Montreal, 06. Juni 2019

,,Dann kommen wir nun zu dir, Lando", hörte ich die Stimme des Interviewers. Ich hob meinen Kopf und sah aufmerksam zu ihm. Zum zweiten Mal in der Saison wurde ich zur Pressekonferenz eingeteilt und saß neben Kimi, Lance, Lewis und Daniil auf dem Podium. Der Interviewer lächelte mir zu und nickte:,,Es ist das erste Mal für dich in Montreal. Was erwartest du von der Strecke?"

,,Ich denke, dass das schwer zu sagen ist. Wie jedes Mal habe ich viel Zeit im Simulator verbracht und mich vorbereitet, mir beispielsweise ein paar Onboard Videos angesehen. Es ist ein neues Wochenende. Monaco lief nicht perfekt, aber Montreal sieht nach einer neuen spannenden und spaßigen Strecke aus. Auf der anderen Seite ist sie auch knifflig und schwierig... ich versuche, wie sonst auch Spaß zu haben und hoffe, dass ich am Sonntag gegen den ein oder anderen fahren kann. Unsere Ziele werden, soweit wir es jetzt schon sagen können, Q3 im Qualifying sein und Punkte im Rennen holen, aber wie Lance schon sagte, ist das Mittelfeld sehr eng und es wird schwer", antwortete ich sicher.

,,Das interne Battle zwischen dir und Carlos ist sehr eng dieses Jahr. Ihr seid nur 6 Punkte auseinander. Wie beschreibst du eure Beziehung, vor allem auf das Team bezogen?", stellte er die nächste Frage.

,,Uhm...", murmelte ich perplex und suchte nach den geeigneten Worten. Dass Carlos und ich uns zurzeit überhaupt nicht verstanden, konnte ich schlecht sagen. Zwar wäre es die Wahrheit, aber es würde einen schlechten Blick aufs Team werfen und die Medien würden das Thema soweit ausführen, dass Falschnachrichten entstanden. Das wollte ich weder dem Team noch mir antun. Allerdings konnte, besser gesagt wollte ich nicht so tun, als wären Carlos und ich beste Freunde. Das waren wir einfach nicht. Somit versuchte ich einen Zwischenweg zu finden und vor allem auf unsere Arbeit mit dem Team einzugehen. Denn auch wenn wir uns zurzeit nicht verstanden, arbeiteten wir fürs Team weiterhin ohne Probleme zusammen:,,Es läuft ganz gut. Wir hatten bisher sehr viel Spaß und kamen... kommen immer noch gut miteinander klar, was durchaus positiv fürs Team ist. Wir bevorzugen ähnliche Einstellungen am Auto und kritisieren oder loben dieselben Dinge. Was das Auto angeht, sind wir oft derselben Meinung und können dem Team gemeinsam hoffentlich in eine Richtung lenken, in der sie noch mehr aus dem Auto herausholen und es weiter verbessern können. Also ja... wie gesagt, wir kommen gut zurecht."

,,Du sagtest, dass ihr das Auto verbessern wollt. Erzähl uns etwas mehr darüber, denn es sieht danach aus, dass der Wagen von Strecke zu Strecke anders wirkt", bat er mich und schien mit meiner Antwort zu Carlos zufrieden zu sein, was mich aufatmen ließ.

,,Das ist wohl wahr. Wir hatten keine guten Wochenenden in Australien oder China, aber wir sind immer zurückgekommen. Wenn man von Barcelona absieht, waren wir immer an den Punkten dran. Allerdings ist das Mittelfeld sehr groß. Wir sind vier, fünf Teams und jedes Team ist in unterschiedlichen Bereichen oder auf verschiedenen Strecken stark. Deswegen ist es schwer einzuschätzen, wie das Auto an einem Wochenende performen könnte, wo es gut liegt und wo nicht. Zwar entwickelt sich das Auto langsam, aber es ist definitiv noch nicht da, wo wir es haben wollen", erklärte ich.

,,Danke, Lando", entgegnete der Interviewer, ,,Kimi, lass uns mit dir weitermachen..."

Ich hörte nun noch mit halbem Ohr zu und fing an mich langsam zu entspannen, als ich nicht mehr die ganze Aufmerksamkeit im Raum hatte. Es konnte nicht wahr sein, dass ich nicht einmal in einer belanglosen Pressekonferenz Ruhe vor Carlos hatte. Anstatt eineinhalb Wochen Pause folgte auf den Monaco Grand Prix direkt das Rennen in Montreal. Nur zwei Tage hatte ich in England, die ich ganztägig im Simulator verbracht hatte. Somit hatte ich meinen Teamkollegen seit dem Essen mit dem Team nicht mehr gesehen, womit ich gut klarkam. Allerdings war mir bewusst, dass sich das spätestens morgen ändern würde.

Nach den Fragen des Interviewers hätte ich theoretisch gehen können. Da kein weiterer Reporter irgendwelche Fragen an mich hatte, saß ich eine knappe halbe Stunde neben den anderen Fahrern und hörte ihnen gelangweilt zu. Vor allem Lewis war als fünfmaliger Weltmeister bei den Journalisten begehrt.

Als die Pressekonferenz endlich vorbei war, lief ich mit Patrick wieder zum Motorhome. Er hatte sein Tablet in der Hand und schaute auf meinen weiteren Tagesplan:,,Gut, die Pressekonferenz können wir abhaken. Dann hast du jetzt einen Dreh mit Carlos für unseren YouTube Kanal und danach frei."

,,Ein Dreh mit Carlos?", wiederholte ich seine Worte mit wenig Enthusiasmus, ,,muss das heute sein?"

Verdattert sah er zu mir und legte seinen Kopf leicht schief, ehe wir den Motorhome betraten und nach oben zu den Mediaräumen liefen:,,Ist alles in Ordnung zwischen dir und Carlos?"

,,Uhm... ausbaufähig würde ich sagen", seufzte ich schwer.

,,Hör zu Lando. Mein Job ist es, dich zu deinen Terminen zu bringen und sie zu verwalten. Alles andere ist mir egal und geht mich nichts an. Allerdings ist es auffällig, dass Carlos und du am Anfang der Saison nicht zu trennen wart und ihr euch nun aus dem Weg geht. Was auch immer zwischen euch steht, ihr solltet euch fragen, ob es das wert ist, euer gutes Verhältnis ruinieren zulassen" erinnerte er mich und öffnete anschließend die Tür zu den Media Räumen.

Die Worte meines PR-Assistenten gingen mir weiter durch den Kopf, als wir das Zimmer betraten. Jedoch blieb mir keine Zeit mehr, weiter darüber nachzudenken. Carlos saß bereits auf einer Couch, auf die ich mich nach Hendriks Anweisung ebenfalls setzen sollte. Hendrik kümmerte sich um alle Videos von McLaren, schnitt und filmte sie.

,,Hey", begrüßte mich Carlos, als ich mich neben ihn fallenließ. Hendrik war dabei die Kamera richtig einzustellen und somit beschäftigt.

,,Hey", erwiderte ich monoton, bevor ich mich umblickte, ,,wo hast du Romee gelassen?"

,,Sie ist in Madrid und muss arbeiten", berichtete Carlos. Vermutlich hörte es sich traurig an, aber ich freute mich, dass ich endlich wieder ein Wochenende hatte, an dem ich Romee nicht sehen musste und mich frei bewegen konnte, ohne Angst zu haben, Carlos und sie zusammen zu sehen. Nach ihrer Aktion im Restaurant konnte ich sie ohnehin noch weniger leiden als zuvor.

,,Das ist echt Schade. Ich hatte sie gerade ins Herz geschlossen", vermerkte ich ironisch.

,,Können wir darüber nach dem Dreh nochmal reden?", fragte Carlos seufzend nach.

,,Nein, können wir nicht. Ich bin mit Alex und George verabredet", gab ich unbeeindruckt zurück und schüttelte leicht den Kopf. Er konnte es sowas von vergessen, dass ich ihn wieder an mich heranließ, nur weil seine Freundin für vier Tage nicht bei ihm war.

,,Du bist in letzter Zeit viel mit ihnen unterwegs." Überrascht von Carlos Worten schellte mein Blick zu ihm. Was sollte das sein, eine einfache Feststellung oder ein indirekter Vorwurf?

,,Ja, so wie es sein sollte. Man trifft sich mit seinen Freunden und den Menschen, die einem gut tun", stimmte ich kühl zu.

,,Scheint so", nuschelte der Spanier und stützte sich an der Lehne des Sofas ab. Er senkte seinen Kopf und schaute bedrückt zu Boden, was ich mit einem mulmigen Gefühl verfolgte. Carlos wirkte enttäuscht und traurig, wozu meine Worte wohl beitragen hatten, was teilweise Absicht war. Noch immer war ich wütend und verletzt von den Ereignissen der letzten Wochen. Er konnte nicht erwarten, dass ich das alles kommentarlos auf mir sitzenließ und ihn so behandelte als wäre nichts gewesen.

Kurz darauf zog Hendrik meine Aufmerksamkeit auf sich, genau wie die von Carlos. Er reichte dem Spanier einen Rennhelm, der mit kleinen gefalteten Zetteln gefüllt war:,,Okay, Jungs. Auf den Zetteln stehen Würdest du eher...? Fragen drauf. Abwechselnd zieht jeder eine Frage und der jeweils andere beantwortet sie. Verständlich?"

Carlos nahm den Helm entgegen und legte ihn auf seinen Schoß, bevor wir beide nickend zustimmten. Zufrieden sah Hendrik zu uns:,,Gut, wer von euch beiden die Anmoderation macht, könnt ihr euch aussuchen."

,,Soll ich sie machen oder möchtest du sie übernehmen?", fragte Carlos und richtete sich zu mir.

,,Mach du sie ruhig", ließ ich ihm den Vortritt und setzte leise flüsternd nach, ,,wir sind uns doch beide einig, dass wir uns wenigstens für die Fans Mühe geben, uns zu verstehen, oder?"

,,Natürlich", merkte Carlos an und lächelte schüchtern, was ich erwiderte. Bevor ich mich auch nur ansatzweise in seinen braunen Augen verlieren oder mit meiner Schwärmerei anfangen konnte, löste ich schnell meinen Blick von Carlos. Ich musste die Gefühle für ihn unterdrücken und durfte nicht in alte Muster zurückfallen.

,,Wir sind soweit", verkündete Carlos, was Hendrik mit ein zustimmend Nicken hinnahm:,,Dann auf drei. 1..., 2..., 3."

,,Hey Leute, wir sind hier beim Grand Prix in Kanada und spielen das Spiel... wie war der Name doch gleich?", fing Carlos an und sah hilfesuchend zu mir, ,,ich würde... würdest du... warum würde er?"

,,Würdest du eher", antwortete ich schmunzelnd. Vielleicht würde der Dreh doch nicht so schlimm werden, wie ich angenommen hatte.