24. | C H A R L I E
V E R G A N G E N H E I T
Die Sonne fiel durch mein Fenster, als meine Augen über die Seiten flogen. Ich lag zwischen Rylers Beinen mit dem Rücken an seine Brust gelehnt, während wir es uns in meinem Bett gemütlich machten. Ich las in einem Buch über die Bedeutung von Sternen in der Geschichte der Menschheit, während Ryler konzentriert Spielzüge studierte. Naja, zumindest hatte er das getan.
Doch nun fühlte ich schon seit mehreren Minuten seinen unverwandten Blick auf mir. Schließlich schob ich seufzend mein Lesezeichen – eine Quittung von meinem letzten Einkauf bei Walmart – zwischen die Seiten und klappte das Buch zu. Dann sah ich hoch zu Ryler, dessen blauen Augen noch immer auf mir lagen. „Wieso starrst du mich so an?"
„Ich zähle deine Sommersprossen", erklärte er, als wäre es das normalste der Welt.
Wahrscheinlich klang das ziemlich schräg, aber irgendwie brachte er mich damit zum lächeln. „Wie viele Sommersprossen habe ich denn?"
„Elfeinhalb", verkündete er mit einem stolzen Lächeln, als hätte er einen Preis mit dieser Antwort gewonnen. Als seine beiden Grübchen zum Vorschein kamen, unterdrückte ich den Impuls, mich vorzulehnen und jedes der beiden zu küssen.
Stattdessen runzelte ich die Stirn. „Elf - einhalb? Wie kann man nur eine halbe Sommersprosse haben?", fragte ich sichtlich verwirrt.
Er strich mit seiner Fingerspitze über meinen Nasenrücken, bevor er an der Spitze verharrte. Federleicht tippte er darauf. „Diese hier ist kleiner und blasser als die anderen. Daher nur eine halbe Sommersprosse", erklärte er sanft. Dann lehnte er sich plötzlich zu mir hinunter und küsste zärtlich die Stelle, an der eben noch sein Finger gewesen war. „Diese kleine, halbe Sommersprosse gehört jetzt mir", erklärte er wispernd. „Du kannst alle anderen behalten, aber diese hier ist meine."
Ich schüttelte lächelnd den Kopf. „Du bist wirklich seltsam. Ich kenne keinen anderen Menschen, der eine Sommersprosse für sich beanspruchen würde."
„Eine halbe Sommersprosse", korrigierte er mich. „Und abgesehen davon, hast du mich gerade seltsam genannt?"
Als ich dieses schalkhafte Glitzern in seinen Augen sah, überkam mich eine böse Vorahnung. Ich schaffte es gerade noch, mein Buch in Sicherheit zu bringen und auf meinen kleinen Nachttisch zu legen, als er mich auch schon packte und auf den Rücken warf.
Ich quietschte und begann zu zappeln, doch sich zu wehren war zwecklos. Wenn ich Rylers entschlossenen Ausdruck sah, wusste ich, dass es kein Entkommen gab. Siegessicher grinste er auf mich hinunter, während ich den Kopf schüttelte. „Ryler, bitte nicht. So war das doch gar nicht-", doch er begann mich bereits zu kitzeln.
Seine schnellen, langen Finger waren gnadenlos, während ich mich lachend und quietschend unter ihm wand. „Nein, Ryler, bitte nicht", lachte ich und versuchte seine Hände wegzuschieben, aber ohne Erfolg. Sichtlich amüsiert quälte er mich weiter, während ich von einem heftigen Lachanfall nach dem nächsten geschüttelt wurde.
Erst als mein Bauch vom vielen lachen weh tat, Tränen meine Schläfen hinab rollten und ich völlig außer Atem war, hörte Ryler auf. Stattdessen glitt er mit den Lippen über meine Schläfen und fing den Geschmack meines Lachens auf. Das schien ihn genug abzulenken, dass er meinen Angriff erst viel zu spät kommen sah.
Ich stemmte mich mit aller Kraft gegen seine Brust und rollte uns herum, bis er auf dem Rücken lag und ich über ihm kniete.
Nun war ich an der Reihe damit, ihn siegessicher anzugrinsen. „So schnell kann sich das Blatt wenden, was?"
Er hob eine Braue, ehe eine seiner Hände zu meiner Hüfte glitt. „Also ich kann nicht behaupten, dass ich etwas dagegen einzuwenden hätte, wenn sich das Blatt so für mich wendet."
Ein anzügliches Grinsen verzog seinen sündhaften Mund, doch ich verpasste ihm einen kleinen Schlag auf die trainierte Brust. Doch das schien ihm nichts auszumachen. Stattdessen begann er auch noch anzüglich mit den Brauen zu wackeln. „Mir gefällt diese dominante Seite an dir. Dass ist irgendwie scharf. Hast du hier irgendwo Handschellen versteckt?"
Es schien ihm sichtlich Spaß zu machen, mich zu ärgern. Und es zeigte Wirkung. Ich spürte bereits, wie meine Wangen heiß wurden.
„Halt den Mund", grummelte ich mit hochrotem Kopf, doch er legte eine Hand an meinen Nacken und zog mich zärtlich, aber bestimmt zu sich herunter.
„Gern, aber nur, wenn du ihm eine andere Beschäftigung gibst."
Ich schnaubte. „Wirklich? Ein besserer Spruch fäl-", doch da brachte er mich mit einem Kuss bereits zum Schweigen. Unter dem sanften Druck seiner Lippen an meinen zerschmolz ich auf der Stelle. Ich war wirklich froh, dass wir nicht standen, denn jeder Muskel in meinem Körper wurde unter seinen Berührungen weich.
Stattdessen schmiegte ich mich noch etwas fester an ihn, als er den Kuss vertiefte und seufzte leise an seinen Lippen. Ich meinte, zu spüren, wie sich seine Mundwinkel bei diesem Laut kurz nach oben bogen. Aber das war mir egal.
Gerade als ich den Kopf schräg legte, um den Kuss noch etwas zu intensivieren, hörte ich wie meine Zimmertür aufging. Doch ich beachtete es erst gar nicht, bis sich jemand hinter uns räusperte.
Für einen kurzen Bruchteil einer Sekunde erstarrte ich, dann krabbelte ich erschrocken von Ryler herunter. Der hingegen schien erst gar nicht zu verstehen, was plötzlich los war, als er mich perplex ansah. Doch als er meinem Blick folgte, weiteten sich seine Augen und er hielt die Luft an. Fast so, als wagte er nicht, zu atmen, aus Furcht, was jetzt passieren würde.
Mein Dad stand in meiner Zimmertür und verschränkte die Arme vor der Brust. In abwartender Haltung hob er eine Braue und sah uns unverwandt an.
„Dad, w-was machst du schon hier? Ich dachte, du - du hättest heute eine Sitzung mit dem Stadtrat", stammelte ich unbeholfen und begann meine Kleider nervös zurecht zu zupfen.
Ryler hatte sich mittlerweile neben mir aufgesetzt und versuchte sein zerzaustes Haar zu ordnen, als würde er meinen Vater in irgendeiner Weise besänftigen können, indem er die Spuren unserer Knutscherei verwischte.
Angespannt biss Ryler die Zähne zusammen, während er scheinbar genauso wie ich auf Dads Reaktion wartete. Wir beide wussten, wie skeptisch mein Dad Ryler gegenüber war und er hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er ihn wegen seiner Familie nicht unbedingt für den besten Umgang für Cole hielt. Was würde er also tun, wenn er erfuhr, dass Ryler und ich zusammen waren? Tja, wir würden es wohl jeden Augenblick erfahren.
„Es wurde verschoben auf Morgen", erklärt Dad mit seltsam ruhiger Stimme, während er Ryler mit finsteren Blicken durchbohrte. Aber Ryler hielt ihnen stand und allein dafür hatte er für mich schon fast einen Tapferkeitsorden verdient. Die meisten knickten bereits bei wegen weit weniger bei meinem Vater ein, ich eingeschlossen. Doch in erster Linie war ich einfach froh, dass Blicke nicht wirklich töten konnten. Andernfalls wäre ich schon seit drei Minuten wieder Single.
Rylers Miene war versteinert und mein Dad stand noch immer in meiner Tür, den Blick unverwandt auf den Jungen neben mir gerichtet. „Dein Bruder ist bald zurück und wir wollen dann essen", meinte Dad mit monotoner Stimme. „Allerdings hatte ich nicht mit einem Gast gerechnet", fügte er hinzu und verengte die Augen bei dem Wort Gast. Ich wusste, dass hinter diesem kleinen Wörtchen sehr viel mehr steckte, doch so genau wollte ich nicht darüber nachdenken, wofür Gast im Kopf meines Vaters wirklich stand.
Ryler räusperte sich. „Ich hatte eh vor zu gehen, Sir."
Überrascht sah ich Ryler an. Er war gerade mal seit anderthalb Stunden hier, doch aus unserem gemütlichen Abend würde wohl nichts mehr werden. Dabei hatten wir solange darüber debattiert, welchen Film wir uns bei Netflix ansehen wollten. Scheinbar umsonst.
„Würdest du deinen Gast dann bitte zur Tür bringen, Charlie?", wandte Dad sich an mich und ließ keine Zweifel daran, dass Ryler nicht sein Gast war. „Ich kümmer mich dann schon mal ums Essen."
Er warf uns einen letzten Blick zu, der alles und gleichzeitig nichts bedeuten konnte. Dann verschwand er aus meiner Tür und wenige Augenblicke später hörte ich ihn bereits auf der Treppe.
Für einen Augenblick saßen Ryler und ich wie versteinert da, als wartete wir scheinbar noch immer auf Dads Explosion. Als uns klar wurde, dass wir davon erst einmal verschont geblieben waren, blinzelte ich in die Richtung meines Freundes.
„Als ich sagte, ich würde es gerne offiziell machen, hatte ich mir das so jedenfalls nicht vorgestellt", meinte Ryler nach einer Weile. Frustriert und sichtlich beschämt verbarg er mit seiner Hand seine Augen vor mir und murmelte eine Reihe von unverständlichen Flüchen.
Ich konnte ihn verstehen. Schonend hatte ich meinen Dad von uns erzählen wollen. Doch mit dieser Aktion war ich quasi mit der Tür uns Haus gefallen, auch wenn Dad es gewesen war, der hereingeplatzt war. Von Anklopfen hatte mein Vater noch nie viel gehalten.
Andererseits war ich froh, es hinter mich gebracht zu haben. Vielleicht nicht auf die Weise, wie ich es mir gewünscht hatte, aber es war vorbei. Hoffte ich jedenfalls. Und es war lange nicht so schrecklich verlaufen, wie ich es mir ausgemalt hatte.
„Na komm, ich sollte verschwinden. Wenn wir noch länger hier oben bleiben, wird dein Dad noch misstrauisch. Und ehrlich gesagt, möchte ich die Geduld deines Vaters nicht unnötig auf die Probe stellen."
Damit erhob er sich vom Bett und schlüpfte in seine Chucks, die neben meinem Bett standen. Ich dagegen nahm sein Buch, das bei unserem Herumgealbere wohl auf dem Boden gelandet war. Sobald Ryler sich seine Turnschuhe zugeschnürt hatte, verließen wir mein Zimmer und gingen nach unten. Wir wagten es nicht, einander an die Hand zu nehmen oder den anderen zu berühren. Tatsächlich bemühten wir uns sogar zwei Schritte Abstand zu halten, als wir an dem Türbogen im Flur vorbei gingen, der zur Küche führte, wo mein Dad bereits am Herd stand.
„Schönen Abend noch, Mr. Ashbeern", rief Ryler ihm noch zu, höflich wie er war. Dad sah vom Topf auf, indem er die Soße gerade rührte und nickte nur knapp.
Wir waren schon wieder außer Sichtweite, als ich die Tür öffnete und Ryler hinaus in die schwüle Abendluft trat. Doch auf der Schwelle drehte er sich noch einmal zu mir um. Prüfend sah er ein letztes Mal über meine Schulter den Flur hinunter, bevor er mir noch einen Kuss stahl. „Bis morgen", murmelte er an meinem Mund, bevor er sich von mir löste.
Ich lächelte dämlich, während Ryler ein paar Schritte rückwärts machte und mir noch einmal zuzwinkerte. Dann drehte er sich am Absatz der Verandatreppe herum und lief zu seinem Wagen. Erst als sein roter Pickup davon fuhr und seine Rücklichter hinter einer Ecke verschwanden, schloss ich die Tür.
Cole kam gerade rechtzeitig zum Abendessen. Am Tisch verlor mein Dad kein Wort über das, was er erfahren hatte und aß schweigend, während Ryler über das Trainingslager. Wie jedes Jahr fuhren sie zu Beginn der vorletzten Woche der Sommerferien und würden ein paar Tage vor Schulbeginn wieder zurückkehren. Doch während er schließlich von seinen großen Plänen für das letzte Trainingslager erzählte, ehe wir unseren Abschluss machten, wanderte mein Blick immer wieder unsicher zu unserem Vater. Doch der aß bloß schweigsam sein Steak.
Später als ich schon im Bett lag und las, streckte mein Vater den Kopf zur Tür herein. Wieder einmal ohne vorher zu klopfen.
„Kann ich kurz mit dir reden?"
Ich schluckte. Jetzt würde also das Gespräch kommen, von dem ich gehofft hatte, es vermeiden zu können.
Ich knickte knapp, als ich mich im Bett aufsetzte und mein Buch neben mich. Dad kam zu mir und setzte sich auf den Rand der Matratze. Dann schwieg er und ich wartete.
„Wie lange läuft das schon zwischen dir und Ryler?"
Er stolperte über Rylers Namen, als wäre das immer noch absolut unvorstellbar für ihn. Doch er bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen.
„Einen Monat." Er schwieg einen Augenblick, dann schüttelte er den Kopf. "Warum... Wieso hast du nichts gesagt?"
Ich hob die Braue und legte den Kopf schräg, denn es lag wohl auf der Hand. „Ich weiß doch, wie du über ihn denkst. Du magst ihn nicht und ich wusste, dir würde es nicht gefallen, wenn du davon erfahren würdest, dass ich mit ihm ausgehe."
„Mir wird nie gefallen, mit wem du ausgehst. Egal wer der Kerl ist. Ich bin dein Dad und du mein kleines Mädchen. Das ist quasi mein Job."
Ich schmunzelte. „Aber dir war schon klar, dass ich früher oder später, jemanden kennenlernen und auf Dates gehen würde, oder Dad?"
Er verschränkte die Arme und zog ein grimmiges Gesicht. „Natürlich, war mir das klar. Du bist das tollste Mädchen auf der Welt. Jeder Junge wäre blöd, der nicht gerne mit dir ausgehen würde. Deshalb muss es mir noch lange nicht gefallen."
Ich lächelte, bevor ich ihm einen Kuss auf die Wange drückte. „Egal, wie alt ich bin oder mit wie vielen Typen ich ausgehe",- Er hob eine Braue – „Ich verspreche dir, ich bleib immer dein kleines Mädchen, ja?"
Dass schien ihn wenigstens ein bisschen zu besänftigen und ein kleines Lächeln verzog seinen sonst so grimmigen Mund. Doch dann wurde er wieder ernst.
„Bist du dir wirklich ganz sicher mit ihm, Charlie?"
„So sicher wie ich bin, dass der hellste Stern der Corona Borealis Gemma heißt", erklärte ich entschieden.
Er lachte. „Ich schätze, zu versuchen, es dir ausreden, wäre sowieso zwecklos, nicht?"
Ich schwieg, doch Dad kannte die Antwort bereits. Er seufzte. „Deinen Dickkopf hast du von deiner Mom. Niemand war so stur, wie sie. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, konnte sie niemand davon abbringen. Nicht einmal ich." Er lachte leise, als er davon erzählte.
Ich lächelte bloß traurig, während ich ihm zuhörte. Manchmal fragte ich mich, ob Dad wusste, wie sehr er strahlte, wenn er vom Mom sprach. Er redete nicht oft von ihr aber man konnte spüren, wie sehr er sie immer noch liebte. Es stand ihm quasi ins Gesicht geschrieben.
Dann schüttelte er seufzend den Kopf und das traurige Leuchten verblasste, als er wieder mich ansah.
„Versprich mir nur, dass du auf dich aufpasst, ja?"
Ich nickte. „Versprochen, Dad."
Er lächelte erschöpft, bevor er mir einen Kuss auf den Scheitel drückte. „Gute Nacht, Spätzchen", murmelte er in mein Haar.
„Nacht, Dad", erwiderte ich, als er schon an meiner Tür stand und sie mit einem letzten, kleinen Lächeln in meine Richtung zuzog.
Ratlos las ich die Buchrücken im Regal und versuchte eines zu finden, dass interessant klang und nicht wiederholte, was ich schon tausend mal in anderen gelesen hatte.
Im hintersten Teil der Schulbibliothek zwischen den Büchern über Astrologie und Astrophysik hatte ich meine Ruhe und konnte ungestört stöbern. Bis auf das eine oder andere wild knutschende Pärchen das ich schon überrascht hatte, war ich sonst noch nie jemand anderem hier hinten begegnet. Keinem, der jedenfalls wirklich an den Büchern interessiert gewesen wäre, statt an dem Austauschen von Körperflüssigkeiten.
Plötzlich entdeckte ich einen dicken Einband, der mir vorher noch nie aufgefallen war und zog es aus dem Regal. Interessiert blätterte ich darin und überflog den einen oder anderen Absatz, auf der Suche nach etwas, das mich interessieren könnte.
Nachdenklich kaute ich auf meiner Unterlippe, versunken in den Zeilen, als sich plötzlich ein Arm von hinten um meine Taille schlang. Erschrocken fiel mir das Buch aus meinen Händen und landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden. Mir wäre beinahe ein spitzer Schrei entfahren, wenn sich nicht eine große Hand über meinen Mund legte.
„Scht, wir sind hier in einer Bibliothek", flüsterte Ryler an meinem Ohr, wobei sein raues Lachen mir eine Gänsehaut verursachte. „Ich freue mich auch, dich zu sehen, aber deswegen musst du doch nicht gleich schreien."
Sobald er die Hand wieder weg nahm und sich hinunter bückte, um das Buch zu meinen Füßen aufzuheben, atmete ich tief durch. Ich zwang mein klopfendes Herz sich zu beruhigen.
Doch gerade, als ich mich von meinem Schock erholt hatte und mich umdrehte zu Ryler, klopfte mein Herz aus ganz anderen Gründen. Er balancierte das Buch auf einer Hand, während er darin las. Konzentriert hatte er die Brauen zusammengezogen, sodass sich eine kleine, steile Falte dazwischen bildete. Das schwarze Haar fiel ihm in die Stirn und seine verboten langen Wimpern warfen Schatten auf seine hohen Wangenknochen, als er mit gesenktem Blick die Zeilen überflog.
Ich versuchte wirklich nicht seinen Mund anzustarren, aber ich konnte einfach nicht anders. Es war ein aussichtsloser Kampf. Fast schon magnetisch zog sein schöner Mund meine Aufmerksamkeit auf sich. Allerdings wäre es auch eine Schande diesen Mund zu ignorieren.
Vielleicht würden wir meinetwegen auch gleich zu den Pärchen zählen, die hier hinten ganz andere Dinge taten, als zu lesen.
„Charlie?"
Rylers Stimme holte mich zurück aus meinem Gedanken, wo wir uns bereits wildknutschend an eines der Regale pressten. Verdattert löste ich also den Blick von seinem Mund und sah auf, bis ich seinen dunkelblauen Augen begegnete.
Er hob fragend eine Braue. „Wo warst du gerade?"
In deinen Armen, wo ich wir wie Wilde übereinander hergefallen sind.
„Ich ähm habe nur an das Gespräch mit meinem Dad gedacht", erklärte ich stattdessen.
Augenblicklich zeichnete sich Sorge auf seinem Gesicht ab. „W-was hat er gesagt? War er wütend?"
Ich schüttelte den Kopf, nahm ihm das Buch aus der Hand und schob es zurück in das Regal. Ganz plötzlich hatte ich keine Lust mehr nach neuem Lesestoff zu suchen.
„Nein, er war... besorgt. Aber wütend war er eigentlich nicht. Alles was er wissen wollte war, ob ich es ernst meine und mir sicher wegen uns wäre", erzählte ich.
Ryler legte wieder seinen Arm um meine Taille und zog mich zwischen seine Beine, während er sich gegen das Regal in seinem Rücken lehnte.
„Und, bist du es?"
„Also meinem Vater habe ich zumindest erklärt, dass ich so sicher wäre, wie das der Name des hellsten Sterns der Corona Borealis Gemma heißt."
Ryler lächelte. Dann drückte er mir einen sanften Kuss auf die Nasenspitze, direkt auf die Stelle mit der halben Sommersprosse. Seiner halben Sommersprosse.
„Ich glaube, mein Dad akzeptiert unsere Beziehung. Er ist einfach etwas überfürsorglich, aber ich denke, solange ich glücklich bin, ist das für ihn okay."
„Das ist zumindest ein Anfang", murmelte Ryler. „Ich hatte fast schon befürchtet, dein Vater würde mir wirklich noch in den Hintern schießen, wenn er mich aus eurem Haus jagt."
Ich runzelte verwirrt die Stirn. „Was? Wieso sollte er-"
Er schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Vergiss es. Nicht so wichtig." Er sah sich um im Gang. „Ich glaube, ich war noch nie hier hinten. Auch wenn ich kein Maßstab bin", wechselte er das Thema.
Irgendwie war ich froh zu wissen, dass er noch nie hier hinten gewesen war. Denn der einzige Grund, warum Ryler wohl je hier gewesen sein könnte, wären sicherlich nicht die verstaubten Astronomiebücher gewesen. Nicht, dass es mich anginge, wo und mit wem er was getan hat. Und genauso wenig würde ich ihm Vorhaltungen wegen Dingen machen, die vor uns passiert waren. Mir gefiel einfach der Gedanke, dass das hier ganz allein für Erinnerung an uns beide reserviert war.
„In der Regel kommen die meisten nur hier her, um rumzumachen", erklärte ich. „Denn niemand außer mir ist verrückt genug, um freiwillig Bücher über Astronomie zu lesen."
„Ich mag es, dass du so verrückt bist", erklärte er schmunzelnd.
„Schleimer. Dass sagst du doch nur, weil du auch hier rummachen willst."
Er lachte und seine Augen begannen verspielt zu glitzern. „Vielleicht", brummte er und verfestigte seinen Griff um meine Taille, bis ich eng an ihn gepresst, da stand. „Hättest du denn etwas dagegen?"
Ich versuchte gar nicht erst mir ein Lächeln zu verkneifen. „Naja, wenn wir schon hier sind..."
Schon im nächsten Augenblick küsste Ryler mich und ich schmolz zwischen den verstaubten Regalen dahin.
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