
6 Sohn des Hüters
Das Training mit den Hütern stand an. Es war Dienstag und langsam hatte Scarlett sich zumindest ein wenig daran gewöhnt eine der Auserwählten zu sein. Allerdings mit dem Unterschied, dass sie auch noch womöglich über alle Kairé verfügte. Sie lief die Straßen Los Angeles' entlang, als ihr Blick über etwas streifte, was sie nicht recht einordnen konnte.
Aus einem Haus, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, drang ein dunkles, fast gespenstisches Licht. Doch im selben Moment, wo sie es entdeckte, war es auch schon wieder verschwunden. Sie kniff die Augen zusammen, aber das Licht kehrte nicht zurück und so ging sie weiter in Richtung Station.
Als sie dort ankam, waren die Hüter, als auch Matthew und Alessandro bereits eingetroffen. Sie würden heute jedoch nicht in dem kugelsicheren Raum trainieren, in dem sie zuvor mit Matt trainiert hatte, sondern in einem etwas größeren Raum, was auch, durch den Umstand, dass sich nun sechs statt zwei Leuten hier befanden, Sinn machte, dachte Scarlett.
»Guten Tag«, begrüßte Mr. Havering die Drei.
»Ich würde sagen, wir beginnen so schnell es möglich ist mit dem Training. Allerdings, müssen wir eine weitere Auserwählte bei uns begrüßen. Scarlett Rains. Mich kennen sie ja schon und hier neben mir stehen Sahra Patel.« Er deutete auf eine Frau mit dunklen Locken, die mit ihren hellbraunen Augen und dem sanften Lächeln sehr unscheinbar wirkte. »und Ryan Lyall« Lyall?! Wie Matthew Lyall? Das konnte doch nicht sein, sie musste sich verhört haben. Der Mann der nickte, als sein Name fiel, war Braunhaarig und hatte einen stoppeligen Bart. Er lächelte und dabei sah man seine strahlend weißen Zähne. Seine Augen waren von einem dunklen Blau und er sah wie das komplette Gegenteil von Matt aus. Sie konnte nicht glauben, dass diese Zwei, anscheinend miteinander verwandt waren. Scarlett merkte plötzlich, dass sie den Mann angestarrt haben musste und wandte den Blick von ihm ab.
»Fürs erste teilen wir das Training auf, da ihr nicht alle über den selben Lernstand verfügt.«, fuhr Mr. Havering fort.
»Mr. De Santis, Sie werden Miss Rains heute die Grundlagen der Magie lehren, da Sie der erfahrenste von Ihnen sind.« Sein Blick hing wie dicker Nebel über Matt und Alessandro.
»Mr. Lyall, sie werden heute mit uns Hütern, die Zauber, die sie bereits beherrschen, präzisieren.« Damit beendete er seine Rede und wandte sich Matt und den anderen Hütern zu.
»Komm.«, sagte Alessandro und klopfte Scarlett auf die Schulter, während er sich schon zum gehen umgedreht hatte. Sie folgte ihm, bis sie, ihrer Meinung nach, den am weit entferntesten Punkt, im Bezug auf die Hüter erreicht hatten.
»Fangen wir an« Sie standen schon eine ganze Weile dort, ohne das einer von ihnen irgendetwas sagte.
»Tu bitte so, als ob du es nicht hinbekommst«, meinte Alessandro zu ihr. Seine Stimme war leise, leiser als sonst und sein Blick ruhte stetig auf den Hütern.
»Was? Ich dachte du solltest mir etwas beibringen.« Scarlett verstand nicht, wieso er das von ihr verlangte. Weshalb sollte sie nicht trainieren?
»Mach es bitte einfach. Ich tue das nicht für mich, sondern für Matt.« Diese Aussage verwirrte Scarlett allerdings nur noch mehr. Da sie aber anscheinend nicht mehr aus ihm heraus bekam, tat sie das was Alessandro ihr gesagt hatte.
Während sie einfach irgendetwas machte, musste sie immer wieder zu Alessandro blicken, der sie aus seinen verschieden farbigen Augen musterte. Sein Blick war weder kühl, noch freundlich, Scarlett hätte ihn als neutral oder unbeteiligt beschrieben. Jedoch wollte sie nicht die ganze Stunde einfach nur hier Rum stehen, also fing sie ein Gespräch an.
»Also, wenn ich das richtig verstanden habe, ist einer der Hüter mit Matt verwandt?«, fragte sie ihn.
»Ryan Lyall ist sein Vater, aber ich kann schon verstehen, wenn das für dich verwirrend ist. Es kommt nicht oft vor, dass die Hüter ihre Kinder zu ihren Nachfolgern machen. Meist versuchen sie das zu vermeiden, da sie dadurch keine guten Überlebenschancen haben. In Matts Fall ging es nicht anders, aber sein Vater ist mehr als froh, dass er noch lebt, auch wenn er manchmal nicht den Eindruck macht.« Wieder zog er diese neutrale Miene und schaute einen Moment hinüber zu den Hütern.
»Kannst du mir mittlerweile eigentlich erklären, wieso ich nicht trainieren darf?« Scarlett kam direkt zum Punkt, es hatte für sie keinen Zweck, weiter drumherum zu reden. Sie erwartete, dass er wieder ähnlich wie vorhin antworten würde, doch da täuschte sie sich.
»Matt hat mir erzählt, was am Samstag beim Training passiert ist und es ist besser, wenn die Hüter fürs erste keinen Wind davon bekommen. Nicht, bevor wir nicht mehr wissen.« Erst ärgerte Scarlett sich darüber, dass Matt ihm anscheinend alles erzählte, andererseits hatte er es vermutlich nur Alessandro erzählt und das fand sie alles andere als schlimm. Außerdem schien es, als wollte er sie schützen und ein warmes Gefühl machte sich in ihr breit. Sie nickte nur leicht, um ihm zu verstehen zu geben, dass sie sein Verhalten nachvollziehen konnte. Eigentlich wäre jetzt die perfekte Gelegenheit, ihn zu fragen, ob er mit ihr ausgehen würde. Sie öffnete schon den Mund und setzte an etwas zu sagen, da winkten die Hüter die beiden wieder zu sich und Scarlett musste dieses Vorhaben verschieben.
Sie stand wieder vor den Hütern und auch Matt gesellte sich bald wieder zu ihr und Alessandro. Er schenkte ihr ein warmes Lächeln. Scarlett wiederum sah immer noch Alessandro an und fragte sich, ob er wohl gern mit ihr auf ein Date gegangen wäre. Jetzt würde sie die Antwort vermutlich nie erfahren.
»Wiedermal eine gut verlaufene Trainingsstunde. Mr. Lyall, Sie haben heute gute Arbeit geleistet und Miss Rains, versuchen sie es einfach beim nächsten Mal erneut oder trainieren sie den Rest der Woche ein wenig allein in den Trainingsräumen. Diese stehen Ihnen immer zur Verfügung, solange sie nicht besetzt sind.« Damit beendete Mr. Havering die Stunde und die Hüter verabschiedeten sich. Scarlett machte sich auch auf den Weg, da rief jemand nach ihr.
»Warte! Wir müssen reden.« Es war Alessandro, sie hätte seine Stimme jederzeit erkannt. Sie kehrte also noch einmal um. Matt und Alessandro standen immer noch in der Trainingshalle und tauschten viel sagende Blicke.
»Komm mit, wir müssen etwas mit dir besprechen«, sagte Alessandro. Stumm folgte sie ihnen.
...
Nach einiger Zeit fiel eine Tür ihr ins Auge, auf die Matthews Name aufgepinselt war. Sie betraten den dahinter liegenden Raum, welcher vermutlich Matts Zimmer war. Der Raum war nicht mit sehr vielen Sachen gefüllt. Auf der linken Seite fand sich ein kleines Bücherregal, auf dem Schreibtisch lagen ein paar Notizen und ein Kalender und auf dem Bett lag eine Ledertasche, die Matt augenblicklich davon nahm und über den Stuhl des Schreibtischs hängte. Außerdem fiel Scarlett auf, dass er scheinbar die ganze Zeit - auch während des Trainings - die Kette mit dem Amethysten, die sie ihm geschenkt hatte getragen hatte. Allerdings leuchtete er nicht in der Farbe seines Kairés, sondern blieb bei seiner ursprünglichen Farbe. Vermutlich konnte er nur im direkten Kontakt mit Haut reagieren und nicht durch sein T-Shirt hindurch. Man konnte sehen, dass er wohl nicht sehr oft hier schlief. Auch Scarlett, war es lieber bei sich zuhause zu schlafen, als in der Station. Als die beiden Jungs sich auf das Bett setzten, nahm sie sich den Schreibtischstuhl und setzte sich ihnen gegenüber.
»Nun gut, weshalb wolltet ihr mich so dringend sprechen?«, fragte Scarlett.
»Es geht um das Training am Samstag. Ich hab Alessandro erzählt, dass du mehrere Kairé besitzt und wir haben eine ungute Vermutung…« Matt ließ das Ende des Satzes in der Luft hängen. Man hörte wie bestürzt er war.
»Wir wissen nicht viel, allerdings werden wir wohl vorerst den Hütern nichts davon erzählen. Der Amethyst von Matt hat sich schwarz verfärbt, nachdem er zersprungen ist, also ist es möglich…ich meine vielleicht…« Es fiel Alessandro sichtlich schwer, was er zu sagen hatte auszusprechen.
»Es ist zwar so, dass Magie immer dieselbe ist und es keine richtige Art von schlechter oder böser Magie gibt. Allerdings haben wir und vermutlich auch die Hüter noch nie jemanden gesehen, der mehr als ein Kairé besitzt. Es wäre also naheliegend, dass irgendeine, ich würde es wegen der Farbe des Amethysten Mal so beschreiben, schwarze Magie in dir ist.« Für Scarlett war das ein Schock, erst erfuhr sie, dass Magie existierte und dass sie auserwählt worden war und jetzt war irgendeine dunkle, schwarze Magie in ihr. Sie versuchte etwas darauf zu erwidern, doch kein Ton drang aus ihrer Kehle hervor.
Matt kam auf sie zu und schlang die Arme um sie, doch Scarlett hätte diese am liebsten einfach weg geschlagen. Aber ihr ganzer Körper fühlte sich so ausgelaugt, dass sie kaum noch einen Finger bewegen konnte, also ließ sie ihn gewähren.
»Ich weiß, das ist ein Schock«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Aber wir kriegen das wieder hin, glaub mir.« Matts Stimme hatte einen leisen, beruhigenden Ton angenommen, während er sie immer noch in den Armen hielt. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sie endlich wieder los ließ.
»Dann bis demnächst, würde ich sagen«, sagte Scarlett und wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Es war für sie unbegreiflich, was Alessandro, ihr da gerade mitgeteilt hatte.
Scarlett machte sich auf den Weg nach Hause, sie wollte jetzt einfach nur weg. Weg von der Station, weg von Matt, weg von der Magie. Während sie die Straßen entlang schlenderte, fiel ihr wieder dieses Haus ins Auge, aus dem erneut Licht drang. Dieses unheimliche, grünliche Glühen fand sie einfach nur gruselig. Sie ging schnell weiter, auch wenn das Licht schon lange erloschen war. Ein seltsamer Zufall, oder doch nicht? Scarlett wusste nicht was sie davon halten sollte, es kam ihr ungewöhnlich vor, so viel ist sicher, aber war es vielleicht nicht doch nur irgendein Licht? Schnell lief sie weiter in Richtung der Wohnung in der sie mit ihrer Mutter lebte.
...
Ihre Mutter war Zuhause, als sie ankam und begrüßte sie.
»Und? Wo warst du wieder den halben Tag?« Natürlich hatte sie bemerkt, dass Scarlett in letzter öfter noch länger weg war nach der Schule und sie fühlte sich nicht gut zu lügen. Die Wahrheit, wäre aber zu viel für sie, dachte Scarlett. Es war einfacher ihr eine Lüge aufzutischen, als die Wahrheit, die sie vermutlich nur belächeln würde. Sie würde nicht glauben, dass es Magie gab. Selbst wenn, sie müsste ihr auch von der seltsamen Magie in ihr erzählen und das könnte sie einfach nicht tun.
»Ich war noch ein bisschen mit Freundinnen unterwegs«, sagte Scarlett. Doch ihre Mutter schien sich nicht damit zufrieden zu geben.
»Ich sehe doch, dass dich irgendwas bedrückt. Geht es um irgendetwas in der Schule? Du weißt, ich bin für dich da, wenn du mit mir reden willst.« Sie wusste, dass sie durch weiteres Hinterfragen nur erreichte, dass Scarlett sich noch mehr vor ihr verschloss.
»Danke«, brachte Scarlett noch hervor, bevor sie auf ihr Zimmer ging.
Sie war froh wieder dort zu sein. Alleine, in einer nur allzu bekannten Umgebung. Sie sog den Duft ein der sie umgab. Ein Geruch von alter Wäsche, Holz und Duftkerzen. Doch für Scarlett, war es das beste was sie heute wahrgenommen hatte. Sie ließ sich auf ihr Bett fallen und entspannte sich ein paar Minuten. Sie fragte sich, wie lange sie den Hütern ihre Fähigkeit wohl verheimlichen könnte? Ob sie verflucht oder einfach nur besonders war? Dabei fielen ihr langsam die Augen zu, auch wenn es erst Nachmittag war, war sie derart müde, dass sie nur die Augen zu schließen brauchte, um einzuschlafen.
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