Die Ehre der Elstern II
Sorah räusperte sich und lenkte das Gespräch wieder zum eigentlichen Thema zurück. »Ich suche einen Weg, um in die Residenz des Fürsten zu gelangen.«
»Oh, dann habt Ihr Großes vor«, sagte Ciacas. »Halten sich die Raben nicht gewöhnlich aus der Politik raus?«
»Darüber spreche ich nicht mit Euch«, entgegnete sie kühl.
»Ihr wollt also Eure Sorgen und Probleme nicht mit mir teilen?«, fragte er unschuldig. »Wenn es Euch hier zu belebt ist, dann können wir auch hochgehen und dort unter vier Augen miteinander sprechen.« Er kam ein Stück an sie heran.
»Einen Schritt näher und ich teile nur noch meine Klinge zwischen Euren Rippen mit Euch.«
Ciacas grinste und hob die Hände. »Ruhig, meine Liebe«, sagte er. »Wir müssen doch nicht gleich so barbarisch werden. Wisst Ihr, man kann sich auch zivilisiert unterhalten.«
Sorah biss die Zähne zusammen. »Dann behaltet Eure Hände bei Euch.«
»Habe ich doch«, sagte Ciacas. »Ihr könnt sie sogar sehen.«
Die Hände hatte er immer noch erhoben, aber Sorah war es nicht entgangen, dass er sich erneut einen Schritt zu ihr bewegt hatte.
»Beantwortet mir meine Frage«, sagte sie.
»Welche?«, fragte Ciacas, immer noch ein selbstgefälliges Lächeln auf den Lippen.
Sorah holte tief Luft. Sie würde sich nicht von einem Dieb wahnsinnig machen lassen, sie würde sich nicht wahnsinnig machen lassen.
»Wo befindet sich ein Eingang in die Residenz des Fürsten?«, fragte sie erneut. »Einer, der möglichst unbewacht und unauffällig ist.«
»Ihr habt aber viele Anforderungen«, sagte Ciacas, »und das, ohne mir ein Angebot gemacht zu haben. Lasst mich Euch fragen: Was gedenkt Ihr, mir für diese Information zu geben?«
Sorah knirschte mit den Zähnen. Natürlich war die Aufgabe doch nicht so einfach.
»Was wollt Ihr haben?«, fragte sie. Sein Lächeln wurde breiter und verriet, dass ihre Frage ein Fehler gewesen war.
»Nun, meine Liebe«, sagte er. Die Hände behielt er weiterhin erhoben, aber er trat einen Schritt auf sie zu. Es war kaum noch eine Armlänge zwischen ihnen. »Es gibt einige Dinge, die ich erst von Euch wissen möchte, ehe ich meinen Preis nenne. Damit habt Ihr sicherlich kein Problem, oder?«
Doch, sie hatte damit ein Problem, aber er würde sich nicht davon abbringen lassen. »Dann fragt«, sagte sie. Sie wollte nicht länger als notwendig hierbleiben.
»Fangen wir mit etwas Einfachem an. Raben reisen oft allein, aber nicht immer. Seid Ihr mit jemand anderem hier?«
Sorahs Brauen schoben sich zusammen. »Bin ich.«
»Wunderbar, wunderbar.« Er setzte an, seine Hände sinken zu lassen, aber etwas in Sorahs Blick musste ihm sagen, dass es keine gute Idee war, und er behielt sie doch oben.
»Euer Ziel ist jemand aus der Familie des Fürsten?«, fragte Ciacas weiter.
»Mhm«, machte Sorah. Irgendetwas plante der Dieb und sie konnte nicht sagen, ob es sich lohnte, auch für ihn eine Spielfigur zu sein.
»Ah, ich erinnere mich. Das Ziel ist sein Sohn, nicht wahr?«
Woher wusste er ...?
»Ich hatte mich schon gefragt, wann Ihr seinetwegen hier auftauchen würdet. Schade eigentlich, ich mochte den jungen Tolas, aber Ihr habt Eure Geschäfte mit ihm, das verstehe ich.«
»Tolas?« Sie ohrfeigte sich innerlich. Das Wort hätte ihr gar nicht über die Lippen kommen dürfen. Wenn das so weiterging, würde sie sich in diesem Gespräch mit dem Dieb öfter ohrfeigen, als Kematian es je getan hatte – gut, so oft vielleicht doch nicht.
»Ihr wusstet nicht, dass er das Ziel ist?«, fragte Ciacas und lachte auf. »Ich hatte mich schon gefragt, weshalb Ihr ihn gestern bei Eurem Schäferstündchen nicht ausgeschaltet habt.«
»Was? Das war kein ... Und woher wisst Ihr überhaupt davon?«
Ciacas zuckte mit den Schultern. »Über lang oder kurz erfahre ich alles, was in dieser Stadt vor sich geht. Doch nun zu meiner dritten und letzten Frage: Seid Ihr oder Euer Partner zufällig gute Schützen?«
Sorah schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter, der bei der Information, dass Tolas das Ziel war, entstanden war. Sie hatte später noch Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Jetzt zählte der Dieb und dass sie mit ihm ein Abkommen schloss.
Sie nickte.
»Dann lasst mich Euch einen Vorschlag unterbreiten«, sagte Ciacas. »Ich denke, wir können einander helfen. Ich erzähle Euch, wie Ihr hineingelangt, und Ihr überbringt dafür eine Nachricht für mich.«
Sorahs Backenzähne mahlten. Eigentlich spielte sie für niemanden Botin – außer für Kematian. Aber der Rabe hatte ihr beauftragt, an Informationen zu gelangen. Mit leeren Händen konnte sie nicht zurückkehren.
»In Ordnung«, sagte sie.
»Gut«, sagte Ciacas. »Dann lauscht. Ich nenne Euch zwei Wege, wie Ihr hineingelangen könnt. An der Nordseite gibt es ein Loch in der Wand, das von Gestrüpp überwuchert ist. Wir haben es vor einigen Jahren schon hineingeschlagen und bisher blieb es unentdeckt.«
Sorah machte sich in Gedanken Notizen.
»Von dort aus geht Ihr über den Hof und kommt direkt bei dem Dienstboteneingang an. Achtet nur darauf, dass Euch die Wachen nicht sehen. Sie patrouillieren gewöhnlich jede Viertelstunde.«
Sie nickte.
»Und lasst Euch am besten im Dienstbodengang von niemandem entdecken. Einige der Bediensteten sind dem Fürsten treu ergeben. Wenn Ihr nicht auch die gesamte Dienerschaft auslöschen wollt, schlage ich vor, Euch bedeckt zu halten.«
Ciacas machte eine kurze Pause, ehe er fortfuhr: »Aber eine Alternative habe ich natürlich auch für Euch, falls Ihr sie wahrnehmen möchtet. Ihr Raben seid ja so ... schrecklich langweilig und verdammt schlechte Schauspieler.«
Sorahs Miene verfinsterte sich, aber sie erwiderte nichts, obwohl sie selbst damals oft Leute getäuscht hatte. Seit sie den Raben angehörte, hatte sich dies jedoch geändert, denn Kematian hielt ihre Fähigkeiten dahingehend für überflüssig.
»Am morgigen Abend wird ein Ball in der Residenz stattfinden und Ihr und Euer Partner könntet Euch als Gäste dorthin begeben. Mir kam bei meinen ... nächtlichen Tätigkeiten eine Einladung für einen gewissen Grafen Levan unter, der gemeinsam mit seiner Schwester eingeladen ist, aber ...«
Natürlich gibt es ein ›Aber‹. Sorah rollte mit den Augen.
»... das wird Euch mehr kosten als nur der kleine Botengang für mich.«
»Das war mir klar«, sagte sie. »Was wollt Ihr?«
Das erste Mal, seit sie das Versteck betreten hatte, geriet die Selbstgefälligkeit in Ciacas' Lächeln ins Wanken. »Das weiß ich noch nicht. Falls Ihr die Einladung möchtet, dann könnt Ihr mich gern später nochmal beehren. Bis dahin habe ich mir sicherlich etwas einfallen lassen.«
»In Ordnung«, murrte Sorah. Sie wollte eigentlich, sobald sie aus dem Versteck getreten war, nie wieder dorthin zurückkehren.
»Dann aber nun zum spannendsten Teil des ganzen Unterfangens. Was sollt Ihr nun für mich tun, dafür, dass ich Euch an meinem Wissen teilhaben lasse? Bei dem Ball morgen Abend werden viele Adelige von hier und aus anderen Städten sein. Wenn Ihr im Inneren seid, dann sucht Euch einen Weg in das oberste Stockwerk. Dort gibt es eine Balustrade, von der aus Ihr über den Ballsaal blicken könnt.«
Hatte er nicht gemeint, sie solle einen Botengang für ihn unternehmen?
»Tötet Tolas mit einem Pfeil, an dem Ihr die Nachricht ›Wir holen uns zurück, was uns gehört‹ anbringt.«
Ein Schauer durchfuhr Sorah.
»Habt Ihr alles verstanden?«
Sie schluckte und sagte: »Ja.« Nun musste sie nur noch Kematian von dem Plan berichten.
»Gut, dann raus mit Euch«, sagte Ciacas und machte die entsprechende ›husch, husch‹-Handbewegung. »Ihr seid sicherlich hübsch unter der Maske, aber ich will keinen Raben länger als notwendig in meiner Nähe wissen.«
Das musste der Dieb ihr kein zweites Mal sagen. Sie wandte sich ab und trat aus der Tür. Ehe diese aber hinter ihr zuschlug, hörte sie die Diebin: »Sie hat uns den Rücken zugedreht.«
Ciacas antwortete: »Sie ist ein Küken. Das erkennt doch jeder.«
Sorah hasste Diebe.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro