74. Reiner Selbstschutz
-Harrys Sicht-
Als ich das Video sah, welches sich Angelina gerade angesehen hatte wurde mir schlagartig alles klar. Ihr Problem war nicht die Klatschpresse mit all ihren Lügen und halbwahren Schlagzeilen. Ihr Problem waren auch nicht die angeblich vielen Frauen an meiner Seite. Ihr Problem war schlicht und ergreifend ich, genauer: One Direction. Unsere Entwicklung, der Erfolg, unsere Bekanntheit, alles was uns ausmachte. Mein ganzes Leben, die Fans...
Wer anderes, als ich selbst, hätte ihr Problem besser nachvollziehen können. Auch wenn es für uns alle immer noch unfassbar war, was hier mit uns passierte, aber die Jungs, unsere Familien und ich selbst, hatten immerhin fast vier Jahre Zeit, um zu lernen wie wir damit umgehen konnten. Für Angelina war alles neu und ich zerrte sie mitten rein. Ich bot es ihr an, aber sie wollte gerade nicht viel darüber reden.
-Angelinas Sicht-
Was ich gesehen hatte war nur ein einziges Video; die Karriere der fünf Jungs im Zeitraffer. Und das Video verheimlichte mir nichts.
Ausgelöst durch die bewegten Bilder von Harry und den anderen, holte mich die Wirklichkeit nun etwas ein. Die Castingshow, zahlreiche Interviews, Ausschnitte von Musikvideos, Werbe-Drehs, Autogrammstunden, die Massen an kreischenden Fans, Kino-Premieren, gefüllte Konzertsäle, Arenen, die Vorstellung von der geplanten Stadien-Tour. All das worüber ich mir bisher kaum Gedanken gemacht hatte, weil es bisher so weit weg von mir war, war nun präsenter denn je.
Harrys enorm hohe Anzahl an Twitter-Follower, ich dachte, er übertrieb, als er mir das erzählt hatte. Weltbekannte und zurzeit erfolgreichste Boyband: Harry hatte sowas mehrfach angedeutet, doch damit konnte ich nicht viel anfangen. Ich schob den Gedanken jedes Mal beiseite.
Sicherlich hatte ich mir Gedanken gemacht, mit wem ich zusammen war. Harry war bekannt, das wusste ich. Aber was das Wissen über seine Karriere betraf, war ich eher die einäugige unter den blinden. Erst durch das Video, konnte ich es zum ersten Mal mit beiden Augen sehen und mir ein Bild davon machen, wie bekannt mein Freund tatsächlich war und wie sein Leben aussah. Es war, wie es Paul gesagt hatte: Der Auftritt in München war nichts gegen das, was ich hier sah. Harry hatte mir angeboten darüber zu reden, aber ich wollte es vorerst nicht. Ich wollte das erst einmal für mich verarbeiten. Die ganzen Informationen die ich jetzt hatte, mussten sich erst in meinem Kopf verankern, bevor ich mir weitere, konkrete Gedanken über meine Zukunft an Harrys Seite machen konnte. Die Auswirkungen dieser Beziehung, auf mein bisher bekanntes Leben, konnte ich nun langsam anfangen zu erahnen. Es war gut so, dass keiner von uns wusste. Ich hatte auch ohne das Zutun der Öffentlichkeit keine Ahnung, wie ich mit Harrys Erfolg und seinem Bekanntheitsgrad umgehen sollte. Alles in einem Ausmaß, dessen ich mir nicht bewusst war. Es beschäftigte mich, und es war schwer für mich, das alles zu begreifen. Er war so normal... Und dann all das über ihn zu sehen... Es war einfach zu viel für mich. Doch ich hatte beinahe schon alles wieder verdrängt, als ich nun am Bettrand saß und mir Harry ein Stück Brot unter die Nase hielt. Denn der Harry neben mir, war kein Weltstar, er war einfach nur Harry und er war so ein liebenswürdig blöder Trottel.
»Komm schon, mach "aaaaa"«, meinte er. »Dein Magen schimpft schon mit mir, weil ich nicht besser auf dich aufpasse.«
Ich musste grinsen, obwohl ich es gar nicht wollte. Und als ich die selbstgeschnittenen Käseherzen auf dem Wurstbrot sah, erst recht.
Bevor er mich wieder füttern konnte und ich das Zeug an der Nase kleben hatte, nahm ich ihm das Brot aber aus der Hand und aß lieber selbst. Ich hatte so viel Hunger, dass ich ihm sogar noch sein letztes angebissenes Brot aus der Hand klaute.
Mit offenem Mund, weil er gerade abbeißen wollte, schaute er seiner Brotscheibe hinterher: »Ja iss du ruhig. Ich kann von Luft und Liebe leben«, gab er vergnügt von sich, weil er wusste, dass es mir besser ging.
»Sorry, ich hab Hunger«, murmelte ich mit vollgestopftem Mund.
Kurz darauf plünderten wir beide noch den Kühlschrank, und wenig später lagen wir quasselnd im Bett.
»Harry, ich weiß nicht ob ich das alles schaffe«, gab ich offen zu und kam damit auf das Video von vorhin zurück.
Er hatte sich über mich gebeugt und gab mir dadurch ein sicheres Gefühl. »Aber ich weiß, dass wir es gemeinsam schaffen«, sagte er und streichelte mir sanft über die Stirn. »Ich bin für dich da, wann immer du mich brauchst«, versprach er mir. Trotz Angst vor dem, was auf mich zukommen würde, war ich froh, seine Freundin zu sein.
Wir quatschten dann doch noch über die eine oder andere unwahre Schlagzeile und über seine Theorien, weswegen es überhaupt zu diesen Schlagzeilen kam. Aber es war alles immer noch zu viel für mich, also wechselten wir ganz schnell unsere Themen. Ich wollte mir Zeit geben, das Ganze zu verarbeiten.
~
Irgendwann, spät in der Nacht waren wir eingeschlafen. Dementsprechend müde quälten wir uns beide am nächsten Morgen aus dem Bett.
Ich versuchte ihn wach, und vor allem munter, zu rütteln. »Hey aufstehen Harry.«
»Nein, lass mich schlafen«, knurrte er mir entgegen und umarmte dabei sein Kissen.
Zum Glück hatte ich keine festen Termine so früh am Morgen. Erst am späten Vormittag und heute Nachmittag hatte ich je einen. Außerdem sollte ich Harry mitnehmen und der musste auch erst um 10 Uhr in den Startlöchern stehen.
»Komm schon du Morgenmuffel«, sagte ich, während ich den Rollanden hoch zog.
Als ich das Fenster öffnete, wickelte sich Harry nur noch fester in die Decke ein, welche ich ihm allerdings ganz fies und gemein weg zog. Begeistert war er nicht, aber er stand endlich auf. Wir hatte sogar noch Zeit für einen Kaffee und ein schnelles Frühstück und saßen dann pünktlich wie abgemacht im Auto. Eigentlich hatten wir sogar noch ein wenig Zeit.
Ich schaltete das Radio ein, doch Harry schien das Lied nicht sonderlich zu mögen, denn er schaltete gleich auf den nächstbesten Sender, den er finden konnte.
»Hey, warum schaltest du weg? Mir gefällt das Lied«, beschwerte ich mich und schaltete wieder auf den vorherigen Sender zurück.
Harry schaute mich nur an, schniefte kurz, sagte aber nichts. Dann lehnte er seinen Ellbogen gegen die Autotür und stützte sein Kinn mit der Hand. Seine eingerollten Finger lagen dabei auf seinen Lippen. So starrte er schweigend aus dem Fenster.
»I Knew You Were Trouble... Hach Leute ist das nicht schön?«, seufzte nun der Radiomoderator, der den Text des eben zu Ende gespielten Liedes wiederholte. »Ist. das. nicht. schön, wenn wir uns an den gescheiterten Beziehungen anderer ergötzen können, weil so tolle Musik dabei zu Stande kommt? Da freuen wir uns doch glatt über die nächste gescheiterte Beziehung unserer kleinen Country-Gurke und hoffen, dass es ihre Verflossenen mit Humor nehmen...«
»Hahaha. Hast du das gehört?«, grinste ich und realisierte erst im Nachhinein, dass Harry den Moderator ja gar nicht verstehen konnte. »Oh sorry. Soll ich dir übersetzen was er gesagt hat?«
Harry schaute mich nun an. Seine Hand hatte er immer noch im Gesicht. »Nein Danke, nicht nötig«, meinte er. »Ich weiß, was man sich über das Lied erzählt. Ich kenne es ganz gut.«
»Sag mal, findest du nicht auch, dass das schon ein riesen Arsch sein muss, wenn sie solche Lieder über ihn schreibt? Ich würde ja zu gerne wissen, was zwischen den beiden wirklich vorgefallen ist. Und warum war sie überhaupt mit ihm zusammen, wenn sie vorher schon wusste, dass– «
»Vielleicht weiß sie auch einfach nicht was sie will, und der Kerl ist eigentlich gar kein so schlechter Typ wie du denkst«, unterbrach mich Harry und starrte dabei wieder aus dem Fenster. Irgendwie war er heute nicht wirklich gut gelaunt.
»Ok, dann ist er halt ein Engel und sie ist eine dumme Kuh, wenn sie mit ihrer kaputten Beziehung auch noch Geld macht. Naja, aber irgendwie schlau. Und vielleicht geschieht es ihm ja trotzdem ganz Recht. Ihr Männer tut immer nur so unschuldig«, bemerkte ich und startete damit unbeabsichtigt eine kleine Grundsatzdiskussion.
Harry schaute mich wieder an und meinte dann ganz ruhig: »Ja, vielleicht sind wir Männer manchmal riesen Arschlöcher, aber glaub nicht das ihr Frauen besser seid. Und was die Musik angeht, schreiben wir alle irgendwie aus unseren Erfahrungen und du kennst die Frau doch gar nicht, und du weißt nicht, warum die beiden sich überhaupt getrennt haben. Und außerdem– «
»Aber du kennst sie und weißt es, oder was?«, fiel ich ihm ins Wort. »Willst du sie jetzt etwa verteidigen, für das, was sie so schreibt?«
»Nicht sieeee!!!« Harry sah mich stirnrunzelnd an. »Mich!!!!!«, rief er halblaut aus reinem Selbstschutz.
Unsere Blicke trafen sich für einen kurzen Moment, ehe ich meine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße richten musste. Ich runzelte grübelnd meine Stirn. Warum ihn? Ich war verwirrt. Was hatte er denn mit der ganzen Sache zu tun?
»Dieser riesen Arsch, wie du deinen Freund immer wieder liebevoll nennst, sitzt gerade neben dir!« Harrys stechender Blick wurde weicher und driftete jetzt nach unten auf seine Hände. Er schwieg erneut, aber ich hatte das Gefühl, er wolle mir noch was sagen.
Bei nächster Gelegenheit fuhr ich in eine kleine Seitenstraße, stoppte den Wagen und machte Radio und Motor aus. Ich drehte mich in Harrys Richtung, und zog dabei mein rechtes Bein leicht nach oben auf den Sitz. Harrys Hände spielten an den Fransen seiner aufgeschlitzten Hose herum. Ich beobachte ihn, wie er ein Stück Faden abriss, ihn dann zusammen kugelte und aus dem Fenster warf. Er schloss das Fenster wieder und drehte seinen Kopf zu mir. Wir schauten uns in die Augen.
»Ja, natürlich kenne ich sie«, sagte er nach kurzer Zeit, um damit meine Frage von vorher zu beantworten. »Du hast dir gestern sogar mehrere Bilder von mir und Taylor angesehen.«
»Oh, das war SIE eben im Radio?«, fragte ich, ahnungslos wie ich war. »Du meinst diese eine Blonde, mit der du Händchen gehalten hast, auf dem einen Bild im Park?«
»Ja, das war Taylor Swift. Eigentlich dachte ich, das wär dir gestern klar gewesen.« Er wirkte unruhig. Seine Ex war wohl kein sehr angenehmes Thema für ihn.
»Hast du noch Gefühle für sie?«, fragte ich ihn frei heraus, da er so komisch reagiert hatte.
Seine Brauen zogen sich schlagartig zusammen. »Was?? Nein!! Angel... Der Grund, warum wir uns getrennt haben, warst du! Sie war es, mit der ich zusammen war, als wir beide uns im Dezember 2012 das erste Mal gesehen haben. Ich habe schon lange keine Gefühle mehr für sie...«
Das klang für mich ganz stark nach "aber". »Aber sie will noch was von dir?«, befürchtete ich.
Harry zuckte ratlos mit den Schultern. »Keine Ahnung was sie will. Bei euch Frauen kann man sich ja nie sicher sein, ob ein "nein" auch ein "nein" ist. Und ich glaube, zuletzt wusste sie es selbst nicht so genau, was sie überhaupt von mir will.«
Ich schaute Harry prüfend an. Er rubbelte sich nervös an der Nase und zupfte wieder, angeblich gelassen, an seiner Hose herum, nur um dorthin schauen zu können, und mich nicht ansehen zu müssen. Ich beobachtete ihn und sagte nichts.
Plötzlich sah er mich an und stellte alle anderen Tätigkeiten ein. »Was willst du jetzt von mir hören Angel?«, fragte er, als ihm meine Blicke wohl zu unangenehm wurden.
»Die Wahrheit Harry. Das was du weißt«, forderte ich von ihm. Ich hatte keine Lust auf eine Nebenbuhlerin. Eigentlich war es total lächerlich über eine einzige Frau zu sprechen, wenn ich an seine ganzen Fans dachte, mit denen ich mir Harry wohl teilen musste. Aber es war nun mal seine Ex. Und immer noch verliebte Ex-Freundinnen konnten stressig sein.
»Ich weiß es nicht, was sie will, Angelina«, berichtete er ehrlich. »Manchmal glaube ich schon, dass sie noch was für mich empfindet. Erst hat sie mich zum Teufel gejagt, als ich mich in dieser einen Nacht nicht bei ihr gemeldet hab, dann wollten wir es noch mal versuchen. Aber meine Gefühle haben für diese Beziehung nicht gereicht, weil ich immer an dich denken musste, obwohl ich dich nicht kannte. Aber genau wie bei dir, war halt so ein Gefühl tief in mir drin, das mir gezeigt hat, dass es eine tiefere Bindung geben muss, und das habe ich Taylor auch gesagt.«
»Du hast ihr von unserer Begegnung erzählt?«, fragte ich verwundert.
»Nein, nur das meine Gefühle für eine ernsthafte Beziehung mit ihr niemals reichen würden«, antwortete Harry.
»Autsch«, formten meine Lippen wortlos. Immerhin war er ehrlich zu ihr. »Ok, und dann?«, fragte ich.
»Natürlich war sie dann gekränkt, aber was sollte ich denn machen? Da musste sie durch, schon alleine deswegen, weil wir einige gemeinsame Freunde haben und auch in unserem Job ist es nicht ausgeschlossen, dass wir uns immer wieder über den Weg laufen. Aber du hast recht, ich bin ein riesen Arsch, ich hatte Sex mit ihr.« Seine Augen wanderten wieder zu seinem Knie, auf das Loch seiner zerrissenen Hose.
»Davon gehe ich aus Harry, ihr wart ein Paar.«
»Nein, ich meine nur Sex. Ich fand sie körperlich nach wie vor attraktiv. Wir haben uns ab und zu gesehen. Sie hat gesagt, sie will nichts Ernstes, dann kam eins zum anderen, aber wie sie sich in letzter Zeit verhalten hat, glaube ich, macht sie sich wieder Hoffnung auf mehr, und obwohl ich das vermute, habe ich habe trotzdem noch mit ihr gesch- «
»Okay, okay«, stoppte ich ihn, um mich selbst irgendwie zu schützen. Zwischenzeitlich hatte mein Herz ganz schön angefangen zu rasen. Ich wollte es nicht aus seinem Mund hören, was er mit ihr gemacht hatte, auch wenn es mir eigentlich egal sein konnte, was er mit ihr angestellt hatte, weil ich ihn da noch nicht wirklich kannte. Es war sein gutes Recht Sex zu haben. So ganz unschuldig war ich in meiner Vergangenheit ja auch nicht gewesen. Trotzdem machte es mir jetzt etwas aus, als ich ihn plötzlich mit dieser Frau im Kopf hatte. Es gab nur noch eine Sache, die mich interessierte: »In letzter Zeit? Wann zuletzt Harry?«
Er schniefte und schaute aus dem Fenster. Es war ihm deutlich unangenehm mir darauf zu antworten. Dann nuschelte er leise in seine Finger, die er wieder an seinen Lippen liegen hatte: »Das willst du nicht wissen.«
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