10
Durch die Ablenkung Gestern habe ich Nicos Beerdigung ganz vergessen, aber ich glaube, genau das war Dracos Ziel. Ich weiß nicht mal, ob man es 'Beerdigung' nennen kann, weil wir einfach Nicos Asche im Verbotenen Wald an einem bestimmten Platz verstreuen werden. Dabei ist so gut wie niemand, nur ich, mein Freund, Dad und Snape. Ein großes Ereignis wollten wir nicht daraus machen, das hätte Nico gehasst. Zu viert gehen wir mit Dad an der Spitze in den Wald, denn er meinte, er kenne den perfekten Platz. Wir marschieren etwa eine halbe Stunde, bis er an einer kleinen, überschatteten Lichtung stehen bleibt. Auf einer Seite fließt ein kleiner Bach vorbei, davon gegenüber steht eine gewaltige Trauerweide. Dad hat Recht, dieser Platz würde Nico gefallen, so ruhig und abgeschieden, aber doch sehr schön. Ich trage das Gefäß mit seiner Asche in meinen Händen und gehe langsam auf den Baum zu. An seinen Wurzeln kniee ich mich nieder und hebe eine kleine Grube aus, etwa in der Größe eines Quaffels. Mit zittrigen Händen löse ich den Deckel der Urne. Das ist also der Abschied, für immer. Meine Augen beginnen zu brennen, als ich mich an die schönsten gemeinsamen Momente erinnere: Wie er, Draco und ich Neville den Erinnermich abgeluchst haben und Potter dem nachjagen ließen, wie wir über Animagi geredet haben, weil es uns beide brennend interessierte, die Freude, als wir es endlich schafften, Draco und Harry zu verkuppeln, den Spaß, den wir bei den Weihnachtsvorbereitungen hatten und all die Zeit, die wir lachend verbracht haben. Nico hatte die Fähigkeit, mich aufzumuntern, egal, was passierte. Immer wieder schaffte er es, schlimme Gedanken oder Erinnerungen zu vertreiben und half mir, einfach glücklich zu sein. Versteht mich nicht falsch: Ich liebe Draco, aber sie sind doch sehr verschieden. "Bis später", hauche ich kaum hörbar. Eines Tages werden wir uns wieder sehen, ich weiß es. Und bis dahin werde ich versuchen, mein Leben zu leben, auch wenn es, da will ich mir nichts vormachen, ohne Nico ein Stück schwerer sein wird.
Silvester und damit Nicos Beerdigung ist nun schon ein paar Monate her, in nicht allzu ferner Zukunft ist Ostern und da soll ein großer Ball stattfinden. Dafür sollen wir Schüler tanzen lernen und es trifft sich ganz gut, dass Draco mir das beigebracht hat, denn auch nach Neujahr haben wir des Öfteren im Schlafsaal getanzt, wenn wir alleine waren. Die Übungsstunden sollen wir von unseren Hauslehrern erhalten, aber ich kann es mir bei Professor Snape beim besten Willen nicht vorstellen. Heute fängt es an und vor dem Ball werden wir noch zwei weitere Male unterrichtet. Ganz Slytherin befindet sich in einem größeren, leergeräumten Klassenraum. Gegenüber der Tür steht ein riesiger Plattenspieler, daneben Filch, der daran herumwerkelt. "Wie ihr sicher wisst, findet zu Ostern ein Ball statt", beginnt Snape, der so aussieht, als wolle er schnell weg, "Natürlich wird viel getanzt werden und deshalb seit ihr hier. Zu Silvester habe ich bemerkt, dass eure Tanzkünste erbärmlich sind, was ich nicht akzeptieren kann und werde. Slytherin wird nicht blamiert werden von einigen unfähigen Jugendlichen!" So redet er noch einige Zeit weiter, aber das ganze interessiert mich herzlich wenig. Gerade will ich mich zu Draco beugen, als ich meinen Namen höre. "Miss Grindelwald. Gibt es etwas, dass Sie uns mitteilen möchten?" Eilig schüttle ich den Kopf, ich hasse Aufmerksamkeit. Außerdem hasse ich es auch, wenn mein Geschlecht falsch gedeutet wird. "Gut, dann kommen Sie zu mir." Verwirrt sehe ich kurz zu Draco, der das, wieso auch immer, lustig findet. Langsam stehe ich auf und gehe zu Snape. "Ich werde jetzt vorführen, wie man tanzt und Miss Grindelwald war ja so nett und hat sich freiwillig gemeldet", dabei wirft er mir einen hämischen Seitenblick zu, den ich außerordentlich finster erwidere, "Legen Sie Ihre Hand auf meinen Rücken." "Aber ich dachte, das soll der weibliche Partner machen", sage ich gespielt unschuldig und ein kurzer Blick auf Draco verrät mir, dass das entweder lustig oder dumm war, denn er kann sein Lachen kaum überspielen. Es scheint Snape aus seinem Konzept gebracht zu haben, dass er jetzt mit einem Mann tanzen soll. Darüber versuche ich, nicht zu sehr zu grinsen. "Nun, ich bin der gewiss nicht!", füge ich noch schelmisch hinzu. Finster schaut mein Gegenüber mich an. "Wenn es Ihnen unangenehm ist, mit einem Mann zu tanzen, dann könnte Mr Malfoy, der schon Erfahrungen auf diesem Gebiet hat, Ihren Platz einnehmen", wage ich dann noch vorzuschlagen. Professor Snape zieht eine Augenbraue hoch und ich frage mich, ob das wirklich klug war, als er dann zu meiner Überraschung zustimmt. Vielleicht hofft er, dass wir uns blamieren. Tja, Pech, Draco und ich sind mittlerweile ein eingespieltes Team. "Nun denn, Mr Malfoy und Mr Grindelwald, zeigen Sie Ihrem Haus, wie man tanzt." Seinem leichten Grinsen und dem Blick in seinen Augen nach denkt er, dass wir es etwa so gut können, wie Schlangen, die zu Gehen versuchen. Ich halte Draco meine Hand hin, der sie etwas widerwillig nimmt. Ich glaube nicht, dass er sowas heute erwartet hätte. Filch schaltet die Musik ein. Es ist ein Walzer. Ich genieße es, von meinem Partner queer durch den ganzen Raum geführt zu werden, denn es macht wirklich Spaß. Vielleicht stehen wir etwas näher aneinander als nötig, aber mich jedenfalls stört es nicht. Das Lied endet und Draco und ich verbeugen uns kurz, bevor wir und wieder hinsetzen. Snape sieht Widerwillens beeindruckt aus und auch der Rest des Hauses wirkt überrascht. Grinsend klatschen wir uns ab. Die restliche Tanzstunde verbringen wir damit, mehr oder weniger unfreiwillig, den anderen Tipps zu geben, weil wir gefühlt die Einzigen hier sind, die schon Erfahrung haben. Irgendwie, denke ich, wäre es interessant gewesen, mit Snape zu tanzen, weil ich mir kaum vorstellen kann, dass er dazu im Stande ist.
Heute ist Ostern und ich bin gerade dabei, in mein Tagebuch zu schreiben. Seit Silvester mache ich es des Öfteren, es tut einfach gut, sich alles von der Seele zu reden, oder eher zu schreiben. Paps antwortet nie allzu viel, vermutlich will er Tinte sparen, wer weiß, wann ich ihm neue besorgen kann. "Heute findet der Osterball statt und ich habe keinen Schimmer, was ich anziehen soll. Ich bin weiblich, nur so nebenbei.", schreibe ich. "Kleid?", kommt sogleich zurück geschrieben. Als ich ein "Vermutlich" antworte, höre ich Schritte. Schnell packe ich das Tagebuch weg, ich habe niemandem davon erzählt, auch nicht Draco. Zu meiner Überraschung ist es nicht mein Freund, der in der Tür steht, sondern Dad. Er hat ein schwarzes Paket in den Händen, welches sogleich von mir gemustert wird. Keine Ahnung, was da drin ist. "Hier", sagt er und überreicht mir das Päckchen, "Das ist ein gemeinsames Geschenk. Von mir und Gellert. Wir dachten, es würde dir gefallen." Neugierig greife ich danach und öffne die Schleife. Ich nehme den Deckel ab und sehe Stoff. Kurz frage ich mich, was es sein könnte, dann hohle ich es langsam heraus. Es ist ein wunderschönes Kleid aus Samt, größtenteils schwarz, aber es mischt sich auch grau dazu. Der Schnitt ist relativ altmodisch; bis zur Taille anliegend, dann geht es in die Breite und Samt in Schwarz- und Grautönen fällt locker bis zum Boden. Der obere Teil ist mit Stickereien und einigen Edelsteinen verziert, aber noch ziemlich simpel gehalten. Der Rücken ist tief ausgeschnitten, während es vorne hochgeschlossen ist. Glücklich, aber auch überrascht strahle ich Dad an. "Danke, es ist wunderschön, aber wieso?" "Naja, soweit ich weiß, hattest du für den Ball heute noch kein Outfit. Außerdem lässt Paps seine Grüße senden, es war vor allem seine Idee, als Dank dafür, dass du ihn nicht aufgibst, sagt er." Er lächelt mich liebevoll an, was ich erwidere. "Dann werde ich es besser mal anprobieren", meine ich mit einem Blick auf das Kleid. Einige Minuten später stelle ich erfreut fest, dass es wie angegossen passt. Ich betrachte mich im Spiegel und ich muss zugeben, dass es mir steht. Ich denke, auch Draco wird es gefallen. Mittlerweile ist es später Nachmittag, der Ball fängt in Kürze an. Ich entscheide mich dazu, im Gemeinschaftsraum auf meinen Freund zu warten, der bald darauf auch erscheint. Er trägt heute schwarz, womit wir gut zusammen passen. Nur seine Krawatte ist in einem sehr dunklen grün gehalten. Er bietet mir seinen Arm an und ich hake mich ein. Augenblicklich erinnere ich mich an den Silvesterabend.
Der Ball findet im Innenhof statt und die Wiese ist passend zu Ostern geschmückt. Ein paar Gäste sind schon da, darunter auch Dad und Professor Snape, die leise mit einander reden. Nach und nach treffen die Schüler ein, alle festlich angekleidet und meistens mit Partner. Musik beginnt zu spielen und Draco und ich begeben uns mit den anderen auf die Tanzfläche in der Mitte. Eine eher langsame Melodie erklingt und sanft wiegen wir beide hin und her. Als ich mich etwas umschaue, sehe ich, dass die Tanzkurse nicht allzu viel gebracht haben, viele wissen immer noch nicht, was sie tun sollen. So bewegen Draco und ich uns elegant durch die Menge und Tanzen Lied für Lied. Es ist wirklich ein großer Spaß und mal wieder bin ich froh, dass er mein Partner ist. Nach einiger Zeit legen Draco und ich eine Pause ein und setzen uns mit einem Glas Kürbissaft an einen der kleinen Tische, die am Rand stehen. Bis jetzt war der Abend echt schön, doch das ändert sich für mich mit einen Schlag. Ich sehe Dad mit Snape tanzen. An sich nichts Dramatisches, aber langsam kommen sich ihre Gesichter immer näher und sie küssen sich. Ich weiß, Paps ist im Gefängnis und ich weiß auch, dass Dad ihm nach allem, was zwischen den beiden vorgefallen ist, nicht zur Treue verpflichtet ist, aber trotzdem. Für mich waren sie immer ein wunderbares Paar, das so gut zusammen gepasst hat, auch wenn sie sich manchmal gestritten haben. Dieses Bild wurde gerade zerstört. Mir ist klar, dass es Dads Leben ist und er tun kann, was immer ihm beliebt, aber ich bin irgendwie auch enttäuscht. Ich bin mir nicht ganz sicher wieso, aber so ist es nun mal. Ich werde von Draco aus meinen Gedanken gerissen. "Hey Sam, alles okay? Du schaust etwas blass aus." "Jaja, alles gut." Die Lust auf tanzen und diesen Abend generell ist mit einem Mal verpufft. Auch wenn es kindisch sein mag, sich wegen so etwas aufzuregen oder die Laune verderben zu lassen, kann ich nicht wirklich was dagegen tun. "Entschuldige mich kurz", meine ich an Draco gewandt, ich brauch ein wenig Zeit für mich. Ich flüchte schon fast von dem Fest und verlasse das Schloss. Mir kommt die Idee, zu Nicos Lichtung, wie ich sie nenne, zu gehen. Ob das schlau ist? Vermutlich nicht. Trotzdem mache ich mich auf den Weg queer durch den Verbotenen Wald, immer noch in meinem Ballkleid. Dort angekommen setze ich mich unter die große Trauerweide, den Rücken am Stamm angelehnt. Mein Blick wird von dem kleinen Holzkreuz gefangen, das Nicos Grab kennzeichnet. "Ich wünschte, du wärst jetzt hier", flüstere ich bekümmert, obwohl ich weiß, dass mein toter Freund mich nicht hören kann. Ich schließe meine Augen um mich etwas zu sammeln, doch als ich sie wieder öffne, bekomme ich einen halben Herzinfarkt. Ich reibe mir schnell meine Augen. Bilde ich mir das ein? Es kann nicht real sein! Aber vor mir steht Nico. Mein toter bester Freund, um den ich so lange getrauert habe. Es muss irgend ein Hirngespinst sein! Dessen bin ich mir sicher, bis er anfängt zu reden: "Hallo Sam. Lange nicht gesehen, was?" "D-du?! Aber wie zum Henker kannst du hier sein? Am Leben sein?" "Naja, das bin ich auch nicht. Am Leben, meine ich. Man könnte mich vermutlich als eine Art Geist sehen." "Nein, ich habe Geister schon davor gesehen und du schaust viel zu real für einen aus. Hängt das mit dem Todeszeitpunkt zusammen?" "Ich habe keine Ahnung, aber jetzt bin ich hier." Immer noch ungläubig sehe ich in an. Langsam erhebe ich mich und gehe auf ihn zu. Ich strecke meine Hand nach Nico aus, aber sie dringt durch ihn durch, als ob er nicht da wäre, nur eine Illusion. "Ja, sowas in der Art habe ich schon erwartet...", meint er traurig, "Ich würde dich nach allem, was passiert ist, gern umarmen." Ich nicke nur, kann es immer noch nicht fassen, dass das wirklich gerade passiert. "Wieso erst jetzt?", frage ich interessiert, aber auch ein wenig verletzt, "Ich meine, ich war oft hier in letzter Zeit." "Ja, aber ich denke, das hängt mit dem Zustand zusammen, in dem du bist. Ich habe dich gesehen, wie du mein Grab besucht hast, konnte aber nicht zu dir durchdringen. Jetzt aber fühlst du dich allein und vielleicht macht das einen Unterschied", versucht mein Gegenüber zu erklären. Wieder nicke ich nur. "Werden wir uns wieder sehen?" Diese Frage muss ich einfach stellen, sie schwirrt mir durch den Kopf, seit ich Nico erblickt habe. "Ich weiß es nicht", lautet seine Antwort. Kurz schweige ich, aber dann sprudeln die Wörter nur so aus mir heraus, ich erzähle ihm alles, was seit seinem Tod passiert ist und auch über meine Väter rede ich. Er hört schweigend zu, wofür ich dankbar bin. Als ich fertig bin, schaue ich in seine Augen, aber darin zu lesen ist nichts. Sie sind immer noch so leer wie zu seinem Todeszeitpunkt. Irgendwie gruselig, aber ich bin auch froh, dass nicht alles darauf hindeutet, dass er wieder am Leben ist. Ich glaube, dann würde ich es nicht verkraften, wenn ich ihn nicht berühren könnte.
Erst als ich eine rufende Stimme vernehme, fällt mir auf, dass ich ja eigentlich zu Draco zurück sollte. "Bitte erzähle niemandem etwas davon, ok?", fragt Nico flehend. Ich stimme ihm zu, es ist besser, wenn wir zuerst herausfinden, ob wir uns wiedersehen, denn wenn nicht, klinge ich wie jemand, der vor Trauer verrückt wird. Mein bester Freund löst sich in Luft auf und traurig starre ich auf die Stelle, wo sein Geist oder was auch immer noch eine Sekunde zuvor gestanden hat. "Sam!" Ein erneuter Ruf, diesmal näher, lässt mich aufschrecken. "Ja?", antworte ich schnell. "Gott Sam! Ich habe dich überall gesucht! Was machst du hier?" "Ich habe einen kurzen Moment für mich gebraucht." Auch wenn Draco mein Freund ist, irgendwas hält mich davon ab, ihm von alldem zu erzählen und er weiß auch nichts über meine Väter meine Herkunft generell. Naja, natürlich außer der Tatsache, dass ich von Gellert Grindelwald abstamme. Ich spüre, dass auch er etwas zurückhält und diese Geheimnisse stellen sich zwischen uns. Der Spalt wird immer breiter je länger wir nicht miteinander über diese Dinge reden und auch die Wahrheit sagen. Eine gewisse Distanz baut sich zwischen uns auf und ich hasse es, aber so richtig was dagegen unternehmen will ich irgendwie auch nicht. Auf meine Erklärung nickt er nur, denn er weiß, dass da mehr ist und ich ihm das bewusst verheimliche. Ich hake mich wie so oft schon bei ihm ein und gemeinsam gehen wir zurück zur Burg.
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