Windstärke 24 | Rock
Von oben prasselt die heiße Mittagssonne auf mich nieder. Es reicht nicht, die Augen zu schließen. Ich muss sie zusammenkneifen.
Sky ist verschwunden, als ich kurz drinnen war, um mir eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank zu holen. Ihr iPhone grinst mich von der gegenüberliegenden Seite der Tischplatte aus an, wo sie vorhin noch gesessen hat.
Jetzt hänge ich hier allein rum und muss mir unqualifiziertes Gequatsche über die New Orleans Ice Wizards anhören.
»Die sollten Jackson austauschen. Der alte Mann hat seine besten Jahre hinter sich«, fachsimpelt Wyatt, als ob er je Ahnung von Hockey gehabt hätte. »Die mussten den schon so oft wieder zusammenflicken, dass er noch eine Knie-Op und zwei Schrauben im Hals von Frankenstein entfernt ist.«
»Pff, alter Mann«, schnaubt mein Vater über den Rand seines Bierglases hinweg. »Deine Mutter ist ein alter Mann.«
Mom, die sich just in diesem Moment mit einer gigantischen Schüssel voller Schichtsalat durch die gläserne Verandatür schiebt, funkelt ihn aus grünen Katzenaugen an. Ihr tiefschwarzer Kleopatra-Lidstrich wirkt immer, als hätte sie ihn sich permanent auf die Lider tätowiert.
Wyatt hält sich die Hand vor den Mund. Seine Schultern wackeln, während Dad sich verlegen am Hinterkopf kratzt. Ist vermutlich besser, wenn er schweigt.
Mom drückt sich den Zeigefinger aufs Brustbein.
»Soll ich euch mal was über diese Mutter verraten?«
Dad presst die Lippen zusammen, als er den Kopf schüttelt.
»Sie schläft heute Nacht in einem Bett, während du, mein Lieber ...« Mom löst den Zeigefinger von ihrer Brust und deutet damit auf meinen Vater. »... es dir auf dem Sofa oder in der leeren Badewanne gemütlich machen darfst.«
Wyatt verliert endgültig die Beherrschung und wirft laut wiehernd den Kopf in den Nacken. Ich frage mich, wo der Stinkstiefel zurzeit seine fröhliche Stimmung hernimmt.
»Mom, deine Mutter-Witze sind viel zu lang«, klärt er sie auf.
Dad drückt sich an den Armlehnen seines Gartenstuhls hoch und schlingt ihr von hinten die Arme um die Taille.
»Genau, die müssen so kurz und knackig sein wie du, Barb.«
Als wolle er ihren Größenunterschied unterstreichen, legt mein Vater das Kinn auf Moms Schopf ab. Die schmiegt sich in seine Umarmung und ich senke den Blick. Manche Pärchen nerven überirdisch mit ihrem dämlichen Dauergeschmuse. Auch wenn es die eigenen Eltern sind.
Ich nehme einen Schluck vom lauwarmen Bier und verziehe das Gesicht.
Ach, du Scheiße. Ist das ekelhaft.
»War bestimmt irgendwann mal lecker, vor zwei Stunden, als noch Kohlensäure drin war.« Ich blicke zu Wyatt auf, der mich amüsiert mustert. »Alles gut bei dir, Baby Bro?«
»Alles Tuttifrutti, und selbst?«
Mein Bruder lässt sich mit verschränkten Armen in seinen Stuhl sinken, der knarzend protestiert. Seine Augen bleiben auf mir liegen.
»Komm schon, Mann, was ist los?«, will Wyatt wissen. »Schmollst du, weil Sky spazieren gegangen ist?« Eine Antwort spare ich mir. »In sich gekehrte Menschen müssen sich manchmal zurückziehen. Mal für sich sein. Das mit ihrem Dad ist auch noch nicht so lange her, vielleicht braucht sie-«
Mit einem viel zu lauten Knall, der meine Eltern zusammenzucken und Wyatt die Stirn kraus ziehen lässt, platziere ich mein Bierglas auf dem hölzernen Gartentisch, sodass etwas goldgelbe Flüssigkeit überschwappt.
Der Grill knistert und knackt hinter uns, während weißer Qualm schnurstracks in den Himmel aufsteigt. Passt zu meinem Gemütszustand.
»Und wer macht dich zum Experten? Bist du der König der Introvertierten oder was?«
Aber was sage ich da? Genau das ist er. Schon immer. Wyatt Byrne frisst alles in sich hinein.
Seine Lippen werden schmal.
»Komm runter, okay?« Er schüttelt den Kopf. »Keine Ahnung, was mit dir los ist, aber-«
»Was war da zwischen dir und Sky? Gestern vor deiner Küche?«
Seine Augen weiten sich, für den Bruchteil einer Sekunde sehe ich eine undefinierbare Emotion darin aufblitzen. Irgendwas stinkt zum Himmel und es ist nicht der Grill.
»Was unterstellst du deinem Bruder, Rocky?«, mischt Mom sich ein, aber mein Blick bleibt an Wyatt kleben.
»Ich hab mich mit ihr unterhalten. Ist doch erlaubt, oder? Und denk mal ganz scharf nach, wessen Schuld es war, dass sie überhaupt erst mit zu mir kommen musste.«
»Ihr habt euch aber nicht nur unterhalten.«
Wyatt verschränkt die Arme vor der Brust.
»Sondern?«
»Keine Ahnung, was ich da unterbrochen hab. Sag' du es mir.«
»Ruhe jetzt«, mischt Dad sich in unser Wortgefecht. Seine Stimmlage bewegt sich irgendwo zwischen einem Flüstern und einem Knurren. »Sie kommt wieder. Reißt euch zusammen, ihr Hornochsen. Sky ist unser Gast. Was soll sie denn von euch denken, wenn ihr euch wie zwei hirnlose Platzhirsche aufführt?«
Skys schlanke Silhouette erscheint unten am Waldrand. Ich hätte wissen müssen, dass es sie früher oder später zum See ziehen würde.
»Oh mein Gott, das Wasser ist ein Traum, Leute«, schwärmt sie.
»Wissen wir.« Dad schmunzelt. »Wir wohnen hier.«
Sky beißt sich auf die Unterlippe. Ihr schüchternes Lächeln raubt mir den Atem. Wie kann man so verdammt süß sein?
»Das stimmt natürlich.«
Sie kommt näher und mir fällt auf, dass ihre Haare vollkommen trocken sind.
»Warum bist du nicht auch mal kurz reingehüpft?«, frage ich sie. Meine Augen muss ich dabei mit den Händen abschirmen, um nicht zu erblinden. Ich könnte schwören, dass die Sonne in den letzten Jahren aggressiver geworden ist.
Sky zuckt mit der Schulter.
»Hatte keinen Badeanzug dabei.«
»Ach Kindchen.« Mom lächelt sie liebevoll an. »Hier kannst du doch auch in Unterwäsche schwimmen gehen. Das ist schon in Ordnung. Es verirrt sich kaum jemand auf unsere Seite des Sees.«
»Meinen Sie wirklich, Mrs. Byrne?«
Meine Mutter verringert die Distanz zu ihr.
»Bitte«, sagt sie und legt den Arm um Skys Schulter. »Nenn mich doch Barb. Sonst komme mir so furchtbar alt vor.«
Skys Körperhaltung entspannt sich langsam.
»Gern ... Barb.«
»Aber hast du nicht vielleicht einen Badeanzug, den sie sich borgen kann?«, richte ich jetzt das Wort an meine Mutter. Ihr entkommt ein einzelner Lacher.
»Na ja, ich könnte schon einen holen, aber meinst du nicht, dass Pfirsiche in einer Schüssel für Melonen zu sehr herum kullern würden?«
Wyatt, der gerade einen Schluck Bier genommen hat, fängt zu husten an.
»Mom, ernsthaft?«, krächzt er. Mein Vater klopft ihm kräftig zwischen die Schulterblätter. Dann dreht Wyatt den Kopf in Skys Richtung. »Auf dem Dachboden steht eine Kiste rum, wo ein alter Bikini meiner Frau drin ist. Ich kann ja mal schauen, ob der noch in Ordnung ist.«
Ich stutze. Wyatt ist mit Anfang zwanzig ausgezogen. Liss war hier nie schwimmen. Nicht, dass ich wüsste. Sie mochte keine Seen.
»Man weiß nie, was in der Tiefe lauert«, hat sie immer gesagt. Warum sollte Wyatt also einen Bikini von ihr auf dem Dachboden meiner Eltern herumliegen haben?
»Oh, okay.« Sky wirkt unsicher. Von mir weiß sie, dass Wyatt um seine Frau trauert. Womöglich ist ihr der Gedanke unangenehm, Kleidung einer Toten zu tragen. Verstehen würde ich es. »Wenn dich das nicht stört«, antwortet sie schließlich.
»Nicht im Geringsten.« Wyatt und trommelt mit den Zeigefingern auf die Tischplatte. »Bin gleich wieder da.«
Damit erhebt er sich, durchquert den Garten und verschwindet hinter der reflektierenden Verandatür.
»Ich muss mal für kleine Tiger«, sage ich. In Wahrheit folge ich ihm, als mein Bruder ruhig und gelassen das obere Stockwerk und dann die schmale gerade Treppe zum Dachboden ansteuert. Noch hat Wyatt mich nicht bemerkt.
Die Tür zur linken Dachkammer quietscht, als er sie aufschiebt. Zum Glück lässt Wyatt sie ein Stück weit offen stehen.
Mein Bruder kniet sich vor eine bunt lackierte Holzkiste, die aussieht, als würde sie einem Zehnjährigen gehören, mit Raketen drauf und dem ganzen Scheiß.
Und tatsächlich, als Wyatt den Deckel abnimmt, kommt darin ein einfacher hellblauer Triangel-Bikini zum Vorschein. Nicht hellblau, die Farbe erinnert mich bei genauem Hinsehen eher an Kornblumen. In dem Ding habe ich Liss noch nie gesehen.
Mein Bruder schließt die Box und kommt auf die Füße. Damit wirbelt er eine Million Staubpartikel auf, die in wirren Mustern planlos um ihn herumtänzeln.
Verdammt, wenn er herkommt, wird er mich auf der Treppe stehen sehen und hier kann ich mich nirgends verstecken.
Meine Augen fallen auf einen zerfledderten weißen Baseball mit roter Kreuznaht und einen kackbraunen Lederhandschuh neben der Tür.
Erneut spähe ich weiter in den Dachboden hinein. Noch ist mir der Rücken meines Bruders zugewandt und die Gelegenheit nutze ich.
Ich schleudere den Baseball voller Karacho in die Ecke vom Dachboden, die für Wyatt zumindest größtenteils vom Schornsteinschacht verborgen sein sollte.
Es scheppert, ich ziehe die Tür ein Stück zu und verschwinde flink wie eine Eidechse die Treppe hinunter und das, dank der Sisal-Stufenmatten, die Mom auf allen Treppen des Hauses angebracht hat, ohne mich dadurch lautstark bemerkbar zu machen.
Ein Mantel aus gespielter Gelassenheit umhüllt mich, als ich in den Garten geschlendert komme. Sky ist gerade dabei, Teller, Wassergläser und Besteck auf unseren Platzdeckchen zu verteilen. Mom legt lavendelfarbene Servietten dazu. Über irgendwas lachen die beiden Frauen, zwischen denen gut dreißig Zentimeter Körpergröße liegen.
Dad hat seinen Stuhl zum Grill geschoben, wo er gerade Wyatts rote Paprikaschoten und viel zu teuren Halloumi-Käse zubereitet, bevor er sich seinen heißgeliebten Rippchen in Barbecue-Marinade zuwenden kann.
»Hey«, trällert Sky, als sie mich entdeckt. »Ich dachte schon, die Ratten haben dich durch den Abfluss in die Kanalisation gezerrt.«
Ich zwinkere ihr zu.
»Keine Ratten heute. Braucht ihr Hilfe?«
Mom winkt ab, ohne den Blick vom Servietten-Stapel zu nehmen.
»Setz dich, Hase«, sagt sie. »Und schone deinen Arm.«
»Aber ich kann-«
Mit zusammen gezogenen Brauen blickt sie zu mir auf.
»Untersteh dich, Rock Byrne.« Ihr Zeigefinger ist auf meinen Gartenstuhl gerichtet. »Hintern. Stuhl.«
Ich gehorche.
»Yes Ma'am.«
Nach ein paar Minuten rascheln Schritte auf dem perfekt getrimmten Rasen. Wyatts Stimme ertönt hinter mir.
»Hab ihn gefunden«, sagt er und Sky hebt den Kopf, um sich nach einem kurzen Lächeln in seine Richtung gleich wieder dem Tischdecken zuzuwenden.
Plötzlich schießen ihre Augen erneut zu Wyatt hoch, der inzwischen neben meinem Stuhl zum Stehen gekommen ist und ihr den gefalteten Bikini hinhält.
Ihr Gesicht wird kreidebleich. Sky rutscht eine Gabel aus der Hand, die mit einem scharfen Knall auf der Holzplattform unter der Tischgruppe landet.
Ich lange zwischen meine Füße um sie aufzuheben.
»Whoa, geht's dir gut, Sky?«
Langsam blinzelt sie in meine Richtung, räuspert sich und sagt: »Ja, klar.« Sky nimmt mir die Gabel aus der Hand. »Ich hatte nur auch mal so einen Bikini. Das war mein Lieblings-Teil, bis ich ihn im Urlaub auf der Wäscheleine vom Hotel vergessen hab.« Sie hebt ihre flatternden Lider zu meinem Bruder. »Danke fürs Ausleihen.«
Mit zusammengepressten Lippen lächelt mein Bruder.
»Nimm ihn, er gehört dir.«
Vor meinen Augen wechselt der Bikini den Besitzer, während meine Gedanken um eine bestimmte Frage kreisen:
Okay, was geht hier verdammt nochmal ab?
• | • | •
Ich lasse das letzte abgeknabberte Rippchen klangvoll auf den Teller zurück klimpern. Die anderen sind schon etwas länger mit dem Essen fertig. Nur mein Bruder hat bis eben auf seinem letzten Stück Grillkäse herumgekaut.
Sonst stören mich die dabei entstehenden Quietschgeräusche nicht so sehr, aber heute hätte ich ihm am liebsten den Hals umgedreht. Auch, wenn mir nach dem Bikini-Vorfall zu seinem Glück keine komischen Schwingungen mehr zwischen Sky und ihm aufgefallen sind. Meine Beobachtungen lassen mich nicht los. Warum das so ist, kann mir selbst nicht erklären.
»Was macht ihr Hübschen denn morgen Schönes?«, bringt mich Mom an den Tisch zurück und schenkt sich dabei neuen Rotwein ein.
Wyatt nimmt einen Schluck Bier, den er geräuschvoll runterschluckt.
»Was ist denn morgen?«
Mom verdreht die Augen neben ihm.
»Sonntag, mein Sohn. Kauf dir einen Kalender.«
Er ignoriert ihre Stichelei.
»Verstehe ...«, sagt er und es bildet sich eine Kerbe zwischen seinen Brauen. »Na, wenn ihr wollt, können wir bei mir im Garten frühstücken. Ich hab Mehl, Eier, Bananen, Nutella und den ganzen Scheiß. Das reicht für Pancakes und danach könnten wir mit dem Boot rausfahren.«
Innerlich schüttle ich den Kopf. Mein Bruder und sein bescheuertes Boot.
Wobei ich gestehen muss, dass ich ihm die Idee mit dem Pancakes-Frühstück gar nicht zugetraut hätte.
Sky schickt mir ein Lächeln über die Tischplatte. Es fährt mir direkt in die Brust.
»Super Idee«, sagt sie. »Sonst retten wir immer nur Leute von Booten. Wär' doch nett zur Abwechslung mal selbst auf einem durch die Gegend zu schippern. Nur so. Zum Spaß.«
Ihre Augen leuchten. Wie könnte ihr da noch irgendwer einen Wunsch abschlagen?
• | • | •
»Das war ein schöner Abend.« Skys Rückseite ist an die Tür zum Gästezimmer gelehnt. »Deine Familie ist super.«
Sie sieht bezaubernd aus. Wilde Locken stehen in alle möglichen Richtungen ab. Der Wind liebt es, mit ihrem Haar zu spielen, damit zu tanzen, als würde keiner zusehen. Und das sieht man jetzt. Der süße kalifornische Wein meiner Mutter ist ihr zu Kopf gestiegen - und in die Wangen.
»Ja, sie haben so ihre Momente.« Ich komme näher, bis uns weniger als eine Armlänge voneinander trennt. Sie lässt mich gewähren, aber aus den Augen lässt sie mich nicht. »Du hast auf jeden Fall Eindruck bei ihnen hinterlassen.«
»Oh, oh«, kichert sie. »Die Formulierung ist nie gut.«
»Quatsch, du hast sie verzaubert«, wispere ich. »Mich folterst du.«
Ich sollte Sky nicht auf die Pelle rücken, nicht ausnutzen, dass sie angetrunken ist. Aber, Scheiße, vielleicht bekomme ich nur diese eine Chance, ihr zu zeigen, was sie verpasst. Sie schluckt hörbar, als ich die Unterarme links und rechts neben ihrem Kopf abstütze, was uns noch näher zusammenbringt. Ihr Atem riecht nicht nach Wein, sondern nach Wassermelone.
»Das ... Ich, ich-«
Skys Pupillen weiten sich, ihr Hinterkopf berührt das Holz, als meine Lippen ihre berühren. Rapide hebt und senkt sich ihre Brust. Ihre Hand landet auf meiner, direkt über meinem Sternum, und natürlich respektiere ich ihren stillen Wunsch, den Kuss nicht zu vertiefen.
Aber dieser kurze Augenblick war es absolut wert.
Sky ist perfekt für mich, ich bin verrückt nach ihr. Gleichzeitig hebt sie meine Welt nicht aus den Angeln. Sie bringt mich nicht um den Verstand. Denn den will ich nie wieder verlieren.
»Rocky ...«, wispert sie gegen meine Lippen.
Mit den Handflächen drücke ich mich vom Türrahmen weg, bringe Distanz zwischen uns.
»Träum süß, Sky.«
Damit verschwinde ich im Nebenzimmer.
Sky träumt gleich dermaßen süß. OMG.
So, so, so süß ...
Lesen auf eigene Gefahr (drei von fünf Chili-Schoten) und vielleicht macht ihr danach etwas lieber euren Abwasch.
Bei Rocky muss ich mich allerdings entschuldigen ...
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