83 ❖
„Hast du mir nichts zu sagen?"
Jimin hatte ihn in eine Taverne gezerrt, wo er einfach in irgendeinem Raum geworfen wurde. Und nun saßen sie an einem Tisch und tranken Tee. Also eigentlich trank Jimin Tee, während Taehyung seine Beine an den Körper gezogen hatte und voller Angst in das Gesicht des Hundes sah, den der andere absichtlich vor ihm sitzen gelassen hatte.
Obwohl das Tier nichts tat, hatte Taehyung das Gefühl, dass seine Seele ihn vor lauter Panik verließ.
„I-Ich wüsste wirklich nicht, was ich dir zu sagen hätte...!", stieß er zitternd hervor, sein Blick nicht von dem Hund abwendend.
Es war unmöglich gewesen, Jimin weiterhin etwas vorzuspielen. Immerhin kannte er ihn sehr gut und allein seine panische Angst vor so einem niedlichen Hund hatte seine Tarnung auffliegen lassen.
Jimin verzog angewidert das Gesicht. „Du hast dich wirklich nicht verändert."
„Du bist derjenige, der keinen Fortschritt gemacht hat!", schrie er und schlotterte dann im nächsten Moment wieder vor Angst.
Er betete innerlich, dass Jungkook wieder von irgendwo herspringen würde, um ihn zu retten.
„Na gut, dann lass uns herausfinden, wer hier wirklich keinen Fortschritt gemacht hat." Jimin erhob sich und befahl Yeonjuns Hund sich Taehyung zu nähern.
Das Tier gab nun einige bedrohlichere Töne von sich. Taehyung hielt seine Arme vor sich und kniff die Augen zusammen. Er hatte das Bedürfnis zu weinen. Diese mentale Folter wurde ihm zu viel.
„Jin Hyung!"
„Wen hast du gerufen? Wie kannst du es wagen ihn vor mir zu erwähnen?!"
Um ehrlich zu sein, hatte er vor lauter Angst nicht einmal ganz mitbekommen, dass er überhaupt nach jemanden geschrien hatte. Aber jetzt, wo Jins Name gefallen war, zog sich seine Brust schmerzhaft zusammen.
Jimin lachte gehässig, als er nichts darauf erwiderte. „Richtig, du bist ja der Yiling Patriarch, der keine Tabus kennt. Selbst nach sechzehn Jahren will Jeon Jungkook dich noch beschützen. Obwohl er dies vielleicht nicht tut, um dich zu beschützen. Niemand vom Jeon Clan hat vergessen, was du und Lee Eunwoo getan habt. Eine Person, deren Integrität von allen hochangesehen wird, wie er könnte dich auf gar keinen Fall tolerieren. Vielleicht ist er ja vertraut mit dem Körper, den du gestohlen hast."
Seine Worte waren grausam und unheimlich. Jeder Satz schien oberflächlich gut gemeint, war aber tatsächlich abfällig.
Taehyung konnte es nicht länger ertragen, wie er Jungkooks Namen in den Dreck zog.
„Pass auf, was du sagst!"
„Das habe ich doch nie getan. Hast du es vergessen?"
Er lachte verächtlich. „Das stimmt wohl."
„Und wer bist du schon, dass du mir sagen kannst, dass ich aufpassen solle, was ich sage? An dem Tag auf dem Dafan Berg, hast du da aufgepasst, was du gesagt hast, als du Yeonjun gegenüberstandst?!", presste Jimin entrüstet hervor.
Taehyung senkte den Kopf und biss sich auf die Lippen. Er hasste sich ja selbst für die Worte an dem Tag, die er an seinen Neffen gerichtet hatte.
„Mangel an mütterlicher Erziehung? Du weißt wirklich, wie man flucht. Wie schlau du doch bist. Das ist alles deine Schuld, dass Yeonjun immer wieder von anderen bezüglich seiner Eltern aufgezogen wird! Du kannst alles vergessen, alles. Aber nicht, wie seine Eltern gestorben sind!"
„Ich habe es nicht vergessen! Ich habe nur-" Taehyung Schrei ging unter in einem verzweifelten Winseln.
„Nur was?"
„N-Nur..."
Jimin stieß einen langen, sarkastischen Seufzer aus. In seinen Augen trotzte es nur so von Ironie und Abscheu. „Was? Kannst du es nicht aussprechen? Keine Sorge. Du kannst zurück zum Lotuspier kommen, dich vor das Grab meiner Eltern knien und in Ruhe sprechen."
Taehyung Augen waren feucht, als er undeutlich vor sich hinmurmelte: „Wer würde nicht zurückgehen wollen? Ich will sogar in meinen Träumen zurück zum Lotuspier."
„Was murmelst du da vor dich hin?"
„N-Nichts!", rief Taehyung schnell und wandte sein Gesicht ab, um seine aufkommenden Tränen vor Jimin zu verbergen.
„Wo ist er?"
„Wer?"
„Wo ist Lee Eunwoo? Wo ist er??" Jimins Stimme war wieder lauter geworden, während er dastand und auf den kümmerlichen Haufen herunterblickte.
Taehyung schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht..."
„Du weißt nicht, wo dein Köter ist? Denkst du, das kaufe ich dir ab?"
„Ob du mir glaubst oder nicht, ich weiß wirklich nicht, wo er ist. Jimin, es ist schon so viel Zeit vergangen. Hasst du ihn wirklich noch so sehr?"
Jimin spannte sich sichtlich an. Sein ganzer Körper schien in Flammen zu stehen, nachdem er diese Frage gestellt hatte. Es sah so aus, als würde Jimin sich gerade so noch zurückhalten, um sich nicht auf ihn zu stürzen.
„Kim Taehyung. Du fragst mich, ob ich ihn hasse?" Er packte ihn am Kragen seines Gewands und zog ihn schroff auf die Füße. „Du fragst mich, ob ich ihn hasse?! Wenn er nicht gewesen wäre, wäre Kim Namjoon dann gestorben? Wäre mein Bruder gestorben?! Wenn du nicht gewesen wärst!"
Taehyung senkte seine Lider und triftete mit den Gedanken davon. Eine entsetzliche Leere breitete sich in seinem Herzen aus.
Jimin knirschte mit den Zähnen und warf ihn zurück in den Stuhl. „Was hat der Park Clan jemals getan, dass wir das verdienen?"
„Jimin, beruhige dich. Hast du dich jemals gefragt, wie es sein kann, dass Eunwoo bis jetzt noch am Leben sein kann?"
Bevor Jimin sich länger über diese Frage Gedanken machen und Taehyungs Worte zu ihm durchdringen konnten, klopfte es an der Tür zu dem Zimmer.
„Onkel?"
Jimin runzelte die Stirn und trat einige Schritte zur Tür. „Habe ich dir nicht gesagt, dass du da bleiben sollst, wo du bist? Wozu bist du herkommen?"
Auf der anderen Seite der Tür entgegnete Yeonjun: „Ich habe dir eine sehr wichtige Sache zu sagen."
„Was für eine Sache? Du hast sie mir nicht erzählt, als ich dich angeschrien habe. Und jetzt willst du mir was erzählen?"
„Genau, weil du mich angeschrien hast, habe ich nichts gesagt. Willst du es hören oder nicht? Ich gehe", erwiderte Yeonjun unbeeindruckt.
Jimin verdrehte genervt die Augen und riss die Tür auf. „Rück schon damit heraus."
Yeonjun grinste zufrieden mit sich selbst und betrat mit Jimin das Zimmer. „Ich habe heute durchaus etwas Ärgerliches gefunden. Ich denke, ich habe Lee Eunwoo heute gesehen."
Jimins Augen weiteten sich und auch Taehyung drehte sich verwundert zu dem Jungen.
„Wann? Wo?"
„Diesen Nachmittag." Er sah Jimin ohne mit der Wimper zu zucken an. „Dutzende von Meilen im Süden. Dort gibt es ein schäbiges Haus. Ich bin dahingegangen, weil sich herumgesprochen hat, dass dort etwas recht Seltsames sein soll. Aber anscheinend lebt da jemand..."
„Wieso hast du mir das nicht früher gesagt?!", schrie Jimin erzürnt.
Yeonjun schob seine Unterlippe nach vorne. „Ich war mir nicht sicher. Der Kerl war so schnell. Innerhalb eines Wimpernschlags konnte ich nur vage seinen Rücken noch sehen. Aber die Ketten haben sich so angehört wie seine Ketten auf dem Dafan Berg. Also habe ich vermutet, dass er es ist. Wenn du mich nicht sofort getadelt hättest, soweit ich irgendetwas sage, hätte ich es dir viel früher erzählt, Onkel. Wenn du es daher nicht schaffst, ihn dieses Mal zu erwischen, hast du es selbst deinem schlechten Temperament zu verdanken."
Taehyung hob eine Braue nach oben. Das, was Yeonjun sagte, klang nicht wirklich nach der Wahrheit. Was hatte der Junge bloß vor?
„Wir reden später darüber. Und jetzt geh."
Yeonjun zuckte mit den Schultern und warf Taehyung einen kurzen Blick zu, ehe er hinauslief und die beiden Erwachsenen wieder allein ließ.
Damit richtete sich Jimins schlechtes Temperament wieder auf ihn. Na toll.
„Statt zurück zum Lotuspier zu kommen, nachdem du wiederbelebt wurdest, hast du lieber den Mörder von Namjoon aufgesucht", presste Jimin wütend hervor.
„Eunwoo ist schon eine Marionette. Und ich bin quasi schon einmal gestorben. Was willst du von uns?"
„Was ich von euch will? Lass es mich dir so sagen. Selbst wenn du und er tausende Male sterben würdest, wird mein Hass euch gegenüber niemals verblassen! Der Kim Clan hat damals versagt. Na gut. Dann werde ich ihn heute selbst einfangen, ihn zu dir bringen, euch verbrennen und eure Überreste verstreuen."
Taehyungs sah ihn verzweifelt an, als er Zidian ausholte und sich die Peitsche wie ein Seil um seinen Körper band, sodass er sich nicht mehr bewegen konnte. Daraufhin warf Jimin ihm noch einen bösen Blick zu, ehe er sein Schwert nahm und ihn dem Raum allein zurückließ. Immerhin hatte er den Hund mitgenommen.
Jedoch dauerte es nicht lange, bis die Tür das nächste Mal aufgemacht wurde. Und dieses Mal stand wieder Yeonjun vor ihm. Gleichgültig trat er auf ihn zu, streckte seine Hand aus und nahm Zidian an sich, woraufhin Taehyung befreit wurde.
„Los."
Taehyung konnte nicht glauben, dass Yeonjun ihm tatsächlich geholfen hatte. Der junge Kultivierende führte ihn aus dem Gasthaus und sie rannten durch die Straßen bis hin in einen nahegelegenen Wald. Dort bekam er wieder Angst, als das Bellen eines Hundes in der Ferne ertönte.
Yeonjun guckte ihn neckend an. „Wie schamlos. Fee beißt nie Leute. Denkst du, er sei ein gewöhnlicher Hund?"
Er verzog das Gesicht. „W-Warte, wie hast du ihn genannt?"
„Fee. Sein Name."
„Du nennst einen Hund Fee?", fragte Taehyung spöttisch.
„Was stimmt damit nicht? Er hieß mal kleine Fee, aber jetzt, wo er gewachsen ist, kann ich ihn nicht mehr so nennen."
Taehyung lachte. „Es hat nichts mit klein oder groß zu tun. Das Problem ist wohl eher die Namensgebung allgemein. Das musst du von Jimin gelernt haben."
Yeonjun sah ihn empört an. „Du hast meinen Onkel beleidigt, aber ich lasse dich jetzt gehen. Dadurch sind wir quitt."
Der Ältere lächelte. Yeonjun war durch und durch unschuldig. Und seine Laune war wirklich amüsant.
„Yeonjun, weißt du, warum dein Onkle mich fangen wollte?"
„Natürlich weiß ich das. Er denkt, dass du Kim Taehyung bist."
Seine Mundwinkel hoben sich abwartend. „Was ist mit dir? Denkst du das nicht?"
„Mein Onkel fängt alle ein, die Kim Taehyung sein könnten. Und Zidian hat dich auch schon getestet. Außerdem...", Yeonjun zögerte kurz, „war Kim Taehyung nicht schwul. Aber du hast dich sogar gewagt- Jedenfalls fürs erste glaube ich nicht, dass du er bist."
Taehyung sah zu, wie er ihn angewidert anblickte, als hätte Song Taehyun etwas derartig Ekelhaftes getan. Sollte er sich doch nochmal nach dem Ruf erkundigen, den dieser Körper mit sich brachte?
„Was habe ich gewagt?"
Yeonjun presste seine Lippen aufeinander und schaute sich nervös um. „Vergiss es! Du solltest jetzt gehen."
Der Jugendliche war bereits drauf und dran wegzugehen, doch dann drehte er sich noch einmal um, als er realisierte, dass Taehyung sich nicht vom Fleck bewegt hatte.
„Was? Wartest du etwa auf meinen Onkel? Ich sage dir mal was. Nur, weil du mich gerettet hast, heißt das nicht, dass ich mich bei dir bedanke."
Taehyung seufzte kopfschüttelnd und trat an ihm heran. „Junger Mann, in deinem Leben solltest du zwei Sätze lernen zu sagen."
„Welche zwei?"
Er lächelte schwach. „Danke und Entschuldigung."
Yeonjun schaute ihn bockig an und rief: „Will ich nicht. Außerdem... Wieso redest du wie ein alter Mann?"
„Eines Tages wirst du diese Worte weinend zu jemanden sagen", sagte Taehyung etwas niedergeschlagen.
Aber der Junge war natürlich zu jung und stur, und erwiderte nichts darauf. Stattdessen blickte er eingeschnappt weg.
Für eine Weile betrachtete Taehyung ihn. Der Sohn von Jin und Namjoon. Er konnte die äußerlichen Ähnlichkeiten nun auf jeden Fall erkennen. Das war sein Neffe. Zwar nicht blutsverwandt, aber irgendwie war er ja trotzdem sein Onkel. Er hatte ihm den Namen gegeben. Kim Yeonjun.
„Yeonjun-ah."
„Hm?" Yeonjuns Augen wurden etwas größer, als er den sanften Tonfall von ihm hörte.
„Es tut mir leid."
Die Worte brachen ihn mehr aus der Fassung, als erwartet.
„F-Für was?"
„Für das, was ich auf dem Dafan Berg zu dir gesagt habe. Es tut mir leid. Das...war nicht so gemeint", sagte Taehyung aufrichtig.
Yeonjun schien etwas verlegen zu sein, aber gleichzeitig genoss er die Wärme hinter diesen Worten. Sonst hatte sich niemand bei ihm entschuldigt. Jeder zog ihn wegen seinen verstorbenen Eltern nur herunter, als wäre der Verlust dieser nicht schon schlimm genug.
„Halb so wild... Du bist sowieso nicht der Erste, der das zu mir gesagt hat. Richtig, mir fehlt es an elterlicher Erziehung, aber das macht mich nicht minderwertiger als alle anderen. Im Gegenteil, ich werde jedem beweisen, dass ich viel stärker bin als sie."
Taehyung lächelte und nickte stolz.
Er würde noch gerne länger bei seinem Neffen bleiben, die Gespräche waren immerhin ziemlich amüsant, aber er musste gehen und außerdem war da noch was.
Taehyung verzog seine Miene zu einer verzweifelten Grimasse. „Oh Jimin! Bitte, ich kann es erklären!"
Yeonjun drehte sich daraufhin erschrocken nach hinten, um Jimin entgegenzutreten, doch Taehyung nutzte die Gelegenheit und schlug ihm auf einen bestimmten Punkt auf die Schulter, woraufhin der Junge bewusstlos umfiel.
„Sorry Yeonjun-ah. Meine Schauspielkünste sind wirklich gut."
Er widmete sich dem Bein des Jungen, auf dem sich die Spuren des Fluchs deutlich ausgebreitet hatten. Nun sah es so aus, als wäre sein ganzes Bein schwarz angelaufen.
„Ich kann vielleicht die Spuren eines bösartigen Zaubers nicht auslöschen, aber dafür kann ich sie auf mich übertragen", murmelte er nachdenklich zu sich selbst.
_______________________
Frohe Weihnachten an euch alle! :)
Mei~
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro