32. Im Auge des Schicksals
Was ich vor hatte? Ich sagte es ihm.
»Wenn du schon nicht hier bist, dann will ich dich zumindest größer sehen«, grinste ich nun, während ich wieder aus meinem Bett hechtete. »Ich hol nur meinen Laptop aus dem Arbeitszimmer und dann melde ich mich wieder bei dir, ok?«
Er grinste einverstanden. »Ok, aber dann warte bis ich mich melde. Ich würde gerne noch schnell duschen und aus den Klamotten hier raus.« Er zog sich sein Shirt von der Brust weg, um es mir zu demonstrieren, auch wenn ich nicht viel davon sah. »Dann nehme ich auch meinen Laptop und wir können uns gemeinsam ins Bett kuscheln.« Sein Grinsen wurde breiter, meins auch.
Er war noch komplett angezogen, natürlich wollte er es sich auch bequem machen.
Gesagt, getan. Ich lag nun mit meinem Laptop im Bett und wartete auf Harrys Anruf. Und während ich so lange im Internet surfte, juckte es gewaltig in meinen Fingern. Irgendwie wollte ich wissen, was so über ihn im Internet zu finden war. Also ging ich auf Google und tippte 'Harry Styles' ein. Der Gedanke nach ihm zu googeln war echt verlockend, doch dann hielt ich inne. ‚Besser nicht‛, dachte ich. ‚Er wird es nicht ohne Grund verlangen, es nicht zu tun.‛ Aber ich war sooo neugierig.
Bevor ich noch weiter in Versuchung kommen konnte "Enter" zu drücken, klingelte auch schon Harry bei mir an.
Jetzt sah ich mehr als nur sein Gesicht. Seine Mütze hatte er ausgezogen, seine Haare standen wild durcheinander, noch leicht feucht. Er hatte ein graues T-Shirt mit einem verwaschenen Aufdruck an, und die Hose konnte ich nicht richtig erkennen. Es schien aber eine enganliegende schwarze Boxershort zu sein und meine Gedanken waren sofort wieder in Berlin, am Pool. Nun saß er aber mitten auf seinem Bett. Ein Bein hatte er angewinkelt auf der Matratze liegen, das andere umklammerte er mit seinen Armen vor seinem Körper und hatte sein Kinn auf dem Knie abgestützt. Ich wünscht mir, er würde mich jetzt so im Arm halten.
»Du siehst sexy aus«, sagte er grinsend. Denn auch er sah jetzt mehr von mir. Ich lag einfach nur auf der Seite und stützte meinen Kopf mit einer Hand ab.
»Und dieser Samuel ist ein guter Freund?«, sprudelte es unerwartet aus ihm heraus. Scheinbar hatte er sich beim duschen noch mal Gedanken drüber gemacht mit wem ich so abhing. Seine Sorgen waren immer noch nicht weg.
»Ich seh' ihn nicht mehr so oft, seit wir beide Arbeiten müssen, aber ja... Er ist einer der besten Freunde die es gibt.«
Harry schaute nur in die Kamera und nickte halbwegs für ein »ok«, ohne sein Kopf von seinem Knie weg zu bewegen. Ich sah ihm an, dass er innerlich nicht so gelassen war, wie er wohl wirken wollte und ich fühlte mich in Erklärungsnot.
»Hey, das ist wirklich nur ein guter Freund. Ich kenne ihn seit dem Sandkasten, ich kann mich jederzeit auf ihn verlassen. Er ist wie ein großer Bruder für mich. Da lief nie etwas zwischen uns«, klärte ich Harry auf, bevor er auf weitere, dumme Gedanken kommen könnte.
Plötzlich war sein Kinn vom Knie entfernt, er riss beschwichtigend seine Hände vor die Brust und versuchte mich unschuldig an zu schauen. »Ich hab doch gar nichts gesagt.«
»Aber gedacht Harry. Auch ich kann ein bisschen Gedanken lesen.«
Ich erzählte ihm von Mariella und dem Baby, das in ein paar Monaten kommen würde, dass Sammy nun über mich und Harry Bescheid wusste, und dann sagte ich noch: »Und wenn die beiden mich besuchen kommen, bist du hoffentlich gerade bei mir, dann lernst du ihn kennen.«
»Klar, ich würde deine Freunde gerne kennen lernen. Vielleicht mache ich mir dann auch nicht so viele Sorgen.«
»Brauchst du wirklich nicht. Ich glaube, da sollte ich mehr Angst vor deinen Fans haben.«
»W-Hä, warum?«, antwortete er unbeholfen und planlos.
»Ach, ich kenne da so ein Fangirl, das dich heiß findet und dich nicht von der Bettkante stoßen würde. Viel lieber würde sie sich sogar von dir auf der Bettkante stoßen lassen. Das hat sie mir heute selbst gesagt, beziehungsweise geschrieben. Und da gibt es sicherlich noch einige die das genauso sehen wie sie.«
»Von wem redest du Angel?« Harry stand total im Dunklen. Deswegen kniff er wahrscheinlich auch seine Augen zusammen, um besser sehen zu können; ein Irrsinn in sich.
»Na von Jaycee«, lachte ich.
»Ohhww«, brummte Harry und reagierte mit einem noch zerknautschteren Gesichtsausdruck, den er sowieso schon hatte. Einen, den ich beim ihm bisher noch nicht gesehen hatte, aber er sah unheimlich süß damit aus. »Das hat sie gesagt? Wirklich?«
Ich nickte und rubbelte meine kitzelnde Nase mit meinem Handgelenk. Vielleicht war es auch der Handballen.
Harry lächelte nun total bezaubernd. »Sie weiß immer noch nicht, dass wir zusammen sind?«
»Nö, sie weiß inzwischen nur, dass wir geknutscht haben, mehr nicht.«
Harry lachte: »Haha echt?« Und das kam mir in diesem Zusammenhang irgendwie bekannt vor.
Ich erzählte Harry nun alles, was wir uns geschrieben hatten und hielt ihm diesen Teil, den ich meinte unter die Nase. Also vor die Kameralinse.
Jaycee: [Ohh jeeeehh... Haha echt? KRASS!!! Wuhuuu!!! Küsst er wenigstens gut?]
Peinlich berührt fuhr sich Harry mit einer Hand langsam in den Nacken. »Und was hast du ihr geantwortet?«, traute er sich kaum zu fragen.
»Ja schon irgendwie«, las ich ihm vor und musste über meine eigenen Worte lachen, weil das Harry gegenüber jetzt total bescheuert rüber kommen musste. Er wusste doch nicht wie ich das gemeint hatte.
»Ja schon irgendwie?«, wiederholte er fragender Weise. »Du hast ihr "Ja irgendwie schon" geantwortet? Das spricht wohl nicht unbedingt für mich. Das klingt jetzt nicht sonderlich ... ahhm- «
Er wusste vor Verlegenheit nicht wie er sich weiter ausdrücken sollte, und ich unterbrach ihn dabei.
Ich saß nun im Schneidersitz, der Laptop stand vor mir auf der Matratze. »Harry, deine Küsse sind mehr als perfekt«, verriet ich ihm und meinte es auch so. Niemals hatten sich irgendwelche Lippen schöner auf meinen angefühlt als seine. Seine Zunge war so sinnlich und fordernd zugleich. Seine sanften Bisse spielerisch, manchmal heiß. Seine Küsse waren wirklich himmlisch perfekt.
Er rutschte ein wenig vor seinem Computer herum und justierte den Bildschirm mit der Kamera neu, damit wir uns wieder sahen. Ich sah ihn sowieso, er hatte sich nicht viel bewegt. Zuerst dachte ich, er wollte ablenken. Doch dann befeuchtete er seine Unterlippen und zog sie zwischen seine Zähne, bevor er sagte: »Okaay... Dann sehe ich das mal als Kompliment, das ich gerne zurück gebe. Und ich freue mich darauf mehr von dir zu spüren, als nur deine Lippen.« Sein Blick war schlagartig stechend und drang tief in meinen Magen. Damit hatte er mich nun erwischt. Meine plötzliche Schüchternheit tat es ihm gleich.
»Ok, was hast sie noch gesagt? Erzähl«, forderte er mich auf.
»Ähm, Moment...« Ich scrollte durch meinen Nachrichtenverlauf. »Sie hat geschrieben, dass du berühmt und reich bist. Viel herum reist.« Ich scrollte ein Stück weiter. »Dass ich genießen soll, was wir beide hatte, statt dir hinterher zulaufen. Und dass sie denkt, dass du es nicht sonderlich ernst mit mir meinst, aber sie würde mir deine Nummer von Niall besorgen, falls du mich noch nicht angerufen hast und ich sie haben möchte.«
Mit einem Mal, laut und scharf, zog Harry Luft durch seine Nase. Die Folge waren aufgeblähte Lungenflügel und er setzte sich aufrechter hin. Es war wohl weniger das, was er, als mein Freund, hören wollte.
Er sah entschlossen aus und kommentierte: »Also ich hoffe doch mal, dass du mich nicht so schnell vergisst, wie Jaycee das gerne hätte.« Bei einem leicht bösen Blick legte sich seine Stirn schon wieder in Falten.
»Viel reisen und so...« Das "berühmt" und "reich", erwähnte er nicht ausdrücklich. »Ja, damit hat sie wohl irgendwie recht.« Er grinste.
»Auch damit, dass du genießen sollst Angelina.« sein Blick wurde weich. »Allerdings nicht was wir hatten, sondern das, was wir noch haben werden und! natürlich auch was wir hatten«, betonte er.
»Hinterherlaufen brauchst du mir nicht. Ich gehöre voll und ganz dir. Zumindest ein ganz besonderer Teil meines Herzens.« Er legte eine Hand auf seine Brust und verschlang die Kamera regelrecht mit seinen Augen.
Dann legte er die Kuppe seines Zeigefingers auf seine Lippen und sah seinen Körper entlang nach unten. Er schielte wieder nach oben: »Und ein paar andere Körperteile von mir gehören nur uns beiden.«
Seine Augen blitzten verführerisch in die Kamera und mich überkam postwendend ein angenehmer Schauer.
»Sollte ich also jemals auf ihrer Bettkante sitzen, aus welchem Grund auch immer, dann brauchst du dir keine Sorgen machen. Sie hat keine Chance. Genauso wenig wie jede andere Frau.« Er grinste mich sorglos an und auch ich musste lächeln.
»Und was ist mit den Männern?«, musste ich einfach scherzend fragen.
Seine Antwort war ein zweifelnder 'das hast du jetzt nicht gefragt'-Blick.
Dann schaute er mich plötzlich Todernst an. »Und du glaubst gar nicht, wie ernst ich es mit dir meine. Auch wenn unser Schicksal es damals nicht wollte, dass wir aufeinander treffen. Ich bin froh, dass es sich nun anders entschieden hat.«
»Tja, wir haben uns damals leider nicht gesehen«, sagte ich trübsinnig. »Dabei waren wir sooo, sooo oft in diesem Pub und vor deinem Haus.«
»In welchem Zeitraum war das überhaupt?«, fragte er interessiert.
»Vor etwa anderthalb Jahren. November und Dezember... Da war ich häufiger bei Jay. Sogar eine ganze Zeit lang, weil ich gerade..., naja, weil...«, stotterte ich rum. »Ich hatte mich gerade von einem Freund getrennt und hatte eine schwere Zeit hinter mir und wollte mich dort ablenken.«
»Ohh, hmmm, da war ich oft in Amerika. Und ich, ahm... war vergeben, aber auch nur bis Anfang Januar. Unglaubliche Sache warum das damals auseinander ging.«
Harry wirkte kurz in sich gekehrt. Er schien an diese Beziehung zu denken, oder an den Trennungsgrund. Was auch immer. Ich wollte aber auch nicht nachfragen. Im Grunde genommen, war es seine Vergangenheit und ging mich nichts an. Schließlich kannte er mein bisheriges Leben auch nicht in und auswenig. Noch nicht.
Harry war der Meinung: »Na dann hat sich unser Schicksal wohl doch was dabei gedacht, dass wir uns da noch nicht über den Weg gelaufen sind. Zumindest behauptet das Jay.«
Ja, es stimmte. Es wäre einfach eine unglückliche Zeit gewesen, wenn wir uns da getroffen hätten. Ich hatte noch mit den Nachwehen einer vermurksten Beziehung zu kämpfen und war für etwas Neues nicht bereit und Harry war liiert. Er hätte wohl kaum Schluss gemacht, wenn ich gesagt hätte: "Hallo, hier bin ich."
»Wenn du kaum zu Hause warst, wird sie wohl Recht haben. Es sei denn...« Ich musste etwas lachen, weil ich an etwas dachte.
»Es sei denn, was?«
»Es sei denn, du hast gesehen wie... Oh man, das war vielleicht bescheuert.« Ich legte meine Hand auf meine Augen, um mich zu verstecken, weil es schon irgendwie peinlich war.
»Was denn???« Harry schaute mich neugierig an und lächelte selbst, obwohl er nicht wusste warum.
»Anfang Dezember war ich einmal alleine da, ohne Jay.«
»Wo, da?«
»Da vor deinem Haus«, drückte ich mich deutlich er aus. »Wir... also Jay ich und noch drei Freundinnen, wollten eigentlich auf einen Junggesellinnenabschied. Und da habe ich gemerkt, dass mein Armband plötzlich weg war. Ich war mit Jay mittags noch in diesem Pub und vor deinem Haus und da hatte ich es noch, kurz darauf nicht mehr. Also bin ich alleine zurück, um es zu suchen, während die anderen schon mal feiern gegangen sind. Ich hatte mich total auf den Boden konzentriert. Eigentlich war es schon viel zu dunkel um irgendwas zu finden. Und dann ist da so ein Typ, in so einer total bescheuerten Kapuzenjacke, in mich rein gerannt. Wir haben beide das Gleichgewicht verloren und dann ist er voll auf mir drauf gelandet und hat sich nicht mehr von der Stelle gerührt. Nicht, dass wir uns beide weh getan hätten, aber es war irgendwie ein skurriler Moment, als wir gemeinsam auf dem Boden lagen.«
Harry entgleisten die Gesichtszüge und sein Blick änderte sich merkwürdig, als würde er tief in seinem Inneren nach Erinnerungen suchen. Von seinem Lächeln war nichts mehr zu sehen.
»Du denkst jetzt aber nicht ernsthaft darüber nach, ob du das damals gesehen haben könntest. Harry, das wär ein arg dummer Zufall gewesen.«
»Nein Angelina, ich bin mir 100 prozentig sicher, dass ich es nicht gesehen hab, aber- «
»Auf ihn solltest du übrigens eifersüchtig sein«, unterbrach ich ihn. »Ich hatte damals sofort ein totales Kribbeln im Bauch. Total irre. Wie bei unserer ersten Begegnung im Hotel. Als du mir da so in die Augen geschaut hast, musste ich sogar kurz an ihn denken. Das war damals echt bescheuert. Ich kannte ihn nicht, aber ich hab ihm mehrere Wochen echt verzweifelt hinterher geheult, nur weil er mir in die Augen gesehen hat. Kannst du dir das vorstellen? Die Geschichte mit meinem Ex war sofort vergessen und bei jedem anderen hatte ich nie so ein vergleichbar starkes Gefühl, bis ich dich am Montag getroffen hab. Es war wie ein Déjà-vu. Meinst du das ist Liebe auf den ersten Blick?«
Harry hatte die ganze Zeit kein Wort gesagt und hörte mir nur zu. Dann rieb er sich mit den Händen über das Gesicht und ließ sich mit einer Drehung, aus seiner sitzenden Position mit dem Rücken auf das Bett fallen. Er lag nun längs und saß nicht mehr quer. Und dieses Mal, war er für mich fast vollkommen von der Bildfläche verschwunden. Dann rückte er den Laptop wieder zurecht. So, dass ich ihn sehen konnte. Halbwegs zumindest, denn sein Kopf war, so gut wie, im Kissen versunken. Trotzdem entging mir ein Detail nicht.
»Oh Scheiße, Harry weinst du? Es tut mir sooo leid. Ich wollte dich nicht verletzen. Keine Ahnung warum ich dir das von ihm jetzt unbedingt erzählen musste. Mich hatte das Gefühl damals einfach überwältigt und dann bist du in mein Leben gekommen und ich war wieder so verwirrt, sogar noch mehr als damals. Harry ich..."
Plötzlich stand er auf und war nun gar nicht mehr zu sehen. ‚Ohhh Angelina, wie bescheuert bist du eigentlich, ihm jetzt von den Gefühlen für einen anderen zu erzählen, auch wenn es lange her ist.‛ In Gedanken klatschte ich mir mit der flachen Hand mal wieder auf die Stirn. Was hatte ich nur getan?
»Harry NEIINNN!!«, rief ich verzweifelt.
Er ließ mich hier wirklich alleine sitzen, ohne mir auch nur die Möglichkeit zu geben mit ihm darüber zu sprechen.
»Harry, lass es dir doch erklären!!«, rief ich ihm hinterher, und hoffte, dass er es überhaupt noch mit bekam.
»Warte kurz«, hörte ich ihn irgendwo im Raum sagen.
»Harry?«, fragte ich verwirrt.
»Warte! Du siehst mich doch gleich wieder.«
Und so war es auch. Er krabbelte zurück in sein Bett und sein Gesicht war jetzt ganz nah an der Kamera. Er lag jetzt seitlich, wie ich zuvor, und stützte seinen Kopf mit einer Hand ab.
»Wo warst du?«
»Das Armband«, meinte er ohne mir zu antworten, »du hast es nie gefunden, oder?«
»Ähm, nein, woher weißt du das?«
Harry versuchte in die Kamera zu lächeln, aber er hatte tatsächlich wässrige Augen. Dann hielt er seine Faust unmittelbar vor die Kameralinse.
»Weil ich es habe«, sagte er, während er seine Hand entfaltete und ein schlichtes, silbernes Armband zum Vorschein kam und nun vor der Linse baumelte. Es war ein recht schlichtes Panzerarmband, welches zwischendurch fünf größere Kettenglieder hatte.
Ungläubig staunend, hielt ich mir die Hand vor den Mund. »Duuu hast es gefunden? Wooo??? Ich habe doch alles abgesucht.«
»Gegenüber von meinem Haus, auf der anderen Straßenseite.«
»Das ist ja echt irre, du hast mein Armband!« Ich konnte es nicht glauben.
Ich konnte es wirklich nicht glauben, dass ausgerechnet Harry mein Armband gefunden hatte und es auch noch behalten hatte.
»Aber warum behältst du einfach irgendwelche Armbänder die du findest? So lange Zeit.« Es war unglaublich.
»Angelina..!«, sagte er. »Weil es mich an ein Mädchen erinnert hat, das mir seit diesem Tag nicht mehr aus dem Kopf gegangen ist, bis ich dich in Berlin getroffen hab.«
»Harry nein...« In Zeitlupe schüttelte ich meinen Kopf und konnte nicht glauben was er mir damit sagen wollte. Doch langsam begann ich zu realisieren, was Harry schon seit einigen Minuten wusste, und fing dann leise an zu schluchzen. »Gott nein, das kann nicht sein.« Ich vergrub mein Gesicht für kurze Zeit in meinen Händen.
»Doch Lina! Ich... war dieser Typ, in dieser total bescheuerten Kapuzenjacke, auf der Flucht vor aufdringlichen Fans. Ich hatte nach hinten geschaut. Die Fans hatte ich abgehängt, aber als ich mich wieder umgedreht hab, stand da plötzlich ein Mädchen. Ich konnte nicht mehr bremsen und dann hab ich- «
»Vorsicht... Du hast "Vorsicht!" geschrien.«
»Ja, hab ich«, lächelte er nun. »Und dann hast du dich zu mir umgedreht und- «
»Und schon lagen wir zusammen auf dem Boden", vervollständigte ich seinen Satz, schniefte und versuchte mir ein Lächeln abzuringen.
Harry sprach weiter: »Unsere Lippen haben sich damals fast berührt, als wir gemeinsam auf dem Boden lagen. Erinnerst du dich?« Ich nickte. »Ich konnte deinen Atem spüren und ich war sooo kurz davor dich einfach zu küssen.« Ich bekam Gänsehaut. Harry schaute zur Zimmerdecke und wischte sich mit einer Hand über sein Gesicht. »Ohh mein Gott...« Er schluckte und schüttelte ungläubig seinen Kopf. »Wir waren uns schon so unglaublich nahe.«
Nun schniefte er und wischte sich die entstehenden Tränen mit seinem T-Shirt aus den Augen, bevor er wieder in die Kamera schaute und ebenfalls gequält lächelte.
»Ich habe nie vergessen, wie du mich in diesem Augenblick angesehen hast Harry. Und ich hatte mir so gewünscht, dass sich unsere Lippen in diesem Moment berührt hätten.«
»Mir kam es vor wie eine halbe Ewigkeit, die wir da lagen. Und du hast gezittert Angel.«
»Du auch Harry.«
»Ja, ich weiß. Ich war schlagartig, total nervös und angespannt als du mir in die Augen gesehen hast. Genauso wie im Hotel, als du mit deiner Cousine telefoniert hast. Ich musste nach unserer Begegnung am Montag ebenfalls an dieses Mädchen, also an dich denken. Ich hatte sogar mit Liam kurz darüber gesprochen. Aber kein Wunder, dass ich dich nicht wieder erkannt hab. Du hattest blaue Kunststoffhare auf dem Kopf, eine schwarze Nase und viele rote Herzchen im Gesicht. Was, um Himmels Willen, war das?«, fragte er nun mit einem leicht entsetzten Gesichtsausdruck.
»Oh man... hahaha, ja. Wegen dem Junggesellinnenabschied. Ich muss schrecklich ausgesehen haben, aber du hast mich trotzdem gefragt, ob alles ok ist und ob ich noch ein Tee zum aufwärmen bei dir trinken will, nachdem du mir hoch geholfen hast.«
»Und du hast mir einen Korb gegeben. Du hattest gesagt, dass du noch dein Armband suchen gehen musst und bist dann einfach abgehauen. Ich hab es dann zufällig am nächsten Tag gefunden und hatte so gehofft dich irgendwann wieder zu sehen.«
»Trotzdem haben wir uns beide im Hotel nicht wieder erkannt. Schon komisch«, fand ich. »Aber ok, du hattest deine Mütze fast im ganzen Gesicht verteilt.« Zugezogen bis zum geht nicht mehr. Wie hätte ich also viel von ihm sehen sollen? Und wie hätte ich ihn im Hotel wieder erkennen sollen? Ich hatte doch kaum etwas von ihm gesehen. Und ich sah in meiner Verkleidung wohl auch anders aus als in Berlin.
»Wir haben wohl beide etwas anders ausgesehen«, wiederholte er meine Gedanken. »Aber wir haben uns wieder erkannt Angel. Unsere Herzen haben sich sofort aneinander erinnert.«
»Jah«, hauchte ich, »das haben sie wohl.«
»Ich kann es gar nicht glauben. Das warst wirklich du...« Sehnsüchtig streckte er einen Arm nach mir aus und ich verfluchte den Laptop vor dem ich mich befand.
»Harry ich bin total überwältigt von meinen Gefühlen. Das war ich damals schon, ohne dich wirklich zu kennen, aber was ist das für ein scheiß Schicksal? Scheinbar gehören wir zusammen. Aber warum sind wir damals nicht schon zusammen gekommen?«
»Mir geht es genauso Angelina, aber ich de- «
»Ja ja, ich weiß, du hattest sowieso eine Freundin«, sagte ich traurig. »Und ich wollte nicht mit zu dir, zu blöd. Und ich war total aufgewühlt und wusste nicht wie ich reagieren soll. Das mit meinem Ex war auch noch ganz frisch. Vielleicht war es besser so.«
»Ja, ich denke es war wirklich noch nicht der richtige Zeitpunkt für uns beide«, bestätigte er meine Gedanken. »Und die Beziehung zu diesem anderen Mädchen... Diese unglaubliche Sache, wegen der wir uns getrennt haben... Wir haben uns indirekt wegen dir getrennt Angelina.«
Überrascht starrte ich Harry mit großen Augen und offenem Mund an.
»Naja, sie hatte gemerkt, dass mit mir plötzlich etwas nicht gestimmt hat. Ok, sie war echt sauer und dachte sogar, dass ich fremd gegangen bin, nachdem ich mich, in der Nacht nachdem ich dir begegnet bin, einfach nicht bei ihr gemeldet hab. Aber ich wollte alleine sein und musste darüber nachdenken, was da mit mir passiert ist. Wir hatten es trotzdem noch mal miteinander versucht, aber schlussendlich hat es dann nicht mehr funktioniert. Ich hab mich bei Liam ausgeheult. Nicht wegen dem anderen Mädchen... wegen dir Lina. Ich war verzweifelt, nachdem ich dich einfach so gehen lassen hab, ohne nach deinem Namen zu fragen. Aber unser Schicksal hatte wohl die ganze Zeit ein Auge auf uns geworfen. Das kann kein Zufall sein, dass wir uns jetzt wieder getroffen haben. Wir gehören wohl wirklich zusammen.«
Harry war sichtlich aufgewühlt, genau wie ich. Trauer und Glück spiegelten sich in unseren Gesichtern wieder. Wir litten beide in voller Melancholie den anderen in diesem Moment nicht in den Arm nehmen zu können. Es vermischten sich die verwirrenden Gefühle von damals, die Verzweiflung darüber den anderen wahrscheinlich nie wieder zu sehen nach dieser absurden Begegnung, und die unvergleichbaren intensiven Emotionen der letzten Woche, wie sich alles entwickelt hatte, und die irrsinnig tiefen Gefühle, die wir nach so kurzer Zeit füreinander empfanden. War es wahre Liebe? War es tatsächlich unser Schicksal?
»Was machst du Harry?«, fragte ich meinen Freund, als er gerade dabei war sich das Armband um sein linkes Handgelenk zu legen. »Meinst du, es passt dir?«
»Ich weiß, dass es mir passt. Ich hab es damals mehrere Wochen getragen.«
Demonstrierend hielt er seinen Arm mit dem angelegten Armband vor die Kamera und lächelte.
Dann lächelte ich auch, aber nicht nur wegen dem Armband. Ungläubig über meine Gedanken schüttelte ich meinen Kopf und fing an zu kichern.
»Was ist los Angel? Sag nicht, dass es doof aussieht.«
»Nein, keine Sorge, es steht dir.«
»Warum lachst du dann?«
Ich schüttelte noch einmal geringschätzig meinen Kopf und ließ Harry dann an meinen Gedanken teil haben.
»Ach, ich hab gerade nur an das Ergebnis gedacht.«
»Wovon redest du schon wieder? Welches Ergebnis?« Ein gespanntes Augenpaar stierte mich an.
»Die Wurzel aus den 4.048.627.«
»Du hast dir die Rechnungsnummer gemerkt?« Er runzelte die Stirn.
Ich grinste. »Du dir scheinbar auch, oder woher weißt du das es die Rechnungsnummer ist? Ich lache aber wegen dem Ergebnis.«
Harry schaute mich an, als ob ich nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte.
»Harry... 2012,12... Im Dezember 2012 haben wir uns das erste Mal gesehen... und diese vier Millionen ist die Rechnungsnummer von Mittwochabend, du weißt selbst was da alles passiert ist. Wir sind beide davon ausgegangen, dass wir zusammen sind, obwohl wir einen Tag später erst darüber gesprochen haben. Aber für mich zählt dieser Mittwoch. Vielleicht ist an der Sache mit dem Schicksal, von dem alle immer reden, ja tatsächlich was dran.«
»Ja vielleicht«, grinste er nun auch wieder. »Dann lass uns doch mal sehen, was uns die Zukunft so bringt« sagte er scherzend. »Wie ging die Zahl denn weiter?«
Ich musste noch einmal mit meinem Handy nachrechnen.
»2012,12002624097949213...«, sagte ich und wir machten beide große Augen, als ich Harry mein Handy mehr oder weniger wieder unter die Nase hielt.
Harry hatte seine Fassung zuerst wieder gefunden.
»So ein Blöööödsinn«, sagte er kopfschüttelnd und kniff dabei ein Auge etwas zusammen. Es verlieh ihm irgendwie einen fiesen Gesichtsausdruck.
Ich wusste, was bei ihm im Kopf vor ging und sprach es aus.
»Hmmm... 26 und 24 waren aber definitiv unsere Zimmernummern. Ich hatte 24 und du 26. Die geraden Zimmernummern waren auf unserer Seite und die ungeraden waren vom Aufzug aus auf der linken Seite des Ganges.
»Und 00 bedeutet dann wohl, dass wir unser erstes Mal auf einer Toilette haben werden. Und im September trennen wir uns wieder wegen der 09?«, scherzte Harry nicht sehr gekonnt.
Ich lachte trotzdem wegen seiner Interpretation dieser Zahlen. »Ich hoffe doch, dass beides etwas anderes bedeutet.«
Dann wurde ich plötzlich wieder ernst. Die Begegnung damals, und dass wir nun zusammen waren. Diese Tatsachen, gepaart mit den ganzen Gefühlen, die ihr heiteres Spiel mit uns trieben, jagten eine gespenstische Gänsehaut über meinen Körper.
»Das Schicksal hat uns im Auge Harry. Ich finde das alles irgendwie unheimlich.«
»Es sind schon merkwürdig viele Zufälle, aber glaubst du wirklich an so was wie Vorherbestimmung?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Eigentlich nicht, du?«
»Keine Ahnung... Ein Leben ist doch das, was man daraus macht, und ich denke, Glück spielt eine große Rolle. Aber mein Leben verläuft sowieso irgendwie unrealistisch. Also weeeer weiß... Es gibt nichts, was es nicht gibt. Und zählt nicht das woran man glaubt oder glauben will?«
Er stimmte mich nachdenklich.
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