Windstärke 16 | Wyatt
Tag des Absturzes
Der Hahn quietscht, als ich das Wasser abdrehe. Dichter weißer Dampf drängt sich aus der gläsernen Duschkabine in mein Badezimmer. In der prallen Sonne waren es heute um die tausend Grad, trotzdem habe ich warm geduscht, damit ich wegen des Temperaturunterschiedes nicht gleich wieder ins Schwitzen komme.
Meine Füße hinterlassen nasse Abdrücke auf den anthrazitfarbenen Fliesen und doch schlinge ich mir diesmal kein Handtuch um die Hüften.
Den ganzen Tag schon hatte ich das Gefühl, meine Klamotten zu sprengen. Alles kam mir zu eng vor, zu fest, zu viel. Cassidy hat wirklich alle Register gezogen.
Ich kneife die Augen zusammen, als ich wieder an das weiße rückenfreie Häkeltop und ihre super knappen Jeans-Shorts denken muss, die mir freie Sicht auf den Übergang zwischen ihren festen Pobacken und sehnigen Oberschenkeln gewährt haben. Fuck, am liebsten hätte ich meine Zähne im Fleisch ihres kleinen Knackarsches versenkt.
Stattdessen habe ich mich von einer Ablenkung zur nächsten gehangelt. Getränke holen, den gesamten Garten wässern, eine Dokumentation übers Graswachsen – mir wäre alles recht gewesen. Und dann stand Kendra vor mir.
Offenbar hat sich Tate lieber im Schatten verkrochen, statt Stöckchenwerfen zu spielen und so brauchte die Kleine eine neue Beschäftigung.
»Lust an der Entstehung deines Gartenzwergmädchens mitzuwirken?«, schlug ich vor.
Kendra war begeistert, Cass und ihr hübscher Hintern konnten in der Zeit außerhalb meines Sichtfeldes auf der Hollywoodschaukel entspannen und allen war geholfen. Win, win.
Erst haben wir Kendras Ideen in meinem Skizzenbuch festgehalten, dann mit dem Fuchsschwanz einen Holzklotz zurecht gesägt und diesen mit dem Schnitzmesser in Form gebracht. Die Ausarbeitung sämtlicher Feinheiten und Details habe ich übernommen, dafür hat Kendra ihre Figur selbst lackiert. Rote Mütze, braunes Haar, ein rot-weißes Pünktchenkleid und quietschgelbe Gummistiefel – das Endergebnis hat nicht nur mich umgehauen.
Immer wieder habe ich Cassidys Blicke auf mir gespürt. Keine Ahnung, was sich dabei hinter den nachtschwarzen, verspiegelten Gläsern ihrer Sonnenbrille abgespielt hat. Ich weiß selbst nicht, was ich von der stetig anschwellenden Spannung zwischen uns halten soll – oder was sie sich von mir erhofft.
Cassidy ist ein optisches All-You-Can-Eat-Buffet, mit goldener Haut und aufregenden Kurven. Sie füttert mein Kopfkino: Fiebrig gerötete Wangen, ihr zitternder Körper unter mir. Jede Zelle in mir summt, wenn ich mir vorstelle, sie zwischen zerwühlten Laken auf alle möglichen Arten zu verbiegen.
»Reiß dich zusammen«, knurre ich und lasse meine flache Hand einmal quer über den Badezimmerspiegel gleiten. Das Glas beschlägt sofort wieder, denn Gedanken lassen sich nicht einfach wegwischen.
Aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit ist meine Haut noch nicht vollständig getrocknet, als ich barfuß und nur mit schwarzen Boxershorts bekleidet das Schlafzimmer betrete. Meine Augen wandern zum Bett, wo ich Liss im dünnen weißen Trägertop und weißen Hotpants auf Ihrer Bettdecke sitzen sehe. Wie an unserem letzten gemeinsamen Abend vor ihrem Unfall.
Ihr Rücken ruhte an der Polsterlehne, die Beine waren leicht aufgestellt und sie beobachtete mich über den silbernen Rand ihrer Lesebrille hinweg. Jetzt verstaubt ihre Sehhilfe auf dem Nachttisch. Ich habe es noch nicht fertiggebracht, irgendwas von ihr wegzuwerfen.
Bevor Liss mir genommen wurde, hatte ich in meinem kindlichen Leichtsinn angenommen, dass uns noch mindestens sechzig Jahre miteinander bleiben würden. Welch glorreicher Irrtum. Heute bin ich allein mit meinen Erinnerungen, die ohne meine Erlaubnis täglich an Farbe und Tonqualität verlieren. Das Gehirn ist ein Wichser.
»Hey, es wird alles wieder gut, Wy«, höre ich meine tote Frau sagen, dann folgt das dumpfe Knallen des dicken Wälzers, den sie seit Monaten liest. »Meine Besuche werden weniger, irgendwann wirst du mich gar nicht mehr sehen.« Sie zuckt mit der Schulter. »Wäre wahrscheinlich besser für dich.«
Hinter meinen Lidern prickelt es. Ich schüttle den Kopf.
»Du irrst dich«, krächze ich und zwinge mich, weiter zum Bett zu sehen. Wo sie nicht wirklich sitzt.
Ihr warmes Lächeln trifft mich wie eine Abrissbirne.
»Ich wollte immer nur, dass du glücklich bist. Hast du das in den Jahren mit mir nicht gelernt?« Liss seufzt. Ihr Blick gleitet zu einem Ort, den nur sie sehen kann. »Es bringt mich um, dass du meinetwegen leidest. Also hör auf, deine Zeit mit mir zu verplempern. Lass dein Date nicht länger warten und amüsiere dich.«
Ich presse die Lippen aufeinander.
»Das ist kein Date und wir sind auch nicht allein.« Es wird eng in meiner Kehle, aber wenigstens lähmt mich die Trauer nicht mehr. Ich schaffe es, in eine gewöhnliche blaue Jeans zu schlüpfen. Dazu fische ich ein einfaches weißes T-Shirt aus der mittleren Schublade meiner Kommode und lasse es von meinem Zeigefinger baumeln. »Wie ist das?«, frage ich den Geist meiner Frau. Sie zieht ihre Unterlippe zwischen die Zähne.
»Das sieht heiß aus, Baby. Ich liebe weißen Stoff auf deiner sonnengebräunten Haut.« In meiner Fantasie zwinkert Liss mir zu. »Schnapp sie dir, Tiger.«
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Auf der Treppe streife ich mir das T-Shirt über den Kopf und die Schultern. Cassidy erhascht einen Blick auf meinen Oberkörper, bevor ich es über meinen Brustkorb und den Bauch ziehe.
»Wo stecken die zwei?«, frage ich und warte, bis sich unsere Augen wieder treffen. Cassidys Blick wirkt unfokussiert.
»Hm?«
Amüsiert ziehe ich eine Augenbraue hoch. Hat sie mir überhaupt zugehört?
»Kendra und Tate – wo sind sie?«
Mein Gegenüber blinzelt hektisch. Mit dem Daumen deutet sie über ihre Schulter in Richtung Couch, wo sich ihre Tochter und mein Mopsrüde eng aneinander gekuschelt haben. Scheinbar wurden die beiden nach einem langen Tag in meinem Garten von ihrer Müdigkeit übermannt und bilden jetzt ein lebendiges Yin und Yang.
»Oh, äh, da drüben. Ich habe mich schon damit abgefunden, dass ich sie heute Abend nicht vor elf ins Bett kriegen werde«, seufzt Cassidy. »Bye-bye Netflix und Häagen-Dazs. Hallo Little Blue Truck.«
Ich lasse mich auf meinem Lesesessel nieder und mir entkommt ein einzelner Lacher.
»Hey, das Buch ist ein beliebter Klassiker in unserer Wartezimmer-Bibliothek, zumindest für die Kleinen.«
Cassidy schnaubt und nimmt auf der vordersten Ecke der Couch platz.
»Mag sein, aber nach dem tausendsten Mal verfliegt der Zauber. Das kann ich dir sagen«, antwortet sie und nimmt einen Schluck ihrer eiskalten Coke. Dabei rollt ein Tropfen Kondenswasser von der Getränkedose und fällt in den spitz zulaufenden Ausschnitt ihres weinroten Strandkleides, in das sie geschlüpft ist, nachdem sie vorhin ebenfalls bei mir duschen war. Es kostet Überwindung, der Wasserspur nicht mit den Augen zu folgen. Denn da, wo der Tropfen hin rollt, haben sie definitiv nichts verloren.
Mein Gegenüber ahnt nichts vom inneren Konflikt, den ich, dank ihr, auszutragen habe. Gedankenverloren betrachtet sie die schlafende Gestalt ihrer Tochter. Ich muss schmunzeln. So viel Spaß wie heute hatte ich schon lange nicht mehr.
Eigentlich hatte ich geplant, meinen freien Tag damit zu verbringen, am Boot herumzuschrauben. Doch gerade, als ich eine Kühlbox und die Werkzeugkiste auf der Rückbank meines SUV verstauen wollte, standen Cassidy und Kendra in meiner Einfahrt und fragten, ob ich sie zum Lincoln Beach begleite. Da war es gerade mal halb elf, aber mein Außenthermometer zeigte bereits knusprige sechsunddreißig Grad an, also haben wir uns stattdessen für ein paar entspannte Stunden an meinem drei mal sechs Meter großen Pool entschieden.
»Wie viele Tierärzte seid ihr eigentlich?«, holt mich Cassidy in unsere laufende Unterhaltung zurück. »In eurer Praxis, meine ich.«
»Nur mein Kumpel Trev und ich«, sage ich und muss grinsen. »Er ist der Typ Ray of fucking Sunshine, mich würde ich eher als Eigenbrötler bezeichnen. Das passt irgendwie.«
Cassidy legt den Kopf schräg, als sie mich betrachtet.
»Männer, denen die Sonne aus dem Arsch scheint, werden vollkommen überbewertet«, sagt sie. Die kirschroten Lippen sind zu einem wissenden Schmunzeln verzogen.
Den ganzen Tag schon huschen ihre langen Blicke über mich hinweg wie Fingerspitzen. Aber jetzt, wo wir ansatzweise allein sind, ist die Spannung unerträglich geworden.
Sie drückt sich von der Couch hoch und gewährt mir damit einmal mehr tiefe Einblicke in den Ausschnitt ihres Kleides. Kurz überlege ich, meine Suche nach dem Kondenswassertropfen von vorhin wieder aufzunehmen. Ich gehe aber davon aus, das der längst verdunstet und mit einem Atemzug in meine Blutbahn übergegangen ist. Das würde zumindest erklären, warum sich mein Verlangen, sie zu berühren, mit jedem Herzschlag verstärkt.
Als würde sie mir genau das von der Stirn ablesen, umrundet Cassidy meinen Couchtisch beinahe in Zeitlupe, ohne mich eine Sekunde lang aus den Augen zu lassen. Sie infiltriert meinen Wohlfühlabstand und ich wünschte, ich würde das hassen. In Wahrheit macht es mich an, wie sich ihre Körperwärme durch den Stoff meiner Jeans frisst.
Mein Hinterkopf versinkt tief in der weichen Lehne des Sessels. Sie verfolgt jede meiner Bewegungen aus halb geschlossenen Lidern.
»Und was gefällt dir dann?«, frage ich heiser. Meine Kehle ist staubtrocken und kontrahiert um nichts als Luft, als ich schlucke.
Cassidys Mundwinkel zucken nach oben.
»Ich mag grummelnd und verstimmt. Den Typ Mann mit einer permanenten Kerbe zwischen den Augenbrauen.« Mit dem Zeigefinger fährt sie die Stelle nach. Der Saum ihres Kleides kitzelt meine Hand, die bis jetzt locker und abwartend auf der Armlehne ruhte. Ich teste den seidig-weichen Stoff zwischen Daumen und Zeigefinger. Was zur Hölle mache ich hier?
»Keine Ahnung, wen du vor Augen hast. So jemanden kenne ich nicht.«
Meine Stimmlage nimmt ohne mein Zutun die Konsistenz von geschmolzener Schokolade an – warm und samtig – geboren um zu verführen.
»Hm«, erwidert Cassidy leise und wirft einen letzten Blick über ihre Schulter, wo Tate und Kendra noch immer fest schlafen.
Damit scheint sämtliche Zurückhaltung von ihr abzufallen, denn Cassidy beginnt, mit den Fingerspitzen den Stoff ihres knielangen Kleides hoch zu raffen, sodass glatte schlanke Beine zum Vorschein kommen.
Es ist verdammt lange her, dass ich mich dermaßen nach Körperkontakt gesehnt habe. Ich will den Kopf ausschalten, will das hier genießen. Leben statt überleben. Die Wahrheit ist aber, dass ich noch nicht bereit bin, Liss loszulassen. Hinzu kommen meine komplizierten Gefühle Sky betreffend. Es hat etwas mit mir gemacht, das Mädchen, für das ich vor Jahren brannte, als erwachsene Frau wiederzusehen. Und ein dunkler, verdorbener Teil von mir kann es kaum erwarten, erneut vor ihr zu stehen.
Cassidy verdient besseres, als zur schönen Ablenkung zu werden. Noch kann ich das hier einfach abbrechen.
Doch dann landen ihre Knie links und rechts von mir in der Sitzfläche des Sessels und es wird eng in meiner Jeans. Ich kann nicht anders, als meine Hände in ihren Hüften zu vergraben. Fuck!
»Was machst du da, Cass?«, knurre ich, doch das bringt sie nur dazu, sich vollends auf meinen Schritt sinken zu lassen – wo sich gefühlt jeder einzelne Tropfen Blut meines Körpers befindet, den ich nicht zum unmittelbaren Überleben benötige.
»Dich quälen«, wispert sie, »bis du endlich nachgibst. Lass dich einfach gehen, Wy.« Sie lässt die Hüften kreisen und mir wird kurz schwarz vor Augen. Der Luftzug ihres Atems streift meine Lippen, als sie sagt: »Deine Pupillen sind riesig. Du brauchst mich.«
Langsam richte ich mich auf. Ein Arm um ihre Taille zieht Cassidy noch näher an mich heran. Wahrscheinlich würde ich ohne die drei Lagen Stoff zwischen uns einfach in sie hineingleiten. Die Vorstellung entlockt mir ein Knurren. Ich verliere den Kampf gegen die Vernunft.
»Aber nicht hier.« Mit dem Daumen fahre ich ihre volle Unterlippe nach, meine Hand legt sich um ihren Kiefer wie ein Seidentuch.
»Schlafzimmer?«, wispert sie, ohne die Augen von meinen Lippen zu nehmen. Ich lasse meine Hand tiefer sinken, fahre die Konturen ihres Halses nach, fühle ihren Puls. Cassidys Herz rast.
»Zu weit weg«, keuche ich. »Aber vielleicht schaffen wir's zur Kücheninsel. Ich glaube, das erste Mal wird schnell gehen. Und bestimmt nicht sehr sanft. Sicher, dass du das willst?«
Sag nein.
Gott, bitte sag ja!
Überrascht reißt Cassidy die Augen auf. Damit hat sie nicht gerechnet.
»In meiner Fantasie hast du das schon so oft zu mir gesagt, lange, bevor wir uns im Supermarkt begegnet sind. Meinetwegen musst du dich nicht zurückhalten«, haucht sie und mich beschleicht das Gefühl, dass ich auf die Bedeutung hinter ihren Worten achten sollte. Leider ist mein Gehirn gerade völlig unterversorgt. »Küss mich, Wy.«
Weiteren Ansporn brauche ich nicht und berühre ihre Lippen mit meinen. Einige Sekunden bleiben wir so. Mein Mund auf ihrem. Haut auf Haut.
Ihre Mitte reibt bei jeder Bewegung über die harte Beule in meiner Jeans. Ich überrasche Sie mit einem schnellen Stoß nach oben. Cassidy keucht auf und ich nutze die Gelegenheit, um in ihren Mund einzudringen. Mit meiner Zunge necke ich ihre und zeichne die Kurve ihres Gaumens nach. Ein Vorgeschmack darauf, was ich mit einem ganz anderen Teil ihres Körpers anstellen könnte.
Wir kennen uns noch nicht lange und doch gibt sich Cassidy mir vollkommen hin. Es erregt mich, wie sie in den Kuss hinein wimmert und dabei ihre Arme enger um meinen Hals schlingt. Die Haut ihrer Schenkel ist pure Seide. Ich gleite einfach hinauf, höher und höher, bis sie unter dem Saum ihres Kleides verschwinden.
Cassidys Körper bringt einen erwachsenen Mann zum Weinen und das weiß sie auch. Schamlos wölbt sie sich mir entgegen, als ich ihren Arsch umfasse. Ich bin nicht zimperlich, doch sie entlässt ein langes, tiefes Stöhnen.
Das letzte Bisschen Selbstbeherrschung fällt in mir zusammen wie ein Kartenhaus und ich löse eine Hand von ihrer fieberheißen Haut, um sie in diesen chaotischen Erdbeerlocken zu vergraben, auf die so wahnsinnig abfahre und –
Meine Lider fliegen auf.
Scheiße, was für Haare? Das ist der Weckruf, den ich gebraucht habe. Ich kann das nicht durchziehen.
»Warte«, krächze ich, auch wenn ich merke, dass Cassidy gerade ganz woanders ist. Ihre Zunge huscht über meinen Kiefer und schon wieder bin ich kurz davor, sie mir über die Schulter zu werfen und dann über die Arbeitsplatte meiner Kücheninsel zu beugen. Sie reitet meinen Oberschenkel. Ihre Nässe hat mit Sicherheit schon sichtbare Spuren auf meiner Jeans hinterlassen. Vorsichtig umfasse ich Cassidys Oberarme und drücke sanft, bis sie aufrecht vor mir sitzt. Ihr Blick wirkt glasig. »Cass, stopp, das geht so nicht. Es tut mir leid. Ich kann nicht, okay?«
»Aber, ich ...« Abwechselnd schaut sie zwischen meinen Augen hin und her. Hab ich irgendwas falsch gemacht? Findest du mich nicht sexy? Ist es wegen Liss? Was ...«
Statt auf eine Antwort von mir zu warten, fängt sie an, hektisch an ihrem Kleid herumzuzupfen und aus meinem Schoß zu klettern. Sacht nehme ihre Handgelenke.
Wie erkläre ich ihr das denn jetzt?
»Ich hab nicht nachgedacht, Cass.« Meine Schultern sinken mit einem langen Seufzer. »Wir hatten so einen schönen Tag und du hast so heiß ausgesehen. Dann waren wir allein und– Du glaubst nicht, wie gerne ich nachgegeben hätte. Dein Körper ist der Wahnsinn. Vertrau mir, jede Faser meines Körpers hasst mich zum Mond und zurück.«
Daraufhin glättet sich ihre Stirn und die Augen werden weicher.
»Was ist dann das Problem?« Sie schaut zu ihrer noch immer schlafenden Tochter hinüber. »Wenn Kendra einmal schläft, dann schläft sie – und wenn hier 'ne ganze bekackte Blaskapelle durchgerannt kommt.«
»Das ist es nicht.« Ich beiße mir von innen in die Wange. »Versprich mir, dass du nicht sauer wirst.«
Cassidy kräuselt die Stirn.
»Ich kann dir versprechen, was du willst, aber wenn mir deine Antwort nicht gefällt, werde ich tausend prozentig sauer.« Mit der Hand fahre ich mir durch die Haare. Einige Strähnen fallen mir direkt wieder in die Stirn. Cassidy sinkt neben mir auf die Lehne des Sessels. »Erklär's mir, Wy. Ich will es verstehen.«
»Es ist kompliziert«, sage ich. Mein Gegenüber zuckt mit der Schulter.
»Wann sind Beziehungen zwischen Männern und Frauen das nicht?«
»Wenn sie eine Freundschaft nicht für eine heiße Nacht aufs Spiel setzen.« Meine Augen bohren sich in ihre. »Ich verbringe gerne Zeit mit dir. Mit euch beiden. Und wenn ich wüsste, dass wir früher oder später sowieso zusammenkommen, würde ich sagen, wir versuchen es und schauen, wo die Reise hingeht. Aber ich sehe eine Freundin in dir. Eine sehr heiße Freundin, aber du bist mir zu schade für eine schnelle Nummer.«
Sie presst die Lippen aufeinander, bis nur noch eine schmale Linie zurückbleibt.
»Willst du mich gerade ernsthaft in die Friendzone verschieben?« Tränen glitzern in ihren Augen. »Nachdem du mich um ein Haar gefickt hättest?«
Ihre Worte kommen einer Ohrfeige gleich.
»Keine Ahnung, wie ich das erklären soll.«
»Versuch es«, presst Cassidy hervor.
»Einerseits wollte ich deinen Körper, andererseits musste ich an all die losen Enden in meinem Leben denken. Da gibt es so vieles, was ich verarbeiten muss, bevor ich eine neue Frau in mein Leben lasse und du hast eine Tochter. Wir haben inzwischen schon so viel Zeit zu dritt verbracht. Wir sind Freunde. Aber wenn du und ich zusammen in der Kiste landen, verkompliziert das alles«, sage ich. Cassidy japst nach Luft, um zu antworten, doch ich bin schneller. »Da ist kein Funke zwischen uns, Cass. Wir mögen uns und sind beide rollig. Das mag erstmal genügen, wenn beide allein und ungebunden sind, aber–«
»Aber nicht, wenn Kinder involviert sind. Du hast recht.« Cassidy ringt sich ein Lächeln ab. »Also keine Chance für uns, hm?«
Statt ihre Frage mit einem Nein zu beantworten, streichle ich ihre Hände, die sich noch immer in meinen befinden, mit den Daumen.
»Ich meinte, was ich gesagt hab«, ergreife ich schließlich doch das Wort. »Es ist schön mit euch im Garten rumzuhängen und Gartenzwerge zu basteln. Ihr haucht mir neues Leben ein und möchte für euch da sein. Für Kendra und dich würde ich mir sogar die Sonne aus dem Arsch scheinen lassen. Manchmal.«
Cassidy kräuselt die Nase.
»Wirklich?«, fragt sie ungläubig, »Dann zeig mal, was du kannst.«
Wie gewünscht, fletschte ich die Zähne. Mein Gegenüber beißt sich auf die Unterlippe.
»Das war furchtbar, Wy.« Das Lächeln oder der ganze heutige Tag? Ich bleibe stumm, denn Cassidy öffnet den Mund, als hätte sie mehr zu sagen. »Ehrlich gesagt, habe ich Zweifel, wie wir nach der Nummer ...« Sie vollführt eine kreisende Geste mit dem Zeigefinger. »Ich meine, wie wollen wir nach dem, was gerade passiert ist, als bloße Freunde weitermachen?«
»Cass ...«
Sie hebt die Hand zwischen uns.
»Gib mir Bedenkzeit, okay?« Sie steht auf und begibt sich zur Couch, wo sie die Hand auf Kendras Schulter legt und sanft rüttelt. »Ich bringe sie erstmal heim und melde mich in den nächsten Tagen bei dir.« In dem Moment lassen uns die ersten Klänge des Songs Fire von Jimi Hendrix zusammenfahren. Cassidy springt auf. »Was zur Hölle ist das?«
»Mein Handy«, brumme ich. »Es muss hier irgendwo sein.« Mein Kopf wippt zum Couchtisch, wo ich es neben einem Haufen Veterinär-Zeitschriften entdecke. »Hab's«, rufe ich über meine Schulter und drücke den grünen Hörer, ohne nachzusehen, wer dran ist. »Byrne?«
Sofort dringen tiefe Schluchzer in meinen Gehörgang.
»Wy?«
Ich würde diese Stimme unter tausenden erkennen.
»Mom, bist du das? Was ist denn los?«
Zittrige Atemzüge rascheln in der Leitung.
»Dein Bruder«, kommt es nach ein paar Sekunden zurück. »Er hatte einen Unfall.«
Meine Hand verkrampft sich um die Kante der Tischplatte, ich umklammere mein Handy so fest, dass ich nicht überrascht wäre, wenn es gleich in seine Einzelteile zerfällt.
»Was bedeutet das, Mom? Einen Autounfall, oder ...« Oder schlimmer? Die Worte bleiben mir im Halse stecken.
»Helikopter«, presst die hervor, dabei entfährt ihr ein Hicksen. Kraftlos setze ich mich auf die vordere Kante der Couch. Kendra schläft in meinem Rücken. Völlig ahnungslos hinsichtlich der Gefahren dieser Welt. Darum beneide ich sie.
Kurzzeitig schließe die Augen. Cassidy erscheint an meiner Seite und legt mir eine Hand auf den Rücken.
»Ist er ...?«
Es raschelt in der Leitung.
»Hallo Sohn«, ist plötzlich eine tiefere Stimme zu hören.
»Ist er tot, Dad?«, frage ich und reibe mir mit der flachen Hand über das Gesicht.
»Nein«, brummt er. »Aber verletzt. Er kommt in drei Tagen heim.«
Ich vergrabe beide Hände in meinen Haaren.
»Nach Hause? Nach New Orleans?«, frage ich. Mein Vater schnieft.
»Ja, nach Hause. Zu uns, aber–«
»Ich fliege nach Alaska, Dad«, grätsche ich dazwischen. »Ich hole ihn.«
Jetzt wissen die Byrnes was passiert ist und holen ihren Rocky nach Hause. Hättet ihr als nächstes gern ein Kapitel aus seiner Sicht oder was schwebt euch vor?
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