16 • Making Up
Am Morgen nach dem Rennen hatten Carlos und ich abseits des Teambriefings kein einziges Wort miteinander gewechselt, geschweige denn einen Blick. Der Spanier mied mich auf jegliche Art und Weise, was unheimlich wehtat, allerdings war ich selbst Schuld. Ich hatte es mit meinem Verhalten alleine geschafft, ihn zu vergraulen und alles zwischen uns zu ruinieren, ich ganz allein.
Alex und George waren seit ihrem Besuch am Abend des Qualifyings bei mir geblieben, nachdem ich ihnen mit Tränen überströmten Wangen von dem Streit mit Carlos erzählt hatte. Sie versuchten mir gut zuzusprechen und mich abzulenken, achteten darauf, dass ich nachts einschlief und tagsüber genug aß, auch wenn mir nicht danach war. Wie sollte ich an Essen oder Schlaf denken, wenn ich dabei war, den Menschen zu verlieren, den ich niemals verlieren wollte, und nicht wusste, wie ich das verhindern sollte?
Während George in Alex Zimmer gegangen war, um ihre Koffer zu holen, sodass wir zum Flughafen fahren und zurück nach England fliegen konnten, war der Thailänder bei mir geblieben und beobachtete mich dabei, wie ich meine restlichen Sachen in meinen Rucksack räumte. Noch nie war es mir schwerer gefallen meine eigenen Taschen zu packen wie in diesem Moment. Eigentlich hätte ich das gestern mit Carlos zusammen gemacht, damit wir nach den Rennen mit seinen Eltern nach Madrid fliegen und mit ihnen einige Tage verbringen konnten, doch es musste alles anders kommen.
,,Hast du alles?", erkundigte sich Alex nach einiger Zeit der Stille. Ich schaute von dem Rucksack auf meinem Bett auf und blickte zu meinem besten Freund, der mich prüfend musterte. Dann nickte ich und zog den Reißverschluss der Tasche zu:,,Ich denke schon."
,,Und was ist mit deinem Portemonnaie?", wollte er wissen und deutete auf den Nachttisch neben mir. Verwirrt folgte ich seinem Blick und sah nun selbst meine Geldbörse dot liegen, weshalb mir ein verdattertes ,,Oh" entwich. Zugegeben, ohne Ausweis ließ es sich schwer reisen.
,,Du bist mit deinem Kopf total woanders", bemerkte Alex, während ich nach meinem Portemonnaie griff und es in der vordersten Tasche meines Rucksacks verstaute. Es war kein Vorwurf seinerseits, viel mehr eine Bemerkung, mit der er vollkommen richtig lag. Ich was mit meinen Kopf nur bei Carlos.
Unsicher darüber, was ich antworten sollte, blieb ich still. Mein Schweigen quittierte der Thailänder mit einem Seufzen. Er stieß sich von der Wand ab und hakte zögerlich nach:,,Willst du überhaupt mit nach London?"
,,Was meinst du?", gab ich irritiert von seine Nachfrage zurück. Als wüsste er, dass er mich durchschaut hatte, legte er den Kopf schief und fuhr seine Worte weiter aus:,,Man sieht dir an, wie bedrückt du bist und wie schlecht es dir geht. Der Streit mit Carlos belastet dich und wenn du ehrlich zu dir bist, würdest du nichts lieber tun, als jetzt zu ihm zu gehen und dich mit ihm auszusprechen."
Und wieder einmal hatte Alex absolut recht. Ich wollte zu dem Spanier. Ich wollte mich mit im vertragen und unseren Streit aus der Welt schaffen, doch so leicht war es nun einmal nicht. Angestrengt raufte ich mir die Haare und schüttelte leicht den Kopf:,,Es ist zu spät, Alex. Er ist gestern mit seiner Familie nach Madrid geflogen. Ich kann nicht mehr mit ihm reden."
,,Und ob du das kannst!", widersprach mir mein bester Freund prompt und fuhr mit seiner Hand in seine Hosentasche, um sein Handy hervorzuholen, ,,wir finden bestimmt einen Last-Minute-Flug nach Madrid für dich."
,,Aber Carlos will mich nicht sehen. Das hat er mir ziemlich deutlich gemacht", murmelte ich skeptisch über seine Idee. Zwar war ich bereit für den Spanier, zu jederzeit überall hinzureisen, jedoch nicht, wenn er das nicht wollte und es die angespannte Stimmung zwischen uns verschlimmern würde.
,,Wenn man verletzt und wütend, gestresst und überfordert ist, sagt oder tut man manchmal Dinge, die man im Nachhinein bereut. Das weißt du selbst", vermerkte Alex monoton. Dass er dabei nicht nur Carlos Reaktion erklären wollte, sondern auch auf meine Flucht aus dem Motorhome nach dem Interview anspielte, war mir durchaus bewusst. Nach einer kurzen Pause, sah er mir direkt in die Augen und fügte hinzu:,,Carlos ist verletzt und fühlt sich allein gelassen. Ich weiß, dass es nie deine Absicht war, ihn so fühlen zu lassen, aber das ändert daran nichts. Es wird sich auch nichts daran ändern, wenn du von Schuldgefühlen geplagt mit George und mir nach Hause fliegst und andauernd darüber nachdenkst, wie sehr du eure Auseinandersetzung bereust und dich mit ihm aussprechen willst. Das musst du Carlos schon selbst zeigen und beweisen, Lando."
Alex Worte waren wie ein Weckruf. Zwar hatte Carlos mir mitten ins Gesicht gesagt, dass ich gehen sollte, doch das einzige, was er von mir hatte hören wollen, war, dass ich es nicht tun würde, dass ich bei ihm bleiben und ihn nie wieder im Stich lassen würde. Wie konnte ich nur das nicht bemerken? Immerhin war, an seiner Seite zu sein und mit ihm selbst die schlimmsten Momente durchzustehen, genau das, was ich wollte und brauchte.
,,Wann geht der nächste Flug nach Madrid?", fragte ich entschlossen das nachzuholen, was ich die letzten Tage versäumt hatte, nach. Auf Alex Lippen breitete sich ein erleichtertes Lächeln aus, ehe er gespannt auf sein Handy blickte und nach passenden Flugverbindungen suchte.
Der frühste Flug von Barcelona nach Madrid war ausgebucht, allerdings gab es für den darauffolgenden Flug um 17 Uhr noch freie Plätze. Auch wenn das hieß, dass ich einige Stunde am Flughafen ohne meine besten Freunde warten müsste, da ihr Flugzeug nach London schon um 12 Uhr abhob, nahm ich das für Carlos liebend gern in Kauf.
George war etwas verblüfft, als er mit den Koffern von Alex und ihm an meiner Zimmertür klopfte und wir ihm erzählten, dass ich in Spanien bleiben würde, jedoch hatte er das mit einem begeisterten Lächeln hingenommen und seinem Freund einen anerkennenden Kuss auf die Wange gedrückt. Er habe gute Arbeit geleistet.
Mit einem Taxi fuhren wir schließlich zum Flughafen. Während meine besten Freunde sich auf den Weg zu ihrem Gate machten, hatte ich es mir in einem Café im Sicherheitsbereich gemütlich gemacht, in dem ich die Zeit an meinem Laptop mit einer Serie überbrücken konnte. Zwischenzeitlich hatte ich überlegt Carlos zu schreiben, ihn möglicherweise vorzuwarnen, dass ich in wenigen Stunden mit gepackten Taschen vor seinem Elternhaus auftauchen würde, aber hatte letztendlich jede begonnene Nachricht abgebrochen. Ich musste persönlich mit ihm reden.
Nachdem mein Flug aufgerufen wurde, verstaute ich meinen Laptop wieder in meinem Rucksack und lief zu meinem Gate. Das Boarding verging problemlos, sodass ich mich wenig später auf meinen Fensterplatz im Flugzeug fallenlassen konnte und die Maschine abhob. Die Flugzeit vertrieb ich mir mit guter Musik sowie Spielen auf meinem Handy.
Als der Flieger nach eineinhalb Stunden am Flughafen in Madrid zum Stehen kam und sich die Türen öffneten, stieg ich aus und steuerte direkt die Gepäckausgabe an, um meinen Koffer zu holen. Mit meinem Rucksack auf den Rücken zog ich den Koffer hinter mir her und folgte der Ausschilderung zu den Taxis. Ein Fahrer lächelte mich schon von weitem an und winkte mich zu sich, weshalb ich mit einem zustimmenden Nicken auf ihn zu lief. Meinen Koffer verstaute ich mit seiner Hilfe im Kofferraum, ehe wir uns in den Wagen setzten und ich ihm die Adresse zu Carlos Elternhaus gab.
Nach einer zwanzigminütigen Fahrt, in der mir der Fahrer stolz die halbe Stadtgeschichte von Madrid präsentiert hatte, drückte ich ihm sein Geld in Hand und stieg aus. Ich holte mein Gepäck aus den Kofferraum und wandte mich dann zu dem Haus, in dem Carlos und ich letztes Jahr zwei wundervolle Wochen unserer Winterpause verbracht. Erst bei dem Anblick des Anwesens von Carlos Eltern fiel mir meine Anspannung und Nervosität auf. Zuvor hatte ich meine Musik oder das Gerede des Taxifahrers gehabt, die mich davon abgelenkt hatten. Nun spürte ich, wie mein Herz förmlich raste. Ich durfte nicht wieder alles verhauen.
Tief atmete ich durch, um mich etwas zu beruhigen, und schritt anschließend den Steinweg entlang zur Veranda. Kaum hatte ich die drei Treppenstufen mit meinem Koffer in der Hand hinter mich gebracht, stand ich vor der Haustür. Langsam hob ich meine Hand und betätigte vorsichtig die Klingel, als könnte sie zerbrechen, wenn man zu fest draufdrückte.
Es dauerte einen kurzen Moment, bis mir die Tür geöffnet wurde und Carlos Mutter vor mir stand. Mit einem überraschten, aber sichtlich erfreuten Lächeln musterte sie mich:,,Oh, hallo Lando! Wie schön dich zu sehen."
,,Das kann ich nur zurückgeben", erwiderte ich ihr Lächeln schüchtern. Reyes zog mich gleich darauf in eine herzliche Umarmung und trat auffordernd ein Stück zur Seite, nachdem wir uns gelöst hatten:,,Komm doch rein. Carlos hat gar nicht erwähnt, dass du heute nachkommst. Er meinte, dass du zu sehr mit Medienterminen beschäftig bist."
,,Ja, die Medientermine...", setzte ich an und suchte auf die Schnelle nach einer Ausrede, um die Notlüge des Spaniers nicht auffliegen zu lassen und seine Familie in unseren Streit hineinzuziehen. ,,Die Termine wurden spontan verschoben. Ich wollte Carlos und euch überraschen."
Reyes schmunzelte und schien mir meine Worte abzukaufen:,,Was eine süße Idee von dir! Carlos wird sich freuen. Lass dein Gepäck erstmal hier im Flur stehen und geh ins Wohnzimmer. Er sitzt mit Ana und Blanca vor der Wii."
Dankend kam ich ihren Worten nach und stellte meinen Koffer sowie meinem Rucksack vorerst im Flur ab. Carlos Mutter ging in Richtung Küche, derweil steuerte ich die offene Wohnzimmertür an und konnte schon von weitem Spanische Rufe hören, die eindeutig Carlos und seinen Schwestern zu zu ordnen waren. Neugierig blieb ich im Türrahmen und musste bei dem Anblick, der sich mir bot, augenblicklich Lächeln. Mein Freund lieferte sich mit seiner ältesten Schwester ein Tischtennisduell bei Wii Sports Resort, was Ana von der Couch aus lachend verfolgte.
,,Vamos!", rief Carlos, nachdem er sich den letzten Punkt zum Sieg geholt hatte und warf jubelnd seine Arme in die Luft. Blanca verdrehte murrend die Augen:,,Tuviste suerte*."
Carlos setzte an, um etwas zu antworten, und wollte sich dafür zu Ana hinter ihm drehen, doch sein Blick blieb bei mir hängen. Das Lächeln auf seinen Lippen verblasste und perplex betrachtete er mich:,,Lando, was..."
,,Hey", begrüßte ich ihn schüchtern und hatte nun auch die Aufmerksamkeit von Ana und Blanca, die mir ein liebevolles Lächeln schenkten, was ich kurzzeitig erwiderte. Dann wandte ich mich wieder zu Carlos und setzte flehend nach:,,Können wir reden, bitte?"
,,Ja, in meinem Zimmer", stimmte er schluckend zu, wodurch sich Erleichterung und Zuversicht in mir breit machte. Ein Schritt war getan.
Carlos löste die Wii Fernbedienung von seinem Handgelenk und legte sie auf dem Couchtisch ab, bevor er auf mich zuging. Ich wich ein Stück zurück, sodass er durch die Tür treten und ohne Probleme an mir vorbeikommen konnte. Dann lief ich ihm den Weg hinterher zu seinem Zimmer im ersten Stock.
Der Spanier öffnete seine Zimmertür, ließ sie für mich offen und blieb mitten in seinem Zimmer stehen. Ich tat es ihm gleich und schloss die Tür hinter mir. Kaum hatte ich mich zurück zu Carlos gedreht, fragte dieser seufzend nach:,,Lando, was machst du hier?"
,,Ich bin hier, um dich um Verzeihung zu bitten, und meine es ernst", schwor ich ehrlich und ließ von da an mein Herz sprechen:,,Es tut mir leid, dass ich nach dem Interview weglaufen bin und mich bei Alex und George verkrochen habe. Mir war in dem Moment nicht bewusst, wie sehr ich dich im Stich lasse und dich damit verletzte. Ich war so beschäftigt mit meinen eigenen Gedanken und Gefühlen gewesen, dass ich auf deine nicht mehr geachtet habe. Das tut mir wahnsinnig leid, ehrlich."
Ich machte eine kurze Pause, um Carlos Reaktion abzuwarten, ein unzufriedenes Murren, ein verstehendes Nicken, irgendwas, jedoch blieb alles aus. Wie versteinert stand er mit verschränkten Armen vor mir und starrte an die Wand hinter mir. Obwohl es für mich sonst so leicht war, Carlos Gefühle zu lesen und zu deuten, fiel es mir nun umso schwerer. Somit entschied ich mich einfach mit dem fortzufahren, was mir noch auf dem Herzen lag:,,Außerdem tut es mir leid, dass ich am nächsten Tag zu inkompetent dazu war, mich richtig bei dir zu entschuldigen und dir zu versichern, dass ich es nie wieder tun werde. So nervenaufreibend eine Situation auch ist, so panisch sie mich auch macht, ich werde dich nie wieder alleine lassen. In den letzten Tagen, in denen wir kein Wort miteinander gewechselt haben, ist mir wieder einmal bewusst geworden, dass du der Mittelpunkt meines Lebens bist. Wenn ich dich nicht bei mir habe, muss ich andauernd an dich denken und kann mich unglaublich schlecht auf etwas anderes konzentrieren. Meine Gedanken schweifen immer zu dir ab, weil du der wichtigste Mensch in meinem Leben, der Menschen, den ich mit jeder Faser meines Körpers bedingungslos liebe, und das wirst du immer bleiben."
,,Komm her", fordete mich der Spanier nach meinem langen Redefluss sanft auf und löste sich aus seiner Starre. Seine Augen schimmerten überwältigt, trugen einen Funken Liebe und Sehnsucht in sich. Seine Lippen zierten zartes Lächeln, während er einladend seine Arme ausbreitete. Ich ließ mich nicht zweimal bitten und rannte mit schnellen Schritten auf ihn zu, um ihn um den Hals zu fallen.
Fest schlang Carlos seine Arme um meine Hüfte und drückte mich an sich, als hätte er Angst, dass ich jederzeit wieder abhauen könnte, auch wenn ich das überhaupt nicht tun wollte. Derweil vergrub ich meinen Kopf in seiner Hals und zog sehnsüchtig seinen Geruch auf. Verdammt hatte mir das gefehlt. Meine jegliche Anspannung und Nervosität war weg. Stattdessen konnte ich mich entspannen und den Stress der letzten Tagen vergessen. In Carlos Armen zu sein, seine Nähe zu spüren, war beruhigend, ließ mich wohl und geboren fühlen, als wäre ich nach einem langen Herumstreuen endlich dort angekommen, wo ich hingehörte.
,,Mir tut es leid, dass ich dich angeschrien und dir andauernd Vorwürfe gemacht habe. Das war nicht fair. Ich war nur so frustriert und gekränkt, dass du nicht mit mir geredet hast", murmelte Carlos nach einiger Zeit, in der unseren Gedanken nachhingen und die Nahe des anderen genossen, in die Stille hinein.
,,Schon okay, ich hatte es nicht anders verdient", winkte ich ab, was den Spanier dazu brachte seinen Griff zu lockern. Er wich ein Stück zurück, wodurch ich widerwillig meinen Kopf heben musste. Seine Hände behielt er allerdings an meiner Hüfte. Tief blickte er mir in die Augen und merkte reuevoll an:,,Doch, hattest du. Wir beide hätten die ganze Situation anders regeln müssen. Immerhin heißt es du und ich gegen das Problem, nicht du gegen mich."
,,Dann werden wir ab jetzt dafür Sorgen, dass es genau so läuft. Niemand kommt zwischen uns", fasste ich festentschlossen zusammen. Carlos Lächeln wurde breiter und zustimmend nickte er:,,Nichts und niemand."
Ich erwiderte sein Lächeln glücklich, ehe mein Blick von seinen Augen auf seine Lippen glitt, dann wieder zu seinen Augen. Der Spanier schien zu wissen, wonach ich mich sehnte, spürte das Verlangen vermutlich selbst. Langsam lehnte er sich vor und hauchte gegen meine Lippen:,,Ich liebe dich genauso, Querido."
Eine Gäsehaut breitete sich auf meinen Körper aus, als er meinen geliebten Kosenamen betonte. Überglücklich verband ich unsere Lippen nach drei Tagen Funkstille zu einem gefühlvollen Kuss, den Carlos sehnlichst erwiderte.
•••
*du hattest Glück
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