Epilog | Cam
Zwei Jahre später
Dass ich eines Tages nach Kayak Island zurückkehren würde, hätte ich niemals für möglich gehalten. Aber Sky hat mir ein Geschenk gemacht, dass ich nicht ausschlagen konnte.
»Hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau«, höre ich meinen ehemaligen Kollegen Joseph Carson sagen, der sich schon zu meiner Zeit hier als Trauungsbeamter hat registrieren lassen, da sich Leuchtturm-Hochzeiten auch damals wachsender Beliebtheit erfreuten. »Du darfst deine Braut jetzt küssen.«
Sky quiekt vergnügt, als Wyatt sie in einem Ruck an der Taille zu sich heranzieht und ihre Münder in einem stürmischen Kuss vereint.
Am Strand hinter ihnen stapelt sich verblichenes Treibholz und die untergehende Sonne taucht Andrews geliebte Haifischflosse in rötliches Licht. Offiziell wird der einzeln stehende Felsen auf einer kleineren Insel an der Spitze des St. Elias Kaps Pinnacle Rock genannt.
Es ist seine raue Schönheit, die mich an diesem Ort am meisten fasziniert, seine Ecken und Kanten. Und den beiden jungen Menschen da vorn habe ich es zu verdanken, dass ich das Kap künftig wieder mit freudigen Erinnerungen verbinden kann.
Als ich hier lebte, gab es für mich nichts Schöneres, als die Insel vom Aussichtspunkt des Leuchtturms zu überblicken, der hinter uns auf einem steilen Abhang thront.
Der quadratische Turmschacht ragt von der Ecke des Nebelsignalgebäudes auf. Sein schneeweißer Anstrich steht im Kontrast zur roten Laterne, auf deren Plattform mir eine einsame Gestalt ins Auge fällt.
Carsons ersten und zweiten Leuchtturmwärter-Assistenten habe ich gleich bei meiner Ankunft kennengelernt. Bei dem jungen Mann da oben muss es sich somit um den dritten Assistenten handeln.
Der Fremde hat sich nach vorn über das Geländer gebeugt. In langen Abständen zieht er an seiner Zigarette, während dunkle Korkenzieherlocken in der Brise spielen. Dabei starrt er einfach gerade aus.
Sam drückt meine Hand, langsam blinzle ich zu ihr hinunter.
»Na komm, lass uns den beiden Turteltäubchen gratulieren gehen«, sagt sie.
Ich drehe dem jungen Mann auf der Plattform fürs Erste den Rücken zu. Gemeinsam schlendern meine Frau und ich vor zur Wasserlinie, wo sich Sky und Wyatt noch immer lächelnd in den Armen halten.
Sky hat sich für ein einfaches weißes Strandkleid entschieden. Weiße Röschen und Schleierkraut wurden wie eine Krone in ihrem sonst offenen Haar verflochten, das im Abendlicht noch kräftiger leuchtet als sonst.
»Meine Kleine!«, mache ich Sky auf mich aufmerksam. Ihr Lächeln trifft mich mit der Wucht einer Sturmwelle und genauso überschwänglich umarmt sie mich auch. »Ich wünsche euch alles erdenklich Gute. Und ein langes glückliches Leben zusammen.«
Sky drückt die Seite ihres Gesichts gegen meine Brust. Ihre Arme schließen sich um meine Taille.
»Danke Cam, es bedeutet mir unendlich viel, dass ihr hier seid«, sagt sie und schenkt erst mir und dann Sam ein strahlendes Lächeln.
Langsam lösen wir uns voneinander und ich wende mich ihrem Ehemann zu. Wyatt trägt ein lockeres weißes Hemd und eine schwarze Stoffhose, sein längeres Haar ergibt sich den Launen des Windes. Er kann den Blick kaum mehr als zwei Sekunden am Stück von seiner brandneuen Frau abwenden, so als wäre heute ein Traum für ihn in Erfüllung gegangen.
»Glückwunsch, mein Junge. Hüte sie wie deinen Augapfel«, sage ich und nicke mit dem Kopf in Skys Richtung.
Wyatt verzieht den Mund zu einem jungenhaften Grinsen.
»Du kennst mich, Cam. Ich würde für Sky durch Feuer gehen.«
Wir kommen in einer festen Männerumarmung zusammen. Beherzt klopfe ich Wyatt zwischen die Schulterblätter.
Im nächsten Moment landet eine manikürte Hand auf seinem Oberarm. Als Wyatt sich herumdreht, kommt Barb hinter seinem großen Körper zum Vorschein und strahlt ihren Sohn mit schimmernden Augen an.
»Wy, mein Lieber, du hast mir eine kleine Fotosession mit deiner Süßen am Strand versprochen und wenn wir das noch lange rausschieben, ist die Sonne ganz weg.«
Elisabeth kommt dazu und wirft ihr den Arm um die Schulter.
»Eben, wir brauchen genügend Bildmaterial, um euer Haus zu tapezieren«, sagt sie. »Mal sehen, ob wir überhaupt noch ausreichend Speicherplatz haben, nachdem Barb schon allein von der kleinen Maus da drüben eine Million Bilder gemacht hat.«
Über ihre Schulter deutet sie auf Rocky, der seiner dreijährigen Adoptivtochter Bailey einen Kuss auf die Wange drückt und den freudig quiekenden Blondschopf an seine Frau Francine weiter reicht.
Wyatt legt mir die Hand auf die Schulter.
»Entschuldige mich, Cam. Sieht aus, als hätten Sky und ich noch was zu erledigen, bevor wir uns auch endlich entspannen können. Wir sehen uns auf der Party«, sagt er und mir entkommt ein einzelner Lacher. Ist zwar lange her, aber ich kenne das.
»Ja, wir sehen uns. Halt' durch, mein Lieber.«
Von hinten schlingt Samantha ihre Arme um meine Taille.
»Schöne Zeremonie, nicht wahr?« Sie seufzt. »Es ist ... seltsam, wieder hier zu sein.«
Langsam wende ich mich in ihrer Umarmung, bis wir uns von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Ich berühre ihr Kinn mit den Fingerspitzen. Samantha haucht mir einen Kuss auf den Kiefer.
»Geht mir genauso. Ich bin froh, dass Sky die Idee hatte, hier zu heiraten.«
Sams Augen schweifen zur Brandung. Ihre langen braunen Haare schwirren um sie herum wie ein dunkler Schleier.
»Denkst du, er ist da draußen irgendwo?«, wispert sie gerade laut genug, dass ich sie über das Meeresrauschen hinweg verstehen kann.
Sachte streichle ich über ihren nackten Oberarm. So langsam setzt die blaue Stunde ein. Das Meer erstrahlt in Blau- und Lilatönen und breitet sich wie ein wallender Seidenschal vor unseren Augen aus.
»Das möchte ich zumindest gern glauben. Ich möchte glauben, dass wir uns irgendwann alle wiedersehen«, sage ich. Sams Augen glitzern, als ihre Lider zu mir hoch flattern. Eine Träne löst sich aus ihrem Augenwinkel und ich fange sie mit der Rückseite meines Zeigefingers auf.
»Ich liebe dich, Cam«, sagt sie und es wird eng in meiner Kehle.
Das ist noch so eine Sache, von der ich nie erwartet hätte, dass ich sie noch einmal von ihr höre. Schon gar nicht hier.
»Ich dich auch und egal, wie schlecht die Sicht wird, du wirst immer mein Nebelhorn bleiben und mich führen, bis ich wieder sicheren Boden unter den Füßen habe.«
»Leuchtturmwärterromantik«, witzelt sie. Ich küsse ihre Schläfe und Seite an Seite bestaunen wir den weichen, friedlichen Wellengang.
• | • | •
»N'Abend, junger Freund«, keuche ich. Die paar Treppen zur Plattform des Leuchtturms hinauf waren kein Problem für mich, als ich sie das letzte Mal hinaufgestiegen bin. Aber die letzten vier Jahre und der Verlust zweier mir sehr nahestehender Menschen haben ihre Spuren auf mir hinterlassen.
»N'Abend, Sir«, murmelt der introvertierte Lockenkopf zurück, ohne den Blick vom Horizont abzuwenden oder seinen Platz am Geländer aufzugeben.
Ich räuspere mich.
»Keine Ahnung, ob Ihnen das schon jemand gesagt hat, aber die Leuchtturm-Mitarbeiter sind auch alle zur Feier eingeladen. Sie wollen doch bestimmt was essen, oder?«
Er nimmt einen langen Zug von seiner Zigarette.
»Ja, ich weiß Bescheid. Mich wollte vorhin schon eine runter locken. Nichts gegen Sie und Ihre Freunde, aber ich hab's nicht so mit Fremden«, sagt er.
»Und wie steht es mit ehemaligen Leuchtturmwärtern?«
Zögerlich mustert mich der junge Mann von der Seite.
»Sie sind Cameron Heynes?«
»Der einzig Wahre.« Scherzhaft salutiere ich ihm. »Ich sehe, mein Ruf eilt mir voraus«, sage ich und geselle mich zu ihm an die Reling. »Ist alles in Ordnung bei Ihnen? Sie stehen schon eine halbe Ewigkeit allein hier rum und starren ins Leere.«
Er schließt kurz die Augen und atmet langsam aus, bevor er sich aufrichtet und mich zum ersten Mal richtig ansieht.
Die dunklen Locken hängen ihm tief in die Stirn, weshalb mir seine Heterochromie nicht sofort auffällt. Ein Auge ist haselnussbraun, das andere blaugrau. Er pustet sich die Haare aus dem Gesicht, aber sie schnippen direkt wieder an ihren vorherigen Platz zurück.
»Hören Sie, es ... tut mir leid ... das mit Ihrem Sohn, aber ich kann mich nicht einfach unters Volk mischen und den Leuten unter einem anderen Namen vorstellen, bloß damit heute niemand an seinen Tod erinnert wird.«
Als müsste dafür erst jemand seinen Namen sagen.
Ich stütze die Unterarme auf dem Geländer ab, um mit ihm auf Augenhöhe zu bleiben, auch wenn meine Lendenwirbelsäule schmerzhaft zum Protest ansetzt.
»Sie heißen also Andrew und wurden gebeten, das hier keinem zu sagen?«, frage ich und lache humorlos auf. »Das ist bestimmt auf Carsons Mist gewachsen, oder?« Als der junge Mann die Lider senkt, statt zu antworten, sage ich: »Der tänzelt auf Eierschalen um mich herum, seit ich heute aus dem Flugzeug gestiegen bin und er meint es gut, aber ... Sie dürfen ihn nicht so ernst nehmen. Was er da von Ihnen verlangt hat, ist vollkommen daneben.«
Schweigend zieht Andrew mit den Zähnen am Filter eine weitere Marlboro aus ihrer zerknitterten, halbleeren Packung. Ich nehme ihm das Feuerzeug ab und zünde sie ihm hinter vorgehaltener Hand an.
»Wow«, murmelt er um die Zigarette. Rauch drängt sich aus seinem Mund und den Nasenlöchern. »Bei mir geht das Ding im Wind andauernd wieder aus. Wollen sie?« Er hält mir den qualmenden Glimmstängel vors Gesicht und ich bekomme einen Hustenanfall.
»Danke, nein. Ich wäre glücklicher, wenn sie mich zur Party begleiten. Meinetwegen müssen Sie sich nicht hier oben verstecken.« Mir entkommt ein Seufzen. »Einfach feiern, die Sau rauslassen, bevor der triste Alltag wieder beginnt.«
»Wer sagt denn, dass ich sowas brauche? Vielleicht mag ich einfach keine Menschen.«
Ich zucke mit der Schulter.
»Weil ich diesen Blick ... diese Hoffnungslosigkeit schon in den Augen von zwei Menschen gesehen habe, die mir wichtig sind. Einer dieser Menschen hat sich von mir scheiden lassen – und der andere atmet nicht mehr.« Eindringlich blicke ich ihn an. »Meine Frau hat die Isolation auf der Insel nicht länger ertragen, mich nicht länger ertragen – und mein Sohn hat entschieden, lieber hier seinen letzten Atemzug zu tun, als im Krankenhaus auf einen schmerzhaften Tod zu warten. Beiden habe ich angesehen, dass etwas nicht stimmte, aber ich habe gewartet. Ich bin nicht sicher, worauf. Dass sie mit ihren Problemen zu mir kommen, schätze ich.«
»Und sind sie das?«, murmelt er gedankenverloren. »Zu Ihnen gekommen, meine ich?«
»Nein«, sage ich. »Und deshalb bitte ich Sie um eine ehrliche Antwort, wenn ich sie gleich nochmal frage, ob bei Ihnen alles in Ordnung ist.«
Andrew blinzelt langsam, als müsste er darüber länger nachdenken.
»Ich bin aus den falschen Gründen hergekommen. Wollte der Erinnerung an meine Ex entkommen, hier zur Ruhe kommen, ehrliche Arbeit verrichten, vielleicht ein wenig malen«, sagt er. »Jetzt bin ich hier und– Keine Ahnung, Mann. Ich hab den Weg verloren, mein Haus verkauft, mein Auto, um an den Arsch der Welt zu ziehen. Weg von allem. Und jetzt weiß ich nicht mehr, wer ich bin oder wo ich hin will. Hier bin ich aber auch nicht glücklich. Mir fehlt das Wofür und das macht mich wahnsinnig.«
Ich lege ihm die Hand auf die Schulter.
»Vielleicht ist Abgeschiedenheit nicht das Richtige für Sie. Manchen Menschen tut Ablenkung gut, um mit schwierigen Lebenssituationen fertigzuwerden. Erinnern Sie sich, wie schön das Leben sein kann. Meine Freunde da unten sind einige der besten Menschen, die Sie je kennenlernen werden.« Ich stelle ihm meinen Zeigefinger aufs Brustbein. »Geben Sie sich einen Ruck und kommen Sie mit mir.«
»Ich fasse es nicht«, werden wir von einer weiblichen Stimme unterbrochen. Erschrocken wirble ich zur Treppe herum. Andrew zuckt ebenfalls zusammen, raucht dann aber unbeeindruckt weiter. »So einer sind Sie also.«
Inzwischen ist es schummerig, aber ich erkenne den Neuzugang als Wyatts gute Freundin Cassidy, die mit ihrer kleinen Tochter aus New Orleans eingeflogen ist. Eine hübsche Frau, offenbar ziemlich temperamentvoll. Fast bin ich erleichtert, dass ihr Feueratem nicht gegen mich gerichtet zu sein scheint.
»Und was für einer wäre das?«, erkundigt sich Andrew in einer monotonen Stimmlage, die keinerlei Emotionen preisgibt.
»Die unhöfliche Art«, sagt sie. »denen alle anderen scheißegal sind und die eine freundliche Einladung ausschlagen, obwohl sie absolut nichts Besseres zu tun haben. Kann ich ganz offen sein?«
Meine Brauen schießen hoch, Andrew neben mir wendet sich ihr ganz zu. Locker lehnt er sich rücklings an die Reling.
»Im Gegensatz zu eben, meinen Sie?«
Cassidy faltet die Arme vor der Brust. Der kleine Teller mit Kuchen in ihrem Griff fällt mir erst jetzt auf.
Die junge Frau ignoriert seine Frage und sagt: »Ich verfechte die Theorie, dass Arschgeigen Kuchen brauchen, damit sie wieder Energie für grundlegende Manieren haben.« Sie streckt den Arm mit dem Teller aus. Andrew müsste mindestens drei Schritte auf sie zugehen, um ihr das Ding abzunehmen, aber das tut er nicht. Mit dem Ellenbogen stupse ich ihm in die Rippengegend und nicke in Cassidys Richtung, als er zu mir sieht.
Langsam löst er sich von der Metallstange, an der er angewachsen zu sein schien und bewegt sich auf sie zu. Nach einer unangenehmen Ewigkeit greift er nach dem Teller. Cassidys Lippen sind zu einer schmalen Linie verzogen.
»Ich habe Ihnen vorhin schon gesagt, dass unten für Sie eingedeckt ist und Sie sagten: ›Ich komme gleich runter.‹« Sie äfft ihn mit tiefer Stimme nach und bewegt sich wie ein Grizzlybär, der gelernt hat, auf den Hinterbeinen zu gehen. Die Imitation ist zum Schießen und ich kann ein Schnauben nicht zurückhalten. Andrew wirft mir einen kurzen Blick zu, der mich Verräter schimpft. »Ihre Kollegen erweisen dem Brautpaar auch alle die Ehre ihres Besuchs. Die beiden möchten nicht, dass sich jemand ausgeschlossen fühlt.«
Schon sind die zwei wieder in einen intensiven Anstarrwettbewerb vertieft wie zwei Boxer, die sich im Ring gegenüberstehen, und langsam kommt eine andere Dynamik durch.
»Ich ... ähem ... muss weiter. Wir sehen uns dann unten.«
Damit schiebe ich mich an den Streitlustigen vorbei und erreiche gerade so die erste Stufe, da werde ich von Cassidy aufgehalten.
»Warten Sie, Cam, ich komme mit. Dem Typen ist nicht zu helfen. Er will keine Gesellschaft und hier oben allein versauern? Bitte sehr, soll er haben.«
Sie wirft ihre glatten schwarzen Haare zurück. Andrew lässt sie nicht aus den Augen. Mit einem demonstrativen Hüftschwung dreht sie ihm den Rücken zu, zweifellos, um erhobenen Hauptes davon zu stolzieren, da knick sie mit einem hochhackigen Schuh weg.
Ich schaffe es gerade so, die eine Stufe, die ich herabgestiegen bin, wieder hinaufzusteigen, da zerschellt bereits der Kuchenteller am Boden und Andrew hat Cassidy aus dem Fall in seine Arme gehoben.
Durch dicke Wimpern blinzelt sie sichtlich schockiert zu dem jungen Mann auf. Rein von Aussehen her könnten die zwei ebenfalls als Brautpaar durchgehen.
»Alles okay?«, keucht er. »Hast du dich verletzt?«
Cassidy schüttelt den Kopf.
»Ich bin nur erschrocken und ... dann war da so ein stechender Schmerz in meinem Knöchel. Aber es geht schon wieder. Glaube ich.«
Zum ersten Mal seit meiner Ankunft sehe ich den jungen Mann lächeln.
»Ich bring' dich runter«, murmelt er in das Bisschen Luft zwischen ihren Gesichtern und ich beginne zu hoffen, dass Andrew und Cassidy dieser Anspannung zwischen sich genauer auf den Grund gehen. Ich erkenne einen Funken, wenn ich ihn sehe oder wenn er mir – wie in diesem Fall – beinahe ins Gesicht springt.
• | • | •
Die sich bewegenden Körper im Inneren des beleuchteten Strandzeltes wirken wie ein Schattentheater.
Ich reibe mir die Oberarme. Die Temperaturen sind ordentlich abgesackt, seit die Sonne über den Horizont gekullert ist.
»Cam, da bist du ja.« Sam fällt mir schon an der Zeltklappe in die Arme. »Ich hab' dir ein Stück Kuchen vor den Hyänen gerettet.«
Mit einer kreisenden Handbewegung deutet sie auf die anderen Partygäste.
»Danke meine Sonne, aber mir ist gerade eher nach einem kühlen Blonden.«
»Bedeutet das etwa, dass ich diese sagenhaft köstliche Schokosünde für dich aufessen muss?« Mit gespielter Empörung wirft sie sich die Hand über die Brust. »Das ultimative Opfer – aber für dich erbringe ich es natürlich gern.«
Ich lege den Kopf schräg.
»Ach komm, darauf hast du doch spekuliert.«
Das glockenhelle Kichern meiner Frau fährt mir mitten ins Herz. Es ist kein Laut, den ich als selbstverständlich erachte.
»Vielleicht«, gluckst sie. »Übrigens: Die Getränkekästen stehen ein Stück den Strand runter zur Hälfte im Wasser, damit sie länger kühl bleiben. Ich kann für dich rausgehen und–«
Ich drücke Sam sachte den Zeigefinger auf die Lippen. Ein hinreißender Rotschimmer hat sich über die Wangen meiner Frau gelegt und ich vermute, dafür ist das halbvolle Rotweinglas in ihrer Hand verantwortlich.
»Quatsch, das mache ich selbst«, sage ich und küsse ihre Stirn. »Bin gleich wieder da.«
»In Ordnung, ich muss nochmal kurz rüber ins Gästehaus, aber wir treffen uns dann einfach wieder hier.«
Ich schicke ihr einen Luftkuss, den sie mit einer Hand auffängt.
»Kann es kaum erwarten«, antworte ich.
Anstatt des vorderen Zelteingangs schlüpfe ich durch zwei überlappende Planen an der dem Meer zugewandten Seite nach draußen.
Die Nacht ist klar, über meinem Kopf funkeln Millionen Sterne wie leuchtweiße Diamantensplitter. Ich fülle meine Lungen mit dem salzigen Atem der See, schmecke ihn auf meiner Zungenspitze.
Nichts ist entspannender, als der Brandung zu lauschen. Vom Zelt her dringen Stimmen und Gelächter zu mir nach draußen, während die Band Alphaville davon singt, für immer jung zu sein.
Und dann sind da noch andere Laute, die nicht zur Geräuschkulisse passen. Laute, die ich nicht einordnen kann. Schmatzen und ächzen. Was soll denn das sein? Nach meinem Kenntnisstand gibt es hier keine Waschbären.
Ich ziehe meine Schüssel aus der Hosentasche, an deren Bund nicht nur ein kleines Taschenmesser, sondern auch ein Anhänger mit Taschenlampe baumelt.
»Es wäre doch gelacht, wenn ich nicht rausfinde, was ...«
Ich schalte die Lampe ein und der Lichtkegel fällt auf den Lieutenant und seine Frau Francine, die in eine wilde Knutscherei verwickelt sind.
Als mir klar wird, was ich da gerade unterbrochen habe, stolpere ich rückwärts. Gleichzeitig versuche ich, diese bescheuerte Lampe auszubekommen. Ein böser Fehler.
»Gott, wie peinlich«, kichert Francine. Dann werden ihre Augen groß. »Vorsichtig, Cameron, stolpern sie nicht über die–«
Doch die ihre Warnung kommt zu spät. Eine Zeltschnur drückt bereits gegen meine Kniekehlen und ich weiß, dass ich stürzen werde.
Zeitgleich schnellen Rocky und Francine vorwärts, beide bekommen mich an den Ärmeln meines Hemdes zu fassen und doch nimmt das Chaos seinen Lauf.
Statt nach hinten taumle ich jetzt zur Seite, stoße mit dem Knöchel gegen die untere Querstange des Zeltgerüsts und kippe wie ein fallender Baumstamm ins Innere. Die Zeltplanen geben nach. Die beiden jungen Leute krallen sich an mir fest, was nur zur Folge hat, dass wir in einem Wirrwarr aus Armen und Beinen übereinander vor den Füßen der tanzenden Partygäste landen.
Grundgütiger!
Zum Glück mildert ein Sitzsack meinen Sturz, sonst hätte sich so ein alter Knacker wie ich wahrscheinlich den Oberschenkelhals gebrochen.
Rocky kommt schneller auf die Beine als ein Ninja und hilft seiner Frau hoch, die auf meinem hageren Körper leider alles andere als weich gelandet ist.
»Seid ihr okay?«, krächze ich, bevor auf einmal Sky und Wyatt über mir auftauchen und auch mich mit vereinten Kräften auf die Füße heben.
Wyatt klopft mir den Sand vom Rücken und gestikuliert dann zwischen Rocky, Francine und mir hin und her.
»Was die beiden Ferkel da draußen getrieben haben, ist mir klar. Ihr wart ja gleich verschwunden, als Mom sich bereit erklärt hat, Bailey ins Bett zu bringen«, sagt er. »Aber du passt irgendwie nicht so recht ins Bild, Cam.«
Statt zu antworten, kratzt sich Rocky grinsend am Hinterkopf. Auch Francine ignoriert die Bemerkung ihres Schwagers und greift sich Skys Sektglas.
»Kann ich kurz?«, legt sie eher fest, als dass sie es fragt.
»Nicht! Warte!«, protestiert die Braut, doch Francine leert das halbe Glas in einem Rutsch.
»Was ... ist das für ein Zeug? Das ist ja–« Sie schmatzt mit den Lippen, als würde sie den Geschmack des Sekts auf der Zunge testen. Ihre Augen weiten sich auf die Größe von Untertassen. »Oh mein Gott, ich glaub's ja wohl nicht.«
Wortlos hält sie ihrem Mann die Sektflöte hin, der ebenfalls einen Schluck probiert, diesen aber, im Gegensatz zu Francine, kurzerhand wieder ins Glas zurück spuckt.
»Fuck! Äh!«, ächzt er und wischt sich den Mund demonstrativ am Unterarm ab. »Mit der widerlichen Plärre stößt du auf deine Hochzeit an? Alkoholfrei, igitt!«
Schweigend faltet Francine die Arme über der Brust. Ihr Bob schwingt mit jeder Bewegung.
»Deshalb hast du den orangen Tauchanzug an den Nagel gehängt«, sagt sie. Ein wissendes Lächeln huscht über ihr Gesicht.
Rocky starrt seine Frau an, als wären ihr gerade zwei Köpfe gewachsen. Ich kann mit ihrer Aussage aber ebenso wenig anfangen.
»Sieht aus, als würde Sky in New Orleans nicht so schnell Wasserkompetenztraining für Kinder und Jugendliche anbieten, sondern erstmal ein eigenes Kinderzimmer einrichten«, fährt Francine fort und da verstehe ich, worauf sie hinaus will.
Rocky zieht eine Braue nach oben.
»Wozu brauch sie denn ein Kinder– Oh!« Mit weit aufgerissenem Augen fährt er zu seinem Bruder herum und packt ihn bei den Oberarmen. »Ich werd' Onkel, oder?«
»Wir wollten warten, bis das erste Trimester überstanden ist, bevor wir was sagen«, erwidert Wyatt grinsend und lässt sich von seinem jüngeren Bruder in eine feste Bärenumarmung ziehen, aus der sie sich erst nach rund einer Minute wieder lösen. »Und jetzt, da die Katze auch aus dem Sack ist«, fährt der Bräutigam fort, »können wir uns ruhigen Gewissens für die Hochzeitsnacht zurückziehen.«
Ohne Vorwarnung wirft er Sky die Arme um Beine und Rücken und hebt sie hoch, als wolle er sie über die Schwelle tragen. Seine Frau quiekt vergnügt.
»Ist es schon zwanzig Uhr?«, erkundigt sich Sky lachend. Wyatt küsst ihre Nasenspitze.
»Schon längst.« Er beißt sich kurz auf die Unterlippe. »Und jetzt gehörst du mir, kleine Meerjungfrau.«
Sky lässt sich gegen seine Brust sinken und schlingt ihm die Arme um den Hals.
»Wenn du mich trägst, komme ich überall mit dir hin. Diese engen Ballerinas bringen mich um.«
»Bis morgen«, ruft uns Wyatt über seine Schulter hinweg entgegen, bevor die frisch gebackenen Eheleute hinter derselben Zeltklappe verschwinden, durch die Rocky, Francine und ich vorhin hier hinein gepurzelt sind.
»Ich sag's euch, Leute: Liebe ist verrückt«, höre ich Rocky neben mir sagen.
»Oh ja«, antworte ich, ohne den Blick von der schwingenden Zeltplane abzuwenden, »aber das ist das Beste daran.«
ENDE
Ganz lieben Dank an alle, die meiner Geschichte eine Chance gegeben haben.
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