Mit Blut benetzt ist die kalte Seele III
Sie waren kaum einen Schritt in das Diebesversteck getreten, da eilte Jeanne schon zu den Ankömmlingen. »Was ist geschehen?«, fragte die Diebin mit einem Blick auf Ejahls blutende Schulter und die Dunkelelfin, deren Wangen weiterhin bleich waren.
Ejahl winkte ab und schob ihr V zu. »Kümmere dich um sie«, wies er sie an. Er würde später genauer nachforschen, was Niellen mit ihr gemacht hatte, aber zuerst bedurften seine eigenen Wunden seiner Aufmerksamkeit.
Jeanne nickte und legte eine Hand auf Vs Schulter, um sie mit sich zu ziehen.
Ejahl machte sich derweil auf den Weg, die Treppe in das Obergeschoss hinaufzusteigen und sein Gemach zu betreten. Kematian folgte ihm wie ein Schatten.
Die Kammer war nur spärlich eingerichtet – bisher hatte der Meisterdieb nicht die entsprechende Zeit gefunden, um es sich dort wohnlich zu machen. Dunkle Vorhänge sperrten das Sonnenlicht und vor allem unerwünschte Blicke aus.
Deshalb aber musste Ejahl eine Kerze auf der Kommode entzünden, ehe er sich daran machte, die Schubladen nach Verbandszeug zu durchsuchen. Der Rabe lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Wand und folgte ihm nur mit seinem Blick.
»Geht es dir gut?«, fragte Ejahl. In einer der Schubladen fand er, was er suchte.
»Ich bin nicht derjenige, der verletzt wurde«, meinte Kematian.
»Das kann man so oder so sehen.« Ejahl legte sein Hemd ab und ließ sich auf das Bett fallen. Die Wunde war nicht so tief, wie er erwartet hatte. »Und es war nicht die Antwort auf meine Frage.«
Der Blick des Raben verdunkelte sich nur und er schwieg.
Mit dem Hemd wischte Ejahl sporadisch das Blut ab, ehe er sich daran machte, die Wunde zu verbinden. Ein Ende des Verbandes knotete er um seine Schulter und begann dann, ihn um seinen Oberkörper zu wickeln. Da er nur eine Hand zur Verfügung hatte, die vor Adrenalin zitterte, verrutschte er.
Kematian stieß sich von der Wand ab und setzte sich zu ihm, um ihm den Verband aus der Hand zu nehmen und ihm zu helfen.
»Das waren also deine Vorgesetzten?«, fragte Ejahl. Sein Blick ruhte auf dem Gesicht des Raben, dieser hingegen war fest auf die Wunde fixiert. Ein düsterer Schleier lag über seinen grauen Iriden und offenbarte die Gier, die in ihm brodelte.
Kematian brummte nur einen Laut der Zustimmung.
»Was für Dummköpfe.« Ejahl hustete leise.
Wieder nur ein Brummen.
»Was hat Niellen gemeint?«
Kematians Blick flackerte kurz zu Ejahl. »In welcher Hinsicht?«
»Wer ist ›die Eure‹? Sorah?«, fragte der Dieb. »Deine Reaktion darauf war ... deutlich.«
Erst nach einigen Sekunden des Schweigens antwortete der Rabe. »Mir gehörte ein Küken.«
»Es gehörte dir?«
Kematian nickte. »Sie war mein.«
»Ich werde einfach mal nicht fragen, was das zu bedeuten hat«, sagte Ejahl. »Scheint besser für meine mentale Gesundheit zu sein.«
»Ich bildete sie aus«, meinte der Rabe. »Sie folgte mir, wohin ich ging, und gehorchte jedem meiner Befehle. Ich rettete ihr vor etwa einem Jahr das Leben und nahm es ihr gleichzeitig, indem ich sie zu der Meinen machte.«
Ejahl runzelte die Stirn. »Und was ist nun mit ihr?«
»Ich weiß nicht«, gestand Kematian. »Sie lebt noch, aber es hängt von ihr ab, ob es auch so bleibt. Niellen meinte, er wolle ihre Treue prüfen, doch nur er weiß, was das bedeutet.«
»Sollten wir sie dann nicht befreien?«
Kematian schüttelte den Kopf. »Sie ist hart im Nehmen und wird sich allein zu helfen wissen. Und falls sie auf Niellens Angebot eingeht, dann würden wir sie nur in Schwierigkeiten bringen.«
»Ich verstehe«, meinte Ejahl. Nach einigen Sekunden des Schweigens ergriff er wieder das Wort: »Wie haben die drei es überhaupt geschafft, sich an die Spitze der Raben zu stellen. Sie sind noch so jung.«
Kematian warf ihm einen Blick mit hochgezogener Augenbraue zu. »Du warst achtzehn, als wir uns kennengelernt haben, und dir unterstanden bereits die Diebe.«
Ejahl hüstelte leise und murmelte: »Sechzehn.« Dann sprach er lauter. »Aber gut, ich gebe mich geschlagen. Die Frage bleibt trotzdem.«
»Sie gehören zu den wenigen, die damals überlebt hatten, als die Raben fast zerschlagen worden waren«, sagte Kematian. »Niellen ist ein Magier und setzte sich gegen andere, die ihm seinen Platz streitig machen wollten, durch. Die anderen beiden sind seine Freunde – damals gewesen, mittlerweile gibt es einige Spannungen zwischen ihnen – und nachdem er sich die Macht über die Raben genommen hatte, gewährte er ihnen einen Teil.«
Kematian stockte. Er machte hastig einen Knoten in den Verband und erhob sich. »Ich kenne jemanden, der die Raben schon einmal fast auslöschte, und ich könnte ihn wiederfinden.«
Ejahl stand ebenfalls auf. »Aber?«
»Die Reise ist weit und ich sollte mich möglichst schnell auf den Weg machen.«
»Oh«, machte Ejahl. »Das heißt, du willst sofort los.« Es war keine Frage. Wenn Kematian wusste, dass er aufbrechen musste, verweilte er nur selten.
Der Rabe nickte.
Ejahl seufzte leise und machte eine Handbewegung. »Dann los. Und wehe, du lässt mich zu lange warten.«
Der Rabe wandte sich ab und wollte schon gehen, aber er griff noch nicht einmal nach dem Knauf an der Tür, da hielt Ejahl ihn auf.
»Kematian«, sagte er mit mehr Nachdruck in der Stimme, als der Rabe von ihm gewöhnt war. »Hast du nicht etwas vergessen?«
Kematians Hand tastete zu seinem Schwert, ehe er sich erinnerte, dass es zersplittert war und er demnach nur den kühlen Knauf des Dolches an seinen Fingern ertastete. Dann fand er seine Maske und seinen Geldbeutel, seine Tasche mit Giften und Heilkräutern, einige Wurfmesser, ein Kurzschwert und allerhand andere Klingen. Er trug alles bei sich, was er brauchte, und ein neues Langschwert würde er sich auf dem Weg erkaufen.
Ejahl trat an ihn heran. »Manchmal frage ich mich wirklich, wie du nur so begriffsstutzig sein kannst. Du willst dich nicht von mir verabschieden?«
»Wir haben uns verabschiedet.«
Das Lächeln auf Ejahls Lippen wurde schwächer. »Aber war die Verabschiedung, wie sie einem alten Freund gebührt?«
Kematians Blick verfinsterte sich. Er verstand.
Ejahl hüpfte die letzten Schritte zu Kematian, bis ein Ziehen in seiner Schulter ihn erinnerte, dass er sich in nächster Zeit nicht allzu viel bewegen sollte. Er legte eine Hand an Kematians Unterarm und strich langsam hinauf, bis er an seiner Ellenbeuge angekommen war. Die andere Hand wanderte in dessen Nacken und zog ihn sanft zu sich.
Ein leises Brummen kam von Kematian, ehe er dem leichten Druck nachgab. Er nahm Ejahls Gesicht in seine Hände und beugte sich zu ihm.
Sanft trafen seine Lippen auf dessen und Wärme erfüllte seine Brust, als hätte sich sein Herz für nur einen Augenblick entschieden, zu schlagen. Mit der Wärme aber kam ebenso der Hunger, der seine Eckzähne hervorbrechen ließ. Der Geruch nach Blut, der im Raum stand, wurde nur deutlicher und er wusste, dass es das Beste wäre, sich von dem Dieb loszureißen, solange er noch konnte.
Aber konnte er noch?
Alles an ihm wollte Ejahl fester in seine Arme schließen, seine Zähne in dessen Hals schlagen und ihn nie wieder gehen lassen, bis der Körper kalt und leblos in seinen Händen war.
Er knurrte leise, um seine Gedanken zurück an den Ort zu zwingen, an den sie gehörten, und löste sich von Ejahl.
Der Dieb hielt noch kurz Kontakt, ehe er seine Hand von Kematians Unterarm nahm, sah ihm aber weiterhin in die Augen.
Manchmal glaubte Kematian, Ejahl könne seine Gedanken lesen, so tief verborgen sie für ihn selbst auch waren. Der Meisterdieb hatte seine dunkelsten Abgründe und sein wahres Wesen gesehen und sich nie abgewandt oder nur einen Hauch von Angst gezeigt.
»Ich komme wieder«, sagte Kematian. Die Gier machte seine Stimme rau, sein verändertes Gebiss erschwerte das Sprechen. Er wandte sich ab, ehe der Meisterdieb etwas sagen konnte, und verließ den Raum.
Ejahl sah ihm nach, bis die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, dann stieß er ein leises Seufzen aus. Er hatte die Anspannung des Raben in seinen Armen spüren können, den inneren Kampf zwischen dem, was der Hunger ihm befahl, und dem, was er wollte. Doch in einer Sache war er sich sicher, Kematian würde ihn nie verletzen oder gar töten. Es lag nur an diesem, es auch herauszufinden.
†
»Wie geht es dir?« Die Worte hallten zu V, als wären sie hinter dichtem Nebel verborgen. Mehrfach in den letzten Stunden hatte sie diese Frage gehört, doch nun hatte sich die Stimme geändert.
Sie sah auf und ihr Blick fokussierte sich auf den Meisterdieb, der gerade eingetreten war. »Es ist alles so trüb«, hauchte sie.
Ejahl schenkte ihr ein müdes Lächeln und setzte sich neben sie auf das Bett. Er legte eine Hand auf ihre Schulter und drückte sie leicht. »Ich hörte bereits von Niellens Fähigkeiten«, sagte er. »Er gibt dir die Welt, nur um sie dir wieder zu nehmen, gibt höchstes Glück, nur um es zu entreißen. Einige meiner Leute sind dieser Macht schon zum Opfer gefallen, aber glaube mir, es wird bald wieder besser. Du darfst ihm nur nicht nachjagen.«
»Hatte ich nicht vor«, murmelte sie. Zwar hatte sie durch ihn diese Glückseligkeit empfunden, aber dennoch war er ein gefährlicher Mann. Nicht umsonst war er der Anführer der Raben.
»Gut«, sagte Ejahl. »Das ist das Wichtigste. Ungeachtet, was er dir auch gezeigt hat, es ist nicht die Realität.«
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