~14~
"Es freut mich, dich endlich kennenzulernen. Lenore hat schon einiges von dir erzählt", grüßte ich den jungen Mann freundlich, den Lenore zuvor stürmisch umarmt hatte.
"Es ist mir eine Ehre meinerseits", erwiderte er ebenso höflich und verbeugte sich leicht. Er konnte nicht wissen, wer ich war, aber er konnte es sich sicherlich denken.
Vi räusperte sich auffällig und Lenores Liebhaber wendete sich nun ihm zu. Er kniff zuerst die Augen zusammen, als würde er nachdenken, dann hob er eine Augenbraue an. "Aeron? Sind Sie es wirklich?"
Anscheinend kannte auch er Vi, na toll. Ich wusste nicht, warum mich das so reizte, aber mir gefiel die Tatsache nicht, dass noch jemand Vis altes Leben kannte, das er zurückgelassen hatte.
Ich wusste immer noch so wenig über seine Vergangenheit, das war einfach nicht fair. Dafür kannte niemand "Vídarr" so gut wie ich, sie kannten ihn nur als "Aeron", wobei Lenore ihn in den letzten Tagen auch besser kennengelernt hatte.
"Ihr wollt uns beide begleiten, nehme ich an?", richtete sich Kiernan an Vi und mich. Ich zögerte für einen Moment. Noch waren wir an der Grenze meines Königreichs und ich konnte jederzeit umkehren. Sobald ich die Landesgrenze überschritten hatte, würde ich noch eine andere Grenze überschreiten, eine in meinem Inneren.
Wie eine lästige Fliege schüttelte ich alle Bedenken und Zweifel ab. Ich würde erst nach Hause zurückkehren, wenn ich wusste, dass Vi und Lenore sicher waren und das waren sie erst außerhalb von Eldoria. Ich war mir auch sicher, dass Vi das Paar noch ein Stück begleiten wollen würde, um ebenfalls ihre Sicherheit zu gewährleisten, und nicht unbedingt das dritte Rad am Wagen spielen wollte.
Mit wem würde er denn reden, wenn Lenore und ihr Liebster zusammenklebten wie Honig? Er würde sich ausgeschlossen fühlen, ohne mich.
"Ich komme mit", verkündete ich im selben Moment als Vi seine Zustimmung brummte. Wir sahen uns für einen Moment an und nickten kaum merklich. Es war beschlossen, wir vier würden über die Grenze nach Valoria reiten. Was danach passierte, wie und ob sich unsere Wege trennen würden, stand noch in den Sternen.
Als wir weiterritten, trabten tatsächlich Lenore und Kiernan nebeneinander, achteten kaum auf den Weg, da sie nur Blicke für einander hatten. Anscheinend hatten sie einander auch viel zu erzählen. Ich hörte bruchstückhalft wie Lenore ihm von unserer Flucht aus dem Schloss und Vis Rettung berichtete. Sie ließ es ein bisschen heldenhafter klingen, als es tatsächlich gewesen war, mit mehr Wachen.
Es war wirklich erstaunlich, wie leicht unsere Flucht gewesen war. Ohne die Hilfe von Maya und Eko hätten wir es nie so einfach geschafft. Es war ebenso ein Wunder, dass Lenore den Schlüssel bekommen und mitgenommen hatte, sodass wir Vi damit befreien konnten.
Bei dem Gedanken daran tastete ich mit einer Hand nach dem Schlüssel, den mir Lenore überlassen hatte und den ich nun um den Hals trug. Wenn die Legende wirklich wahr war und er jede Tür und jedes Schloss öffnen konnte, war er unglaublich wertvoll. Da war es schon verständlich, dass mein Vater so ein Aufsehen um seinen angeblichen Diebstahl gemacht hatte. Nicht, dass dieser Umstand sein Verhalten entschuldigte.
Zumindest wusste ich nun, dass ich sehr gut darauf aufpassen musste und dass er auf keinen Fall in falsche Hände geraten durfte. Wenn jemand von seinem Geheimnis erfuhr und ihn für die falschen Zwecke missbrauchte, konnte das ungeahnte Folgen haben. Nicht nur, dass man damit Zugang zu jeder Schatzkammer der Welt hätte.
Vi schien ebenfalls eigenen Gedanken nachzuhängen oder hielt Ausschau nach etwaigen Gefahren. Er schwieg und starrte in den Wald, wie ich im Augenwinkel erkannte.
Auf einmal ließ er sein Pferd anhalten und blickte alamiert. Da hörte ich es auch, ein Rascheln und etwas das klang wie galloppierende Hufe. Jemand näherte sich schnell zu Pferd.
Lenore und Kiernan ließen ihre Pferde ebenfalls stehenbleiben. Bei dem Tempo, das der Reiter draufhaben musste, brachte fliehen auch nichts. Bereit, mich wenn nötig zu verteidigen, ließ ich mein Pferd neben Vi stehenbleiben.
Nur wenige Sekunden darauf brach der Reiter aus dem Unterholz hervor. Noch bevor er sein Pferd vor uns zum Stillstand gebracht hatte, erkannte ich ihn. "Eko, was machst du denn hier?"
Eko schnaufte fast so sehr wie sein Pferd, er musste so schnell wie möglich geritten sein ohne seinem Pferd eine Pause zu gönnen. Es dauerte eine Weile, bis er zu Atem kam, während Vi ihn weiterhin misstrauisch beäugte, Lenore und Kiernan hingegen neugierig betrachteten.
Als mir das Warten zu lange dauerte, fragte ich nochmal: "Was machst du hier und woher wusstest du überhaupt, wo ich bin? Ist etwas passiert?" Ungeduldig zupfte ich an Ayalas Mähne, wofür ich ein empörtes Schnauben erntete. Beschwichtigend streichelte ich ihr über den Hals, ließ meinen Blick jedoch nicht von Eko abweichen.
"Der König, er denkt, Aranthor hätte dich entführt und die Hochzeit wäre nur ein Vorwand gewesen", er nahm einmal tief Luft, bevor er fortfuhr, "er denkt, das mit dem Schlüssel wäre geplant gewesen und Prinzessin Lenore hätte den Dieb befreit um dich mit seiner Hilfe zu entführen."
Ich konnte nur den Kopf schütteln. "Das ist doch Schwachsinn. Wie kommt mein Vater nur auf so einen irsinnigen Gedanken? Hat er meinen Brief denn nicht gelesen?"
Eko schaute mich kurz verwirrt an und schüttelte dann den Kopf. "Das weiß ich nicht. Vielleicht hat er das und er denkt, dass ihn jemand gefälscht hat oder dich gezwungen hat, das zu schreiben. Aber ist auch egal, ihr müsst sofort zurück!"
Vi kniff die Augen zusammen und brummte bedrohlich: "Damit sie mich wieder einsperren und Yara, ich meine Prinzessin Adeena, gleich mit? Und was passiert dann mit Prinzessin Lenore, sie muss dann Prinz Nevian heiraten, ist das nicht so?"
Lenore hielt die Hand ihres Liebsten und blickte ihm tief in die Augen. Beide waren endlich wieder vereint, sollte das alles umsonst gewesen sein? Wir hatten es geschafft, Vi zu befreien, um nichts in der Welt würde ich ihn wieder ausliefern für etwas, das er gar nicht getan hatte.
Aber ich, ich hatte von Anfang an gewusst, dass ich meiner Familie nicht für immer den Rücken kehren wollte und irgendwann zurückmusste. Nun war dieser Moment eben früher gekommen als erwartet.
"Gut, dann gehe ich eben wieder zurück", richtete ich mich an Eko während ich meinen Blick über meine Freunde schweifen ließ. Vi und Lenore nickten mir mit einem traurigen Glanz in den Augen zu. Sie wussten, dass der Moment des Abschieds gekommen war und sie würden mich nicht aufhalten, wenn ich mich entschieden hatte.
Eko sah immer noch nicht beruhigt aus. "Ihr versteht den Ernst der Lage nicht. König Arwan hat Aranthor den Krieg erklärt, sofern sie seine Tochter nicht wiedergeben."
"Aber-" Wenn ich nach Hause zurückkomme, ist doch alles wieder gut, wollte ich sagen, wurde jedoch wieder von Eko unterbrochen.
"König Ferran I. beschuldigt uns wiederum die Hochzeit als Vorwand genommen zu haben, um Prinzessin Lenore als Geißel zu nehmen und fordert sie zurück. Keiner glaubt dem anderen, dass er seine Tochter nicht hat und nun machen sie sich zu einem Krieg bereit. Eine Armee rückt an! Versteht ihr nun? Es reicht nicht, wenn nur Adeena wieder auftaucht."
Oh nein, das war wirklich schlimm. Selbst wenn ich meinen Vater überzeugen konnte, nicht anzugreifen, würde Aranthor in Eldoria einmarschieren, um Lenore zurückzuholen, die sich in einem anderen Königreich befand. Das war wirklich schrecklich.
Wir mussten gemeinsam unsere Väter überzeugen, den Krieg zu beenden, bevor er richtig angefangen hatte. Es durfte nicht passieren, dass Unschuldige zu schaden kamen, nur damit wir frei sein konnten. Was bedeutete schon Freiheit, wenn es um Leben ging?
"Du hast eine Frage noch nicht beantwortet. Woher wusstest du, wo wir sind?", erinnerte ihn Vi. Das hatte ich aufgrund der schlechten Nachrichten bereits fast vergessen. Ich hatte ihm nicht gesagt, wohin wir unterwegs waren, schließlich hatte ich es am Anfang selbst noch nicht gewusst. Wenn er uns hatte finden konnte, dann könnten es andere auch.
Nervös blickte ich mich um, ob nicht irgendwo Soldaten von unserem oder Lenores Königreich auftauchten, doch es schien als wären wir allein.
"Maya hat mir gesagt, wo ich dich finden könnte und hat mich losgeschickt. Sie hat kombiniert, dass du gemeinsam mit der Prinzessin unterwegs sein würdest und ihr weder in Aranthor noch Eldoria sicher wärt. Somit blieb die einzige Option Valoria", erklärte er.
Natürlich, Maya war schon immer sehr gut darin gewesen, eins und eins zusammenzuzählen und kannte mich am besten.
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Wortanzahl:
Kapitel: 1386 Wörter
Insgesamt: 17.632 Wörter
Auch wenn es vielleicht so wirkt, ihr habt (vermutlich) kein Kapitel übersprungen.
Aus Zeitgründen muss ich leider die Reise ziemlich kurz halten (ich hatte theoretisch noch mehr geplant gehabt, hab mich dann aber mehr auf meinen englischen ONC Beitrag konzentriert).
Zumindest kommen wir jetzt gleich wieder zum spannenden Teil. Ich hoffe, ihr freut euch darüber. ;D
Vielleicht schreibe ich irgendwann eine längere Version dieser Geschichte. Wer würde sich darüber freuen?
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