21 | Geständnisse
Elizas Sicht
Träge lasse ich mich nach der Arbeit in meinem Auto fallen. Es fühlt sich merkwürdig an, dieses Mal allein im Auto zu sitzen und nicht mit Will gemeinsam zu fahren.
In den letzten Wochen hat er sich immer mehr in mein Herz geschlichen und jetzt wo wieder Funkstille zwischen uns herrscht, fehlt er mir sehr. Zwar sehe ich ihn bei der Arbeit und auch sonst müssen wir leider verdrängen, was zwischen uns passiert ist und vor allem – was er sich vergangenen Samstag auf der Taufe geleistet hat.
Ich habe versucht Nick von mir zu drängen, weil ich seine Art erstens von Beginn merkwürdig fand und der Grapscher absolut daneben war. Ich hasse derart aufdringliche Männer und mal ehrlich – wer versucht es bitteschön eine Frau auf einer Taufe aufzureißen?
Quinn hat mir danach zwar gesagt, dass Will mit Sicherheit nur zu viel getrunken hat und seine Nerven mit ihm durchgegangen sind, doch das ist mir egal. Er hat mich vor versammelter Mannschaft bloßgestellt und mich wie ein kleines Kind behandelt. Das, was das größte Problem zwischen uns darstellt, weil wir beide es zu einem Hindernis hochgeschaukelt haben, hat er gegen mich verwendet.
Mittlerweile ist es mir egal, wie alt wir beide sind. Er hat es trotzdem geschafft, mein Herz für sich zu gewinnen, weil ich weiß, dass auch er ein weiches Herz hat und sich nicht immer wie dieses Arschloch benimmt. Die Schichten mit ihm sind glücklicherweise bisher ohne Probleme verlaufen, aber das könnte auch daran liegen, dass ich ihn außerhalb der Untersuchungen nicht ansehe oder auch nur mit ihm spreche. Innerlich bin ich so geladen und könnte jeden Moment explodieren, doch das wäre im Krankenhaus vielleicht keine gute Idee.
Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass keiner von uns erfahren sollte, solange bis mein Praktikum bei ihm vorüber ist. Aber vielleicht sollte ich aufhören mir Hoffnungen zu machen, denn so wie es gerade aussieht, scheint es nicht so als würde aus uns noch einmal etwas werden.
Ich zucke zusammen, als jemand gegen meine Scheiben klopft und mich aus meinen Gedanken reißt. Ich fasse mir an die Brust und mein Puls geht deutlich schneller, weil ich mich zu Tode erschrocken habe.
Ich blicke Kyle an, der gerade dabei ist mich auszulachen, ehe ich das Fenster herunterfahre und ihm einen Blick schenke, der hoffentlich wütend genug aussieht. Das Zucken seiner Mundwinkel verrät mir jedoch, dass ich nur wenig Erfolg damit habe.
»Hast du Lust was Essen zu gehen?«, fragt er mich und ich sehe ihn überrascht an. »Geht auf mich«, schiebt er hinterher und grinst mich an.
»Klar, bist du zu Fuß?«
»Jap. Du müsstest mich nachher nur nach Hause bringen«, sagt er und ich lache leicht, ehe ich die Zentralverriegelung aufhebe. Er öffnet die Tür, schmeißt seinen Rucksack auf den Rücksitz meines Wagens und schwingt sich dann auf den Beifahrersitz. Er muss die Position des Sitzes erst einmal verändern, weil vorher Will dort immer gesessen hat. Kyle ist im Gegensatz zu Will nur ein wenig größer wie ich, was ich bisher immer belächelt habe.
Generell sind die beiden ganz anders. Will ist groß und gut gebaut. Seine Muskeln zeigen sich bei jeder Bewegung, die er macht. Kyle ist ebenfalls trainiert, wirkt jedoch durch seine Größe nicht so stark wie Will – und das meine ich, ohne ihn schlecht machen zu wollen. Kyle ist attraktiv, aber ganz einfach nicht mein Typ.
Er zieht die Tür zu und ich parke aus. Mit langsamen Tempo fahre ich vom Parkplatz und muss auf einige Autos warten, ehe mir jemand am Haupteingang des Krankenhauses auffällt.
Will.
Sein Blick und geradewegs auf meinen Wagen ausgerichtet und so grimmig wie seine Miene schon wieder ist, bestärkt sich das Gefühl in mir, dass er ganz genau erkannt hat, dass Kyle neben mir sitzt. Ich weiß genau, was er jetzt denkt, jedoch kann ich daran nichts ändern.
Kyle und ich sind gute Freunde und zwischen uns wird niemals etwas laufen, weil er wie schon erwähnt absolut nicht mein Typ ist und wir eher freundschaftlich auf einer Wellenlänge schweben.
»Wow. Dein Doc sieht aber schlecht gelaunt aus«, sagt Kyle und kann sich ein Lachen nicht verkneifen, was mich dazu bringt die Augen zu verdrehen. Die Beiden sind wirklich wie Katz und Maus. Bin ich mit einem von ihnen zusammen, beschwert dieser sich über den jeweils anderen. Dabei wissen beide, dass ich gut mit beiden auskomme. Meistens.
»Ich weiß echt nicht, was du an ihm so toll findest, Eliza«, sagt Kyle, als ich den Blick von Will abwende. Die Fahrzeugschlange löst sich langsam in Luft auf, sodass ich bald auf die Straße abbiegen kann.
Ich erwidere nichts, weil ich momentan noch immer sauer auf Will bin und es eigentlich abgesprochen war, dass wir vorerst niemanden davon erzählen. Kyle und Lia wissen zwar, dass wir uns näher gekommen sind, weil ich in den letzten Wochen nicht so oft Zeit für sie hatte, weil ich stattdessen schon bei Will war, aber ich glaube er würde es nicht so toll finden, wenn ich mit Kyle und Lia über ihn sprechen würde.
Ich kann eigentlich mit niemanden über diese Sache sprechen. Nicht einmal Zoey weiß Bescheid und das will schon was heißen. Mich wundert es jedoch nicht. In letzter Zeit haben wir uns auseinander gelebt und ich habe wirklich keine Ahnung, woran es liegen könnte. Auf meine Fragen, ob wir uns treffen wollen, bekomme ich meistens nicht einmal mehr eine Antwort.
»Wohin wollen wir?«, frage ich ihn und hoffe das Thema wechseln zu können.
»Burger Station?«
Ich zucke mit den Schultern und nicke dann, weil es mir relativ egal ist, wohin wir gehen, solange ich bald etwas zu essen bekomme. In letzter Zeit ist mein Appetit riesig und mein Sättigungsgefühl fast verschwunden. Ich könnte alles in mich hineinstopfen und das, ohne eine Übelkeit zu bekommen.
»Okay, dann dahin, aber das Thema ist noch lange nicht vom Tisch. Du kannst mir gleich erzählen, warum du keine Zeit mehr bei Dr. Morrison im Büro verbringst, sondern nur vorne am Stationscounter sitzt, wenn du Bereitschaft hast. Das war bis vor ein paar Tagen nämlich noch der Fall. Selbst Dr. Sherman ist das aufgefallen«, sagt er und ich reiße die Augen auf.
»Bitte?«, piepse ich und Kyle nickt.
»Ich habe dazu nichts weiter gesagt, weil ich meine Klappe nur schwer halten kann, wenn es um solche Dinge geht, aber er meinte, ihr würdet sehr viel aufeinander hocken«, meint er und ich schlucke.
»Das ist nicht gut. Das ist gar nicht gut«, murmele ich und verstärke meinen Griff um das Lenkrad, sodass meine Knöchel schon weiß werden.
»Also läuft doch etwas zwischen euch?«, fragt er nach einigen Sekunden der Stille. Ich bemühe mich meinen Blick weiterhin auf die Straße zu richten und meinen Mund zu halten.
»Dein Schweigen sagt alles aus. Ich habe es die ganze Zeit geahnt«, meint er grinsend und ich verdrehe die Augen.
»Momentan läuft es jedoch beschissen, also lassen wir das Thema besser sein«, sage ich und Kyles prüfender Blick liegt auf mir, als ich an einer roten Ampel anhalte.
»Okay, du musst mir nichts erzählen. Ich kann verstehen, dass du nicht drüber reden möchtest. Ist immerhin eine schwierige Situation. Aber ich werde meinen Mund halten. Das verspreche ich dir«, erwidert er und ich schenke ihm ein dankbares Lächeln.
»Danke, dass du es verstehst«, sage ich bloß.
»Wenn du aber doch mal reden möchtest, stehe ich dir zur Verfügung«, sagt er und ich nicke lächelnd.
***
Ich lehne mich in dem gemütlichen Sessel zurück, die an dem Tisch stehen, den Kyle und ich am Fenster besetzt haben.
Burger Station ist ein etwas neuerer Laden in der Stadt, aber dafür ist das Essen verdammt lecker.
Einen Chicken Burger habe ich bereits verdrückt, nur noch ein paar Pommes liegen auf dem Teller. Ich nippe an meinem Wasser und seufze dann leise.
»Ich bin so satt«, murmele ich, stopfe dennoch wieder eine Pommes in meinen Mund, was Kyle zum Lachen bringt, ehe er an seinem Glas nippt.
»Es gibt da noch etwas, worüber ich mit dir sprechen wollte«, sagt er dann und stellt es wieder auf seinen Untersetzer ab. Plötzlich wirkt er ganz ernst und irgendwie auch nervös. Er fährt sich ein paar Mal durch seine welligen Haare und ich sehe ihn fragend an. Eine gewisse Anspannung in ihm ist deutlich zu erkennen, dabei fällt mir kein Grund ein, wieso dies so ist. Gerade eben war doch noch alles in Ordnung.
»Ich wollte eigentlich nicht, dass es jemand erfährt und habe versucht mich zu tarnen. Du weißt schon – ich habe ein paar Mal mit Lia geflirtet, bevor wir uns richtig kennengelernt haben. Aber ich merke langsam, dass ich das nicht mehr kann«, murmelt er und ich lege meine Arme auf dem Tisch ab, während ich abwarte, dass er weiterspricht.
»Ich bin schwul«, sagt er und ich sehe ihn überrascht an. »Es ist okay, wenn du jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben möchtest. So geht vielen. Ich wollte dich nur nicht länger belügen oder dir etwas vormachen«, sagt er und ich schlucke, weil er mich gequält ansieht.
»Nein«, beginne ich und stoppe ihn und seine absurden Gedanken, »Das ist alles andere als okay. Es ändert doch nichts an unserer Freundschaft, nur weil du auf Männer stehst«, sage ich und sehe ihn mit einem Lächeln an.
»Wirklich?«, fragt er verwundert und ich runzele die Stirn.
Ich kann nicht glauben, dass er gedacht hat, dass ich nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen würde, nur weil ich weiß, dass nicht auf Frauen steht. Es ist doch vollkommen okay, wenn er sich in einen Mann verliebt. Solange dieser Mensch glücklich ist, ist es nicht wichtig welches Geschlecht für diese Art von Glück sorgt. Seine Reaktion lässt jedoch darauf schließen, dass er schon negative Erfahrungen gemacht hat, wie viele, die sich outen. Es gibt natürlich auch Ausnahmen, zu denen ich mich zähle, die einen Menschen dafür nicht verurteilen, aber viele sind immer noch der Meinung, dass Homosexualität nicht okay ist.
»Natürlich. Das macht für mich keinen Unterschied, Kyle. Ich bin froh, dass du es mir gesagt hast und das akzeptiere ich natürlich. Es muss dich viel Mut gekostet haben, dich zu outen«, erwidere ich und er lächelt leicht.
»Mein Vater hat mich vor ein paar Wochen zuhause rausgeschmissen«, sagt er und er lächelt traurig. »Er hat mir an den Kopf geworfen, dass er einen psychisch kranken Sohn nicht in seinem Haus haben möchte Wenn ich eine Therapie machen, kann ich mich bei ihm melden«, sagt er und lacht leicht. Ich erkenne jedoch den Schmerz, der hinter diesen Worten steht, anhand seiner brüchigen Stimme und seinen traurigen Augen.
»Das tut mir furchtbar leid. Wo wohnst du momentan?«, frage ich und kann nicht glauben, dass er so ein großes Päckchen mit sich trägt.
Er stockt einen Moment, ehe er mit den Schultern zuckt.
»In meinem alten Baumhaus. Wenn ich nicht gerade Nachtschicht habe, vertreibe ich mir nach meiner Schicht die Zeit bis es dunkel wird und schleiche mich dann in den Garten. Momentan habe ich nicht so viel auf der hohen Kante und habe noch keine passende WG gefunden«, meint er und ich nicke leicht.
»Du kannst mit zu mir kommen«, biete ich ihm an und er schüttelt mit dem Kopf.
»Ich habe dir das nicht erklärt, um mir Mitleid zu erhaschen«, sagt er und ich lächle leicht.
»Das weiß ich. Das ist kein Mitleid, sondern ein Befehl. Du wirst nicht wieder in das Baumhaus zurückkehren, okay? Ich habe noch ein Zimmer in meiner Wohnung und ich kann dich mit durchfüttern bis du etwas Eigenes gefunden hast, okay?«
Kyle sieht mich mit großen Augen an und ich kann die Zahnräder in seinem Kopf förmlich rattern hören.
»Ich dulde kein Nein. Du kommst mit zu mir und wir gründen eine eigene WG«, sage ich und er lacht leicht, ehe er nickt.
»Ich habe noch ein bisschen Geld auf meinem Sparbuch und könnte es dir geben, wenn du willst. Es wird vielleicht nicht so viel sein, aber so hätte ich wenigstens kein schlechtes Gewissen!«
Ich sehe ihn grübelnd an und schüttele den Kopf.
»Du behältst das Geld. Ich möchte nicht prahlen, aber mein Dad überweist mir monatlich genügend Geld, dass locker fünf von uns versorgen konnte. Wir kriegen das schon hin, okay?«
Kyle seufzt und nickt ergeben.
»Ich werde mich erkenntlich zeigen, das schwöre ich dir!«, meint er und ich lächle.
»Okay, dann lass uns bezahlen und deine Sachen abholen«, sage ich und er sieht mich kurz überrumpelt an und schüttelt dann mit dem Kopf.
Er klopft auf seinen Rucksack.
»Der Rest befindet sich in meinem Schrank im Krankenhaus«, sagt er und ich nicke.
»Okay, dann eben morgen. Ich muss jedoch meinem Vater Bescheid sagen, okay? Keine genaueren Gründe, aber er muss wissen, dass du bei mir wohnst. Andernfalls geht er wohl direkt davon aus, dass wir zwei ein Paar sind und das würde ihm sicherlich nicht gefallen. Er ist immer ein bisschen eigen, was seine einzige Tochter angeht«, meine ich und er nickt lachend.
»Das ist okay. Ich will dir wirklich nicht zur Last fallen«, sagt er und ich winke ab.
»Dafür sind Freunde doch da, nicht?«
Er nickt und ich lächle zufrieden.
»Dann lass uns fahren und unseren Plan in die Tat umsetzen«, sage ich und erhebe mich vom Stuhl.
Schweigend laufen wir zum Tresen, als er mich am Arm zurückhält.
»Das ist es. Wir können Dr. Sexy, wie du ihn immer nennst, eifersüchtig machen«, sagt er und ich lache leicht, schüttele jedoch den Kopf.
»Das wäre wohl keine gute Idee, aber danke. Ich behalte es im Hinterkopf!«, versichere ich ihm. Kyle grinst nur und die Anspannung in ihm ist wie weggeblasen.
»Schade, wäre sicherlich witzig gewesen«, meint er nur und ich grinse schief, bevor wir uns endlich auf den Weg machen und das Essen bezahlen.
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Was haltet ihr von Kyles Geständnis? Und wie findet ihr Elizas Reaktion?
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