorerst in Sicherheit wiegen. Ihr Tag würde kommen.
Leiv sprang jetzt an ihre Seite und klammerte sich an ihren Beinlingen fest. Sein sonst so vorlautes Mundwerk war verstummt. Doch als er zu ihr aufsah, erkannte sie eine Spiegelung ihres Zorns in seinen Augen.
Kein Junge konnte eine derartige Wildheit in sich tragen. Und kein siebenjähriger Knabe hätte auf Zaarlos überlebt. Frauen waren hier nicht gestattet, und wenn doch eine verängstigte Ehegattin oder geschmuggelte Hure entdeckt wurde – meist, weil sie ein Kind gebar –, dann wartete ein Schiff direkt zum Richter des Königs auf sie. Die Kinder wurden in den Schnee geworfen, und wenn sie durch die Hände ihrer Leidensgenossen überlebten, dann waren sie nicht viel wert in der Hackordnung der Söldnerarmee. Sie standen noch unter den Pferden der wenigen Kavalleristen, vielleicht auf einer Stufe mit den streunenden Hunden, die um die Randbereiche des Lagers herumschlichen. Doch insgeheim, zumindest in ihren Köpfen und vielleicht auch im Sinne der Insel selbst, gehörte Zaarlos ihnen.

Sie waren die, deren Leiber aus dem Schlamm und Lehm unter den Stiefeln dieser Eroberer geschaffen worden waren. Sie kannten die Gesetze von Wind und Regen besser als sie, die sich Hütten zum Schutz bauten, denn abgesehen vom Himmelszelt hatten sie niemals ein Dach über dem Kopf gehabt. Und sie bekamen kein Fieber, wenn sie sich in eisigen Nächten zitternd aneinanderdrängten, weil ihre Körper den Verhältnissen der Insel perfekt angepasst waren. Sie mochten Bastarde sein, doch ihre Eltern kannten sie wie sich selbst. Die braune Erde und der graue Himmel hatten sie geboren: sie waren Zaarlos-Bastarde.

Selbst die jüngsten der zwölf Bastarde waren zäh und unbeugsam. Leiv hatte sich schon wieder von der unverhofften Begegnung mit Kostya erholt – in seine grünen Augen trat das vertraute Funkeln. »Ich will nach Zacharias sehen! Komm schon, Vìn!«
Sie ließ sich von dem Halbwüchsigen zum Waldrand ziehen, nur einen einzigen Blick zurückwerfend – dorthin, wo Kostya verschwunden war. Dann verlangte das sprühende Energiebündel, das ihr Bruder war, wieder ihre volle Aufmerksamkeit, und dafür war sie ihm insgeheim dankbar. Sie wunderte sich nicht, dass er den verborgenen Trampelpfad erkannte, der zu den größeren Horsten führte. Leiv interessierten Grenzen nicht, die unüberschreitbar waren, und fand aus jedem Winkel einen Ausweg. Er führte sie zielstrebig zu dem brusthohen Holzpodest, das den Greifern als Beuteplatz diente, und das jetzt wider aller Hoffnung nur wenig zu sehen bot. Die beiden Hörnchenkadaver, die die Adler gebracht haben mussten, gaben nicht viel Blut ab, und trotzdem war der Schnee unter dem Gestell scharlachrot verfärbt. Leiv zuckte vor dem grotesken Anblick nicht zurück, sondern verfolgte eine Blutspur zum Unterholz. Vìn ließ ihn davontollen und nahm die Beutetiere an sich. Mit der dünnen Lederschnur, die ihr als Gürtel diente, band sie sich die Grauhörnchen an die Hüfte. Die ursprüngliche Farbe ihrer Tunika war nicht mehr zu erkennen, einige Blutflecken konnte sie verkraften.

»Vìn! Ich hab' was gefunden!«
Leiv kam ihr entgegengelaufen und winkte sie hastig näher. Als sein Blick auf die Kleintiere an ihrem Gürtel fiel, hielt er kurz inne. Ihr Herz zog sich zusammen, als sie den Hunger in seinem Ausdruck erkannte, doch der Halbwüchsige schüttelte kurz den Kopf und tauchte dann wieder ins Unterholz ab. Sie folgte ihm flink durch die Dornenbüsche, und als sie sich wieder aufrichtete, wurde sie von einem vertrauten Krächzen begrüßt. Auf einem kahlen Kiefernast über Leivs Kopf hockte ein mächtiger Nordgeier, der die grauen Federn aufplusterte und seinen kahlen Hals zu Vìn herunterbeugte.
»Hallo, Zacharias«, grüßte sie ihn mit einem Lächeln. Der Geier ließ sich das helle Brustgefieder streicheln und knabberte zärtlich an ihrem Ohr. Er hatte bereits am Waldrand gelebt, als sie die Pflege der Jagdgreifer übernommen hatte, und war innerhalb weniger Tage zu ihrem Liebling geworden. Zacharias wusste das und erlaubte sich mehr Fehltritte als die übrige Vögel – gestohlene Mäuse waren keine Seltenheit –, aber für ihn steckte Vìn bereitwillig die eine oder andere Strafe ein.

»Hier unten, Vìn!« Leiv hatte sich in den Schnee gehockt und die Äste eines Moosbeerenstrauchs auseinandergezogen. Vìn kniete nieder, und das Erste, was sie unter den Zweigen sah, war Blut. Aus der Hinterhand eines Tierkadavers tropfte der purpurne Lebenssaft, und ihre Finger verfärbten sich sofort, als sie Zacharias' Beute ins Freie zog. Dann wurde sie genauso starr wie das Tier vor ihren Füßen.
Der schmale Kopf mit den langen, nur leicht gewundenen Hörnern war unverkennbar. Mit dem rotbraunen Fell erinnerte der Paarhufer an ein Reh, doch er hatte einen gedrungeneren Körper und stabilere Knochen.

»Was ist das?« Leiv stupste die Beute mit einem Stock an.
»Ein Duygu. Elèn hat dir davon erzählt.«
»Aber sie hat gesagt, die gibt's nicht mehr!«
»Das dachte ich eigentlich auch.«
Mit Pfeil und Bogen bewaffnete Soldaten hatten bereits die Elche und Hirsche ausgerottet, die den Nadelwald durchstreift hatten. Vìn hatte viele Jahre kein Duygu mehr gesehen, doch das tote Männchen zu ihren Füßen war noch jung. In den Tiefen des Waldes musste sich noch irgendwo eine Familie versteckt haben.

»Weißt du, was Major Narvik mir erzählt hat? Wofür die Alten Stämme Duygus verwendet haben?«
Leiv warf einen skeptischen Blick auf den Kadaver und riet: »Besonders leckeren Eintopf?«
Vìn fing seinen Blick auf. »Dolche, Leiv. Aus den Hörnern haben sie Griffe gemacht und aus den Oberschenkelknochen Klingen.«
Er riss die Augen auf und formte mit den Lippen ein stummes »Waffen!«
Sie nickte und packte die Hinterhand des Duygus mit beiden Händen. Sie brauchte Leivs Hilfe, um das Bein vom steifen Körper zu trennen, doch letztendlich schickte sie ihren Bruder mit der Keule los. »Gib das den Falken. Sie sollen den Knochen abnagen, und dann kommst du wieder zu mir. Pass' bloß auf, dass dich niemand sieht.«
Leiv eilte davon, und Vìn wandte sich dem Kopf des Kadavers zu. Das Gehörn schnitt in ihre Hand, als sie sich damit abmühte, es aus dem Schädel zu brechen. Ihre Finger waren verklebt von Blut, aber sie begrüßte die Wärme, die es durch ihre Haut sandte. Sie arbeitete stumm und schnell, Leiv immer wieder mit Fleischstücken losschickend. Es durfte keine Spur des Duygus übrigbleiben, wenn sie ihr Vorhaben überleben wollte.

Als Zacharias schließlich mit einem leisen Schrei aufflog, richtete sie sich auf und suchte den Himmel ab. In all dem Grau war die Sonne nur eine leise Ahnung über den westlichen Schlafhütten des Lagers. Wenn sie noch rechtzeitig zu Ravell kommen wollte, musste sie sich beeilen.
»Rasch, zurück nach Hause«, befahl sie Leiv, »Und kein Wort zu niemandem über das Duygu. Nicht einmal zu Elèn.«
Zum Truppenkoch würde sie ihren Bruder nicht mitnehmen, so sehr er auch bettelte. Dem strengen Blick aus braungelben Augen wollte sie ihn nicht aussetzen. Ravell beschwerte sich ganz wie erwartet über die karge Ausbeute des Abendfangs und verkürzte ihren Lohn, was Vìn zähneknirschend hinnehmen musste. Ein einziger Skefill fand den Weg in ihre Taschen, und sie fragte sich unwillkürlich, ob sie nicht sogar das Doppelte hätte herausschlagen können, hätte sie gebettelt. Nur den Ältesten der Bastarde war es gestattet, für ihre Arbeit entlohnt zu werden; die Kinder bekamen, wenn sie Glück hatten, nur ab und zu eine Mahlzeit spendiert. Und Skefli waren die einzige Währung, die bei den Soldaten zählte. Man konnte die stählernen Vierecke zu Waffen schmelzen lassen, hatte man genug davon angesammelt, doch die Offiziere sorgten dafür, dass das den Bastarden niemals gelang. Immerhin konnten sie sich Medizin und Kleidung dafür besorgen.
Doch Betteln kam für Vìn niemals in Frage, schon gar nicht gegenüber von Ravell, der erst vor zwei Wintern nach Zaarlos gekommen war. Sie würde sich erst vor ihm verneigen, wenn es auch die Nordberge taten. Die Bastarde waren auf sich allein gestellt – Hilfe von den Offizieren oder gar dem Colonel hatten sie nie erwarten können. Vìn vertraute nur sich selbst und ihrem Körper, der den schlimmsten Stürmen trotzen und gegen die stärksten Soldaten ankommen konnte. Aufrecht wie die stolzen Berge, biegsam wie die jungen Bäume und sehnig wie die jagenden Wölfe: Zaarlos-Bastard.

Vìn bahnte sich einen Weg durch das Lager, ausweichend und sich duckend, weil niemand auf die Idee kam, ihr Platz zu machen. Ihre Bewegungen waren rasch und instinktiv, und als ein Soldat ihr einen Fluch hinterherwarf, war sie verschwunden, bevor er nach ihr ausholen konnte. Auf dem Hauptplatz des Camps, zwischen den beiden Pavillons, in denen die Männer ihre Mahlzeiten einnahmen, herrschte geschäftiges Treiben. Eine Holzbühne wurde an der Stirnseite aufgebaut, und neue Rekruten mühten sich damit ab, der Schneewehen Herr zu werden. Sie bereiteten den Platz für die Übungskämpfe vor, die an jedem Vollmond abgehalten wurden – die Soldaten wetteiferten Mond für Mond um Ehre und Privilegien. Teilnahmeberechtigt war jeder, der Hand an eine Waffe bekam, und damit jeder abgesehen von den Bastarden. Als Vìn ihre Schritte am Rand des Platzes beschleunigte, zuckte ein Bild durch ihren Kopf, ein Bild von Knochensplittern, die jetzt unter Schnee begraben lagen.
Sie hielt ihre Versprechen. Und sie würde Kostya zeigen, dass er sich mit den falschen Bastarden angelegt hatte.
Überleben. Gewinnen. Töten.

Mit stur vorgeschobenem Kinn überwand sie die letzte Distanz zu dem Bretterstapel, der sich ganz am Rand des Lagers auftürmte. Erst, als sie darüber hinweg in das Versteck huschte, verstummten ihre unruhigen Gedanken, denn ihr rastloses Herz kam hier zur Ruhe. Neun Augenpaare sahen ihr entgegen, in den unterschiedlichsten Farben und mit grundverschiedenen Ausdrücken, doch sie waren vertrauter als ihre eigene Spiegelung im Wasser. Zwei fehlten, aber Ikka und Torren stießen gewöhnlicherweise erst spät zu ihnen. In der kegelförmigen Schlucht zwischen der letzten Schlafbaracke und der Waffenhütte hatten sich Kistenstapel und Deckenhaufen zu Nischen gebildet; ein Lager im Lager, wo die Verhältnisse noch bedauerlicher, aber die Menschen umso widerspenstiger waren. Sie klammerten sich an jeden letzten Strohhalm ihres Lebens, obwohl sich die Umstände gegen sie gewandt, obwohl niemand gewollt hatte, dass sie es schafften. Sie waren stur und dreckig und rau und wild. Das hier war der Unterschlupf der Bastarde.
Vìns Zuhause.

Die Szene zwischen Vìn und Kostya sollte euch aus Challenge 5 bekannt vorkommen - aber es ist mir hoffentlich gelungen, sie mit verstärkten Emotionen aufzupolieren. Vìn ist mit ihren Gefühlen sehr sprunghaft, das ist gar nicht so einfach, zu schreiben - also würde mich konstruktive Kritik sehr freuen!

Soo, und hier hätten wir die erste Version des Kapitels, die schon einige Monate alt ist. Die habe ich genau so gelassen, wie sie mir aus den Fingern geflossen ist, meine ersten Zeilen aus Vìns Sicht.

Vìn hatte das Pech, eines der Kinder zu sein, die auf Zaarlos geboren wurden.
Sie waren nicht viel wert in der Hackordnung des Söldnerarmee, die die Eisinsel besiedelte, und standen ganz klar unter den Pferden der wenigen Kavalleristen – vielleicht auf einer Stufe mit den streunenden Hunden, die um die Randbereiche des Lagers herumschlichen. Die Soldaten warfen ihnen verächtliche Blicke zu, wenn sie sie gelegentlich wahrnahmen, als wären sie unerwünschtes Ungeziefer, vor dem sich die höhere Spezies ekelte. Doch insgeheim, zumindest in ihren Köpfen und vielleicht auch im Sinne der Insel selbst, gehörte Zaarlos ihnen.

Sie waren die, deren Leiber aus dem Schlamm und Lehm unter den Stiefeln dieser Eroberer geschaffen worden waren. Sie kannten die Gesetze von Wind und Regen besser als sie, die sich Hütten zum Schutz bauten, denn abgesehen vom Himmelszelt hatten sie niemals ein Dach über dem Kopf gehabt. Und sie bekamen kein Fieber, wenn sie sich in eisigen Nächten zitternd aneinanderdrängten, denn ihre Körper waren den Verhältnissen der Insel perfekt angepasst. Sie mochten Bastarde sein, doch ihre Eltern kannten sie wie sich selbst. Die braune Erde und der graue Himmel hatten sie geboren: sie waren Zaarlos-Bastarde.

Die Offiziere gestatteten denjenigen von ihnen, die älter waren als sechzehn Jahre, durch einige Arbeiten Skefli zu verdienen. Diese stählernen Rechtecke waren die einzige Währung, die auf Zaarlos zählte. Hatte man ausreichend Skefli angesammelt, konnte man sie einschmelzen lassen, um eine Waffe daraus zu formen, doch die Truppenführer stellten sicher, dass das keinem der Bastarde gelang. Immerhin konnte man auch Kleidung dafür bekommen, oder Medizin.

Ihre dünnen Lederschuhe, die Vìn selbstgemacht hatte, waren vom Schnee fast durchweicht, und es fielen still und beinahe unmerklich schon wieder neue Flocken vom Himmel. Missmutig starrte sie in den grauen Himmel hinauf, an dem nicht einmal eine Ahnung der Sonne zu erkennen war, was es beinahe unmöglich machte, den Tageszeitpunkt zu bestimmen. In den Wintermonaten bekamen sie diese kaum zu Gesicht, und selbst im Sommer war sie nur am Südhimmel zu sehen und wirkte kaum größer als ein Geierei. Ihr alter Lehrer, Major Narvik, hatte berichtet, dass sie auf der Südinsel als große Scheibe zu sehen war, strahlend hell und den längsten Teil des Jahres wärmespendend, doch davon war hier im Norden nichts zu bemerken.

Im Inneren des Lagers wichen die Schneewehen zwar Tausenden von Füßen, die sie Tag für Tag platttrampelten, doch in den Außenbereichen türmte sich die weiße Masse bergehoch auf. Es hatte in der letzten Nacht so viel geschneit, dass der Trampelpfad, den sie mühsam an der Westseite des Lagers geschaffen hatte, zugeweht worden war. Mit zusammengebissenen Zähnen stapfte sie durch den Tiefschnee und spürte das Beißen der Kälte an ihren Waden, als ihre Beinkleider sofort durchnässt wurden. Ihr Ziel waren die Vogelhorste, in denen Greifer hausten, Adler und Falken, die dazu abgerichtet waren, Beutetiere ins Lager zu bringen. Die Südspitze von Zaarlos war von einem Nadelwald geprägt, der unzählige kleinere Huftiere und Nager beherbergte, die von Menschenhand schwer zu erlegen waren. Die größeren Elche hatten die Soldaten längst ausgerottet. An der Nordgrenze des Lagers begann eine massive Bergwand, die sich von Küste zu Küste zog und die unüberwindbar schien, und der Seeweg war von tückischen Riffen versperrt. Alle Erkundungsmissionen nach Norden waren bisher gescheitert – aber es hatte sie auch noch nie einer der Bastarde begleitet.

Ein schrilles Kreischen ließ Vín mit wachen nebelwaldgrünen Augen die Umgebung absuchen, doch als ihr Blick auf zwei junge Falken fiel, die sich mit aufgesperrten Schnäbeln attackierten, konnte sie nur die Augen verdrehen. »Ruhe«, knurrte sie und ruckte an der Leine, die zum Fuß des größeren der beiden führte, dann las sie eilig die Federn auf, die die Vögel verloren hatten. Elèn würde sicher einen Nutzen für sie finden. Sie ignorierte die kleineren Greifvögel, deren Fang sie bereits entgegengenommen hatte, bevor der Schneefall eingesetzt hatte, und schob sich weiter durch den Schnee zu einem brusthohen Holzpodest, auf dem die Kadaver zweier Grauhörnchen lagen. Und – sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken – ein totes Duygu, das mit dem gehörnten Kopf über die Seite des Holzgestells hing. Der Schnee unter dem Podest hatte sich scharlachrot verfärbt, ein Blutbad in der Mitte der weißen Reinheit. Im rotbraunen Fell des Duygus hatten sich Schneeflocken verfangen und die zarten gespaltenen Hufe waren starr in die Luft gereckt. Es war kleiner als ein Reh und hatte einen gedrungenen Körper, aber seine Knochen waren wesentlich stabiler und der schmale Kopf eignete sich gut, um in Asthöhlen nach zarten Trieben zu suchen.

Vìns Blick glitt nur kurz zu den beiden Adlern, die frei von Ketten auf ihren Baumstämmen hockten, dann kündigte ein vertrautes Rauschen den Anflug ihres liebsten Greifers an. Mit einem heiseren Krächzen landete ein gewaltiger Geier auf dem Rand des Plateaus, schüttelte kurz sein graues Gefieder und streckte ihr dann neugierig seinen blutverschmierten Kopf entgegen.
»Hallo, mein Freund«, grüßte sie den Nordgeier zärtlich und strich ihm kurz mit den Fingern über den Schnabel, »Verrätst du mir, wen du gefressen hast? Du weißt, dass ich dir keine zusätzliche Ration bringe, wenn du deine Beute selbst verzehrst.«
Der Geier, den sie Zacharias getauft hatte, bewahrte würdevolles Stillschweigen.
Ihre Mundwinkel zuckten, dann wandte sie sich dem Duygu zu und packte es mit kritischem Blick an seinem Gehörn, das beinahe so lang wie ihre Hand war. Ein Männchen, ausgewachsen. Mit etwas Mühe gelang es ihr, dem Huftier die Hörner aus dem Schädel zu brechen. Den Kadaver verteilte sie an die Raubvögel, nur die Hinterbeine vergrub sie im Schnee. In den nächsten Tagen würde sie die Keulen Zacharias zum Fraß vorwerfen, dann konnte sie aus den blankgeputzten Knochen Dolche machen.
Das Blut des Beutetieres bedeckte ihre Hände, aber sie begrüßte das warme Gefühl auf ihrer Haut. Zu dieser Jahreszeit war es selten, die eigenen Finger zu spüren. Dennoch musste sie sich im Schnee reinwaschen, bevor sie die beiden steifen Grauhörnchen an ihren Schwänzen packte, damit Ravell keinen Verdacht schöpfte. Der Truppenkoch überwachte die Menge der Kadaver, die sie ihm brachten, mit strengem Blick.

Wie erwartet tauchte die Furche zwischen seinen dichten Augenbrauen auf, sobald sie die Grauhörnchen auf eine seiner steinernen Arbeitsplatten in der großräumigen Hütte legte. Die Wände waren rußgeschwärzt, aber stabiler als in den Baracken weiter südlich, und das kegelförmige Dach ließ eine Öffnung in der Mitte der Hütte frei, wo sich ein Brunnen befand, der momentan zu einem Drittel schneegefüllt war. Vìn spürte, wie ein Schweißtropfen ihre Stirn herunterrann und musste sich zusammenreißen, steif stehenzubleiben. Der Temperaturunterschied war dank der lodernden Feuer, die im Halbkreis nahe der Außenwand entfacht worden waren, selbst für ihren abgehärteten Körper unangenehm.
»Zwei Hörnchen?« Aus seinen unangenehm hellbraunen Augen starrte Ravell sie an, hatte die Nagetiere nicht einmal genauer untersucht. »Du sagst, du schickst meine besten Greifer für den Abend aus, und was du mir bringst sind zwei Hörnchen
Sie antwortete, ohne mit der Wimper zu zucken. »Der Steinadler wirkte kränklich. Der Kälteeinbruch macht ihm zu schaffen.«
»Dann gib ihm deinen Schlafplatz und hocke dich selbst in den Schnee, aber sorg' dafür, dass ich meine Beute bekomme!«
»Ja, Sir.«
»Abtreten.«
Sie rührte sich nicht. »Mein Lohn.«

Der kräftige Mann fuhr auf den Absätzen seiner matten schwarzen Stiefel zu ihr herum und sein schmaler dunkler Zopf peitschte ihm ins Gesicht. Vìn reckte ihr Kinn vor und wich nicht zurück, achtete aber darauf, seinem zornblitzenden Blick nicht zu begegnen. Sie hatte kein Bedürfnis für eine gebrochene Nase. »Sir.«
»Für diesen Hungerhappen willst du belohnt werden?«, fauchte Ravell wutentbrannt, doch sie wusste, dass er nur ein Schauspiel aufzog. »Und Morgen soll ich dir dann Almosen geben, was?«
Sie blieb stumm stehen, die Schultern zurückgereckt und die Augen fest auf seine breiten Schultern gerichtet. Sie mochte mittellos sein und verzweifelt, aber die Bastarde bettelten nicht. Ravell wandte sich mit einem Knurren den Grauhörnchen zu und langte nach einem Beil, das an der Wand hing. Mit zwei raschen Bewegungen trennte er den Nagetieren die Köpfe ab, wischte sich das spritzende Blut von seinen Ärmeln und rümpfte abfällig die Nase. Sie blieb, bis er ihr einen einzigen Skefill zugeworfen hatte, ohne sich umzudrehen, dann trat sie die Flucht an.

Sie musste furchterregend aussehen, wie sie durch das Lager stapfte, mit einer Miene, die finsterer war als der wolkengeballte Himmel. Ständige Erniedrigungen waren schwer zu schlucken, auch wenn man seit dem Tag seiner Geburt damit zu kämpfen hatte. Innerlich verfluchte Vìn ihren Stolz, über den Milos zu Recht den Kopf schüttelte. Ein gekürzter Lohn bedeutete Hunger, und vielleicht hätte Ravell ihr einen Zuschlag gegeben, wenn sie sich entschuldigt und darum gebeten hätte. Aber Zaarlos war ihre Heimat, der Ort, der sie geboren hatte – und der Koch war erst vor zwei Wintern hier angekommen. Sie würde sich erst vor ihm verneigen, wenn es die Nordberge ebenfalls taten.         

Ihre Möglichkeiten waren begrenzt. Sie konnte sich nicht bei einem der Offiziere beschweren, ohne zu riskieren, ihre Stelle zu verlieren, und helfen würden sie ihr ohnehin nicht. Seit jeher waren auf die Bastarde auf sich allein gestellt, aber das war gut so. Es hatte sie stark gemacht. Vìn vertraute nur sich selbst und ihrem Körper, der den schlimmsten Stürmen trotzen und gegen die stärksten Soldaten ankommen konnte. Aufrecht wie die stolzen Berge, biegsam wie die jungen Bäume und sehnig wie die jagenden Wölfe. Zaarlos-Bastard.

In ihrer Brust schlummerte ein Ungeheuer, dessen Urinstinkte von der Insel selbst kamen. Es knurrte, wenn die Söldner ihr zu nahe kamen, und jaulte, wenn sie ihren Stolz mit Füßen traten, aber wenn ihre Familie, ihre Bastarde bedroht wurden, dann brüllte es.
Es kam nur selten vor, dass das Monster in ihrem Inneren schnurrte. Aber als sie sich ihren Weg durch die Soldaten bahnte, sich duckend und ausweichend, weil niemand auf die Idee kam, ihr Platz zu machen, und sich plötzlich eine Gestalt an ihre Fersen heftete, legte es zumindest beruhigt sein Fell an. Es gelang nicht vielen Menschen, ihren raschen, instinktiven Bewegungen durch das Lager zu folgen.

Der junge Mann, zu dem sie sich nicht einmal umdrehen musste, um ihren Weg mit seinem abzustimmen, gab ein gänzlich anderes Erscheinungsbild als sie. Wo ihre Haut der Farbe von frischem Lehm glich, war seine von einem satten Dunkelbraun, und er war wesentlich größer und muskulöser als sie. Beide waren mit einem dunklen Schopf geboren wurden, doch die Kälte hatte nach und nach jede Farbe aus Vìns Haaren gezogen, sodass ihre weißen Strähnen zu seinen schwarzen jetzt einen grotesken Kontrast bildeten. Und während sie dreinblickte, als stünde sie kurz vor einem Mord, stand in seinen dunklen Augen ein offener, freundlicher Ausdruck, stoisch geradeaus gerichtet, der durch keine der ihnen hinterhergerufenen Beleidigungen verrutschte.

Als sie sich von der Lagermitte entfernten und das Gedränge weniger wurde, trat er an ihre Seite.
»Hab' den ganzen Tag Bote für Wyck gespielt. Ich wäre auch einmal zur Küste gekommen, und zurück, so viel, wie ich heute gelaufen bin. Du glaubst nicht, was alles los war!«
»Das kann ich nicht beurteilen, bevor du es mir nicht erzählt hast.«
Seine Zähne blitzten in seinem dunklen Gesicht hell auf, als er ihr ein Grinsen schenkte. »So ungeduldig. Nun, die Männer der letzten Mission sind zurückgekommen, angeblich haben sie einen neuen Pfad entdeckt, wollten aber erst die Meinung des Colonels hören, bevor sie ihn erkunden. Wyck hat mich zwischen Lazarett, Haupthaus und Schlafbaracken Runden laufen lassen, es gab immer irgendeine Information, die er noch brauchte.«

Sie zuckte die Schultern, es war nicht der Lagerklatsch, der sie interessierte. »Und? Skefli?«
»Keine, ich glaube, die fehlen ihm gerade selbst. Aber vielleicht kann ich Morgen an seinem Training teilnehmen.«
»Lass dir keinen Bären aufbinden, Wyck ist Offizier, dem fehlt's an nichts!«
Vìn wartete vergeblich auf eine Erwiderung und schenkte dem Jungen zu ihrer Linken einen raschen Blick. Er war zu lebensfroh, um wirklich missmutig dreinzuschauen, aber er hatte doch die Lippen leicht geschürzt. Nach einigen Augenblicken des Schweigens stieß sie ihm kameradschaftlich gegen die Schulter, er fing sich mit einem Ausfallschritt ab und zog die Mundwinkel hoch.
»Bastard.«
»Gleichfalls.«

Sie waren schon immer ein Zweiergespann gewesen, Vìn und Milos, seit sie in ihrem ersten Winter das Licht der Welt erblickt hatten. Sie zählten zu den ältesten Bastarden, hatten niemanden gehabt, der mit ihnen sein Essen teilte oder eine Decke zum Schlafen, aber irgendwie hatten sie sich durchgeschlagen. Und wenn sie sich über seine Gutmütigkeit beschwerte und er sich über ihren Biss, dann lag das daran, dass sie sich umeinander sorgten. Wenn sie ihn rügte, weil er sich mit Übungsstunden – die ihm keinen vollen Magen bescheren würden – anstelle von Skefli bezahlen ließ, tat sie das, weil es niemand anderen kümmerte. Was nicht hieß, dass es ihn begeisterte.

»Wenn ich richtig gut werde, überlässt mir Wyck vielleicht sogar ein Schwert! Du weißt, dass er mich mag.« Was bedeutete, dass er noch nie versucht hatte, Milos umzubringen. »Und mit einer eigenen Waffe könnte ich endlich an den Turnieren teilnehmen.«
Turnier war ein sehr beschönigender Begriff für die Kämpfe, in denen die Soldaten um Privilegien wetteifern konnten. Teilnahmeberechtigt war jeder, der Hand an eine Waffe bekam, aber auch wenn sie alle zusammenlegten, die Bastarde hatten es nie zu einem Schwert geschafft. Ein Gedanke schoss durch Vìns Kopf, absurd und abwegig – es gab keine Regel, die besagte, dass Dolche nicht als Waffen zählten. Messer aus den Knochen eines Duygus. Das Monster unter ihrem Herzen hob den Kopf und spreizte witternd die Nasenflügel, aber sie schüttelte vehement den Kopf und beschleunigte ihre Schritte. Sie wusste, dass Milos ihr einen neugierigen Blick schenkte, aber sie wandte die Augen störrisch nicht von ihrem Ziel ab.
Als sie über einen wackeligen Bretterstapel hinweg in ihr Versteck huschte, verstummten jegliche Gedankenspielereien, denn ihr rastloses Herz kam hier zur Ruhe. Acht Augenpaare sahen ihr entgegen, in den unterschiedlichsten Farben und mit grundverschiedenen Ausdrücken, aber sie waren vertrauter als ihre eigene Spiegelung im Wasser. Zwei fehlten, aber Ikka und Torren stießen gewöhnlicherweise erst spät zu ihnen. In der kegelförmigen Schlucht zwischen der letzten Schlafbaracke und der Waffenhütte hatten sich Kistenstapel und Deckenhaufen zu Nischen gebildet, ein Lager im Lager, wo die Verhältnisse noch bedauerlicher, aber die Menschen umso widerspenstiger waren. Sie lebten hier, obwohl sich die Umstände gegen sie gewandt hatten, obwohl niemand gewollt hatte, dass sie es schafften. Sie waren stur und dreckig und rau und wild. Das hier war der Unterschlupf der Bastarde.
Vìns Zuhause.

Mir persönlich gefällt die neue Version wesentlich besser, auch wenn das sicher nicht die finale Version sein wird. Übrigens ist es beabsichtigt, dass man Kostya noch nicht als Colonel kennenlernt - das spart er sich für einen dramatischen Auftritt bei den erwähnten Wettkämpfen auf. Was haltet ihr von diesem ersten Kapitel? Ich bin gespannt auf eure Meinungen!

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