Kapitel 16
Es ist bei uns im Zimmer mucksmäuschenstill. Obwohl wir alle wach sind und keiner von uns auch nur daran denkt, ein Auge zuzumachen, traut sich keiner, etwas zu sagen. Es wäre eigentlich in solchen Situationen Fionas Aufgabe, die Stimmung zu lockern und uns alle etwas zu fragen. Bella hat es anfangs kurz probiert, sie hat versucht, ein unverfängliches Thema anzusprechen, doch als wir alle nur als Antwort gebrummt habe, hat sie es auch ziemlich schnell aufgegeben. Newt kommt auch nicht zu Besuch. Ich kann es verstehen. Ich glaube, wenn ich er wäre, wollte ich jetzt auch nicht bei uns sein. Wir haben alle eine solch schlechte Stimmung, dass man gerade denken könnte, dass hier jemand gestorben ist, doch das ist nicht der Fall. Es ist nur beinahe so. Denn im Moment wissen wir ja alle nicht, wann wir Fiona wiedersehen werden. Das ist das, was uns alle innerlich zerstört. Nach ein paar Stunden, in denen wieder niemand etwas gesagt hat, höre ich ein Geräusch, ein Klacken, das von unter den Betten kommt. Es ist das Gitter der Lüftungsschächte, wenn ich mich nicht täusche. Doch Teresa liegt noch immer in ihrem Bett, ich kann ihren Schatten ausmachen. Aus Solidarität ist sie heute Nacht auch bei uns geblieben. Das rechne ich ihr ziemlich hoch an. Doch wer ist es dann? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Newt ist. Wie sich allerdings wenige Sekunden später herausstellt, ist er es doch. „Newt, was machst du hier?", höre ich Sonya flüsternd zischen. Bei ihrem Tonfall läuft es mir eiskalt den Rücken runter. Ich bin mir sicher, dass es nicht so scharf beabsichtigt wurde, doch Newt scheint das wohl gar nicht abzuschrecken. Ob es wohl daran liegt, dass sie seine Schwester ist und er es ihr deshalb nicht so böse nimmt? Mein Herz schlägt schneller, obwohl der Rest meines Körpers sich fühlt, wie wenn alles abgestorben wäre. Er scheint wohl trotzdem noch richtig zu funktionieren. Als ich Newts warme Hand spüre, die meine ergreift, wird es noch schlimmer. Insgeheim bete ich schnell, dass man unseren Schatten, die man im Dunkeln zum Glück fast nicht ausmachen kann, nicht ansieht, dass er gerade meine Hand hält. „Newt, was willst du hier?" Ich will es nicht fies klingen lassen, denn allein der Satz klingt nicht gerade einladend. Ich will nicht, dass die anderen erfahren, was sich da gerade zwischen uns anbahnt oder wahrscheinlich auch nicht. Egal, was es ist, sie sollen auch auf keinen Fall erfahren, was ich für Newt empfinde. „May, du musst sofort mit mir mitkommen. Ich habe eine ganz wichtige Entdeckung gemacht." Ich seufze. Wieso kann Newt nicht etwas leiser reden? Er hat zwar auch nicht so laut gesprochen, doch in dieser Situation kommt es mir vor, als hätte er gebrüllt. Ich fühle mich wirklich unwohl, denn ich will ihm wirklich keinen Wunsch abschlagen, doch ich fände es in dieser Situation wirklich unangemessen, wenn ich meine Mädels jetzt hier alleine lassen würde. Ich glaube, sie würden sich dabei nicht wirklich so wohl fühlen und auch ich hätte dabei ein ziemlich schlechtes Gewissen. „Es tut mir sehr leid, Newt", versuche ich so leise wie möglich zu flüstern, „aber heute geht es leider nicht. Ich hoffe, du verstehst das." „May, vertraue mir. Es ist sehr wichtig! Du weißt, ich zwinge dich zu nichts, was nicht wichtig ist und ich weiß, dass du unsere Anführerin bin. Aber komm einfach mit. Du wirst es verstehen, wenn du es siehst." Ich atme tief ein. In der ersten Sekunde will ich ihn erst zurechtweisen, wie er denn bitte mit mir als seine Anführerin redet, da fällt mir sofort wieder ein, dass wir nicht mehr auf der Lichtung sind. Auf der Lichtung musste ich teilweise echt hart durchgreifen, damit mich die Mädchen als ihre Anführerin akzeptierten und ich musste das auch teilweise unter Beweis stellen, dass ich diejenige war, auf die sie hören sollten. Newt weiß wohl, dass er mit mir anders reden darf als die anderen Mädchen. Wenn ich da so richtig drüber nachdenke, ist es eigentlich falsch, der Gerechtigkeit der anderen gegenüber wegen. Ich sollte ihn nicht anders behandeln, nur weil ich in ihn verliebt bin. Leider lässt sich das nicht immer so leicht verhindern. Ich seufze und stehe auf. Ich habe mich entschlossen, Newt ausnahmsweise zu folgen und mir das anzusehen, was er für so wichtig hält. Doch, ich schwöre, wenn er keinen triftigen Grund für all das hier hat, werde ich ein ernstes Wort mit ihm reden. Newt krabbelt vor mir in den Lüftungsschacht, nach ein paar Metern hält er in der Bewegung inne und dreht sich zu mir herum. „Kommst du, May?" Ich drehe mich herum und sehe Sonya an. Ich kann zwar nicht viel erkennen, doch ich sehe, wie sie mir zunickt. Das bestärkt mich und somit folge ich Newt auch in den Lüftungsschacht. Es ist wirklich ziemlich eng hier und ich bin deshalb froh, als Newt etwa nach einer Minute anhält. „Danke, dass du mir gefolgt bist! Ich hätte es dir am liebsten heute beim Essen schon erzählt, doch da waren all die anderen auch da. Ich muss es dir im Vertrauen sagen. Als ich heute Morgen durch den Lüftungsschacht zurück zu den Jungs gehen wollte, hat etwas meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen." Er zeigt auf eine Öffnung, durch die man einen Flur und eine angrenzende Tür erkennen kann. Sie hat nebenan einen Sensor, der wohl die Karten ließt, um zu erkennen, wer Zutritt hat. „Sie haben eine Liege vor sich hergeschoben. Auf ihr lag eine Person, ich konnte nicht wirklich so viel erkennen, denn sie war an ziemlich vielen Schläuchen und Apparaten angeschlossen. Auf jeden Fall sah es nicht gesund aus. Ich habe gesehen, wie sie diese Person durch diese Tür befördert haben. Das kam mir total komisch vor und ..." Schnell halte ich ihm mit meiner Hand den Mund zu, denn ich höre Schritte, die sich dieser Tür zu nähern scheinen. Ich sehe die Person, es scheint wohl eine Ärztin zu sein, die auch eine Person auf einer Liege schiebt. Als ich erkenne, um wen es sich handelt, gefriert mir beinahe das Blut in den Adern.
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