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Sie saß in einem der weichen Sessel vor Professor Devines Schreibtisch und starrte schweigend auf ihre bebenden Hände.
Jamie war nach etwa einer Stunde aus dem Krankenflügel entlassen und auf sein Zimmer geschickt worden. Zwar hatte er steif und fest behauptet, es gehe ihm gut, doch er könne sich an nichts erinnern. Auf ein Gift oder eine Droge hatte man jedoch keinerlei Hinweis gefunden. Vielleicht war es auch einfach Stress in Kombination mit noch etwas unbedeutenderem, unnachweisbarem gewesen. Dafür war seine Reaktion jedoch viel zu extrem gewesen.
Alle Schüler, die mit auf der Feier gewesen waren, hatten als Strafe einen Monat Müllaufsammeln, Laubharken und einen mehrseitigen Aufsatz über die Gefahren stehende Gewässer aufbekommen.
Saskia bekam Hausarrest, doch laut Professor Devine konnte sie froh sein, dass sie ihre Position behalten konnte.
Nun musterte die Lehrerin sie kühl, bevor sie anfing zu sprechen.
»Ich werde mich kurz fassen, Miss Aziz scheint noch immer sehr mitgenommen zu sein.«
Shaha fühlte sich taub und kalt, der Schock des Vorfalls noch immer present. Sie hatte die Decke weiterhin um ihre Schultern gewickelt.
»Ich kann den Drang verstehen, die vielen Verbotenen Bereiche der Schule zu erkunden« Das Wort viele stach irgendwie besonders hervor. »und es war wirklich unglaublich beeindruckend, wie du Jamie gerettet hast, Shaha. Es ist nicht leicht, in solchen Momenten einen kühlen Kopf zu bewahren und wir werden deinen Mut immer in Erinnerung behalten.«
Etwas krampfte sich in ihr zusammen. Im Moment fühlte sie sich alles andere als mutig. Ständig schalt sie sich, das sie hätte früher reagieren und es gar nicht erst zu dieser Situation kommen lassen sollen.
Doch es half nichts mehr.
»Aber ich bin enttäuscht, dass drei so vielversprechende Mädchen wie ihr heute Abend gescheitert sind, das Beste an den jeweiligen anderen hervor zu bringen.« Professor Devine rieb sich nachdenklich die Stirn. »Ich werde euch nicht länger aufhalten. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass das eine Lektion ist, die ich euch nicht mit Worten vermitteln kann. Es ist das Beste, wenn ihr in Ruhe darüber nachdenkt.« Sie hob ihren Blick und sah bedeutungsschwer in die Runde. »Ihr könnt jetzt gehen.«
Shaha hatte sich in ihre Bettdecke eingewickelt und hockte mit ausdrucksloser Mine auf der Brüstung des Balkons. So saß sie für mehrere Stunden und nicht einmal die Raketen, die jenseits der Mauern von Rosewood mit lautem Knall im Himmel explodierten, konnten ihr ein Zucken entlocken.
Mittlerweile musste es einige Stunden im Neuen Jahr sein. Ein Seufzen entwich ihren Lippen und endlich bewegte sie sich. Vorsichtig glitt sie vom Geländer und bewegte sich zurück ins Zimmer, wo sie sich ein Buch schnappte und anfing, ziellos darin herum zu blättern. Vielleicht um sich abzulenken, sie wusste es nicht.
Noch immer zitterte sie. Ihre Hände und Füße waren mittlerweile taub vor Kälte, doch im Moment störte es sie nicht. Genau genommen war ihr alles einfach nur egal.
Die Leere die sie gefühlt hatte, nachdem Jamie in den Krankenflügel gebracht wurde, war noch immer nicht abgeklungen.
Mit einem Seufzen stand sie auf und griff nach ihrem Mantel, den sie sich kurz entschlossen überstreifte, bevor sie das Zimmer verließ. Die Ausgangssperre war längst überschritten und doch wollte, nein, sie musste gerade einfach auf andere Gedanken kommen.
Leise verließ sie das Ivy Gebäude und machte sich auf zum See, über dem die Statur von Ryley dem Hirsch trohnte. Sie ließ sich unter einem Baum am Rande des Wassers auf den Boden sinken. Aus einer natürlichen Intention heraus zog sie ihre Beine an den Körper und legte ihr Kinn sachte auf die Knie. Wieder zog Ryleys Blick sie wie magisch an, sodass sie den ihren einfach nicht abwenden konnte.
Eine ungewohnte Ruhe breitete sich in ihrem Inneren aus und zum ersten Mal seit langem fühlte es sich an, als bekäme sie endlich Luft. Als könne sie endlich einmal frei atmen.
Shaha fühlte, wie die Müdigkeit sie in großen, mächtigen Wellen überschwemmte und ihre Augen langsam zufielen.
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