Smooth Criminal
Es ist fünf vor sechs.
Annie ist gerade von der Spätschicht nach Hause gekommen. Es ist ein guter Tag gewesen und er sollte genauso enden. Gemütlich vor dem Fernseher, eine Flasche Rotwein auf dem Couchtisch, eine Fließdecke auf dem Schoß. Wie jeden Freitag.
Annie steht in der Küche und rührt noch in der Tomatensoße, die gleich über ihr flüchtiges Abendessen, einen Berg Nudeln, gegossen wird. Im Radio läuft Beethovens fünfte Symphony. Annie liebt klassische Musik. Sie versteht nicht, wieso die Leute sie schon vor Jahren abgeschrieben haben. Nur weil sie alt ist?
Wenn der Klang des Orchesters in ihr Ohr eintritt, dann fühlt sie sich frei. So auch jetzt. Leise summt sie die verschiedenen Melodien mit, die die Küche erfüllen. Es ist noch hell draußen. Bald ist der Winter endlich vorbei. Seit der Schnee angefangen hat zu schmelzen freut Annie sich auf den Frühling. Endlich wieder Röcke und Kleider anziehen und keine unbequemen Mäntel mehr. Sie öffnet das Fenster. Seit Tagen bullert die Heizung, es wird Zeit, dass frische Luft in die Erdgeschosswohnung kommt, in der Annie seit knapp zwei Jahren lebt.
Die Eieruhr klingelt, die Soße ist fertig, der Abend kann beginnen. Sie dreht das Radio leiser, während sie Teller und Besteck auf einem Tablett bereit legt.
Dann klingelt es an der Tür. "Seltsam", denkt sie noch, denn sie erwartet niemanden. Leider hat der Türspion einen Sprung, seitdem der Bernhardiner ihrer Großmutter einmal mit vollem Karacho dagegen gesprungen ist. "Naja, wird schon kein Verbrecher sein", sagt sie sich und öffnet die Tür.
Im Hausflur steht ein Mann. Er sieht sich hektisch immer wieder über seine Schulter. Passend zum Crescendo, dass soeben in ihrer Küche ertönt. Das Orchester kommt zum letzten Satz. Der Mann ist verschwitzt und sehr groß. Er sieht südländisch aus, trägt kaputte Kleidung, hat Narben im Gesicht. Er macht Annie angst, obwohl sie sich sicher ist, ihn irgendwoher zu kennen.
Am liebsten will sie schreien, da hört sie das Parkett in ihrem Wohnzimmer knarzen. Erschrocken fährt sie herum, während sie mit dem Fuß die Tür zutritt.
Sie fällt nicht ins Schloss, doch das soll sie erst viel später bemerken. Unsicher nähert sie sich dem Ort, der ihren Abend schon ausklingen lassen sollte, an dem sie sich nun jedoch immer unwohler fühlt.
Wieder knarzt der Boden. Bevor der Einbrecher sie entdecken kann, huscht sie in die Küche. Beethoven rauscht in ihren Ohren. Das Fenster steht weit offen. Weiter als vorher. Eine Böe pfeift durch die Küche und wirft die Servietten von der Theke.
Sie schüttelt den Kopf. Eilig verkriecht sie sich unter dem kleinen Tisch, in der Hoffnung, der Einbrecher würde die Haustür als Ausgang nutzen.
Doch schon im nächsten Moment fällt ihr Blick auf die glatt polierten Lackschuhe, die auf den blauen Fliesen stehen. Sie machen langsame Schritte auf sie zu.
"Ich will nicht sterben", denkt sie sich, da packt eine Hand sie am Kragen, zieht sie aus dem jämmerlichen Versteck. Draußen geht die Sonne unter.
Ein glitzernder Handschuh legt sich über ihren Mund, noch bevor sie irgendeinen Mucks von sich geben kann. Annie fährt den Ellenbogen aus, so, wie ihre Mutter es ihr beigebracht hat, als sie das erste Mal in den Club ging.
Irgendwen treffen die Schläge auch, aber schmerz- und wirkungsvoll scheinen sie nicht zu sein. Der Anzugträger zerrt sie in den Flur. Im Spiegel kann sie ihn flüchtig erblicken. Sein Gesicht wird von einem Lederhut verdeckt. Er ist relativ klein und schlank, mit schwarzen Haaren, die er sich zu einem Pferdeschwanz gebunden hat. Und er tänzelt fast, während er Annie beinahe mühelos durch die Wohnung ins Schlafzimmer schleift.
Sie meint sogar, ihn summen zu hören. Der Radiosprecher kündigt das nächste Stück an, das mit Paukenschlägen und Fanfaren eingeleitet wird. Derweil stößt der Einbrecher sie von sich. Unsanft landet sie mit dem Gesicht auf der Matratze. Noch ehe sie sich aufrappeln kann, drückt er sie mit festem Griff runter.
Wieder hört sie Schritte im Wohnzimmer. Aus dem Augenwinkel kann sie im Türrahmen eine Gestalt erkennen.
Sie sind zu zweit.
Annie seufzt.
Der Anzugträger beugt sich über sie, bis sein Gesicht direkt neben ihrem Ohr ist. Sein Atem schleust die Musik aus der Küche aus ihrem Gehörgang, sodass nur noch Platz für seine Worte sind.
Er riecht irgendwie gut, nach Rosenwasser und Desinfektionsmittel. Sie kennt diesen Geruch nur zu gut. Erleichtert atmet sie aus.
Es raschelt im Wohnzimmer. Die Gestalt im Türrahmen nickt.
"Geht's dir gut, Annie?", fragt der Anzugträger mit einer seidenweichen Stimme, die sie zögern lässt. "Geht's dir gut?"
Eine tiefere Stimme murmelt etwas unverständliches. Dann lässt die Hand sie los. Froh, wieder einigermaßen atmen zu können, richtet Annie sich auf.
"Jetzt schon", murmelt sie. Ein Schatten huscht an der Schlafzimmertür vorbei und sie zuckt zurück. Verschwommen sieht sie rote Flecken auf ihrem Teppich. Blut? Von wem?
Langsam krabbelt sie zur Bettkante, schweratmend, noch nicht ganz über den Schock hinweg.
Muss ich nicht die Polizei rufen?
Vorsichtig wagt sie einen Blick auf den Boden. Es funkelt. Kein Blut.
Nur Konfetti.
Verwirrt hievt Annie sich vom Bett. Sie wankt ins Wohnzimmer. Dort hängen Heliumballons und Luftschlangen an der Decke. Auf dem Boden liegt noch mehr Konfetti.
Und auf dem Sofa sitzen Lea, Markus und Theo. Ihre besten Freunde.
Sie seufzt.
"Happy Birthday, Annie!"
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Basierend auf Smooth Criminal von Michael Jackson
Hey, irgendwie stecke ich bei "In der Hölle ist Champagner gratis" gerade ein wenig fest, also werd ich hier fix meinen Ohrwurm los. Wie findet ihr es?
Lg Chrissi.
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