Kapitel 5
Überrascht konnte Noah seinen Blick nicht von seinem Arm lösen. Er strich vorsichtig über die Stelle, wo vor einigen Sekunden noch eine Wunde gewesen war. "Wow Lonan, das war unglaublich...", murmelte er.
Stolz lächelte ich. Es war eine mir verliehene Gabe, mit meinem Blut Menschen heilen zu können. Noah blickte zu mir auf und sah mir so tief in die Augen, dass ich Angst hatte, er würde bis auf den Grund meiner Seele blicken können.
Dann fiel mir auf, dass unsere Gesichter nur wenige Zentimeter von einander entfernt waren. Die Luft schien geladen zu sein und es herrschte nur absolute Stille.
Plötzlich hörte ich wie der Schlüssel im Haus umgedreht wurde und zuckte zurück. Noah hatte es wahrscheinlich nicht gehört. "Noah, unters Bett mit dir. Meine Mutter ist nach Hause gekommen!" Panisch sprang ich hoch und scheuchte Noah unters Bett. Doch sein Arsch war etwas zu fett und ich musste das Bett anheben, damit er drunter kriechen konnte.
Mühevoll unterdrückten wir ein Lachen, als es auch schon an meiner Zimmertür klopfte. "Herein!", rief ich. Meine Mutter öffnete die Tür und streckte den Kopf ins Zimmer. "Hallo Schätzchen. Ich bin wieder zu Hause und gehe dann jetzt auch schlafen. Tut mir leid, aber es war ein anstrengender Tag. Hast du denn schon etwas gegessen?" Ich nickte und bekam ein Gähnen als Antwort. Ich wollte aber auch nicht, dass sie sich länger als nötig von mir aufgehalten wurde.
"Ist gut Mum. Ich wünsche dir eine gute Nacht, schlaf gut!" Mit einem Nicken und einem gemurmelten "Du auch!" wandete sie sich ab und lief ins Schlafzimmer. Als ich hörte wie die Tür zu schlug, bückte ich mich zu Noah runter.
"Ok, du kannst jetzt wieder raus kommen. Sie wird jetzt wirklich schlafen gehen, also müssen wir leise sein." Noah nickte und wieder musste ich das Bett anheben, damit er durch passte.
Als er hervorkroch, waren seine pechschwarzen Haare mit feinen Staubfuseln bestückt, ebenso wie seine restliche Kleidung. Entschuldigend lächelte ich und zupfte sie sorgsam aus seinen Haaren. Dabei bemerkte ich, dass sie wirklich weich waren und die perfekte Länge zum durchwuscheln haben.
Es gab noch eine Sache, die mich neugierig machte. War Noah eigentlich größer als ich? Unaufällig trat ich einen Schritt näher und tat so, als würde ich Fusel ganz hinten aus seinen Haaren fischen, dabei maß ich heimlich unsere Größen. Tatsächlich war er einen halben Kopf kleiner als ich. Keine Ahnung wieso, aber das stellte mich zufrieden.
"Und Noah, hast du einen Film aussgesucht?", fragte ich so beiläufig wie möglich. Er nickte eifrig und auch die letzten Fussel lagen nun auf meinem Boden. Kritisch sah ich hinunter. "Wegen dir muss ich hier morgen staubsaugen..." Gespielt dramatisch seufzte ich. Noahs Grinsen war ansteckend.
Noah drückte auf Play und ich stellte die Lautstärke soweit runter, dass meine Mutter in Ruhe schlafen konnte. Wir guckten "Annabelle" und Noah war definitiv nicht für dieses Filmgenre geeignet. Bei jedem Jumpscare erschreckte er sich zu Tode und klammerte sich am nächstbesten Gegenstand fest, darunter auch nicht selten meine (jetzt zerdrückte) Hand.
Innerlich schüttelte ich den Kopf über ihn, erlöste ihn aber nicht von seinem Schicksal. Schließlich war es ja seine Idee gewesen. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als der Film wohl gerade besonders gruselig war, denn Noah rutschte näher zu mir und griff wie so oft schon an diesem Abend nach meiner Hand, um diese zu zerquetschen.
Damit er aber meine Finger nicht zermürbte, verschränkte ich unsere Hände lieber. Unter anderen Umständen würde ich es unangenehm finden, die schwitzige Hand von jemandem zu halten, aber bei Noah war das in Ordnung. Ich ließ ihm viel zu viel durchgehen...
Noah kuschelte sich an mich und ich merkte, wie er immer müder wurde. Teilweise sah er gar nicht mehr zum Fernseher, sondern blickte verträumt auf unsere verschränkten Hände. Nach einer Weile merkte er, dass ich ihn ansah, denn er hob die Augen und lächelte.
Mein Herz schlug schneller und ich hatte Angst, es würde aus meiner Brust springen. Was stellte dieser Junge nur mit mir an? Verlegen sah ich zur Seite und hoffte, dass er nicht bemerken würde, wie rot ich war.
Als der Film vorbei war, schlief Noah bereits. Aber leider musste ich ihn noch mal aufwecken. "Noah!", flüsterte ich leise, während ich ihn leicht rüttelte. Noah öffnete verschlafen die Augen und blinzelte. Als er mein Gesicht sah, lächelte er. "Was denn?", fragte er müde und gähnte.
"Ich leihe dir ein paar Sachen von mir und dann kannst du hier schlafen. Ist das ok?" Er nickte und ich stand auf. Mein Weg führte zum Kleiderschrank, von wo aus ich ihm ein T-Shirt und ne frische Boxer zu warf. Ich erklärte ihm noch kurz den Weg ins Bad und machte noch mal klar, dass er absolut leise sein musste.
Nach paar Minuten kam er wieder und legte sich aufs Bett. Ich ging mich auch schnell fertig machen. Danach betrat ich wieder mein Zimmer und sah Noah, wie er auf sein Handydisplay starrte.
"Bist du nicht mehr müde?", fragte ich ihn. Er schüttelte den Kopf und blickte auf. Seufzend machte ich mich auf den Weg zum Lichtschalter.
"Wir müssen jetzt aber schlafen gehen. Morgen ist Schule und da dürfen wir nicht aussehen wie Zombies." Ich knipste das Licht aus und auch er legte sein Handy zur Seite. "Gute Nacht", flüsterte ich, während ich auf dem Boden meine Decke ausbreitete.
Ehrlich gesagt hätte es mir nichts ausgemacht, mein Bett mit ihm zu teilen, aber ich wollte ihn nicht verschrecken.
Ich war gerade dabei in den Traum abzudriften, als Noahs Stimme mich davon abhielt.
"Lonan, bist du noch wach?" Ich flüsterte ein leises "Ja" zur Bestätigung. "Ich kann nicht einschlafen..." Nein, das war doch jetzt nicht sein Ernst. "Du hörst dich an wie ein kleines Kind, Noah.", meinte ich amüsiert.
"Naja... So gesehen bist du ja auch kleiner als ich...", stichelte ich weiter. Wir fingen beide leise an zu kichern. Plötzlich sagte Noah: "Lonan... Kannst du hier oben bei mir schlafen, wenn das für dich okay ist?"
Mein Herz blieb erneut stehen und ich fragte mich ehrlich, wie gesund das wohl sein könnte. Meinte er das ernst? Ich war mir sicher, dass er das ernst meinte, denn er flüsterte noch ein leises "Bitte" hinterher, welches ich nicht überhören konnte.
"Ist okay", meinte ich nur, weil ich gerade vor lauter Aufregung nichts Anderes zu Stande bringen konnte. Ich erhob mich vom harten Boden und stieg vorsichtig auf die Matratze. Ich hörte Noahs Atem und konnte so genau hören, wo er sich befand.
Dann zog ich noch meine Decke mit hoch und versuchte eine bequeme Position zu finden. Ich drehte mich zu Noah hin und erschrak. Seine Augen fixierten meine und ich wagte es nicht, zu atmen. Dann merkte ich aber, dass er durch mich hindurch sah. Er konnte mich also nicht sehen, ich ihn dafür aber umso deutlicher.
Ich entspannte mich wieder ein wenig. Noah schloss die Augen und murmelte: "Danke. Für alles. Ohne dich wäre ich jetzt schon nicht mehr am Leben..." Einen Moment überlegte ich, wieder nach seiner Hand zu greifen, ließ es dann aber doch bleiben. Noch konnte ich Noah nicht einschätzen.
Denn ich wusste ja nicht einmal, wie man Freundschaften führt. Es gab nur eine Sache die ich klar wusste: Ich wollte definitiv mehr als nur Freundschaft von ihm, das war mir spätestens dann klar geworden, als er nach meiner Hand gegriffen hatte. Aber ob er auch genauso empfand oder für ihn diese kleinen Gesten "nur Freundschaft" bedeuteten, konnte ich nicht sagen.
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