51 ❖
Die Nacht hindurch hatten sie es irgendwie geschafft ein paar Stunden zu schlafen. Erstens, weil sie von dem vielen Weinen und Schreien viel zu erschöpft waren, um länger die Augen offen halten zu können, also hatten sie sich in den Schlaf geweint. Zweitens, hatten sie gehofft, dass alles ein schrecklicher Albtraum war, aus dem sie erwachen würden, soweit sie das nächste Mal die Augen aufschlugen. Alles wäre wie immer. Sie würden in ihren Betten im Lotuspier liegen. Park Joongki würde sein Schwert im Haupthof hin- und herschwingen. Madam Han wäre wieder wütend und würde sich über Taehyung beschweren, der schelmisch zwinkern und sich mit Jimin davonmachen würde. Jin würde in der Küche sein und darüber nachdenken, was er heute kochen sollte. Ihre jüngeren Schüler würden sich weigern zu dem morgendlichen Unterricht zu gehen und durch die Gegend rennen.
Aber ein Wunsch wurde nicht einfach wahr, wenn man es sich bloß sehnlichst wünschte.
Taehyung und Jimin wachten nicht in ihren Betten auf. Und Jimins Eltern würden sie auch nie wiedersehen, genauso wie alle anderen Park Clan Mitglieder, die in der Nacht ums Leben gekommen waren.
Es fühlte sich immer noch wie ein Albtraum an. Doch dieser Albtraum war die brutale Realität.
Als Taehyung in dem hohen Gras wach wurde und sich aufsetzte, die getrockneten Überreste seiner Tränen aus dem Gesicht wischend, war Jimin schon wach gewesen und saß wie eine leere Hülle da.
Er war der Erste von beiden, der sich bewegte. Taehyung, seine Hände an seinen Oberschenkeln, schaffte es sich aufzurichten und sprach mit heiser Stimme: „Lass uns gehen."
Jimin bewegte sich keinen Millimeter, also beugte er sich zu ihm herunter, legte seine Hand in seine und hielt sie fest. Aber Jimin zog sich nicht an ihm hoch. Seine Hand hing ohne jegliche Spannung herunter und glitt zurück nach unten.
„Wo...W-Wohin gehen?", hauchte dieser schwach.
„Vergiss nicht, dass Jin Hyung...immer noch im Wald auf uns wartet."
Erst dann setzte Jimin sich in Bewegung, erhob sich und stapfte abwesend los. Taehyung sah ihm für einen Moment bedrückt nach, ehe auch er in langsamen Schritten hinterherschwankte. Wie zwei seelenlose Gestalten liefen sie zurück zu dem Waldstück, wo sie Jin zurückgelassen hatten.
Als sie bei ihm ankamen, saß dieser frierend auf einem Stein, die Hände um den Familienanhänger mit der Lotusblume.
„Hyung."
Jin stand auf und sah Taehyung völlig hoffnungsvoll an. „Und?"
Taehyung biss sich auf die Lippen, Tränen sammelten sich automatisch in seinen Augen, weshalb er sich wortlos wegdrehte. Und als er dann auch noch Jimins leblose Miene sah, wurde ihm alles klar.
Jin kniff die Augen zusammen und schluckte hart, bevor er mit ganzer Willenskraft sagte: „Taehyung. Los, s-sag es."
Dessen Mund öffnete sich, Worte strömten heraus und gingen unter dem lauten Donner des Gewitters unter, das über ihnen wütete. Aus dem Nichts hatte sich der Himmel verdunkelt, Blitze jagten durch den Himmel und dicke, düstere Wolken schütten Strömen an Regen auf sie herab.
Jin begann bei den Worten endgültig zu weinen, seine Hand umklammerte noch fester den Anhänger, der in der Nacht zuvor auf den Boden gefallen und zersplittert war, als hätte es das böse Ohmen bereits gespürt. Die zerbrochene Jade bohrte sich in seine Hand, das Blut tropfte zu Boden.
Tränen, Blut und Regen vermischten sich.
Der Älteste ließ sich an dem Baumstamm heruntergleiten, die anderen beiden weinten bitterlich. Leidendes Weinen erfüllte den Wald, dass selbst das Unwetter ihre kläglichen Laute nicht abdämpfen konnte.
„I-Ich kann es nicht...g-glauben...! Ich glaube es nicht!"
_____
Sie waren mit dem Boot in die nächste Kleinstadt gereist, wo sie seit ihrer Ankunft schweigend in einem Gasthaus vor dem Regen Unterschlupf gefunden hatten. Niemand hatte mehr etwas von sich gegeben. Verlorene Seelen, die nicht mehr weiterwussten.
Jimin saß weggetreten da, hielt seine Hand mit Zidian fest an seine Brust gedrückt, direkt an sein Herz, während er immer und immer wieder mit seiner anderen Hand über den letzten Überbleibsel strich, den er von seiner Familie noch besaß.
Jin lag im Bett und war eingeschlafen.
Nur Taehyung schien noch bei klarem Verstand zu sein und versuchte die Gruppe voranzutreiben, um nicht völlig zu zerbrechen, obwohl auch er sich am liebsten in eine Ecke verkrochen hätte. Er ging von dem offenen Fenster weg und setzte sich an das Bett, wo er seine Hand auf Jins Stirn legte, die viel zu heiß war.
Durch die Berührung wurde der andere wach und hielt seine Hand fest. „Taehyung..."
„Hyung, du...du hast Fieber. Ich werde gehen und etwas Medizin für dich kaufen. Mach dir keine Sorgen. Ich versichere dir, dass ich nicht herumrennen werde."
Taehyung deckte Jin wieder ordentlich zu und betrachtete betroffen das schlafende Gesicht, bevor er zu Jimin ging und seine Hand auf dessen Schulter legte. „Jimin, Jin Hyung hat starken Fieber. Ich werde gehen und Medizin besorgen. Bleib hier und kümmere dich bitte um ihn. Geh nicht weg, okay?"
Auch wenn er keine Antwort oder irgendeine Form von Reaktion erhielt, stand er auf und lief zur Tür. Bevor er das Zimmer jedoch verließ, drehte er sich noch einmal um und guckte sie an. Mit aufeinandergepressten Lippen ließ er sie schließlich allein.
So schnell es ging, machte Taehyung seine Besorgungen, kaufte etwas Essen und stand letztendlich bei einem Stand, der Medizin verkaufte. In der einen Hand hielt er den Regenschirm, in der anderen kramte er die letzten Münzen aus seiner Tasche, als er plötzlich Lee Clan Uniformen aus dem Augenwinkel sah.
Er versteifte sich und senkte seinen Kopf, während sie hinter ihm vorbeigingen. Leider schienen sie ihn zu verdächtigen und bewegten sich bereits auf ihn zu, als aus der Ferne einer von ihnen rief, dass sie ihn erwischt hatten. Auf der Stelle drehten sich die Männer in die andere Richtung und stürmten dorthin.
Taehyung atmete erleichtert auf, auch wenn er sich fragte, wen sie da bloß erwischt hatten.
Mit einem unguten Gefühl machte er sich wieder auf dem Weg zurück in das Gasthaus. Zu seinem Schock fand er in ihrem Zimmer nur Jin vor, der im Bett lag.
Von Jimin war keine Spur zu sehen. Er war weg.
Sofort weckte er Jin auf. „Hyung, J-Jimin ist weg! Hast du gesehen, wie er gegangen ist? Hat er etwas gesagt?"
„Jimin ist weg? Wo ist er bloß hingegangen? Was sollen wir tun?", rief Jin erschüttert und setzte sich hastig auf.
„E-Er ist doch nicht etwa zum Lotuspier zurückgegangen...? Wir müssen ihn finden."
Jin stand ruckartig auf und wollte sofort losstürmen, aber sein Fieber hinderte ihn daran. Seine Beine gaben unter ihm nach und Taehyung musste ihn auffangen und zurück aufs Bett setzen.
„Hyung. Du...Du kannst nicht gehen. Hör mir zu, du musst für eine Weile zu Großmutter gehen. Okay? Geh nicht mit. Warte auf mich. Ich werde Jimin zurückholen." Taehyungs Augen wurden feucht. „Ich werde ihn auf jeden Fall zurückholen. Aber du musst in Sicherheit bleiben. Versprich es mir, Hyung."
Widerwillig nickte Jin langsam. „I-Ich verspreche es." Er nahm Taehyungs Hände und drückte sie fest. „Aber du musst mir versprechen, dass du Jimin findest. Versprich mir, dass wir drei zusammenbleiben werden. Versprich es mir."
Taehyung kämpfte mit seinen Tränen, er wischte sich über die Augen und biss sich auf die Lippen. Er wusste, dass er das nicht versprechen konnte. Er konnte nicht versprechen, dass sie alle wieder zusammenkommen würden. Er brachte es nicht übers Herz, ein Verbrechen zu äußern, das er vielleicht nicht einhalten konnte.
Also schubste er Jin weg und rannte allein los, ohne sich auch nur einmal umzudrehen.
_____
Er rannte den ganzen Weg durch den Regen zurück zum Lotuspier, stolperte einige Male und fiel hin, nur um sich wieder aufzuraffen und weiter zu rennen, als wäre nichts vorgefallen. Taehyung kämpfte sich durch Gräser, Bäume und Schlamm, aber egal, wie schnell er rannte, er holte Jimin nicht ein.
Nicht eine Spur von ihm.
Auch, als er den Lotuspier erreichte und die Nacht angebrochen war, der Mond und die vielen Sterne am Nachthimmel, hatte er Jimin immer noch nicht sehen können. Als wäre er im Erdboden verschluckt worden.
Taehyung schlich sich in das Gelände und bewegte sich an den Wänden entlang, sein Körper völlig geschwächt. Als er Schritte in der Nähe hörte, riss er die Augen auf und presste sich an eine Wand, wo er in den Schatten verschwand.
Die Schritte näherten sich, bis die einzelne Person unmittelbar vor ihm war. Er zögerte nicht, schnellte nach vorne und schlang seine Arme um ihn und drückte seine Hand auf die Kehle des anderen.
„Sei leise! Oder ich drehe dir den Hals um!"
Die Person rang nach Luft und presste erstickend hervor: „T-Taehyung Hyung...! I-Ich...Ich bins. Ich bin es."
„Spiel keine Tricks!"
„I-Ich spiele keine Tricks. H-Hyung, guck mein Gesicht an...!"
Taehyung drehte ihn um und hielt ihn eine Armlänge von ihm entfernt vor sich. Als er dessen Gesicht sah, wurden seine Augen groß. „Eunwoo?"
Er ließ ihn für einen Augenblick los, doch dann packte er ihn sofort wieder am Kragen und zog zu sich. „Warst du am Massaker am Lotuspier beteiligt? Sag es mir, warst du?! Du bist so undankbar. Ich hätte dich nicht retten sollen", zischte er schweratmend.
„Hyung, ich war nicht beteiligt...! W-Wirklich nicht. Als ich davon gehört habe, bin ich sofort hierhergekommen. Ich bin gerade erst angekommen. Hyung?"
Geschockt von seiner eigenen blinden Wut ließ er Eunwoo los und wich zurück. Er ballte seine Fäuste und versuchte sich zu beherrschen, sich nicht auf Eunwoo zu stürzen, der ebenfalls ein Mitglied des Lee Clans war.
„Hyung, bist du hier, um Jimin zu finden?"
Er guckte ruckartig auf. „Was hast du gesagt? Hast du ihn gesehen?"
Eunwoo nickte schnell. „Er wurde vor einer Weile von Taeyong gefangen genommen."
„Wirklich?"
Wieder ein Nicken.
Ich muss da reingehen und Jimin holen. Ich könnte Eunwoo als Geiseln nehmen. Immerhin ist er einer von ihnen. Es darf nichts schiefgehen. Ich-
Taehyung stockte, als er den kleinen Beutel an Eunwoos Taille sah, der an dem Gurt seines Gewands gebunden war. Es war der Talisman, den er ihm nach dem Kampf gegen den Wasserdämon gegeben hatte. Es erinnerte ihn daran, dass Eunwoo kein Feind war. Dass Eunwoo ein Freund war, der ihm im Verließ von Taeyong geholfen hatte.
„Hyung, ich kann dir helfen, ihn zu retten."
Er sah ihn überrascht an. „Du bist bereit mir zu helfen?"
„Ich kann euch hier auch rausbringen. Obwohl wir zum Yiling Aufsichtsamt gehörten, haben meine Schwester und ich genug Einfluss, dass einige der anderen Mitglieder hier auf uns hören."
Taehyung leckte sich über seine vertrockneten, spröden Lippen und presste heiser hervor: „Dann...k-könntest du auch die Körper von Clan Leader Park und Madam Han rausbringen?"
„Ich werde mein Bestes versuchen."
_____
Taehyung versteckte sich am Steg bei einem kleinen hölzernen Boot. In ihm wütete eine entsetzliche Unruhe, während er auf Eunwoo wartete. Es war bereits viel Zeit verstrichen und er war noch nicht zurückgekommen.
Langsam zweifelte er an den anderen.
Die Müdigkeit, die mangelnde Energie und der seelische Schmerz brachen ihn um seinen Verstand. Er schien verrückt zu werden und entwickelte paranoische Gedanken.
Was wenn Eunwoo ihn angelogen hatten? Was wenn Jimin gar nicht hier war? Was wenn er Leute holte, um ihn zu fangen?
Er schüttelte schnell den Kopf.
Es wäre besser, wenn Jimin nicht dort drinnen wäre.
__________________________
Also wie ihr seht, dreht sich alles erst mal um Taehyung, Jimin und Jin. Jungkook kommt dann etwa in 3-4 Kapiteln wieder, aber die Handlung, die sich jetzt anspitzt, ist sehr sehr sehr entscheidend für das ganze Buch :)
Mei~
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro