Kapitel 23
Meine Hände strichen über den Rock, zartrosa lackierte Fingernägel über den blütenweißen Stoff.
Zwei Wochen lang hatten wir diesen Moment herbeigesehnt.
Zwei Wochen lang hatten wir ihn gefürchtet.
Wie Perlen auf einer Kette aufgefädelt standen wir Schulter an Schulter gedrängt und erwarteten die Ankunft der französischen Hoheiten.
„Der Wagen fährt vor!"
Kaum verhalte der Ruf der Diener, ging ein Raunen ging durch unsere Reihen.
Layla klammerte sich mit ihren Fingern an ihrem Kleid fest. Meinen Kopf hatte ich wie alle anderen nach vorne gerichtet, doch aus den Augenwinkeln sah ich, wie ihre Fingerknöchel weiß hervortraten.
Scarlett stand an meiner anderen Seite. Als ich unauffällig mein Gewicht von einem Bein aufs andere verlagerte, streiften sich unserer Schultern. Starr hatte sie den Kopf nach vorne gerichtet und somit nicht einmal ein genervtes Augenblitzen für mich übrig.
Das Tor wurde geöffnet und eine schwarze Limousine, flankiert von weiteren Wägen, rollte die Schlossallee hoch. Das leise Brummen des Motors vermischte sich mit dem Zwitschern der Vögel, als diese von den Bäumen davonflatterten.
Zeitgleich verstummen wir. Wie Marionetten deren Fäden gezogen wurden, erhoben wir unsere Häupter, nahmen die Schultern zurück und ließen unserer Körper still werden.
Unser König, unsere Königin, Prinz Henry und selbst der kleine Charles hatten vor der Treppe ihre Stellung eingenommen.
Wie von einem Magnet angezogen huschte mein Blick zu dem jüngsten Prinzen. Seine Hand fuhr zu dem Kragen seines Hemds. Er zupfte daran herum, als würde ihm seine Krawatte die Luft abschnüren.
Ohne ein Wort zu sagen griff der König nach den Fingern seines Sohnes und schüttelte den Kopf. Selbst als die Diener vortraten, um die Wagentür zu öffnen, ließ der König die Hand seines jüngsten Sohnes nicht los.
Ein goldener Schuh, gefolgt von einem tiefroten Kleid, tauchte in meinem Blickfeld auf und zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Kaum berührte der Fuß der Königin den Boden Iléas, sanken wir in einen tiefen Knicks.
Der Kies knirschte unter den Schuhen der Prinzessin, als sie einen Schritt auf ihre Mutter zumachte, doch die Stimme ihres Bruders kam ihr zuvor: „Mutter."
Das Schmatzen von zwei auf die Wange gehauchten Küsse erklang.
Wie süß ... aber war es so schwer uns ein kurzes Nicken zu schenken, um uns von dem Knicks zu erlösen?
Meine Beine begannen zu zittern.
Wer hatte die glorreiche Idee, uns mit hohen Schuhen auf den Kies zu schicken?
„Erhebt euch." Eine dunkle, samtige Stimme kam zu unserer Rettung.
Der König hatte sich aus dem Wagen erhoben und nickte uns beiläufig zu. Eine Maske der Gleichgültigkeit war auf sein Gesicht gemeißelt.
Sein Sohn, Prinz Louis, trat einen Schritt auf ihn zu, wobei die Ähnlichkeit zwischen den Zweien verblüffend war. Beide waren groß gebaut und dominierten mit ihren breiten Schultern den Platz in jedem Raum. Selbst ihre Gesichtsform mit den hohen Wangenknochen war dieselbe.
Doch während der Augen von Prinz Louis sanft wirkte, reichte ein Blick des Königs aus, um mich innehalten zu lassen.
Diesmal war mir Scarlett jedoch einen Schritt voraus, denn sie war bereits bei der Stimme des Königs zu einer Salzsäule erstarrt. Einer knicksenden Salzsäule. Ihr Kopf war zu Boden geneigt und ihr Blick stur auf die Kieselsteine vor ihren Füßen gerichtet.
Ich rammte ihr meinen Ellenbogen in die Seite. Du darfst dich von deinem Knicks erheben,versuchte ich ihr mit hochgezogenen Augenbrauen mitzuteilen.
Als Antwort begann Scarlett in ihrem Knicks gefährlich zu schwanken. Rasch griff ich nach ihrem Ellenbogen, um zu verhindern, dass sie den Boden küsste.
Ihr Kopf wirbelte herum, als hätte meine Berührung sie verbannt. Abrupt ließ ich ihre Hand los und wandte meine Aufmerksamkeit wieder dem königlichen Besuch zu.
Der Prinz lehnte sich zu seinem Vater und flüsterte ihm einige Worte zu der Begrüßung ins Ohr, während mein Blick zurück zu Léa wanderte, die unsicher vor ihrer Mutter stand.
„Mama ..." Ihre Stimme zitterte leicht. Zögerlich streckte sie ihre Hand aus, als wollte sie ihre Mutter umarmen, es sich jedoch in letzter Sekunde anders überlegen.
Die Königin legte ihr sanft eine Hand auf die Wange und strich ihr mit dem Daumen eine Träne von dem Gesicht. Dann lehnte sie sich vor, um ihr einen Kuss auf die Wange zu hauchen.
Kaum hörbar drangen die Worte der Königin bis zu mir. „Keine Sorge, ma petite minette. Jetzt bin ich hier."
Nachdem die Majestäten ihre Kinder begrüßt hatten, wurden die königlichen Familien einander vorgestellt. Freundlichkeiten wurden ausgetauscht, wobei die herzlichen Worte in einem Widerspruch zu den angespannten Gesichtern standen.
Sobald die zeremonielle Begrüßung vorbei war, wurden wir von der ersten Gruppe an Erwählten gebeten, ihnen zu folgen.
Kaum hatte ich einen Fuß in den großen Saal gesetzt, wurde ich von einem betörenden Blumenduft umhüllt. Dieser vermischte sich mit den Geigenklängen zu einer verlockenden Wiegelied. Meine Augenlieder wurden schwer, während mein Blick sehnsüchtig zu den Sitzgelegenheiten wanderte.
Blaue, weiße und rote Kissen lagen auf den Sofas und Sessel verteilt und spiegelten dabei die Flagge Frankreichs wider. Dabei wurde die Fahne Iléas von den Stoffbezügen der Wände aufgegriffen und das Blumenarrangement war die Symbiose beider Flaggen.
Auf Vorhänge hatten die Mädchen verzichtet, stattdessen ließen sie die Sonnenstrahlen durch die weiten Glasfronten fallen und den Saal erhellen.
In der nächsten Sekunde war bereits Madame Rosie an unserer Seite.
„Eine entzückende Idee, unsere Kulturen in der Dekoration aufzugreifen", lobte sie die Auserwählten mit gesenkter Stimme. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf uns alle, erinnerte uns kurz an die wichtigsten Regeln der Etikette und die Folgen, sollten wir uns einen Fehltritt erlauben.
„Wir werden euer Verhalten auf allen Veranstaltungen beobachtet. Eine wahre Königin würde nie versuchen, ihre Mitstreiterinnen in einem schlechten Licht darzustellen." Sie schenkte uns ein Lächeln, bevor sie mit einem „Doch ich weiß, dass ihr einander unterstützen werdet" davonrauschte.
„Madame Rosie hat recht, die Dekoration ist wirklich hervorragend geworden", bemerkte ich leise.
Violett, eine der Veranstalterinnen, nickte mir zu. „Danke, wir haben uns sehr darum bemüht, jedem Aspekt einen symbolischen Charakter zu verleihen." Sie zögerte kurz, bevor sie fortfuhr: „Meine einzige Sorge bleibt, dass jemand unsere Idee nachahmen könnte."
„Kein Sorge, wir wissen alle über die Wichtigkeit der Prüfung Bescheid." Ich zwang ein Lächeln auf meine Lippen, bevor ich fortfuhr: „Es wäre niemand so dämlich euch nachzuahmen."
....
„Ich verstehe nicht, wie du es schaffst allen gegenüber stets freundlich zu sein. Oder warum du noch nicht die am meisten beneidete Person in diesem Saal bist." Mit diesen Worten gesellte ich mich zu meiner treuen Freundin.
„Das sagt die Richtige. Liebling des Prinzen und der Königin."
Sie stieß mich mit ihrem Ellenbogen leicht in die Seite, bevor sie kurzerhand unsere Hände miteinander verschränkte. „Und allem voran, meine beste Freundin und gefundene Schwester", fügte sie hinzu und drückte wie zur Bestätigung kurz meine Hand.
Wärme breitete sich in meinem Herzen aus. Ehe ich zu einer Antwort ansetzten konnte, um meine Dankbarkeit für ihre bloße Existenz zum Ausdruck zu bringen, ertönte ein verhaltenes Räuspern.
„Miss Stoles, Miss Sterling", begrüßte uns der französische Prinz. Bevor meine Freundin den Fuß zum Knicks abwinkeln konnte, griff er nach ihrer Hand.
Ihre Blicke trafen sich und ich spürte wie der Ballsaal um sie herum in Vergessenheit gerat. Unglücklicherweise ebenso meine Wenigkeit, die in einem Knicks verharrte.
Das schien heute mein Schicksal zu sein.
Verhalten räusperte ich mich.
Einmal.
Dann erneut.
Der Prinz richtete seinen Blick auf mich und ein amüsiertes Funkeln trat in seine Augen. „Haben Sie sich erkältet?"
Ich widerstand dem Drang meine Augen zu verdrehen und legte stattdessen meine Hand an meinen Hals. Dabei murmelte ich eine halblaute Entschuldigung, ein Glas Wasser für meinen trockenen Hals auftreiben zu müssen und suchte, so schnell es die Höflichkeit erlaubte, das Weite.
...
Immer wieder warf ich verstohlene Blicke in die Richtung der royalen Familien.
Alle Mitglieder der Königsfamilie standen beisammen, nur Charles war erneut in den Tiefen des Schlosses verschwunden. Dafür hatten die Hoheiten eine neue Person in ihren Reihen. Meine beste Freundin Layla.
Allerdings wirkte sie nicht so, als würde sie auf Wolke Sieben schweben. Stattdessen schwebte eine Gewitterwolke über ihnen, aufgeladen durch die angespannte Haltung aller Hoheiten, und ein Nebel der missachtenden Blicke drohte den Sonnenschein in Laylas Lächeln zu ersticken.
Die Prinzessin wandte ihr Gesicht in meine Richtung, als würde sie meine ständigen Blicke auf ihrer Familie spüren.
Entschuldigend hob ich meine Schultern, doch Léa hatte sich bereits abgewandt und begann durch den Saal zu streifen. Mit einem Kopfnicken gab sie mir zu verstehen, dass ich ihr folgen sollte. Zielstrebig bahnte sich einen Weg durch den Saal und teilte die Menschenmenge wie Moses das Meer.
Die Prinzessin verschwand hinter den offenen Türen auf den Balkon. So schnell ich ihr folgen konnte, ohne gegen zahlreiche Ellenbogen zu laufen, bahnte ich mir ebenfalls einen Weg hinaus in die Abendluft.
Léa hatte mir den Rücken zugewandt und die Hände auf dem Geländer abgelegt. Ihre Haare waren zu einer kunstvollen Frisur hochsteckt worden, die mit perlenbesetzten Spangen gesichert wurde. Kein einziges Haar wagte sich aus ihrem hochgesteckten Zopf zu lösen, um im Wind zu tanzen.
Wann würde uns Madame Rosie endlich die wichtigen Lektionen im Leben einer Königin beibringen? Beispielsweise „so bringst dein widerspenstiges Haar dazu sich selbst bei Wind nicht aus der lockeren Hochsteckfrisur zu lösen" oder „so sieht du auch nach zwei durchgetanzten Stunden aus wie frisch aus der Badewanne gestiegen".
„Bist du mir gefolgt, um mich, anstatt aus der Ferne nun von der Nähe anzustarren, oder möchtest du vielleicht eine Frage stellen, die dir auf der Zunge zu brennen scheint?", riss mich ihrer Stimme aus meinen Gedanken.
Ich hob unsicher meine Schultern, während ich mich zu ihr stellte. „Ich dachte nur, du würdest vor Freude überschäumen. Stattdessen wirkst du seit dem Wiedersehen niedergeschlagen und kannst mir kaum in die Augen blicken."
Ihre schlanken Finger umklammerten das Geländer, bis ihre Fingerknöchel weiß hervortaten. „Ich fürchte, du wirst mich verachten, sobald du die Wahrheit über mich erfährst." Ihre Stimme war leise, kaum lauter als ein Windhauch, der durch die Bäume fuhr.
Ich schüttelte meinen Kopf. „Ich könnte dich niemals hassen."
„Versprich es", forderte sie wie ein kleines Kind. Doch ihre Augen glitzerten, als würde sie Tränen zurückhalten.
„Versprochen", erwiderte ich und griff nach ihrer Hand.
Die Worte begannen aus ihrem Mund zu fließen, als wäre ein Staudamm gebrochen und die Flut nun alles mitreißen. Zuerst sprach sie stockend, stolperte über ihre eigenen Wörter, bis das Gesagte immer schneller zu fließen begann und schließlich, wie ein Wasserfall aus ihrem Mund schoss.
Das Leben eines Prinzen oder Prinzessin war von Geburt an vorherbestimmt. Prinz Louis würde heiraten und der König von Frankreich werden. Sie würde heiraten und in ein unbekanntes Land ziehen, weit weg von allen Personen, die ihr etwas bedeuteten.
„Ich hatte mich mit diesem Leben abgefunden. Bis ich einen Brief erhielt, mit der Frage, ob ich diesen Weg beschreiten wollte. Sie baten mich, um ein Treffen. Mein Ohr für ihre Anliegen zu öffnen, dafür würden sie mir einen Ausweg aus dem Palast sichern. Doch der Nacht, als das Treffen stattfinden sollte, bemerkte man wie ich mich aus dem Schloss schleichen wollte."
Wer waren sie? Woher wussten sie, dass die Prinzessin so unglücklich war?
Ihre Augen blickten in die Ferne, als würde sie die Geschichte erneut durchleben.
„Wer hat dir den Brief geschickt?"
Léa hob ihre Schultern. „Sie haben den Brief nicht mit ihrem Namen unterzeichnet. Doch ich nehme an, es sind ... Menschen mit Forderungen an die Krone, da sie mit der derzeitigen Situation unzufrieden sind."
Ich schnaubte auf. Wie viele Worte man doch sagen konnte, nur um einen einzigen Begriff nicht nennen zu müssen. Rebellen.
„Noch in derselben Nacht, wo das Treffen stattfinden sollte, wurden meine Koffer gepackt. Jemand hatte den Brief wohl gelesen und an meine Eltern weitergeleitet. Ohne auf meine Proteste zu hören, schickten sie mich einfach so weg."
Zuerst wurde sie zu einem anderen Wohnsitz in Frankreich kutschiert, dann schickten sie die Prinzessin in eine fremde Unterkunft. „Doch es konnte für sie nicht weit genug sein, so schickten sie mich quer über den Ozean nach Illéam mit meinem Bruder als Aufpasser.
Ihre Stimme klang bitter.
Ich schüttelte meinen Kopf. Diese Geschichte klang grauenhaft!
Doch ich verstand nicht, warum ich sie hassen sollte. Wie könnte ich sie je dafür hassen, dass sie von ihren eigenen Eltern wie eine Schachfigur behandelt wurde?
„Aber selbst ein Ozean kann niemanden aufhalten, der um sein Leben fürchten. Ihre Methoden etwas auffallender, verzweifelter", fuhr Léa fort. „Als mein Bruder erfuhr, dass sie auch hier versucht hatten Kontakt aufzunehmen, dauerte es nicht lange, bis auch unsere Eltern Wind davon bekamen."
Der Streit mit Prinz Louis. Hatten sie darüber gesprochen? Doch ich wagte es nicht Léa erneut zu unterbrechen.
„Nun sind sie hier, um sicherzustellen, dass ich ihrem Plan Folge leisten werde und ein Königreich als unseren Bündnispartner sichern werde. Wenn nicht, hätte kein Land, in das ich zurückkehren könnte. Zumindest nicht, solange mein Bruder nur der Prinz, statt der König ist."
Trotz der warmen Nachtluft rann mir ein Schauer über den Rücken. Die Herzlosigkeit dieser Menschen war wie Eiskristalle in meinem Herzen. „Aber warum wollen sie dich unbedingt mit einem anderen Land verheiraten?"
„Wir brauchen die Hilfe eins anderen Landes, wenn meine Eltern die Aufständischen mit einer Militärkraft niederschlagen wollen. Wir brauchen Geld, Waffen und Vorräte. Doch warum sollte uns jemand zur Seite stehen, der dabei nichts zu gewinnen, aber alles zu verlieren hat?"
Sie wandte ihren Blick von mir ab und starrte hinaus in den Schlossgarten. „Sie versuchen ein Bündnis mit Iléa zu schließen, doch nur eine Hochzeit könnte diese Freundschaft der Länder sichern."
Der plötzliche Themenwechsel von ihr zu Prinz Louis überraschte mich. Natürlich hatte sich ihr Bruder der Selection nicht ohne Hintergedanken angeschlossen.
Wer hätte gedacht, dass der ursprüngliche Grund, weshalb meine Freundin nie den französischen Prinzen heiraten könnte, nun der Grund sein würde, dass sie übereilt heiraten würden. „Wird Prinz Louis meiner Freundin schon bald einen Antrag machen?"
„Mein Bruder und Lay ..." Sie verstummte. Ihre Lippen formten ein stummes: „Oh."
Zögerlich trat sie einen Schritt näher auf mich zu und legte mir eine Hand auf die Schulter. „Mary, ich spreche nicht von meinem Bruder. Es geht um mich. Ich bin diejenige, die heiraten muss, wenn ich ein Land an meiner Seite will. Doch es gibt nur einen Prinzen in meinem Alter, den ich zu schätzen weiß."
„Aber wer ...?"
Eine Prinzessin. Ein Prinz.
Ich schluckte, schüttelte meinen Kopf. „Nein."
Nicht ... nicht Henry.
2 Prinzen. 1 Prinzessin. 24 Erwählte.
Wer hätte diese Wendung nur vorhergesehen?
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