40. Trübsal vs. Vorfreude
Ich erschrak und zuckte leicht zusammen, als mein Handy in der einsamen Stille, eigentlich stumm vor sich hin brummte. So sehr wie ich in meine Arbeit vertieft war, hatte ich nun das Gefühl, der ganze Tisch vibriert mit. Mit leichtem Herzklopfen griff ich nach meinem Telefon und las glücklich die eingegangene Nachricht.
Harry: [Sorry, dass ich mich nicht früher bei dir gemeldet habe. Mein Kumpel von BBC Radio 1 hat mal wieder 'Call or Delete' gespielt. Dieses Mal hat's mich erwischt, weil Niall, der Idiot, nicht an sein Handy gegangen ist. Die haben mich hier am Telefon total verarscht und ich musste was mit meiner Schwester klären. Also ich dachte, dass ich was klären muss, aber egal... Was sagt denn PAUL?]
Gleich mit der ersten Nachricht lieferte mir Harry die Erklärung, warum er online war, ohne sich bei mir zu melden, und in diesem Moment kam mir meine Eifersucht einfach nur kindisch vor. Eigentlich vertraute ich ihm doch, aber da ich immer noch nicht viel von seinem Leben wusste, war ich wieder und wieder verunsichert. Ich hatte so viele Fragen an Harry, die ich ihm nicht gestellt hatte, weil ich nicht wollte, dass sein Beruf im Vordergrund stand. Vielleicht auch, weil ich Angst vor seinen Antworten hatte. Doch gerade wollte ich nicht länger um den heißen Brei rum reden und schireb ihm zurück.
Angelina: [Ich soll mir Montag und Dienstag frei halten. Aber wozu brauch dein Securityfuzzi zwei Tage? Und wenn dein Babysitter bei mir ist, wer passt dann auf euch auf?]
Harry: [Wir haben genug "Aufpasser". Und wenn PAUL sagt, du sollst dir frei halten, dann solltest du das tun Angel. Es wird schon einen Grund dafür geben, sonst hätte er dich nicht darum gebeten.]
Ich schrieb Harry gerade zurück, als er sich über Skype meldete. Grinsend nahm ich den Videoanruf entgegen.
»Das ruckelt voll Harry. Was machst du?«
»Sorry, ich bin noch unterwegs. Meine Datenverbindung ist hier nicht die Beste, aber ich wollte dich unbedingt sehen.«
Ein Segen, dass ich hier auf der Arbeit WLAN von der Sorte Highspeed hatte, aber was brachte es mir nun? Nichts.
Harry und ich schauten uns erst mal eine Weil an bevor wir uns gegenseitig erzählen, wie sehr wir den anderen den ganzen Tag vermisst hatten und wie unser Tag so gelaufen war. Ihn zu sehen machte mich immer noch sprachlos. Er war so makellos, so wunderschön. Sein sanftes Lächeln war Balsam für meine Seele. Ich brauchte nicht mit ihm sprechen, wenn ich in seine Augen blicken konnte. Ich hatte das Gefühl wir verstanden uns auch ohne Worte. Wenn ich ihn sah, war er mir nah, und mein Herz war zu Hause. Es war so ein zufriedenes Gefühl, das nur Harry mir gab.
Mein Freund unterbrach die Stille: »Und was machst du gerade?«
»Arbeiten. Ich bin noch im Büro. Siehst du?« Ich richtete die Kamera auf meinen, viel zu vollen Schreibtisch und in den Raum hinein, damit er meinen Arbeitsplatz sehen konnte.
»Ja ich sehe es. Bei dir ist es schon lange nach acht Uhr Angel! Solltest du nicht so langsam nach Hause gehen?«, rügte er mich.
»Es ist so viel liegen geblieben, außerdem wartet doch zu Hause sowieso niemand auf mich«, wiederholte ich das, was ich auch meinem Chef schon gesagt hatte. »Und ob ich hier einsam und verlassen rum sitze oder zu Hause... das ist doch egal.«
Harry grinste plötzlich. »Kein Problem, das können wir ändern. Ich bin noch in Bristol, aber mit dem Dreh sind wir fertig. Ich nehm den nächsten Flieger und komme zu dir.«
Schlagartig pochte mein Herz wieder nervös gegen meine Brust. Es schnürte mir fast die Luft weg. Hatte ich richtig gehört? Er würde zu mir fliegen? Jetzt?
Mein Kopf hörte auf zu funktionieren. »Wi.. Ha.. Was machst du in Bristol Harry? Ich dachte ihr seid an der Küste.«
»Bristol ist doch nicht weit vom Pier und liegt auf dem Weg nach Hause. Die anderen wollen noch bleiben, aber das ist mir egal. Ich komme einfach zu dir!«
»Aber...« Ich konnte kaum sprechen vor Nervosität. Ihn heute Nacht bei mir zu haben, wäre einfach nur ein wundervoller Traum gewesen, der in Erfüllung gegangen wäre. Ich zitterte schon beinahe vor Aufregung. Bei dem Gedanken ihn wieder berühren zu können, ihn einfach nur in meine Arme schließen zu können, wurde ich ganz unruhig. Dieser Traum war endlich so nah. Aber bei einem wunderschönen Traum musste es auch bleiben. »Harry, aber dein Kindermädchen hat gesagt, ich soll dich davon abhalten. Du darfst doch noch gar nicht zu mir!«
Harry schniefte kurz, kaum merklich. »Paul... Er heißt Paul«, sagte er dann ganz ruhig. »Außerdem bin ich erwachsen Angel!«, fügte er etwas angepisst hinzu.
Er war aber mehr wegen der ganzen Situation angefressen, weniger wegen mir, deshalb musste ich leicht grinsen. Kindermädchen oder Babysitter gefiel ihm wohl nicht. Und mir war auch nicht entgangen, dass er Pauls Namen auf WhatsApp immer groß geschrieben hatte.
»Ok, PAUL hat gesagt, ich soll- «
Harry drehte seine Augen langsam nach oben. »Jaahaa ich weeeiß«, fiel er mir leicht entnervt ins Wort. »Ich weiß, was Paul zu dir gesagt hat. Schließlich stand ich gerade neben ihm, als er mit dir telefoniert hat. Und ich weiß auch, dass er heute, vom Set aus, im Prinzip alles geregelt hat. Was glaubst du wer ihm in den hintern getreten hat, und warum ich jetzt so genervt bin? Er hat alles klar gemacht. Eigentlich könnten wir uns sehen. Er ist nur mal wieder übervorsichtig. Ich kenne ihn doch. Er macht seine Arbeit einfach viel zu genau.« Harry stöhnte schwach auf, es war mehr ein Seufzen. »Er hätte wirklich Kindergärtner werden sollen. Aber die armen Kids hätten dann wahrscheinlich gar keine Freiheiten bei ihm.«
»Mag ja sein.« Äußerlich war ich wegen Harrys nörgeligem Verhalten ganz kurz am Schmunzeln und immerhin hatte Harry Band zuverlässige Leute an ihrer Seite, aber innerlich heulte ich, weil ich Harry davon abhalten musste zu mir zu kommen. Dabei wollte ich es doch, genau wie er. »Er wird schon seinen Grund haben Harry.« Mein Gesichtsausdruck passte sich meinem Gefühlszustand an. »Ich vermisse dich so schrecklich... Sehen wir uns dann nächste Woche, wenn er bei mir war?«
Harry schüttelte seinen Kopf. Trotz ruckelndem Bild war das deutlich zu erkennen. »Nein, nicht nächste Woche.«
Trübsal blasend ließ ich meinen Kopf hängen. Ich hatte nicht den Mut zu fragen, wann wir uns dann endlich sehen würden, da ich ihn jetzt, auf Pauls Anweisung hin, davon abhielt. Unser Wiedersehen rückte für mich in ungreifbare Ferne. Diese Woche durften wir uns noch nicht sehen und nächste Woche hatte Harry wohl keine Zeit. Er hatte massenhaft Termine in seinem Kalender eingetragen und ich überlegte kurz, ihm zu sagen, dass er jetzt doch zu mir fliegen sollte. Mich plagte so unendliche Sehnsucht, doch meine Vernunft siegte.
Ich atmete tief durch und versuchte mich zu entspannen. ‚Vorfreude ist doch bekanntlich die größte Freude. Wer auch immer diesen Schwachsinn erfunden hat. Aber vielleicht sollte ich mich einfach darauf freuen ihn IRGENDWANN zu sehen‛, versuchte ich mein Unterbewusstsein auszutricksen. Es funktionierte nur nicht. Ich lächelte gequält.
In diesem Moment erschien plötzlich eine große, schwarz gekleidete Gestalt in meinem Türrahmen. Mein gequältes Lächeln wich einem breiten Strahlen und mich konnte einfach nichts mehr auf meinem Bürostuhl halten.
๛
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro