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Mit halb geschlossenen Augen saß ich auf dem gepolsterten Stuhl vor dem großen Spiegel in meinem Zimmer und ließ mich frisieren. Das gleichmäßige Bürsten meiner Haare fühlte sich angenehm an. Meine Zofe hatte bereits alle Knötchen gelöst und so glitt die Bürste durch mein offenes Haar ohne hängen zu bleiben.
Meine Gedanken führten mich zurück zu Vi. Nachdem ich ihm den Schlüssel überreicht hatte, war ich gleich wieder aufgebrochen. Das war vor zwei Tagen gewesen, doch das warme Gefühl blieb bestehen. Ich hatte nicht erwartet, dass ihm etwas zu schenken mich selbst so glücklich machen würde.
Während Maya meine Haare zu einer kunstvollen Frisur hochsteckte, hörte ich ihr nur mit halbem Ohr zu wie sie mir und Aria, die auf meinem Bett saß, die neuesten Gerüchte erzählte. Ich interessierte mich nicht so für das, was man sich im Schloss erzählte, hörte aber trotzdem zu falls es um mich gehen sollte.
"Habt ihr den Aufruhr heute morgen mitbekommen?" Ich wollte den Kopf schütteln, aber das hätte meine Frisur zerstört. Eine Antwort war aber nicht nötig, denn Maya redete einfach weiter, "Ich habe es nur gehört, nicht gesehen, aber jemand hat erzählt, dass sie einen Dieb gefasst hätten. Er habe sich wohl heimlich ins Schloss geschlichen und einen wertvollen Gegenstand gestohlen."
Ich konnte im Spiegel sehen, wie Aria sich aufrichtete. "Haben sie den Dieb im Schloss geschnappt?", fragte sie neugierig. Es kam sehr selten vor, dass jemand versuchte bei uns einzubrechen und noch seltener, dass es jemandem gelang, etwas zu stehlen.
Maya schüttelte den Kopf. "Nein, eben nicht. Das ist ja das Merkwürdige daran, niemand hat irgendjemanden das Schloss betreten oder verlassen sehen und es gibt auch keine Anzeichen eines Einbruchs."
"Aber wie haben sie den Dieb dann gefunden?", wollte Aria wissen. Ihre Augen leuchteten wie die einer neugierigen Katze.
"Angeblich wurde der gestohlene Gegenstand bei ihm durch Zufall entdeckt", offenbarte Maya.
Nun hatte sie auch meine Aufmerksamkeit. "Aber dann hat er ihn vielleicht doch gar nicht gestohlen. Jemand könnte ihn doch bei ihm versteckt haben, oder? Um was für einen Gegenstand handelt es sich überhaupt?"
Auf meine Frage hin antwortete Maya nicht sofort, ihr Spiegelbild zog eine nachdenkliche Stirnfalte. "Ich bin mir nicht ganz sicher, aber wenn ich mich nicht verhört habe, handelt es sich um einen Schlüssel."
Ein Schlüssel? War das ein Zufall, oder? Nein, das konnte nicht sein...
"Wie sah der Dieb aus, kannst du ihn beschreiben?", wollte ich nun unbedingt wissen und hoffte, dass sich mein Verdacht als Unsinn bestätigte.
"Wie gesagt, ich habe ihn nicht gesehen. Aber laut der Beschreibung von einem der Wachen war er ein großer bärtiger Mann mit einer entsetzlichen Narbe im Gesicht."
Es gab keinen Zweifel, um wen es sich hierbei handelte. Laut dieser Beschreibung konnte es nur Vìdarr sein. Zumindest kannte ich sonst niemanden mit einer Narbe im Gesicht.
Wie von einer Biene gestochen schoss ich in die Höhe und eilte aus meinem Zimmer, meine Frisur war mir in diesem Moment vollkommen egal. Maya und Aria ließ ich einfach zurück.
Keuchend blieb ich vor dem Arbeitszimmer meines Vaters stehen. Ich musste ihm sagen, dass sie einen Fehler gemacht hatten. Vi war unschuldig, er war kein Dieb.
In dem Moment, als meine Hand die Tür berühren wollte, fiel mir etwas ein. Wie sollte ich Vater von seiner Unschuld beweisen? Ich müsste ihm sagen, dass ich Vi den Schlüssel geschenkt hatte. Aber dann wäre mein Geheimnis auch raus und ich könnte mich bestimmt nie mehr rausschleichen.
Was war mir mehr wert, Vis oder meine Freiheit? Die Antwort war leicht. Ich klopfte an und trat ein, bevor mich jemand hereinbitten konnte.
Mein Vater schaute nur kurz von den Papieren auf seinem Schreibtisch auf, widmete sich aber sogleich dem Chaos. "Das ist gerade ein schlechter Zeitpunkt, Adeena. Ich muss mich um eine wichtige Angelegenheit kümmern", wurde ich sogleich abgewimmelt.
"Darum geht es ja, also wenn du das Gerücht meinst, dass jemand bei uns eingebrochen ist", kam ich gleich zur Sache. Ich musste einfach mit ihm reden.
"Das ist kein Gerücht, es wurde tatsächlich ein gestohlener Gegenstand gefunden", bestätigte der Berater meines Vaters.
"Gefunden, ja, aber er wurde nicht gestohlen", erwiderte ich bestimmt und funkelte ihn an. Ich konnte ihn nicht wirklich leiden.
"Woher willst du das wissen?" Nun endlich sah mich mein Vater richtig an. Ich konnte seinen Blick nicht deuten, war er nur neugierig oder misstrauisch? Mit einer Handbewegung schickte er seinen Berater weg, was mich etwas aufatmen ließ.
Ich schluckte einmal und nahm einen tiefen Atemzug, um mich zu sammeln. "Ich hab ihm den Schlüssel geschenkt. Er war in dem Briefkästchen, das ich dir gezeigt hab und du gesagt hast, dass ich haben darf. Vìdarr ist mein Freund. Ich habe ihn kennengelernt, als ich mich heimlich nach draußen geschlichen habe. Bitte sei mir nicht böse und lass ihn frei."
Stille breitete sich aus, nachdem ich geendet hatte. Wieso sagte er nichts? War er wütend? Als ich den Blick hob, den ich zuvor auf den Teppich vor meinen Füßen fixiert hatte, sah ich den nachdenklichen Ausdruck in den Augen meines Vaters. Dachte er darüber nach, wie er mich bestrafen sollte? Oder wie er alles wieder gut machen konnte? Ich hoffte doch sehr auf letzteres.
"Ich bin dir nicht böse. Als ich in deinem Alter war, hab ich mich auch öfters rausgeschlichen." Bei diesen Worten tauchte ein warme Glanz in seinen Augen auf, der jedoch in der nächsten Sekunde zu einem stählernen wechselte, "aber dieser 'Vìdarr' ist nicht der, für den du ihn halten magst. Ich kann ihn nicht freilassen. Und du, Fräulein, hast Zimmerarrest bis zur Hochzeit deines Bruders, dann sehen wir weiter."
"Aber-", der Protest blieb mir im Hals stecken als er mich mit einem strengen Blick bedachte. Niedergeschlagen drehte ich mich um und rannte zurück in mein Zimmer. Dort angekommen schickte ich Maya und Aria weg, warf mich auf mein Bett und hinterließ feuchte Flecken auf meinem Kopfpolster.
Was meinte mein Vater bloß mit "er ist nicht der, für den du ihn halten magst" und "er könne ihn nicht freilassen"? Das war bestimmt nur ein großes Missverständnis. Vi war mein Freund und nur durch meinen Fehler saß er nun im Kerker. Wenn mein Geständnis nicht ausreichte, um seine Unschuld zu beweisen, musste ich ihn irgendwie befreien.
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Wortanzahl:
Kapitel: 1032 Wörter
Insgesamt: 6613 Wörter
Jetzt wird es langsam interessanter (hoffe ich zumindest).
Anmerkungen jeder Art in die Kommentare -->
Bitte weist mich auf jede Art von Fehler und Unklarheiten hin! ^^
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