26 | Ein stummes Versprechen
Elizas Sicht
Mit zitternden Händen und wackeligen Beinen laufe ich auf mein Auto zu, das weiter hinten auf dem Parkplatz steht. In meinem Kopf schwirren unglaublich viele Fragen.
Heute sollte ein schöner Tag sein. Ich wollte meinem Dad von Will erzählen, von uns und unserer Beziehung. Ich wollte, dass er endlich weiß, dass wir zusammen sind und uns nicht länger verstecken wollen. Jetzt fühle ich mich, als hätte mir jemand einen kalten Eimer Wasser über den Kopf gekippt, der mir die Schmetterlinge im Bauch und Glücksgefühle genommen und mir stattdessen einen harten Schlag ins Gesicht beschert hat.
Ich erkenne Wills Silhouette im Wagen. Sein Gesicht wird nur durch sein Handy erleuchtet. Draußen ist längst die Sonne untergegangen. Eine halbe Stunde war ich bei meinem Vater im Büro. Nachdem er mir von der Klage erzählt hat, musste ich ihm noch hunderte Mal versichern, dass Will mich nie bedrängt hat – dass er so etwas niemals tun würde. Nicht bei mir oder sonst jemanden. Ich kenne Will zwar erst sechs Monate, aber in dieser Sache bin ich eigentlich ziemlich sicher. Zumindest war ich mir sicher. Ich muss dringend mit Will sprechen und mich versichern, dass es nicht der Wahrheit entspricht.
Ich überbrücke die letzten Meter zum Auto und augenblicklich sehe ich, dass Will mich ansieht. Ein Lächeln liegt auf seinen Lippen und es bricht mir fast das Herz zu wissen, dass dies in wenigen Sekunden verschwunden sein wird. Zaghaft lege ich eine Hand an den Griff des Autos, bevor ich die Tür öffne und mich schweigend auf dem Sitz fallen lasse.
Lange Zeit sagt keiner von uns ein Wort, bis ich schließlich spüre, wie Wills Hand in meine gleitet. Seine Finger streicheln die meine und genau das gibt mir den Rest. Tränen, die mir schon länger in den Augen stehen, kullern nun doch meine Wange entlang. Dabei habe ich mir geschworen nicht zu weinen, solange ich nicht die Wahrheit weiß.
»Wie ist es gelaufen?«
Seine Stimme klingt leise, als hätte er Angst, dass ich ihn gleich verlassen werde, weil mein Vater mir diese Beziehung ausgeredet hätte. Diese Angst verfolgt ihn schon eine Weile, was mir immer wieder gezeigt hat, dass er es ernst meint – dass er mich nicht verlieren will.
»Er akzeptiert es«, sage ich leise. Einen Moment lange verstärkt sich der Griff um seine Hand, doch als ich mich ihm zu wende und den Brief aus meiner Tasche ziehe, sieht er mich fragend und gleichzeitig besorgt an.
»Er akzeptiert es. Nur, weil ich ihm gesagt habe, dass du mich nicht in diese Beziehung gezwungen hast«, flüstere ich leise. Ich kann diese Worte nicht aussprechen und noch mehr fürchte ich mich vor denen, die noch lange unausgesprochen sind.
»Was?«, fragt er leise. Seine Lippen presst er fest aufeinander, als ich ihm den Brief reiche.
»Du verstehst seine Sorge, wenn du das hier gelesen hast«, murmele ich. Will sieht mich fragend an, als ich das Einschreibung in seine Hand lege. Ich sehe ihm dabei zu, wie er das weiße Blatt Papier aus dem Umschlag zieht und es auseinander faltet, wende mich jedoch ab, als er zu lesen beginnt. Ich kann nicht dabei zusehen, wie er liest, was man ihm vorwirft. Ich will seine Reaktion nicht sehen, denn sie würde mir augenblicklich verraten, ob er diese verwerfliche Tat begangen hat oder nicht.
Minuten lang ist es still im Auto und erst als ich ihn leise schniefen hören, blicke ich ihn an. Seine Wange ist feucht und ich schlucke leicht, als er mit dem Handrücken darüber wischt.
»Ich nehme an, du wirst mich jetzt verlassen«, sagt er. Seine Stimme klingt verbittert, aber die Verzweiflung erkenne ich trotzdem.
»Ich weiß, dass du so etwas nicht tun würdest, William. Ich kenne dich. Du würdest niemanden zu so etwas zwingen. Du liebst deinen Job und gehst professionell an jede erdenkliche Untersuchung heran. Ich weiß nicht, wie jemand auf die Idee kommt, dir so etwas anhängen zu wollen, aber ich muss es hören. Ich muss hören, dass du es nicht getan hast, Will!«
Wills Augen blicken tief in meine. Dieses Mal greife ich nach seiner Hand und streiche mit meinem Daume über seinen Handrücken. Will lächelt traurig, ehe er auf unsere Hände blickt.
»Erinnerst du dich an Mrs. King? Die Patientin, die dich bei ihrer Untersuchung nicht dabei haben wollte?«, fragt er und ich nicke. Natürlich erinnere ich mich. Diese Frau war zum Kotzen und ich war mehr als glücklich, dass sie das Krankenhaus nach ein paar Minuten wieder verlassen hat. »Sie ist diejenige, die mich verklagt. Ihr Mann und sie kamen vor einem Jahr das erste Mal zu mir. Sie haben sich ein Kind gewünscht, allerdings erwies es sich als schwierig, dies auf dem natürlichen Wege zu zeugen. Nach der ersten Untersuchung kam Mrs. King immer ohne ihren Mann. Angeblich, weil er verhindert war. Sie fing an mit mir zu flirten, während ich jedoch nicht ein einziges Mal darauf eingegangen bin. Des Öfteren hat sie mich gefragt, ob ich ihr nicht vielleicht noch ein wenig mehr helfen würde. Auch so an dem Tag, wo sie erneut zur Untersuchung da war und du ihrerseits nicht erwünscht warst. Sie hat mich angefasst, wollte meine Hose öffnen, jedoch habe ich rechtzeitig bemerkt, was sie vorhat.«
Die Luft bleibt mir im Hals stecken, als Will mir erzählt, was diese Frau sich erlaubt hat. Er sieht gequält aus, während er erzählt.
»Es war nichts Neues, dass sie mit mir geflirtet hat, aber an diesem Tag ist sie zu weit gegangen. Ich habe ihr gesagt, dass die Untersuchung beendet ist und bin, bevor ich überhaupt angefangen habe, geflohen. Im Brief steht, dass ich sie unangemessen berührt und vorgeschlagen habe, dass ich ihr jetzt einfach selbst Baby machen werde.«
Will spuckt die restlichen Worte aus und ich merke, wie angeekelt er ist. Doch in dem Augenblick wird mir klar, dass er nichts getan hat. Sein Verhalten am dem Tag verstärkt dieses Gefühl in mir, weshalb ich nach seinem Kinn greife und seinen Kopf in meine Richtung drehe.
»Ich glaub dir. Ich würde dir niemals so etwas zutrauen und ich bin mir sicher, dass wir-«, sage ich, doch werde von ihm unterbrochen.
»Was, Eliza? Eine Lösung finden? Wenn herauskommt, dass ich eine Klage wegen sexueller Belästigung am Hals habe, wird meine Karriere als Arzt vorbei sein. Dein Vater wird mich zuerst beurlauben und dann entlassen. Der Grund wird publik und niemand wird mich jemals wieder einstellen«, sagt er. Seine Stimme klingt wütend und gleichzeitig höre ich noch immer diese vermaledeite Verzweiflung darin, die ich ihm am Liebsten nehmen würde.
Ich möchte die Zeit zu dem Tag zurückspulen, an dem Mrs. King zu uns gekommen ist und somit verhindern, dass so etwas passiert. Will ist unschuldig und nur weil eine Frau sexuell scheinbar gerne von ihrem Frauenarzt befriedigt werden und ihren Mann hintergehen möchte, werde ich nicht zulassen, dass Wills Karriere dadurch zerstört wird.
»Ich werde das nicht zulassen, hörst du? Ich werde nicht zulassen, dass deine Karriere durch diese Frau zerstört wird, William. Ich rede mit meinem Vater und ich werde dafür sorgen, dass alles gut wird. Niemand wird davon erfahren, okay?«
»Woher willst du das wissen? Woher kannst du mir glauben? Vielleicht bin ich ein guter Schauspieler, Eliza. Wieso bist du dir sicher, dass ich nichts getan habe?«
»Weil ich dich liebe, Will. Ich kenne dich. Ich weiß, dass du niemals auch nur einen solchen Gedanken hegen würdest. Du bist einer dieser Männer, die zwar grob und stur sein können, aber niemals würden sie jemanden weh tun. Niemals!«
»Sag das nochmal!«
»Was denn? Ich kenne dich und weiß, dass du-«
»Du hast gesagt, du liebst mich«, spricht er leise und sieht mich musternd an.
Ich stocke in meiner Bewegung. Mein Herz schlägt schneller und kräftiger in meiner Brust, als ich mir bewusst werde, dass ich ihm gerade gestanden habe, dass ich ihn liebe. Dabei weiß ich, dass ich ihn liebe. Ich habe mich nur noch nie getraut es auszusprechen.
»Ich habe das gesagt, weil es der Wahrheit entspricht«, sage ich und lege eine Hand an seine Wange. Auf seinen Lippen erscheint ein kleines Lächeln. Jedoch erreicht es seine Augen ist.
»Wirklich?«
»Verdammt, ja. Ich liebe dich, Will«, erwidere ich und lache leicht, weil es ihm schwerfällt, meinen Worten Glauben zu schenken. Seine Augen wandern über mein Gesicht, stoppen an meinen Lippen und wandern dann wieder hinauf zu meinen Augen.
Er erwidert nichts, was mein Herz einen Moment lang aus dem Takt bringt. Als er sich jedoch zu mir vorbeugt, lasse ich ihn nicht länger warten und küsse ihn. Wills Lippen streichen vorsichtig über meine, als hätte er Angst den Moment zu zerstören. Dabei will ich gerade nichts anderes, als seine Lippen, die so leidenschaftlich wie immer, auf meinen liegen.
Dabei spüre ich es - wir brauchen einander und die Nähe des jeweils anderen. Genau deshalb lasse ich meine Hand in seinen Nacken wandern und verstärke den Druck auf seinen Lippen. Will entfährt ein leises Seufzen und ich nutze den Moment, um meine Zunge in seinen Mund zu schieben. Wild treffen unsere Zungen aufeinander, necken einander und wir bringen uns damit fast um den Verstand.
Will löst sich jedoch einige Sekunden später von mir und legt seine Stirn an meine.
»Ich hoffe wirklich, dass du Recht hast. Ich möchte, dass alles wieder gut wird, weil ich dir keine Schwierigkeiten bereiten möchte. Ich hoffe, dass ich möglichst schnell aus diesem Albtraum herauskomme«, sagt er leise.
Seine Worte sorgen dafür, dass meine Lippen sich zu einem Lächeln verziehen.
»Ich bin glücklich. Egal, wo wir sind und welche Veränderungen uns ereilen. Ich bin glücklich, solange ich an deiner Seite bin«, erwidere ich leise, bevor ich unsere Lippen wieder vereine und uns beiden ein stummes Versprechen gebe, dass wir auch diese Hürde überwinden werden.
_______
Eliza liebt Will, aber liebt Will auch Eliza?
In einer Stunde sehen wir uns wieder zu Kapitel 2 der Lesenacht! ❤️
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro