Windstärke 9 | Wyatt
Die Bilder von Sky, Wyatt, Rock, Cam, Levi und Xander hat die künstliche Intelligenz von Midjourney nach meinen vorgegebenen Stichpunkten auf Discord kreiert. Die Canva App habe ich fürs Erstellen der Collage genutzt. Levi hat hier »leider« Haare, also habe ich seine Rübe nach oben rechts verschieben müssen. Musst du sie dir eben wieder wachsen lassen, wenn du in der Mitte des Bildes sein willst, mein Freund. 😂
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Ich biege in die Einfahrt zum Walmart am Judge Perez Drive, als das Handy klingelt.
Meine Augen schnippen zum Display des Bordcomputers. Es ist Rocky.
Nicht zu fassen, dass sich der kleine Pisser sechs Tage Zeit gelassen hat, um auf meine Textnachricht zu reagieren. Am liebsten würde ich ihn so lange durchklingeln lassen, dass er bei meiner grantigen Bandansage rauskommt. Aber allein die Möglichkeit, dass ihm etwas passiert sein könnte, lässt mich einknicken.
»Ihre Frau wurde vor ihrem Blumenladen in der Paris Road von einem Pkw erfasst. Es tut uns leid, Mister Byrne, aber sie ist noch vor Ort ihren Verletzungen erlegen.«
Ich erinnere mich an jedes Wort von Officer Jace, dessen Anruf ein klaffendes Loch in meine Brust gefetzt und alles Gute darin in Stücke gerissen hat.
Zähneknirschend presse ich meinen Daumen auf den Rufannahmeknopf am Lenkrad. Im nächsten Moment ertönt Rocks Stimme über die Freisprecheinrichtung im Inneren meines lackschwarzen SUV.
»Hey Wy, hast du einen Moment für mich?«, fragt er zögerlich.
In mir flammt der Impuls auf, ihm zu sagen, dass ich auf ein Lebenszeichen von ihm gewartet habe und mir gerade ein Tonnen schwerer Stein vom Herzen fällt. Oder dass ich mir so viel Zeit für ihn nehmen werde, wie er braucht.
»Klar Rocky, wir können gern über alles Mögliche reden – sobald du deine Mutter angerufen hast«, presse ich stattdessen hervor. Er japst nach Luft, bestimmt um zu widersprechen, doch ich bin schneller. »Und ich meine anrufen – keine Mail, keine Sprachnachricht, kein Telegramm und keine verschissene Brieftaube. Du wirst mit ihr sprechen, mein Freund. Sie stand gestern Abend verheult vor meiner Tür, weil du sie seit über zwei Wochen entweder mit Textnachrichten vertröstest oder komplett ignorierst«, sage ich. »Dad nimmt es nicht ganz so schwer, der ist ein harter Hund, aber Mom–«
»Schon gut«, stöhnt Rock, »ich hab es ja verstanden. Es tut mir auch leid, dass ich bis jetzt noch nicht dazu gekommen bin. Die letzten Wochen waren der absolute Irrsinn. An einem fremden Ort wieder komplett von null anzufangen, ist verdammt hart. Nach der Arbeit bin ich völlig im Eimer und die Version von mir will ich den beiden – oder dir – nicht zumuten.«
Ich verenge die Augen zu Schlitzen.
»Alles, was ich höre, ist: ›Ich, ich, ich.‹ Sie will einfach kurz deine Stimme hören, verdammte Kacke«, schieße ich zurück. »Ist doch nicht zu viel verlangt und ganz ehrlich ...« Ich lecke mir über meine viel zu trockene Unterlippe. »Man weiß nie, wie lange sie noch da sein werden, um unsere Anrufe entgegenzunehmen.«
Mein Bruder gibt ein genervtes Schnauben von sich.
»Jetzt mach aber mal halblang, du ...«
Doch seine Stimme gerät in den Hintergrund, als ein silbergrauer Subaru rückwärts aus seiner Parklücke in der Nähe des Eingangs ausschert.
Jackpot, die gehört mir.
Scheinbar denkt sich das auch mein Hintermann, der mir inzwischen so dicht am Kotflügel klebt, dass ich den Luftzug seines Atems im Nacken spüren würde, wären wir nicht von Metall und Glas umgeben. Wahrscheinlich will er überholen, um sich die Lücke vor mir zu schnappen. Aber das kann er sich abschminken.
Ich reiße das Lenkrad nach rechts, sodass meine linke Seite aufgrund der aufkommenden Fliehkraft gegen die Autotür knallt und Tates Krallen über den Beifahrersitz schaben. Dabei trägt er ein Sicherheitsgeschirr und ist gut angeschnallt.
»Das war Scheiße. Tut mir leid, alter Junge«, keuche ich, als wir nach einem halsbrecherischen Manöver aus The Fast and the Furious: Tokyo Drift genau zwischen den weißen Linien zum Stehen kommen.
Mein Hintermann drückt auf die Hupe. Bestimmt musste er eben ordentlich in die Eisen gehen. Trotzdem hält sich das schlechte Gewissen in Grenzen.
»Lass nächstes Mal einfach Abstand, du Arschbacke«, motze ich im Schutz meines Glaskokons und widerstehe dem Drang, ihm den Mittelfinger zu präsentieren, wenn er mich schon nicht hören kann. Aber man weiß nie, ob man einen Voll-Psycho mit Schrotflinte im Handschuhfach vor sich hat.
Mein Bruder erinnert mich mit einem Räuspern daran, dass ich ihn noch immer am Telefon habe.
»Wy?«
»Sorry, ich hatte hier nur gerade ein mildes Zerwürfnis mit einem anderen Verkehrsteilnehmer«, sage ich. »Kannst du nochmal alles wiederholen?«
Rock atmet scharf ein.
»Shit, alles okay, Mann? Willst du erstmal rechts ran fahren oder so? Ich wusste nicht, dass du im Auto bist.«
»Nein, alles gut. Ich hab inzwischen geparkt.«
Kurz raschelt es in der Leitung. Dann ist das Klacken einer Tür zu hören.
»Wo bist du denn?«
»Walmart«, antworte ich. »Du hast also genügend Zeit, Mom anzurufen und wir reden, wenn ich zu Hause bin. Ich meld' mich heute Abend nochmal.«
Rock knurrt in die Sprechmuschel.
»Jetzt ... warte doch mal. Ich brauch' wirklich dringend deinen Rat. Bitte, Wy.«
»Also gut«, stöhne ich. »Was ist denn los?« Keine Ahnung, warum ich es nicht schaffe, ihm gegenüber hart zu bleiben.
»Von Sky hab ich dir erzählt, oder?«
Ihr Name jagt mir einen Schauer die Wirbelsäule hinunter. Oder ist es die Anerkennung und Wärme in der Stimme meines Bruders? Meine Lider zucken. Ich kneife sie fest zusammen.
»Bestimmt, ja«, antworte ich mit einer vorgetäuschten Lockerheit, die ich nicht fühle.
»Sie ist die Tochter des Kommandanten und sollte mich ganz am Anfang hier rumführen. Irgendwie hat es gleich gefunkt zwischen uns. Wir haben uns auch schon zweimal allein getroffen«, erklärt Rock, bevor er hörbar ausatmet. »Mich hat's voll erwischt.«
Meine Hände schließen sich fest ums Lenkrad. Ich bin froh, dass er mich gerade nicht sehen kann. Seit seinem ersten Tag in Kodiak habe ich nur darauf gewartet, diesen Satz von ihm zu hören. Diesen oder unzählige Versionen davon, die sich allesamt beschissen anfühlen.
Dazu habe ich kein Recht. Das ist mir klar.
Wenn ich nur nicht permanent daran denken müsste, wie Sky damals vor mir stand – in diesem verdammten kornblumenblauen Bikini, mit einem Kopf voller chaotischer rotblonder Locken.
In meiner Fantasie verwandelt sich das Mädchen von früher in die Frau von heute. Mein Schwanz zuckt bei der Erinnerung an den explosiven Orgasmus, den mir die Vorstellung heute Morgen unter der Dusche beschert hat. Ich konnte einfach nicht anders, als die Hand um meinen Schaft zu legen. Sky hat mit ihrem Auftritt im Fernsehen meinen Körper zu neuem Leben erweckt, meinen Hunger entfacht.
Aber das muss aufhören und ich werde genau jetzt damit anfangen.
»Klingt doch super«, ringe ich mir ab, bevor mein Bruder denkt, dass ich nicht richtig bei der Sache bin. »Wo ist das Problem?«
Er seufzt.
»Sky ist die absolute Hammerfrau – sexy, athletisch und geradeheraus, aber unsere ganze Ausgangssituation ist total abgefuckt. Ich weiß nicht, ob es clever ist, mich darauf einzulassen. Mich auf sie einzulassen. Verstehst du, was ich meine?«
Seine harschen Atemzüge rascheln in der Leitung. Derartig aufgewühlt habe meinen Bruder lange nicht mehr erlebt. Ich hebe die Hände zu einer beschwichtigenden Geste, als würde er hier vor mir sitzen.
»Atmen, Rock«, sage ich ruhig. »Und dann erzählst du mir nochmal ganz genau, was passiert ist. Zusammen findet sich für fast jedes Problem eine Lösung.« Ich lächle hörbar in die Sprechmuschel. »Wie Frank und Jesse James – zwei Gesetzlose gegen den wilden Westen. Weißt du noch?«
Rock entkommt ein einzelner Lacher – steif und unnatürlich wie Plastik.
»Toller Vergleich. Wurde Jesse nicht für ein paar Tausend Dollar Kopfgeld von einem der Ford Brüder der Schädel weggeschossen?«
Ich massiere meine Nasenwurzel zwischen Daumen und Zeigefinger.
»Dann bin ich halt Jesse. Jetzt lenk nicht ab. Ich würde gern heute noch Hundefutter kaufen gehen.«
»Also schön«, wispert er mit belegter Stimme. »Sky ... hat mir gestern anvertraut, dass sie seit Monaten von ihrem Supervisor belästigt wird. Scheiße, am liebsten würde ich mich in meinen Wagen setzen und diesem kranken Wichser einen Besuch abstatten.« Rock gibt ein frustriertes Grollen von sich. »Es kotzt mich schon an, dass Sky und ich uns heimlich treffen müssen. Aber tatenlos mit anzusehen, wie sich der Typ ungestraft an ihr aufgeilt, das packe ich nicht. Du hättest sehen müssen, wie sie gezittert hat, als ich sie darauf angesprochen habe. Fuck, ich kann sie ja noch nicht mal offiziell zu meiner Freundin machen, solange wir beide bei der Küstenwache arbeiten. Wenn er wüsste, dass es einen Mann in ihrem Leben gibt, hätte er vielleicht Schiss und würde die Finger von ihr lassen. So kacke das klingt.«
Es dauert einige Sekunden, bis die Bedeutung hinter seinen Worten zu mir durchsickert. Mein Puls beschleunigt sich.
»Sag mir nicht, dass der Hurensohn seine Position missbraucht und sich an ihr vergriffen hat?«, zische ich. Mir schlägt das Herz bis zum Hals. Ich fühle mich wie ein verdammter Dampfkessel. »Hoffentlich hast du dem hässlichen Stück Scheiße das Herz rausgerissen.«
»Ich bin zwar dazwischengegangen, aber Sky hat gar nicht dergleichen getan.« Rock knurrt seinen Frust heraus. »Auf dem Parkplatz habe ich sie dann zur Rede gestellt. Sie hat völlig dicht gemacht. Ich musste ihr versprechen, nichts zu sagen und mich zurückzuhalten. Eigentlich hätte ich nicht einmal dir davon erzählen dürfen.«
Mein freier Arm lehnt im Fenster der Autotür. Ich vergrabe die Hand in meinen Haaren.
»Scheiße, Rocky, verlangt sie da nicht ganz schön viel von dir? Der Typ gehört suspendiert, schon allein, weil noch andere betroffen sein könnten.« Mit der flachen Hand reibe ich mir über das Gesicht. »Andererseits weiß ich einen Scheiß darüber, wie es ihr damit gehen muss. Wahrscheinlich hat sie Angst, dass man ihr nicht glaubt und fürchtet, dass sie dann Spießruten laufen muss.«
Rocks Atmung prasselt in die Leitung. Für einige Sekunden spricht keiner von uns.
»Fuck, Wy, das ist alles so übel.«
»Kannst du laut sagen«, antworte ich. »Dann sei für sie da, so gut du kannst – und was das heimliche Zusammensein angeht, kann ich dir nur raten, vorsichtig zu sein. Überstürzt nichts, verbringt Zeit miteinander. Schaut, wo euch die Reise hinführt und dann könnt ihr weitersehen, okay?«
»Danke, Wy, das ...« Er räuspert sich. »Ich mag sie, weißt du?«
Ich lasse den Kopf hängen, als wäre meine Halswirbelsäule plötzlich nicht mehr in der Lage, sein Gewicht zu tragen. Mein kleiner Bruder hat keine Ahnung, wie froh ich bin, dass er für Sky da ist. Und wie weh mir das tut.
»Gerne Kleiner. Dann pass auf euch beide auf.« Ich lasse die flache Hand übers Lenkrad streichen. »Und jetzt ruf Mom an, du Penner.«
Mein Mund verzieht sich zu einem schiefen Grinsen.
»Hab dich auch lieb, Big Bro. Bis bald«, sagt er.
Als ich den roten Hörer antippe, um aufzulegen, fühle ich mich zehn Jahre älter.
»Fuck«, brülle ich ins Innere meines Wagens, bevor ich aussteige und Tate draußen am Einkaufswagen-Ständer anleine. Den Supermarkt betrete ich durch eine der elektrischen Schiebetüren.
Mein Schädel brummt. Erschöpft rubble ich mir mehrmals mit der Hand über die gesamte Länge meines Gesichts, als ein harter Gegenstand gegen meinen Unterbauch knallt. Sämtliche Luft verlässt meine Lungen.
Das tat weh.
Mir rutscht mein Mobiltelefon aus der Hand und zerschellt auf dem hellen Fliesenboden. Sofort bilden die Risse auf dem Display eine Art Spinnwebenmuster, bevor es ganz erlischt.
»Verdammte Kacke«, knurre ich das dämliche Ding und natürlich auch mich selbst an.
Ich hebe es auf und ziehe mich am Griff des Einkaufswagen hoch, in den ich offenbar hineingerannt bin. Als ich aufblicke, begegnet mir das herzförmige Gesicht einer hübschen Dunkelhaarigen, deren Hand ihren Mund bedeckt. Die stahlblauen Augen sind weit aufgerissen.
»Tut mir echt leid Ma'am, ich weiß nicht, wo ...«
Jetzt erst fällt mir das etwa fünf Jahre alte Mädchen im Kindersitz des Einkaufswagen auf und mir starrt eine exakte Kopie der Augen ihrer Mutter entgegen.
Ich hab also nicht nur eine Frau, sondern auch gleich noch ihre kleine Tochter umgerannt.
Das ursprüngliche Kapitel war hier noch nicht zu Ende, aber wäre insgesamt zu lang geworden. Den zweiten Teil muss ich aber noch bissel überarbeiten. Mich ärgert es, dass ich gerade so lange für neue Uploads brauche, aber ich hab seit Wochen die totale Blockade.
Habt 'ne schöne Woche.
LG
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