London, 02. Oktober 2019

Nachdem wir einige Nächte darüber geschlafen hatten, war es nun soweit: Ich würde offiziell bei George einziehen. Seit drei Tagen waren wir aus Sotchi zurück, was ein gutes Wochenende für das Team gewesen war, wenn nicht sogar das Beste überhaupt. Carlos war als P6 durchs Ziel gefahren, während ich mit P8 ebenfalls Punkte geholt hatte. Dazu hatte sich die Stimmung zwischen uns nach unserer gemeinsamen Analyse in Singapur erheblich gesteigert. So hatte ich es schon genossen, den Spanier beim Medientag in Sotchi durchgehend an meiner Seite zu haben und mit ihm ein Video nach dem anderen zu drehen.

Da George und ich in der Rennwoche des Russlands Grand Prix fast jeden Abend zusammen verbracht hatten, kam das Thema Wg-Leben bei der Frage, wie es zu Hause weitergehen sollte, immer wieder auf. Ich hatte mich bei meinem besten Freund schneller eingelebt als erwartet und fand keinen Grund mehr, in mein Haus zurückzukehren. Dort wäre ich nur alleine, würde zwischen meinem PC und Simulator wechseln, um mich von den Gedanken abzulenken, wie es war, Carlos als Dauergast gehabt zu haben, mit ihm auf der Couch zu kuscheln oder ihn in der Küche beim Kochen angeschmachtet zu haben. In London hatte ich meinen besten Freund, mit dem ich mich blendend verstand und über alles reden sowie lachen konnte.

Glücklicherweise nahm Georges große Schwester Cara mir jeglichen Papierkram mit dem Verkauf meines Hauses ab. Sie arbeitete als Immobilienmaklerin und war auf diesem Gebiet daher viel qualifizierter als ich. Neben ihr halfen uns auch noch James, mein Cousin, und Georges älterer Bruder Benjy beim Umzug.

Zuerst bauten wir die Möbel in Georges Gästezimmer ab, was nun dauerhaft mein neues Zimmer sein würde. Danach fuhren wir zu meinem Haus und räumten dort die Möbel aus meinem Schlafzimmer in einen kleinen gemieteten Transporter. Abgesehen von meinen Gaming Sachen, dem Rennsimulator und ein paar Bildern sowie anderen Erinnerungsstücke blieb alles, wo es war. Georges Haus war vollständig eingerichtet und somit würden wir für meine Möbel keinen Platz finden. Falls diejenigen, die mein altes Haus kaufen würden, Interesse an den Möbeln hatten, dürften sie diese behalten. Ansonsten würden wir sie später abbauen und zu einer Möbelspende bringen, bevor sie in den Sperrmüll wanderten.

Als wir alle Möbel und Umzugskartons in mein neues Zimmer geschleppt hatten, flehte ich James an mir meinen Rennsimulator aufzubauen und neu einzurichten. Für den Transport musste dieser nämlich auseinandergenommen werden und da mein Cousin die Firma gegründet hatte, die die Simulatoren herstellte und aufbaute, kannte er sich damit bestens aus.

,,Wie viel Zeit verbringst du darin eigentlich?", erkundigte sich George, als wir James beim Aufbau zusahen. Mein Cousin befestigte eine weitere Schraube an der Halterung für das Lenkrad und antwortete für mich lachend:,,6 Stunden am Tag locker! Du musst aufpassen, dass er nicht wieder süchtig wird, George."

,,Hey, ich habe in den letzten Monaten kaum gespielt oder gestreamt", merkte ich empört an.

,,Dann hast du deine Zeit wohl mit Computerspielen oder an der Playstation verbracht", gab James grinsend zurück. Ihm zu erklären, dass er damit genauso falsch lag, sparte ich mir. Immerhin war Carlos der Grund gewesen, weshalb ich weniger Zeit mit virtuellen Rennen oder Shootergames verbracht hatte. Ich bevorzugte einen Abend kuschelnd mit ihm auf der Couch oder im Bett eher als eine Gamingnacht und um ehrlich zu sein, tat ich es immer noch.

,,So schlecht wie er in FIFA ist, kann das nicht sein", schmunzelte George, bevor ich meine Erinnerungen an den letzten Serienabend mit Carlos vertiefen konnte, an dem er mich tatsächlich gezwungen hatte, ,,Haus des Geldes" auf Spanisch mit englischen Untertiteln zu schauen, um meine Sprachkenntnisse zu verbessern. Dass ich dabei lediglich die italienischen Worte ,,Bella ciao" gelernt hatte, hatte er amüsiert hingenommen.

Gespielt verletzt legte ich mir bei den Worten meines besten Freundes die Hand auf meine Brust:,,Okay, vergessen wir das Wg-Leben. Ich bleibe in meinem Haus."

,,Tut mir leid, aber dafür ist es zu spät. Die ersten Interessenten kommen morgen", kam es von Cara, die gerade mit einem weiteren Umzugskarton mein neues Zimmer betrat.

,,Tja, dann bin ich wohl obdachlos", kommentierte ich beleidigt und entlockte meinem Cousin ein belustigtes Grinsen. Zu meiner Verwunderung blieb George überraschend still. Irritiert glitt mein Blick zu ihm. Mittlerweile hatte der Williams-Fahrer sein Handy rausgeholt und blickte betrübt auf sein Display. Ich stellte mich auf Zehnspitzen und legte meinen Kopf auf seiner Schulter ab, sodass ich auf sein Gerät schielen konnte, was seinen Chat mit ,,Alex😜💙" anzeigte. Der Thailänder musste den ganzen Tag in der RedBull Racing Factory arbeiten und wollte sich melden, sobald er vorbeikommen konnte, doch hatte das bei den letzten fünf unbeantworteten Nachrichten von George wohl noch nicht getan. Seufzend hakte ich nach:,,Noch immer nichts von ihm, oder?"

,,Nein", stimmte George dem Offensichtlichen zu. Enttäuscht sperrte er sein Handy und richtete sich zu mir:,,Reden wir kurz unten?"

,,Klar", lächelte ich aufmunternd und ließ von ihm ab, ehe wir das Zimmer verließen. Zusammen setzten wir uns ins Wohnzimmer nebeneinander auf das breite Ecksofa. Noch bevor ich nachfragen konnte, was meinem besten Freund auf dem Herzen lag, begann er, mit dem Saumen seines T-Shirts zu spielen, und hakte unsicher nach:,,Kommt es dir auch so vor, als würde Alex keine Zeit mehr für uns haben?"

,,Er ist bei RedBull scheinbar ziemlich beschäftigt", entgegnete ich schulterzuckend, hatte selbstverständlich bemerkt, dass wir Alex seit Monza nicht länger als zwei Minuten gesehen hatten und er im Paddock nicht mehr als ein flüchtiges ,,Hallo" für uns übrighatte, allerdings gingen seine Teammeetings an Rennwochenenden wohl weit über 22 Uhr hinaus und auch in Milton Keynes schien er viel Arbeit erledigen zu müssen.

,,Ziemlich beschäftigt? Jedes Mal, wenn wir ihn fragen, ob er vorbeikommt oder mit uns Essen gehen will, hat er keine Zeit. Entweder hat er ein Meeting mit seinem Teamchef oder muss im Simulator fahren. Max hat nicht mal ansatzweise so viele Termine wie er", murrte George unzufrieden.

,,Max fährt auch schon seit vier Jahren für das Team. Alex muss sich erst an alles gewöhnen und die Mitarbeiter dort kennenlernen. Immerhin fand sein Wechsel mitten in der Saison statt und nicht in der Winterpause. Er hatte keine drei Monate, die er sich einleben konnte", versuchte ich das abweisende Verhalten unseres besten Freundes zu klären. Mit dem neuen Druck auf seinen Schultern und den hohen Erwartungen konnte ich mir allzu gut vorstellen, dass er sich mit viel Fleiß beweisen wollte. Immerhin musste er bei seinem Teamchef und dem CEO von RedBull Racing einen guten Eindruck hinterlassen, um den Sitz zu behalten.

,,Ja, scheint so", murmelte George missmutig und fuhr sich angestrengt durch die Haare, ,,ich vermisse ihn nur unheimlich."

Tröstend legte ich ihm eine Hand auf die Schulter und lächelte zuversichtlich:,,Ich vermisse ihn auch, Georgie, und bin mir ziemlich sicher, dass ihm unsere gemeinsame Zeit auch fehlt. Sobald er sich eingelebt hat, ist unser Trio wieder vollständig."

,,Hast du mich gerade Georgie genannt?", erkundigte sich mein bester Freund irritiert und wandte sich zu mir. Amüsiert davon, dass das scheinbar das einzige war, was nach meinen Worten bei ihm hängen geblieben war, grinste ich:,,Gefällt dir der Spitzname etwa nicht?"

,,Nicht mal ein bisschen", stellte er kopfschüttelnd klar. Provokant verkündete ich:,,Oh wenn das so ist, nenne ich dich nur noch so, Georgie."

,,Ich glaube, dass wir nochmal mit Cara reden sollten. Vielleicht findet sich ein Weg, sodass du doch in deinem Haus bleiben kannst", erklärte er, was uns beide zum Lachen brachte.

Da das Thema Alex vom Tisch war, gingen wir zurück nach oben in mein Zimmer, in dem James gerade die letzte Schraube am Simulator festzog. Anschließend bauten wir bis zum Abend Schränke auf und räumten die Kartons aus. Als Dankeschön für ihre Hilfe bestellten George und ich für Benjy, Cara und James Pizza, die auf unsere Kosten ging.

Nachdem wir gegessen und Georges Geschwister sowie James verabschiedet hatten, wollte mein bester Freund unbedingt wissen, wie einer meiner Streams aussah. Damit wir zusammenspielen konnten, setzte ich mich an meinem Computer und startete Twitch. George holte sich einen Stuhl von unten und gesellte sich zu mir. Zunächst spielten wir ein paar Runden PUBG, was der Williams-Fahrer noch nie zuvor gespielt hatte. Wie sich letztendlich herausstellte, hatte er noch nie irgendein Shootergame gespielt.

,,Pass auf dort steht...", setzte ich an, um ihn zu warnen. Wir hatten die Plätze getauscht und nun sollte er das Spiel selbst ausprobieren, nachdem er mir ein paar Runden zugesehen hatte, jedoch starb Georges Charakter, bevor ich meinen Satz beenden konnte:,,Ein Gegner."

,,Was zur... das Spiel macht keinen Sinn! Ich verstehe nicht, was ich machen soll!", beschwerte er sich. Ich schmunzelte und startete für ihn die nächste Runde:,,Was gibt es an dem Spiel nicht zu verstehen? Du musst die anderen Spieler erschießen und darfst selbst nicht sterben."

,,Einfach nur brutal. Ich will niemanden töten", merkte er brummend an.

,,Oh Georgie, das ist definitiv das falsche Spiel für dich. Ich lade Rocket League auf meinem Laptop herunter, dann spielen wir das zusammen", schlug ich vor und blickte zum Chat, der von dieser Idee begeistert war.

,,Was ist Rocket League?", wollte George ahnungslos wissen und sah wieder konzentriert auf den Bildschirm.

,,Man versucht mit Autos ein Tor für sein Team zu schießen... es ist wirklich cooler, als es sich zunächst anhört", erklärte ich schmunzelnd. Mein bester Freund spielte seine Runde zu Ende, sprich, er starb nach nicht einmal einer Minute, als der erste Gegner ihn entdeckte. Danach holte ich meinen Laptop und lud Rocket League herunter, damit George auf dem Gerät spielen konnte, während ich für die Zuschauer auf dem PC zockte. Es dauerte etwas, bis er sich an die Steuerung und das Prinzip des Spiels gewöhnt hatte, allerdings machte ihm das Spiel deutlich mehr Spaß und fiel ihm leichter als PUBG, weshalb wir letztendlich die Zeit vergaßen und bis in die Nacht streamten. 

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Vielleicht nicht ganz das, was ihr erwartet habt, aber ich hoffe, dass euch das Kapitel trotzdem gefällt, beziehungsweise Alex kleine Nebengeschichte.👀

Macht euch noch einen schönen Abend.🧡

Lg. T.