4. »Jetzt sind wir quitt«
Als ich mich der Cafeteria näherte sah ich ihn schon von weitem, durch einige bodentiefe Glasscheiben, an einem Tisch sitzen. Es waren nur einige schmale Fenster, die hin und wieder die Wand der Cafeteria unterbrachen, aber ich sah ihn gut. Auch er hatte sich etwas anderes angezogen. Eine schwarze Jeans die sich wieder eng an seine Beine schmiegte, und ein schwarz-rot-weiß kariertes Hemd, welches er offen trug. Darunter ein weißes Shirt mit einem weiten, und ausgeleiertem Ausschnitt, was die Schwalben auf seiner Brust hervor blitzen ließ. ‚Uhh... heiß!', dachte ich mir. Und das helle Bandana, mit dem er versuchte seine Haare zu bändigen, machte ihn absolut sexy. Er sah damit so anders aus. Dazu trug er eine auffällige Kette mit Kreuzanhänger um seinen Hals, was das ganze Outfit noch sexyer machte. Und er trug einige Ringe an denen er gerade herrumspielte.
Er wirkte ganz anders als bisher. Nicht ganz so cool wie sein Outfit, eher ungeduldig wie ein kleines Kind. War er nervös? Wegen mir?
Vor ihm stand schon ein Tablett bereit, mit allen erdenklichen Leckereien die das Buffet her gab. Von der Menge her, wohl für uns beide gedacht. Er hatte sich echt Mühe gegeben, an alles zu denken.
Mittlerweile hatte ich die Gaststätte betreten. Aber er hatte mich noch nicht entdeckt, obwohl ich nicht mehr weit von ihm entfernt war, da ich mich aus dem Hinterhalt anschlich. Aus einer anderen Richtung, als die, aus der er mich wohl erwartet hatte. Ich hatte ihn noch eine Weile weiter beobachtet, obwohl die 25 Minuten schon ganz knapp vorbei waren. Einfach zu niedlich sah er aus, als er unruhig auf seine Uhr schaute, und dann immer wieder zur Türe blickte, durch die ich schon lange hindurch war. Also wollte ich ihn nicht länger warten lassen und beschloss ihn zu erlösen. Aber nicht, ohne mich an ihm zu rächen. Verdient hatte er es. Immerhin hatte er mich schon zwei Mal erschreckt.
Vom Buffet klaute ich mir eine gute Hand voll Eiswürfel, und schlich mich von hinten an ihn heran. Die Eiswürfel begannen zu schmelzen und das Wasser tropfte auf den Boden, als ich sie in meinen Händen verteilte. Froh darüber, dass er mich immer noch nicht bemerkt hatte, stand ich jetzt direkt hinter ihm, mit der festen Überzeugung, dass er eine kleine Abkühlung verdient hatte. Außerdem war sein weiter Ausschnitt einfach zu einladend. Schnell umarmte ich ihn von hinten, ließ dabei meine Hände mit dem Eis genussvoll über seine Brust gleiten, und ließ die Würfel schließlich los.
Nicht wissend, wie ihm gerade geschah, sprang er auf.
»Arrrgghh, was...?« Sein Blick fiel auf mich.
»Du fieses... arrgghhh...ahh... mach das nie wieder«, platzte es aus ihm heraus, und er schüttelte die restlichen Eiswürfel - die nicht gleich runter gefallen waren, als er aufsprang - aus seinem Shirt. Immerhin lachte er dabei. Er hatte mir meine kleine Attacke also nicht all zu übel genommen.
»Fieses was?«, fragte ich lachend.
»Miststück!!«, grinste er und zog sich sein Shirt mit den Fingern vom Körper weg.
»Jetzt sind wir quitt«, meinte ich.
»Warum? Wofür war das???« Seine Augenbrauen waren verwirrt zusammengezogen, und ein Hauch von Entsetzen spiegelte sich in seinem Gesicht wider.
Wir setzten uns an den Tisch und ich freute mich, dass wir über Eck saßen; so konnte ich ihm richtig nahe sein.
»Dafür, dass du mich gestern im Pool erschreckt hast«, antworte ich auf seine Frage.
»Ach, so ist das... Dann darf ich dich also morgen doch nicht zum Essen einladen?«, fragte er traurig.
»Doch darfst du.«
»Na dann sind wir nicht quitt. Also, wie willst du das jetzt wieder gut machen?«, fragte er mit einem frechen Grinsen auf den Lippen.
»Muss ich gar nicht«, stritt ich kopfschüttelnd ab. »Heute Morgen hast du mich auch erschreckt«, erinnerte ich ihn triumphierend.
»Ok. Dafür die Abkühlung. Aber womit hab ich verdient, dass ich hier jetzt nass rumsitzen muss?«, blinzelte er mich neugierig, mit seinen wunderschönen Augen an.
Daraufhin packte ich all meinen Mut zusammen, beugte mich zu ihm rüber, und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
»Zählt der als Entschädigung?«
Zufrieden lächelte er mich an: »Vielleicht könnten wir da noch mal verhandeln, aber als Anzahlung kann ich den schon mal gelten lassen.«
»Du bist unmöglich!«, lachte ich.
»Ich weiß«, gestand er ohne jegliche Selbstzweifel. Sein ganzes Gesicht strahlte.
Da er so frech war, boxte ich ihn zur Strafe in den Arm.
»Hey, Vorsicht...!!« Mit großen Augen und einer leicht hochgezogenen Braue schaute er mir tief und warnend in die Augen. »Der Preis steigt... Schläge auf den Oberarm kosten mehr als nur einen Kuss auf die Wange.«
Unumgänglich musste ich schlucken, denn in diesem Moment wurde mir mit einem Schlag klar, dass ich diesen Preis nur zu gerne zahlen würde. Meine Blicke wanderten zu seinen geschwungenen Lippen, und mein Herz pochte wild in meiner Brust. So stark, dass ich Angst hatte, er könne etwas davon mitbekommen.
»Ok, dann sollten wir jetzt lieber etwas essen, bevor du mich ausnimmst wie eine Weihnachtsgans«, versuchte ich, auch mich selbst, abzulenken.
»Wie Sie wünschen«, lächelte er gnädig.
Wir probierten uns durch die Leckereien, die Harry uns schon organisiert hatte, und bestellten uns noch einen Tee dazu.
Wir alberten herum, kamen uns ein wenig näher, aber außer unseren Knie, ab und zu unter dem Tisch, berührten wir uns nicht wirklich.
»Ich glaube, du hast hier etwas Marmelade«, teilte er mir lächelnd mit, und zeigte andeutend bei sich selbst ins Gesicht.
»Wo hier?«, fragte ich, und wischte mir mit flachen Fingern über die Wange.
»Nein, hier.« Er bewegte seine Hand auf mein Gesicht zu. »Darf ich?«
Wir lachten beide noch, als er mir einfach so ins Gesicht fasste, bevor ich irgendwelche Einwände dagegen äußern konnte.
Ich hielt still, damit er mir die Marmelade wegwischen konnte. Es war schon peinlich genug, dass ich nicht anständig essen konnte, jetzt musste er die Sauerei auch noch weg wischen, weil ich selbst unfähig dazu war. Sein Daumen glitt dabei sanft von meiner Oberlippe zu meinem Mundwinkel, und schlagartig wurden wir bei dieser Berührung beide ruhiger.
Mein Herz überschlug sich fast. Ich bemühte mich, dass sich mein Brustkorb nicht all zu sehr bewegte, aber ich konnte kaum normal atmen.
Die anderen Finger seiner Hand, lagen federleicht an meiner Wange. Und wie er mich dabei ansah...
‚Küss mich! Schlaf mit mir. Mach mit mir, was immer du willst, aber hör bitte nicht auf mich zu berühren‛, flehte ich ihn innerlich an. Ich wusste einfach nicht, was mit mir los war. Es war beängstigend, aber so eine aufregende und starke Anziehungskraft zu einem Mann hatte ich noch nie zuvor gespürt.
Er hatte seine Hand länger als nötig an meinem Gesicht liegen lassen, aber dann nahm er seinen Daumen wieder weg.
Ich wischte langsam mit meinen Fingern hinterher. »Ist es weg?«
Wir starrten uns gegenseitig in die Augen.
Seine Zungenspitze berührt nun seinen Daumen, und dann saugte er an der Stelle, an der er meine Lippen mit ihm berührt hatte.
Er sah so heiß aus, dass ich es kaum ertragen konnte ihn anzusehen. Hätte er nicht die Serviette benutzen können wie jeder andere normale Mensch auch? Wusste er, was er mir damit antat? Hätte er nicht gleich seine Lippen nehmen können, statt sich die Marmelade jetzt mühselig vom Daumen zu lutschen? Meine Gedanken drifteten schon wieder ab.
Er nickte kaum merklich. »Es war nicht viel«, behauptete er nun.
Scheu, senkten wir beide unsere Blicke. Und dann fing ich an, ihm von meiner nervigen Cousine und ihrer Familie aus England zu erzählen, um die verlegene Ruhe zu unterbrechen. Dabei erfuhr ich, dass er dafür einen Onkel in Deutschland hätte. Wir quatschten über alles Mögliche, und später sprachen wir noch über meine Arbeit, und dass ich mich gleich noch auf ein Meeting vorbereiten müsse. Gerade, als ich ihn Fragen wollte wie sein Tag aussehen würde, und was er jetzt beruflich eigentlich tatsächlich machte, klingelte sein Handy.
Er kramte es aus seiner Hosentasche hervor und meinte: »Sorry da muss ich ran gehen, ist geschäftlich«, entschuldigte er sich.
»Kein Problem«, versicherte ich ihm. Und ich wusste, wie nervig solche Anrufe sein konnten.
»Was gibt's Liam? ....... Früher? Wieso? ....... Ok geht klar. ....... Ja sag ich Bescheid. ....... Cafeteria ....... Frühstücken, was sonst? ....... Ja ich weiß wie spät es ist ....... Bis dann, ciao.«
»Sorry«, entschuldigte er sich noch mal.
»Musst du schon los?«, befürchtete ich.
»Nein noch nicht, nur früher als geplant. Aber ich muss noch kurz einem anderen Kollegen Bescheid sagen«, offenbarte er mir und hielt mit einer Hand sein Smartphone in die Luft. Mit dem Zeigefinger der anderen Hand zeigte er darauf. Deshalb schaute ich auf das Telefon und nickte: »Ok.«
»Hey Lou, ....... Wir treffen uns eine Stunde früher. ....... Nein der Termin wurde mit dem von morgen getauscht. ....... Ja die anderen wissen schon Bescheid. ....... In der Cafeteria ....... Frühstücken!!! ....... Ja, ich weiß, dass es schon fast Mittag ist!«, sagte er augenrollend, »....... ok, bye. ....... Was?? ....... Nein ich bin nicht alleine. ....... Geht dich nichts an. ....... Jaha, bis später. ....... Tschüss.«
»Sorry«, entschuldigte er sich erneut und legte leicht schnaubend sein Handy auf den Tisch.
»Schon ok«, beruhigte ich sein Gewissen und musste lachen.
»Was ist?«, lachte er zurück.
»Ach nix«, schüttelte ich den Kopf. »Es scheint nur ein großes Interesse zu bestehen, wo du gerade bist, und was du so machst.«
»Ohh ja«, seufzte er mit hochgezogenen Augenbrauen. Und ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung, wie groß dieses Interesse tatsächlich war.
Wir hatten echt gutes Sitzfleisch und jede Menge Spaß. Wir verstanden uns bestens, lachten über dieselben Dinge. Es war, als ob ich ihn schon ewig kennen würde. Er war wie ein guter Freund, der aber eine ordentliche Portion Kribbeln in meinem Bauch verursachte, wenn er mich ansah, mir absichtlich näher kam, oder mich zufällig berührte.
Es war schon fast 11 Uhr, das Buffet war schon lange abgeräumt und wurde allmählich für den Mittagstisch vorbereitet.
Ich deutete auf seine Armbanduhr. »Es ist schon spät, gleich gibt's Mittagessen.«
»Jetzt fang du auch noch an wie meine Kollegen«, spielte er den Genervten.
»Sorry«, war ich diejenige, die sich dieses Mal entschuldigte.
»Ok, lass uns gehen. Du musst ja auch bald los«, stellte er fest.
Er begleitete mich natürlich wieder zu meinem Zimmer. Auf dem Weg dorthin lachten wir vor allem über die merkwürdigen Bilder, die an den Wänden hingen, und wunderten uns, dass es auf dieser Gangseite nur gerade Zimmernummern gab.
Schließlich lehnte ich mit dem Rücken an meiner Türe. Harry stand vor mir und stützte sich mit seiner erhobenen, linken Hand am Türpfosten ab, die rechte hatte er in seiner Hosentasche vergraben.
»Das war ein wirklich schöner Vormittag... Danke«, sprach er leise, und biss sich dann auf seine Unterlippe.
»Ja, finde ich auch«, wisperte ich mit einem schüchternen Lächeln im Gesicht.
»Ich... ähm... geh dann mal«, sagte ich unsicher, auf die Türe hinter mich zeigend. »Wir sehen uns morgen Abend?«
Er hatte mir noch nicht verraten, wo er mit mir hingehen wollte. Angeblich hatte er sich noch keine Gedanken darüber gemacht, und wollte mir dann noch Bescheid geben.
Ich wollte mich gerade umdrehen, um die Türe zu öffnen.
»Warte!« Er schüttelte seinen Kopf, beugte sich dabei etwas zu mir runter, und kam mir immer näher, während er weiter sprach. »Ich glaube wir haben da noch eine kleine Rechnung offen... Bist du nicht auch der Meinung, du schuldest mir noch etwas?«, raunte er leise und mit heißerer Stimme in mein linkes Ohr. Seine Haare kitzelten mich dabei.
Ein Schauer jagte mir eiskalt den Rücken hinunter, und mit weichen Knien versuchte ich, in der Hoffnung dieser Situation zu entkommen, zu antworten.
»W-warum? D-das Frühstücksbuffet war doch All-Inklusive«, war das Erstbeste und auch das bescheuertste, was mir in den Sinn kam.
»Selbst wenn nicht«, hauchte er mir ins Ohr, »du weißt, dass ich das nicht meine Angelina.«
Unsere Wangen waren nur noch wenige Millimeter voneinander entfernt, und an seiner Atmung konnte ich hören, dass auch er extrem angespannt war.
‚Sicher, der Armboxer.‛ Natürlich wusste ich, was er meinte, und er hatte es auch nicht vergessen. »Schläge auf den Oberarm kosten mehr als nur einen Kuss auf die Wange.« Harrys Worte bohrten sich wieder in meine Gedanken.
Er war jetzt total erst. Keine Spielchen. Keine Gnade. Mein Herz hämmerte unerschöpflich gegen meine Brust, denn es schien, als würde er mir keinen Zahlungsaufschub gewähren. Sein Gesicht war jetzt - etwas nach rechts geneigt - leicht seitlich vor meinem, und er schaute mir tief und fordernd in die Augen. Ich konnte kaum Atmen und musste schlucken, während ich begann leicht zu zittern. Meine Sinne ertranken in Unsicherheit und Angst. Meine Gedanken fuhren zusammen mit den Schmetterlingen in meinem Bauch Achterbahn. Irgendwie wurde mir davon, gerade total schlecht, und ich verspürte ein unheimliches Brennen in meinem Unterleib.
»Ohhh, ok«, säuselte ich kleinlaut und machtlos gegen seine Lippen, die sich, von meinem Ohr weg, meinen weiterhin genähert hatten, kurz bevor sie meine berührten, aber halt gemacht hatten.
Abwartend senkte er seinen Blick.
Ich wusste, dass die restliche Initiative zu dem geforderten Kuss von mir ausgehen musste, denn ich hatte diese Rechnung zu bezahlen.
Mit rasendem Herzschlag schloss ich die kleine Lücke, die noch zwischen uns war, mit einem luftigen Kuss. So, dass sich unsere Lippen nur ganz leicht berührten. Und gerade, als ich mich feige wieder zurückziehen wollte, verstärkte er den Druck auf meine Lippen, und wir schlossen beide unsere Augen.
Mein Hinterkopf berührte nun sanft das Holz der Türe, und seine rechte Hand wanderte aus seiner Hosentasche, damit er sich mit ihr nun neben meinem Kopf abstützen konnte. Ich war gefangen zwischen seinen Armen, und der Ohnmacht nahe, als ich seine sinnlichen Lippen auf meinen spürte; für einige Sekunden, einfach nur leicht aufeinander gepresst. Bis er sich schließlich wieder wenige Millimeter von mir entfernte, und seine Augen öffnete.
»Jetzt...! sind wir quitt Angelina«, wisperte er halblaut gegen meine Lippen.
»Ich freue mich auf morgen Abend, und wünsche dir noch einen schönen und entspannten Nachmittag.« Er schaute mir dabei nochmals tief in die Augen und lächelte kaum merkbar. Dann stieß er sich von der Türe ab, drehte sich einfach um, und ging.
๛
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro