Thirty-six
Thirty-six:
Klartext
„Lass mich runter", forderte Rachel noch immer angefressen.
„Nein", erwiderte Lennox ein weiteres Mal.
„Ich darf also nicht alleine laufen?" Sie gab empörte und aufgeregte Laute von sich, während sie mit ihren geballten Fäusten auf seinem Rücken eintrommelte.
„Genau richtig." Lennox erklomm die Treppe hoch zu seiner gemieteten Wohnung mit seiner Tochter.
Ihr das gleich erklären zu müssen, war etwas, was er vermeiden wollte – doch wohl sicherlich nicht könnte.
„Und wieso nicht?" Sie erhielt keinerlei Antwort vom Soldaten. „Jetzt lass mich verdammt nochmal runter, du Arschloch!"
„Wird nix." Er schüttelte den Kopf und holte mit ein wenig mehr Zeitaufwand und nur einer Hand seine Schlüssel hervor.
„Bitte!", jammerte Rachel.
„Nein, lieber nicht", erwiderte er nur wieder.
„Will, jetzt lass mich runter!", rief sie verärgert. „Oder ich schwöre bei Gott, ich mach dich kalt!", fügte sie hinzu.
„Aber klar doch." Er rollte mit den Augen.
„Mann!" Sie schrie frustriert auf. „Lass mich herunter!"
„Nein", antwortete er ihr nur wieder, blieb vor seiner Haustür stehen und schloss in aller Seelenruhe auf, während Rachel sah, wie ein Licht an einem Fenster neben der Wohnungstür anging.
Sie wurde davon geblendet und kniff kurz die Augen zusammen.
„Nein?" Rachel lachte spottend. „Ich hasse dich, das ist dir doch klar?! Das ist nämlich Freiheitsberaubung, Belästigung, Nötigung und Entführung", zählte sie auf als er mit ihr über die Schwelle trat. „Und womöglich sexueller Übergriff!"
Lennox schnaubte schon beinahe belustigt, doch angesichts dessen, dass seine Tochter aus ihrem Zimmer trat, zogen sich seine Mundwinkel wieder in ihre Form zurück.
„Dad?", fragte sie und strich sich müde ein paar Haarsträhnen zurück.
„Oh, nein", antwortete Rachel mit entschiedenem Tonfall und haute mal wieder gegen seinen Rücken. „Jetzt ist der Spaß vorbei, Lennox", merkte sie fuchsteufelswild an. „Du lässt mich auf der Stelle runter oder du kriegst ein paar aufs Maul."
„Hi, Annabelle", begrüßte er seine Tochter.
So entspannt wie ihm nur möglich war lief er an seiner Tochter vorbei.
„Dad, was machst du da mit ihr?", fragte sie müde nach, blinzelte als sie das Licht im Flur einschaltete, um besser sehen zu können.
„Geh wieder ins Bett, Schatz", bat er sie. „Ich versuche, sie nicht zu laut zu schlagen."
„Was?!" Sie stemmte ihre Hände gegen seinen Rücken, sah ihn an und warf so auch ihre Haare zurück. „Wenn du mich anrührst, dann reiß ich dir die Zunge heraus!"
Beide verschwanden im Schlafzimmer am anderen Ende, wobei Lennox die Tür zutrat.
Müde zog Annabelle die Augenbrauen zusammen. „Ehm, okay", nuschelte sie und schaltete das Licht im Flur aus. „Nur ein Traum." Im Halbschlaf ging sie wieder in ihr Zimmer zurück, schloss die Zimmertür hinter sich und schaltete auch dort direkt bei ihrem Bett angekommen ihr Nachtlicht aus. Dann kuschelte sie sich in ihre Bettdecke. „Nur ein Traum", wiederholte sie.
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„So."
Rachel gab ein lautes „Uff" von sich als der Soldat sie auf die Beine stellte.
„Wir reden jetzt mal Klartext", stellte der Soldat klar.
Rachel schaute böse drein. „Du-"
„Spar dir deine Beleidigungen."
Kaum hatte er zu Ende gesprochen, erhob die sechsunddreißigjährige ihre Hand und haute sie mit Druck gegen die Wange des Soldaten.
„So. Und jetzt rede ich mal Klartext", stellte sie ihm klar und hob den Zeigefinger.
Er schielte darauf.
„Ich bin nicht mehr die siebenundzwanzigjährige junge Frau, die versucht von einer Insel zu verschwinden und sich dann plötzlich in einen Soldaten verliebt, der verheiratet ist und der nur auf ihren Gefühlen herumtrampelt", sagte sie ihm.
„Tu nicht so, als wärst du ein Unschuldslamm." Er schnaubte und sie scheuerte ihm erneut eine – nur diesmal mit wesentlich weniger Druck.
„Ich bin eine sechsunddreißigjährige Mutter", sagte sie. „Die Mutter deines Kindes." Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. „Du hast nicht das Recht, mich gegen meinen Willen mitzuschleppen und-"
„Und du hast kein Recht, einen anderen Mann zu küssen!" Sie zuckte zusammen als er sie anbrüllte. „Du bist kein Teenager mehr, Rachel! Ich bin nicht darauf aus, dich zu teilen, falls du dir das vorstellst oder-"
„Er hat mich geküsst!" Sauer stemmte sie die Hände in die Hüfte. „Du bist so ein Neandertaler! Hör auf mich als die Person zu behandeln, die dir unterstellt ist. Ich bin gleich viel wert wie du in dieser Beziehung!"
„Nein, eben nicht!" Er fuhr sich murrend übers Gesicht und befeuchtete seine Lippen mit der Zunge. „Du bist alles für mich, Rachel." Sein Gesicht verzog sich – und das erste Mal heute Abend sah Rachel Schmerz in seinem Gesicht. „Ich möchte nicht, dass irgendein anderer Typ dich anfässt. Du magst das sehen, wie du willst, aber ich bin eifersüchtig."
Er schluckte und trat einen Schritt zurück. „Ich möchte dich nicht teilen. Mit niemandem. Und du machst es mir auf dem Stützpunkt so verflucht schwer."
„Ich gehe der Arbeit nach, für die ich mich gemeldet habe." Sie presste ihre Lippen aufeinander. „Nur solange du mein nein nicht akzeptierst, wird das hier auch keine gesunde Beziehung-"
„Hör auf." Er hob die Hand. „Ich akzeptiere dein nein", merkte er an und atmete tief durch. „Es ist nur so verflucht schwierig, weil ich mich zehn Jahre lang am Riemen reißen musste, um nicht auseinanderzufallen."
Rachel nahm diesmal einen Schritt von ihm Abstand. „Ich bin nicht dafür da, dich am Auseinanderfallen zu hindern."
„Nein, aber nur mit dir fühle ich mich vollständig", gestand er ihr. „Und zuzusehen, wie du einen anderen küsst macht mich verrückt. Es tut mir weh."
Rachels Mundwinkel zogen sich noch mehr nach unten. „Du darfst mich nie wieder so behandeln", sagte sie ihm.
„Dann darfst du nie wieder vor meinen Augen einen anderen Mann küssen", erwiderte er.
Rachel schüttelte den Kopf. „Nein. Wenn du möchtest, dass das hier funktioniert, dann darfst du mein nein nie wieder ignorieren." Sie zog ihre Augenbrauen zusammen. „Du hast gegen meinen Willen gehandelt, Will." Der Druck hinter ihren Augen kam plötzlich – und sie wusste nicht, woher. Doch ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen bei seinem Anblick. „Ich bin es leid von Menschen in meinem Leben behandelt zu werden als wäre ich eine Puppe, die herumgeschubst und kontrolliert werden kann."
„Ich bin nicht dein Vater."
„Nein, bist du nicht", stimmte sie ihm zu. „Aber du bist ein genauso kranker Kontrollfreak", stellte sie klar. Der Muskel an seinem Kiefer zuckte. „Wenn du willst, dass das hier weiter klappt und das unsere Aufgabe nicht gefährdet wird durch dein Verhalten, dann musst du lernen, weniger zu reagieren. Egal ob mich ein anderer küsst oder nicht."
Er schluckte und sah sie sich an. „Dann solltest du aufhören, allem was ich in der Vergangenheit getan habe, so viel Gewicht beizumessen." Er zog eine Augenbraue hoch. „Zum Beispiel, dass ich mit Holmes geschlafen habe."
Ihre Miene glättete sich. „Du hast, was?"
Er sah, wie sie zu rechnen begann und bereute seine Worte sofort. „Vor fünf Jahren", erzählte er ihr schnell. „Nicht in letzter Zeit."
Es kehrte Ruhe im Zimmer ein. Beide sahen sie sich an, hingen ihren Gedanken nach.
Lennox bereute, wie er reagiert hatte. Sie hatte Recht. Er konnte sich nicht länger so benehmen und sich wie ein Verrückter aufführen.
Rachel hatte Mitleid – und fühlte sich mies. Bestätigt zu bekommen, dass er diese Frau angerührt hatte, mit der er Zeit auf dem Stützpunkt verbrachte, machte sie verrückt.
Sie glaubte, sie beide könnten sich besser benehmen.
Um den ersten Schritt zu machen, sich zu versöhnen, umarmte sie ihn.
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Datum der Veröffentlichung: 03.10.2022 12:58 Uhr
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