Three
Three:
ein Schrecken jeder Schwester
Sie war mit ihren Nerven am Ende.
„Ich kann nicht glauben, dass ich dem Ganzen zugestimmt habe", sagte sie und schloss den Föhn an der Steckdose an.
Epps lehnte sich im Türrahmen an und bewegte seinen Kopf für wenige Sekunden nachdenklich hin und her.
„Es ist verwunderlich, dass er ein Essen vorgeschlagen hat", sagte er. „Das entspricht absolut nicht ihm."
„Nun." Rachel hob ihre dünnen Augenbrauen. „Ich rechne mit meinem Vater und einer öffentlichen Demütigung."
Epps atmete tief ein. „Gesunde Einstellung", merkte er an als sie den Föhn anschaltete und ihre Haare zu trocknen begann. „Bist du dir sicher, dass ich dich nicht begleiten soll?", rief er über den Lärm hinweg und sie zog ihre Augenbrauen zusammen.
Als Antwort schüttelte sie den Kopf und sah ihn durch ihren Badezimmerspiegel an.
Epps seufzte schwer als er ins Wohnzimmer eintrat. „Wie laufen die Hausaufgaben, Kleiner?"
„Gut", murmelte Teddy mit Blick auf sein Aufgabenheft. „Ich muss noch Englisch machen, dann bin ich für heute fertig."
„Wenn du Hilfe benötigst, frag ruhig, ja?"
Teddy nickte und biss auf das Ende seines Stifts.
Epps' Mundwinkel zuckten stark nach oben als der Junge ihn in diesem Moment so sehr an seine Mutter erinnerte – und doch zu seinem Leidwesen in vielerlei Hinsicht wie sein Vater ausschaute.
Es war nicht, dass der ehemalige Soldat seinen ehemaligen besten Freund auf ewig hasste. Eine lange Zeit war er sauer gewesen. Doch mittlerweile empfand er Mitleid. In seinen Augen hatte Lennox alles verloren – und sämtlichen Halt.
Das letzte Mal, dass er Annabelle und ihn besucht hatte, war nur sie und Sarahs Schwester Fiona anwesend gewesen. Er war wie immer zur Arbeit für mehrere Wochen aufgebrochen. Egal was er tat, Epps hielt's für ungesund und wusste nicht, wie er in Kontakt mit ihm treten sollte.
Der Soldat ließ schwer mit sich reden. Er vereinsamte, glaubte der neunundvierzigjährige.
„Ist etwas?"
Epps wurde aus seinen Gedanken gerissen und bemerkte, Teddy noch immer anzustarren. Die Geräusche des Föhns waren mittlerweile wieder versiegt.
„Nichts." Er schüttelte den Kopf und lächelte leicht.
Teddy runzelte seine Stirn, sodass sich der ehemalige Soldat erklärte.
„Du hast mich gerade nur sehr an deine Mutter erinnert."
„Er hat ja auch die Hälfte meiner Gene." Rachel kam mit einem atemberaubenden dunkelblauen Kleid herein.
Sie hatte es vor zwei Jahren in einem Outlet gekauft, zu einem einzigen Date getragen und danach nie wieder. Da sie in ein relativ schickes Restaurant eingeladen wurde, dachte sie sich, es wäre der perfekte Moment, das Kleid von den Mottenkugeln zu befreien.
Die sechsunddreißigjährige atmete tief ein und sah die Männer im Raum an, ehe sie sich drehte. „Kann ich so gehen?"
„Du siehst sehr hübsch aus, Mummy." Teddy nickte überzeugt. „Für ein Rendez-Vous hätte ich verneint, weil du zu hübsch wärst, aber für ein geschäftliches Essen mit Soldaten bist du gut gekleidet."
Rachel sah von ihrem Sohn zu ihrem Freund, der belustigt schnaubte und den Kopf schüttelte. „Seine Worte", stellte er klar und hob beide Hände, ehe er Rachel einen Moment musterte. „Und ja. Du siehst sehr hübsch aus. So kannst du gehen."
Rachel neigte ihren Kopf. „Ich hoffe, ich bin bis zweiundzwanzig Uhr zurück", sagte sie als sie im Flur ihre Jacke für den Abend ergriff. Sie zog sich Ballerinas über, mit denen sie später keine Schwierigkeiten haben würde, zu laufen und ergriff ihre Handtasche.
„Wenn ich bis dreiundzwanzig Uhr nicht zurück bin, dann ruf bitte einmal durch, Rob."
„Selbstverständlich." Er pflanzte sich neben Teddy auf die Couch, der zufrieden mit sich selbst seine Hausaufgaben den Tisch nach oben schob.
„Ich bin fertig", teilte er dem ehemaligen Soldaten mit als seine Mutter die Wohnung verließ.
Epps lächelte. „Was möchtest du schauen, Teddy?"
„Was Lustiges", bat der neunjährige ihn.
„Dann was Lustiges." Epps nickte.
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Rachel hatte das Gefühl, sie würde ihr dunkelblaues Kleid durchschwitzen. Egal wie viel Deo und Parfum sie aufgetragen hatte, sie hatte das Gefühl, sie würde stinken.
Von dem Moment an, in dem sie das Restaurant betrat und sie die Halbglatze des Generals entdeckte.
Es war für sie schon einmal ein riesiger Fortschritt, dass sie ihrem Vater nicht gegenübertreten musste. Doch das hieß nicht, dass sie nicht trotzdem unter Beobachtung stand. Das fühlte sie.
Das Kribbeln in ihrem Nacken war unangenehm – und ihr zugleich vertraut.
Sie sah sich mehrere Male im Restaurant um, nach niemand bestimmten. Einfach ob sie ein Gesicht erkennen würde. Doch das tat sie nicht.
„General."
Rachel nickte und strich sich ihr Kleid glatt als sie um den Tisch herumlief und er den Kopf von seinem Handy hob.
„Schön, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind", begrüßte er sie und stand auf, während sie Platz nahm. Erst danach nahm er wieder Platz.
Rachel atmete tief ein und sah auf die weiße Tischdecke auf ihrem kleinen Tisch für Zwei.
„So öffentlich." Sie lachte im nervösen Ton und sah sich noch einmal leicht um. Der General bemerkte dies selbstverständlich, doch das war der sechsunddreißigjährigen egal.
Sie wurde das Gefühl des Kribbelns in ihrem Nacken nicht los – und das störte sie.
„Man könnte es fast schon wie ein Date deuten." Sie sah vor sich auf die Speisekarte, die auf ihrem Teller und Besteck lag.
Sie ergriff sie mit ihren kurzen Fingernägeln und der General blickte einen Moment auf diese.
Dann schmunzelte General Morshower leise. „Sie sind noch immer vorlaut wie früher", bemerkte er.
„Ich ändere mich nicht." Sie sah ihn über den Rand der Karte hinweg an, nachdem sie sie aufklappte und sie vor ihr Gesicht hob.
„Und Sie haben Angst", stellte er klar.
„Wer sagt das?", erwiderte sie sofort und atmete so leise wie möglich einmal tief ein.
„Ihr Verstecken vor mir, Miss Dumblin", sagte er. „Ihre angespannten Schultern, der zu freundliche Gesichtsausdruck." Er hob den Zeigefinger und deutete auf ihr Gesicht. „Keine Sorge. Ich reiße Ihnen nicht den Kopf ab."
„Das habe ich auch nicht erwartet."
Im Grunde schon, widersprach sich Rachel innerlich selbst.
„Ich bin eine Bürgerin New Yorks, die sich an die Gesetze hält und nichts Falsches macht."
„Ich weiß", stimmte er ihr zu.
Sie seufzte und legte die Karte wieder ab. „Dann möchte ich eigentlich nur wissen, wieso Sie Ihre Soldaten so verbissen vor meine Haustür gestellt haben und auf ein Treffen drängten."
„Ihr Vater."
Rachel lehnte sich mit resigniertem Gesichtsausdruck zurück.
„Ich weiß." Er verdrehte seine braunen Augen und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Ihr Vater von Arschloch hat Sie unter Druck gesetzt und mir einen Haufen an Papierkram für neue Zuteilungen aufgebrummt." Er zog kurz eine Augenbraue hoch. „Ich kann es nicht leiden, wenn man mir die Pistole auf die Brust setzt."
„Da stimme ich Ihnen zu", sagte sie misstrauisch. „Deswegen bin ich verwundert, warum Sie sie mir so verbissen auf die Brust setzen." Sie atmete tief ein. „General Morshower, könnten Sie mir nicht einfach sagen, was Sie mir offensichtlich so gerne mitteilen wollen?"
Der General brach das erste Mal den Blickkontakt beim Sprechen zur sechsunddreißigjährigen. „Dafür sollten Sie sich wohl besser ein Glas Wein bestellen", schlug er ihr vor.
„Ich bin allein mit dem Wagen hier." Und sie hatte übelst Lust, Vanessas Wagen zu Schrott zu fahren.
Seit Sideswipe vorübergehend verschwinden musste, war er zu Nessa gezogen, die nun seinen Wagen fuhr – zur Sicherheit. Rachel wollte seinen Alt-Mode nicht vor der Haustür stehen haben, wenn die TRF sie auf den Kicker hatte.
„Sagen Sie mir, was mein Vater will. Er bekommt es sowieso nicht", merkte sie an als Stille eintrat.
General Morshower seufzte und hob die Hand. „Wir bestellen erstmal etwas."
„Nein." Rachel legte ihre Hand auf seine. „Ich bin Ihren Aufforderungen nachgekommen und habe mich mit Ihnen getroffen", sagte sie. „Ich denke, ich war lange genug kooperativ, General."
Der General sah von ihren Händen auf in ihr Gesicht als der Kellner an den Tisch trat.
„Ihr Vater will Sie auf der Beerdigung Ihrer kleinen Schwester sehen", platzte er mit der Bombe heraus.
Der Kellner öffnete leicht den Mund und hielt in der Bewegung inne – genau wie die ehemalige Liaison.
Das Kribbeln in ihrem Nacken nahm ums doppelte zu und ihr wich die Farbe aus dem Gesicht – selbst die, die sie sich aufgeschminkt hatte.
Ihr Herz gab einige Sekunden unangenehmen Schläge von sich.
Dann entgleisten Rachel die Gesichtszüge letztendlich. „Was?!", hakte sie leise nach.
„Ihre Schwester Christina hatte letzte Woche einen Unfall, Miss Dumblin." Die Miene des Generals nahm etwas wie Mitleid in sich auf und der Kellner, atmete tief ein, griff in seine Tasche nach einigen Servietten, die er der sechsunddreißigjährigen stumm hinhielt.
„Ich komme in ein paar Minuten wieder", murmelte er mit mitleidigem Gesichtsausdruck auf dem Gesicht.
„Christina erlag ihren Verletzungen im Krankenhaus", erzählte ihr der General. „Ihr Vater wusste, Sie würden nicht auf ihn reagieren, also hat er mich gebeten, Sie darüber in Kenntnis zu setzen."
Draußen vor dem Restaurant stand der dreiundfünfzigjährige Soldat, der heute Abend vom General nochmal angerufen worden war.
Er hatte an seinem freien Abend nicht geplant, hierherzukommen. Doch die Verlockung, zu sehen, wie die ehemalige Liaison heutzutage aussah, war zu groß gewesen.
Zu Beginn hatte er aus seinem Auto ganz genau einfach nur zugesehen. Zugesehen, wie sie unter dem Tisch eine Hand in die Tischdecke krallte. Wie sie ihre geschminkten Lippen bewegte.
Sie war deutlich älter geworden, fand Lennox. Sie hatte offensichtlich zugenommen, was ihr in seinen Augen mehr als stand. Und ihre hellbraunen Haare gefielen ihm. Er hatte sie noch nie ohne bunte Haare gesehen, doch das fand er, hob ihre Schönheit nur hervor. Mal von dem Kleid abgesehen, dass er für absolut traumhaft befand.
Nur leider konnte er genau den Moment ablesen, in dem der Kellner herantrat und sie interessiert musterte und in dem dann seine Miene überrascht wurde. Ein Blick zu Rachel und er sah, wie sich ihr gezwungenes Lächeln in einen absolut erschütterten Ausdruck verwandelte.
Er war erstaunt, dass sie nicht zu weinen begann. Doch glücklich sah anders aus. Das was er aus ihrem Leben wusste, war, dass sie ein Kind hatte und Ärztin geworden war – wie sie es sich immer erträumt hatte. Mehr hatte er nicht in ihre Akte hineingelesen. Er hätte es gekonnt, doch er wollte sich nicht mehr selbst quälen.
Nur heute Abend... heute Abend hatte er der Versuchung nicht widerstehen können.
Er fand, sie sah noch atemberaubender aus als vor zehn Jahren. Vor zehn Jahren hielt er sie für das junge Ding, das ihm das Herz gestohlen und es gebrochen hatte. Die Frau im Restaurant, die mit seinem Vorgesetzten sprach... die hielt er für weitaus gefährlicher und attraktiver. Denn sie war erwachsen geworden – offensichtlich.
Alles an ihrer Haltung ließ ihn daran erinnern, wie er ihr das gerade Sitzen beim Essen beibrachte.
Er konnte die Bilder zu der damaligen Liaison schwer mit der heutigen Ärztin vergleichen. Doch trotzdem sah er die Ähnlichkeit – weil es ein und dieselbe Frau war, die sein Herz in seiner Brust schneller schlagen ließ.
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Datum der Veröffentlichung: 02.10.2022 13:04 Uhr
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