7 • Lovesick
Sie war überall. In unserer Box, im Motorhome, im Paddock, Romee war überall. Seit Donnerstag versuchte ich ihr und Carlos aus dem Weg zu gehen, doch hatte das Gefühl, dass ich dabei eher das Gegenteil bewirkte. Mein einziger Rückzugsort im Paddock war mein Zimmer im Motorhome, in dem ich an diesem Wochenende mehr Zeit verbrachte als an jedem anderen. Jedes Mal, wenn ich Carlos und Romee zusammen sah, verkrampfte sich mein Herz. Ich konnte die beiden zusammen nicht ertragen und am schwersten fiel es mir in Carlos Nähe ruhig zu bleiben. Zwar versuchte ich ihn weitestgehend zu meiden und hatte es immer geschafft zu verschwinden, bevor er mich ansprechen konnte, doch in Teambriefings saßen wir trotzdem gegenüber. Da es in solchen Besprechungen um die Leistung des Teams und unsere Performance auf der Strecke ging, riss ich mich zusammen.
Zum ersten Mal an einem Rennwochenende betrat ich alleine den Raum, in dem alle Fahrer sich vor dem Rennen versammelten, um anschließend gemeinsam in einem Truck oder jeder in einem einzelnen Auto um die Strecke zu fahren und die Fans zu begrüßen. Normalerweise warteten Carlos und ich immer aufeinander, aber zwischen uns war eben nicht mehr alles normal. Nachdem ich ein paar Kindern im Raum Autogramme gegeben hatte, gesellte ich mich zu Alex und George, die abseits von den Fahrern standen, die bisher da waren:,,Hey."
,,Hey", erwiderte Alex und schlug mit mir ein. George musterte mich misstrauisch und begrüßte mich ebenfalls:,,Hey, wo hast du Carlos gelassen?"
,,Wieso fragst du? Ich kann auch ohne ihn im Paddock herumlaufen", antwortete ich genervter als gewollt.
,,Schon, aber du tust es sonst nicht", merkte Alex schmunzelnd an, woraufhin ich die Augen verdrehte.
,,Habt ihr euch gestritten?", erkundigte sich gleichdarauf George.
,,Nein, haben wir nicht", gab ich zurück und verschränkte meine Arme vor der Brust. Es war keine Lüge. Dadurch, dass ich Carlos die letzten Tage aus dem Weg gegangen war und wir nie die Möglichkeit hatten, alleine zu reden, kam es nie zu einem richtigen Streit.
,,Aber es ist etwas vorgefallen", stellte Alex fest. Ich stöhnte auf und musste mich wohl damit abfinden, dass meine Freunde nicht nachgeben würden. Doch kurz vor dem Rennen war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt, um von Carlos und seiner Freundin zu berichten, vor allem nicht mit den vielen Kameras um uns herum.
,,Können wir darüber wann und woanders reden?", bat ich meine besten Freunde, was sie mit einem Nicken quittierten.
,,Wie wäre es, wenn wir uns nach dem Rennen ein Restaurant raussuchen? Dann kannst du uns alles in Ruhe erzählen", schlug George vor.
,,Könnt ihr nach dem Rennen und euren Interviews in mein Hotelzimmer kommen?", machte ich einen Gegenvorschlag, ,,ich fliege schon heute Abend mit einigen aus dem Team nach Hause und muss meine Sachen noch zusammenpacken."
,,Wieso fliegst du schon heute Abend? Wir sind bisher immer erst Montag geflogen, weil das entspannter ist", hakte Alex verwirrt nach. Ich schluckte und senkte leicht meinen Kopf. Der Hauptgrund für meinen frühen Flug war, dass ich mich hier absolut nicht mehr wohlfühlte und nur noch nach Hause wollte. Nach der Sache mit Carlos und Romee wollte ich mich in meinem Bett verkriechen oder meine Zeit im Simulator verbringen. Hauptsache ich war weit weg von meinem Teamkollegen und konnte mich ablenken.
,,Sobald wir frei sind, kommen wir zu dir in Hotel", stimmte George zu, als ich still blieb, und legte mir aufmunternd eine Hand auf die Schulter.
Eine Weile standen wir noch zu dritt zusammen, bis alle Fahrer beisammen waren. Nach der Fahrerparade durften wir endlich in die Autos. Als wir die Einführungsrunde absolviert und unsere Reifen auf Temperatur gebracht hatten, leuchteten die Startampeln auf und das Rennen begann. Während ich von P10 ins Rennen startete, hatte ich hinter mir Alex auf P11 und Carlos auf P12.
Als hätte das Rennwochenende ohnehin nicht schon grauenhaft angefangen, lief das Rennen genauso. Bereits beim Start verlor ich sechs Plätze und konnte mich gegen die Überholmanöver der anderen nicht wehren. Ruiniert war mein Rennen letztendlich in Runde 46. Ich wollte Lance innen in einer Kurve überholen, doch hatte nicht genügend Platz, sodass mein Vorderrad sein Auto traf. Ein typischer Rennunfall. Wir beide landeten im Kies und konnten nicht mehr weiterfahren. Das Rennen war für uns beendet.
Entnervt kam ich im Motorhome an und durfte mich umziehen, ehe ich zu den Interviews musste und allen Reportern dasselbe erzählen durfte. Auch wenn der Unfall das Wochenende noch schrecklicher machte, als es ohnehin schon war, hatte es eine positive Seite: während Carlos das Rennen zu Ende fuhr und Interviews gab, konnte ich das Gespräch mit meinen Ingenieuren vorziehen und traf beim Briefing somit nicht auf den Spanier.
Dennoch waren meine Wut und mein Frust groß, als ich am späten Nachmittag in meinem Hotelzimmer ankam. Die ganze Woche war zum Kotzen gewesen. Erst Carlos, der mir seine Freundin vorenthalten hatte, und nun konnte ich ein Rennen nicht beenden, bei dem ich gute Chance auf Punkte gehabt hätte. Das Wochenende, auf das ich mich unheimlich gefreut hatte, ist zu einem Albtraum geworden. Ein Glück würde ich in wenigen Stunden nach Hause fliegen und konnte alle Vorfälle verarbeiten, bevor es nach Monaco ging. Seufzend schmiss ich meinen Koffer auf mein Bett und sammelte meine Klamotten vom Boden auf, die ich anschließend in den Koffer stopfte. Ich hatte weder Lust noch Motivation dazu meine Klamotten ordentlich zusammen und sorgfältig in den Koffer zu legen. Zu Hause würden sie eh direkt in den Wäschekorb kommen und gewaschen werden.
Kaum hatte ich meinen Koffer geschlossen und ihn wieder auf den Boden abgestellt, klopfte es an meiner Hoteltür, Alex und George. Ich lief zur Tür und ließ meine Freunde herein, bevor ich die Tür wieder ins Schloss fallenließ. George setzte sich auf mein Bett und sah mich mitleidig an, was Alex ihm gleichtat:,,Ich denke, dass wir nicht nachfragen brauchen, wie es dir geht. Dir geht es beschissen, richtig?"
,,Also eigentlich...", wollte ich zu einer ironischen Antwort ansetzten, doch brachte den Satz nicht zu ende. Ich hatte keine Lust auf Scherze. Ich hatte keine Lust so zu tun, als wäre der Crash heute halb so wild gewesen und ich davon überzeugt war, dass das Rennen nächste Woche besser werden würde. Ich hatte keine Lust länger meine gekränkten und verletzten Gefühle zu unterdrücken. Ich konnte es nicht mehr. ,,Also eigentlich geht es mir total beschissen. Dieses Wochenende ist das schlimmste, was ich jemals hatte. Als würde es nicht reichen, dass ich erfahren musste, dass Carlos ein verdammter Lügner ist! Nein, ich hätte heute Punkte holen können, doch musste stattdessen mein Auto abstellen!"
,,Komm her", forderte mich Alex ruhig auf und klopfte auf den freien Platz zwischen sich und George, ,,setz dich und erzähl uns, was passiert ist, von Anfang an."
Ich tat, was Alex sagte und ließ mich zwischen ihnen auf mein Bett fallen. Erschöpft fuhr ich mir übers Gesicht und suchte nach den richtigen Worten, um zu beginnen:,,Am Donnerstag hatten Carlos und ich ein Videodreh. Nach dem Dreh hatte er mich gefragt, ob wir am Abend etwas Essen gehen wollen, da er mir etwas Wichtiges erzählen wollte. Als ich ihm antworten wollte, kam auf einmal eine Frau zu uns, Romee, Carlos Freundin."
,,Carlos hat eine Freundin?", hakte George perplex nach, ,,seit wann das denn?"
,,Keine Ahnung, aber so, wie sie sich im Motorhome und in unserer Box verhalten, scheinen sie sehr vertraut und schon länger zusammen zu sein", entgegnete ich. Ich merkte den traurigen Unterton in meiner Stimme selbst und konnte nicht verhindern, dass mir die Bilder von Carlos und Romee, küssend vor meinen Augen, wieder ins Gedächtnis kamen. Noch immer taten diese Bilder unheimlich weh.
,,Warte, warte, dann war Carlos auch schon mit der Frau zusammen, als ihr beiden Händchen gehalten oder euch fast geküsst habt?", kam es nun fassungslos von Alex. Ich zuckte mit den Schultern und spürte, wie meine Augen langsam bei dem Gedanken, dass der Abend in Baku oder unsere gemeinsamen Momente ihm nichts bedeutet hatten, glasig wurden.
,,Was ein Vollidiot", murrte George, ,,du bist doch kein Spielzeug, mit dem er machen kann, was und wann immer er will."
,,Er hat dazu noch gesagt, dass wir als Teamkollegen nur über Rennen oder unser Auto reden. Als wäre ich ihm ansonsten egal", fügte ich hinzu und versuchte krampfhaft meine Tränen zurückzuhalten. Ich wollte nicht weinen, schon gar nicht wegen Carlos oder seinen Worten. Ich wollte stärker sein.
,,Was ein Schwachsinn. Man muss nur euren Abend in Baku betrachten oder den Fakt, dass ihr andauernd die Nähe des anderen gesucht habt, wenn wir zusammen unterwegs waren. Ihr seid viel mehr als Teamkollegen und das weiß Carlos", entgegnete Alex genauso aufgebracht.
,,Es hat so weh getan die beiden das ganze Wochenende zusammen zu sehen", gestand ich leise.
,,Das können wir uns vorstellen. Habt ihr darüber mal gesprochen?", fragte George behutsam, was ich mit einem Kopfschütteln verneinte:,,Nein, ich wollte nicht mit ihm reden und bin ihm aus dem Weg gegangen. Ich will nur noch nach Hause."
Carlos hatte es nun doch geschafft. Vereinzelt liefen mir ein paar Tränen über die Wange, die ich mir sofort wegwischte. Es durfte nicht wahr sein, dass ich schon so sehr an Carlos hang, dass mich die Geschehnisse am Wochenende so mitnahmen und schlecht fühlen ließen. Ich spürte, wie sich ein Arm um mich legte und Alex mir beruhigend über den Rücken strich:,,Wir können verstehen, dass du nach Hause willst und schon heute fliegst. George und ich kommen morgen nach. Wenn wir alle wieder in England sind, können wir zusammen trainieren oder machen, was immer du magst. Du solltest dich jetzt nicht isolieren oder alleine sein."
,,Ihr müsst euch nicht um mich kümmern. Mir geht es gut", versicherte ich meinen besten Freunden und versuchte ein leichtes Lächeln aufzusetzen, um ihnen zu zeigen, dass es wirklich so war. Allerdings schaffte ich es nicht. Stattdessen stiegen mir die nächsten Tränen in die Augen, die ich frustriert wegblinzelte:,,Es war nur ein schweres Wochenende."
,,Genau deswegen sind wir für dich da und lenken dich ab, damit du in Monaco neu starten kannst", bemerkte George aufmunternd. So sehr ich mir auch wünschte, dass mir Carlos und Romee zusammen egal waren, waren sie es nicht. Der Gedanken an die beiden war verletzend und versetzte mir immer wieder einen Stich ins Herz. Umso dankbarer war ich Alex und George, dass sie da waren und mich nicht alleine ließen.
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