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Der Geruch des Abendessens war das Erste, was ich wahrnahm, als ein Diener mir die großen Türen des Speisesaals öffnete. Es roch einfach köstlich und mit einem leisen Knurren erinnerte mich mein Magen daran, wie lange meine letzte Mahlzeit -das Brötchen auf dem Markt- schon her war.
Ein schneller Blick durch den Saal ließ mich erkennen, dass ich wie erwartet als letztes eingetroffen war. Der erste Gang war bereits serviert worden, doch lange konnte meine Famlie nicht auf mich gewartet haben, denn die Suppe dampfte noch.
König Arwan, mein Vater, saß bereits am Tischende und meine Mutter zu seiner Rechten. Schnell setzte ich mich auf meinen Platz neben meinen Bruder Nevian, gegenüber meiner kleinen Schwester Aria, die mich sogleich unterm Tisch mit dem Fuß anstupste. Ich wollte sie zurückstupsen, traf jedoch anscheinend das Bein meiner Mutter, wofür ich einen ermahnenden Blick erntete.
Bevor sie mich jedoch tadeln konnte, erhob mein Vater das Wort: "Da wir nun endlich alle versammelt sind, können wir ja anfangen", und begann mit dem Tischgebet.
"Das Brot vom Korn. Das Korn vom Licht. Das Licht aus Gottes Angesicht", wiederholten wir im Einklang und hielten uns an den Händen.
Der Tisch war gedeckt mit so vielen Gerichten, dass er sich unter dem Gewicht biegen würde, wenn er nicht aus so dickem Holz bestände. Es war mehr, als wir fünf je auf einmal essen konnten.
Früher hätte ich es als selbstverständlich angesehen, doch nun wusste ich, wie sehr sich die ärmere Bevölkerung schon über einen Bruchteil dieses Festmahls freuen würde. Bei dem bloßen Gedanken an all jene, die verhungerten, während wir die Reste an die Tiere verfütterten, wurde mir leicht schlecht und ich rührte plötzlich appetitlos in meiner Suppe.
Wenigstens würden die Angestellten des Schlosses etwas von dem, was wir nicht aßen, abbekommen, versuchte ich mich aufzumuntern. Außerdem würde ich heimlich noch etwas einpacken, um es morgen an die armen Leute zu verteilen. Vielleicht begegnete ich dem kleinen Jungen wieder, dem ich die beiden Äpfel geschenkt hatte.
Mir fiel aber auf, dass es viel mehr Speisen gab als üblich. Gänsebraten, Fischfilet, Gemüse und anderes. War heute ein besonderer Tag? Ich wusste zumindest von nichts und meine Zofe hatte mir auch nichts gesagt.
Gerade als ich fragen wollte, was so besonders war, bekam ich meine Antwort. "Wir müssen uns entscheiden, welche Hauptgerichte wir auf der Hochzeit servieren wollen." Bei den meisten Anlässen überließen wir die Entscheidung dem Küchenchef, aber die Hochzeit meines Bruders war für unser Königreich zu wichtig um nicht mitzubestimmen. Außerdem war mein Vater ein Feinschmecker und probierte gerne neue Gerichte aus.
"Adeena, was sind deine liebsten Speisen? Wenn es dir mundet, dann wird es Nevians Braut sicherlich auch schmecken. Schließlich ist sie ja kaum zwei Jahr älter als du", schlussfolgerte mein Vater.
Am liebsten hätte ich mit den Augen gerollt, aber ich riss mich zusammen und sagte einfach das Erstbeste, was mir einfiel: "Rehragout mit Reis." Nur weil wir beide Mädchen und ungefähr gleich alt waren, hieß das noch lange nicht, dass wir den selben Geschmack hatten. Zudem kannte ich sie überhaupt nicht, woher sollte ich also wissen, was sie gerne aß?
Das Einzige, was ich von ihr wusste, war, dass sie wunderschön, geradezu hinreißend, war, was auch das Porträt, das sie geschickt hatte, bestätigen würde. Doch das ließ nichts über ihre Persönlichkeit schließen. Zudem hatten Maler ja bekanntlich kreative Freiheit und waren dazu verplichtet die Königsfamilie von ihrer besten Seite abzubilden, somit würde ich mich nicht darauf verlassen. Sie konnte genauso gut hässlich sein oder einfach durchschnittlich aussehen.
Gesehen hatte ich sie schließlich noch nie. Das erste Mal würde ich sie erst ein paar Tage vor der Hochzeit zu Gesicht bekommen, also in ungefähr zwei Wochen. Begeistert war ich über diese Tatsache nicht wirklich, aber irgendwie freute ich mich doch ein bisschen, ein Mädchen in meiner Altersgruppe kennenzulernen. Ich hoffte nur, dass ihre Persönlichkeit so gut wie ihre angebliche Schönheit war. Hoffentlich war sie nicht hochnäsig und eingebildet wie so viele adlige Mädchen.
Ich konnte mir dennoch kaum vorstellen, dass sie bald meinen drei Jahre älteren Bruder heiraten würde und somit meine Schwägerin werden. Besonders unvorstellbar fand ich es, so jung zu heiraten. Hoffentlich hatten meine Eltern noch keine Pläne, mich demnächst zu verheiraten.
Als bekannt wurde, dass mein Bruder die Prinzessin des Nachbarlandes heiraten würde, hatte ich ihn gefragt, ob er sie denn liebte. Damals lautete seine Antwort bloß: "Das ist eine arrangierte politische Ehe, Liebe ist da nicht wichtig. Aber wenn du wissen willst, ob ich sie mag und mir vorstellen kann, sie zu lieben, dann lautet die Antwort Ja. Sie ist wirklich wunderschön und als wir uns das eine Mal sahen, hat sie einen guten ersten Eindruck hinterlassen. Ich hoffe, dass wir miteinander glücklich werden können."
Es war komisch gewesen, ihn so etwas sagen zu hören. Aber ich konnte ihn auch verstehen, schließlich waren wir so erzogen worden. Auch die Ehe unserer Eltern war arrangiert gewesen und doch schienen beide sehr glücklich miteinander zu sein. Dieses Glück hoffte ich auch für die zukünftige Ehe meines Bruders.
Ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, jemanden zu heiraten, ohne ihn vorher zu kennen und zu lieben. Wahrscheinlich sprach da aber auch nur mein hoffnungsloses Herz, das zu viele Liebesromane gelesen hatte. Diese waren auf jeden Fall spannender als der Stammbaum unserer Familie, den ich mir vor dem Abendessen versucht hatte einzuprägen und der Grund für mein Zuspätkommen war.
Wie auch immer, es wäre schön, wenn sie eine Freundin werden könnte. Vielleicht konnten wir uns sogar gemeinsam aus dem Palast schleichen und ich könnte sie Vi vorstellen? Meine Schwester war dafür noch zu klein, sie war erst acht und wurde immer von einer Zofe begleitet. Selbst wenn wir es schafften, uns gemeinsam rauszuschleichen, würde unseren Eltern das Herz stehen bleiben, wenn sie davon erfuhren und ich würde den ganzen Ärger abbekommen.
Ach ja, Vi. Ich wollte ihm doch noch etwas schenken als Dank für den kleinen Vogel. Vielleicht sollte ich ihm etwas zum Essen mitbringen? Nein, das würde ich auch so machen, aber das war kein besonderes Geschenk.
Ich musste später noch in meinem Zimmer nachschauen, ob ich irgendetwas Passendes fand. Schmuck brauchte er nicht, schließlich trug er keine Ohrringe, Armbänder oder Ketten. Mir würde bestimmt noch etwas anderes einfallen.
"Adeena, sitz gerade und spiel nicht mit dem Essen", durchbrach die tadelnde Stimme meiner Mutter meine Gedanken, "du bist kein kleines Kind mehr. Nimm dir doch ein Beispiel an Aria." Bei dem Vergleich mit meiner um sieben Jahre jüngeren Schwester spürte ich einen Stich in meinem Brustkorb.
Aria war der kleine Sonnenschein der Familie, sie konnte nichts falsch machen. Nevian war der perfekte Sohn und Thronfolger. Im Gegensatz dazu war ich nie gut genug, zumindest fühlte ich mich so. Wenn meine Eltern von meinen Ausflügen wüssten, wäre ich noch eine größere Enttäuschung für sie, da war ich mir sicher.
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Wortanzahl:
Kapitel: 1133 Wörter
Insgesamt: 3296 Wörter
Ich weiß, dieses Kapitel ist wieder ziemlich kurz und es passiert nicht wirklich was, aber ich wollte nicht noch etwas dazuquetschen.
Das Tischgebet hab ich mir nicht ausgedacht, aber mir hat es so gut gefallen, dass ich es verwenden wollte. Allgemein wollte ich ein kleines Gebet einfügen, damit man sieht, dass sie das Essen auch wertschätzen. ^^
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