~12~
Als ich aufwachte, stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Lenore schien auch erst aufgewacht zu sein, Vi hatte vermutlich kein Auge zugetan. Er sah schlecht aus und das vermutlich nicht nur aufgrund des Schlafmangel. Obwohl Maya ihm jeden Tag etwas zu essen vorbeigebracht hatte, musste ihm der Kerker zugesetzt haben.
Stillschweigend holte ich Ayalas Satteltaschen rein, die Eko mit Essen vollgepackt hatte. In Gedanken sendete ich ihm meinen Dank. Wir aßen und schwiegen. In der Stille, die nur von Kaugeräuschen durchbrochen wurde, dachte ich wieder darüber nach, was ich tun sollte.
Da ich daran gedacht hatte, dass ich Vi eventuell begleiten könnte, hatte ich an meine Eltern und Geschwister Briefe geschrieben und sie in das Briefkästchen gelegt. Dort sollte sie jemand von ihnen finden können. Mit etwas Glück würde das die Suche nach Vi auch verzögern, mit Sicherheit konnte ich es aber nicht sagen, da ich nicht einschätzen konnte, was mein Vater tun würde.
Ich wusste, dass er mich nur beschützen wollte, aber manchmal ging er dabei zu weit und vergaß, dass ich alt genug war, um eigene Entscheidungen zu treffen.
Aber egal, wie ich mich entschied, ein Problem blieb. Wir waren zu dritt und wir hatten nur zwei Pferde. Dauerhaft zu zweit auf einem Pferd zu reiten war keine gute Idee und wenn einer von uns zu Fuß ging, kamen wir nicht so schnell voran. Was hatte Lenore eigentlich vorgehabt, wie sie vorankommen wollte, bevor sie sich uns angeschlossen hatte? Hatte sie einen Plan?
"Was wolltest du eigentlich machen? Einfach aus dem Schloss stürmen und drauflos rennen?", fragte ich sie direkt, nachdem ich einen Bissen Brot runtergeschluckt hatte. Vielleicht hätte ich es nicht so direkt ausdrücken sollen, ausgesprochen klang es irgendwie herablassend.
Verlegen schaute sie zur Seite. Das war ihr Plan gewesen. Ich musste ein kleines Lachen unterdrücken. Sie konnte von Glück sagen, dass sie es dank meines Plans unbemerkt aus ihrem Fenster geschafft hatte! Naja, das war Eko zu verdanken, aber es war meine Idee gewesen, Vi in dieser Nacht zu befreien.
"Wo möchtest du dann eigentlich hin?" Wenn sie zurück zu ihren Eltern ging, wären die bestimmt nicht erfreut über ihre Tat und würden sie womöglich einfach zu Nevian zurückschicken. Schließlich hatte sie keine Wahl, was die Hochzeit anbelangte. In ihrem Königreich würde man sie vermutlich auch leicht erkennen, zumindest war die Wahrscheinlichkeit dessen sehr hoch.
Nachdem sie einen Schluck Wasser, das ebenfalls in den Satteltaschen gewesen war, getrunken hatte, antwortete sie: "Also, ich habe bevor ich losreisen musste, um deinen Bruder zu heiraten, mit meinem Liebsten gesprochen. Wir haben vereinbart, dass ich versuche, davonzulaufen und wenn es mir gelingt, würde er an der Grenze zwischen diesem Reich und Valoria auf mich warten." Ihre Augen glänzten, als sie von demjenigen erzählte, dem ihr Herz gehörte, es klang bittersüß.
"Somit werde ich dorthin reisen, egal wie", fügte Lenore entschlossen hinzu. Ich wollte ihr unbedingt helfen, sich mit ihrer Liebe zu vereinen. Mein Bruder würde schon eine andere Braut finden, eine die ihn so sehr liebte, wie Lenore ihren Liebsten. Das war so romantisch.
Bevor ich meine Entscheidung kundmachen konnte, brummte Vi, der sich bis jetzt nicht gemeldet hatte: "Ich komme mit." Als Lenore eine abwehrende Geste machte und widersprechen wollte, meinte er nur: "Du brauchst jemanden, der dich beschützt. Außerdem kennst du dich in diesem Königreich nicht aus, wie willst du überhaupt den richtigen Ort finden?"
Das war ein gutes Argument. Ich war mir sicher, dass Vi sich nicht direkt in dem Dorf, in dem er bis heute gewohnt hatte, angesiedelt hat, sondern zuvor viel gereist war. Ich hatte das Schloss bis auf kleine Ausflüge in der näheren Umgebung nie verlassen, doch ich hatte mir alle Karten des Königreiches eingeprägt. Wenigstens etwas, wozu der Unterricht gut gewesen war.
Gemeinsam würden wir es auf jeden Fall weiter schaffen, als alleine, somit verkündete ich sogleich: "Und ich komme auch mit!"
Keiner von uns duldete einen Widerspruch, somit war es beschlossen. Nun mussten wir nur noch ein Pferd kaufen, aber Vi kannte jemanden, der uns eines überlassen könnte und ich hatte genug Geld eingepackt.
Als wir uns alle gestärkt hatten, Vi die restlichen Flämmchen mit Erde gelöscht hatte und ich unsere beiden Pferde gefüttert hatte, machten wir uns auf den Weg. Dieses Mal waren wir alle zu Fuß unterwegs, um unsere Pferde zu schonen, wenn wir schnell reiten mussten.
"Es ist nicht mehr weit bis zum nächsten Dorf, wir sollten hier Halt machen." Die Bäume begannen sich bereits zu lichten, es war nicht mehr weit bis zum Waldrand und von dort aus würde man das Dorf bereits sehen können.
Auf dem Weg hierher hatten wir bereits ausgemacht, dass ich den Rest des Weges alleine gehen würde und ein Pferd kaufen. Trotz meinem Status als Prinzessin würde ich nicht so schnell erkannt werden, denn ich hatte mich meinem Volk nie in dieser Art und Weise präsentiert. Ich hatte mich immer verkleidet und anonym direkt unter die Bevölkerung gemischt und war nie erkannt worden.
Vi kannten sie in dem Dorf, da er es öfter besuchte, um seine Schnitzerein zu verkaufen oder andere Waren zu tauschen und er wusste nicht, ob die Leute dort von seinem "Diebstahl" wussten und ihn verraten würden. Lenore kannte sich in diesem Gebiet noch weniger aus als ich und besaß nicht die notwendige Menschenkenntnis, da sie den Großteil ihres Lebens abgeschottet verbracht hatte, so, wie ich es hätte, wenn ich mich nicht immer wieder rausgeschlichen hätte.
Vi beschrieb mir wieder, wen ich aufsuchen sollte und wo er wohnte. "Sein Name ist Daven und er lebt am südlichen Rand des Dorfes, das heißt, du musst-." Ich unterbrach ihn, er hatte es mir bereits erklärt und ich konnte die Himmelsrichtungen schon bestimmen, das hatte er mir vor einiger Zeit beigebracht. "Du weißt, wie viel du verlangen musst?", fragte er mich ebenfalls nochmal.
Ich schenkte ihm ein zuversichtliches Lächeln. "Ich schaffe das schon, Vi. Keine Sorge." Schnell winkte ich Lenore zum Abschied zu, die mir viel Glück wünschte, und machte mich auf den Weg.
Um ehrlich zu sein war ich nicht ganz so zuversichtlich, wie ich den Anschein machen wollte. Auch wenn mich niemand im Dorf kannte, könnte man nach mir suchen lassen und ein Bild von mir aufgehängt haben. Dafür war es noch zu früh, redete ich mir ein, schließlich waren erst ein paar Stunden vergangen seit sie mein Fehlen bemerkt haben mussten.
Wie dem auch sei, ich musste vorsichtig sein, somit zog ich meinen Umhang enger um mich und die Kapuze tiefer in mein Gesicht. Da mir einfiel, dass dies nur verdächtiger aussehen würde, entspannte ich mich wieder und ging aufrecht, als hätte ich nichts zu verbergen.
Die Sonne blitzte hinter den letzten Bäumen auf und blendete mich, sodass ich die Augen für einen Moment zukneifen musste. Als ich sie wieder öffnete, konnte ich in der Ferne die ersten niedrigen Steinbauten des Dorfes erkennen. Ich bog leicht nach rechts ab, Richtung Süden.
Als ich näher kam, sah ich bereits einen Bauern, der mithilfe eines Pferdes sein Feld pflügte. Er passte Vis Beschreibung von Daven. Vi hatte auch gesagt, dass ich ihm sagen sollte, dass ich in seinem Auftrag kam. Er vertraute Daven so viel, dass er uns nicht verraten würde.
Trotzdem begannen meine Handflächen zu schwitzen, als ich auf ihn zuging. Ich räusperte mich einmal, doch in dem Moment wieherte das Pferd, als es mich entdeckt hatte. "Entschuldigung. Könnte ich kurz mit Ihnen reden?"
Der Bauer ließ das Pferd stehen bleiben, drehte sich zu mir um und kratzte sich am Bart. "Was wüsten du, junges Fräulein. Bracht ned so häflig redna." Was hatte er gesagt? Ich verstand kaum ein Wort, aber ich merkte, dass meine Höflichkeit hier fehl am Platz war.
"Also, ich würde gern ein Pferd kaufen", kam ich direkt zum Punkt und etwas leiser fügte ich hinzu, auch wenn sonst niemand in der Nähe war, der uns hören konnte: "Vídarr schickt mich."
Zuerst zog er nur eine Augenbraue hoch und blickte leicht spöttisch auf mich herab, doch als ich Vi erwähnte, änderte sich sein Ausdruck komplett. Er wirkte auf einmal richtig freundlich. "Na, wenn des so ist, dann kommse mit." Er bedeutete mir, ihm zu folgen, was ich auch tat.
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Wortanzahl:
Kapitel: 1353 Wörter
Insgesamt: 14.910 Wörter
So, es geht weiter. ^^
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