Ten
Ten:
widersprüchliche Gedanken
Rachel biss sich auf die Unterlippe als die Kellnerin ihr ihr Frühstück hinstellte und ihren Kaffee nachfüllte.
Sie fühlte sich ertappt. Weil sie den Zettel des Soldaten seit mehreren Minuten in ihren Händen hielt.
„Danke." Sie blinzelte zu ihr hoch und die Blondine schmunzelte.
„An Ihrer Stelle würde ich anrufen", sagte sie und deutete auf den Zettel. „Wenn jemand Sie so sehr zum Nachdenken anregt, ist er die Mühe wert."
„Oder er hat eine Menge Mist gebaut", erwiderte Rachel seufzend.
Die Blondine kicherte. „Ich denke, wir sehen uns nächsten Mittwoch." Rachel nickte. „Vielleicht erzählen Sie mir, wie Ihre Überlegung ausgeht."
Rachel schnaubte. „Vielleicht", stimmte sie ihr zu.
Sie wüsste gern selbst, zu welchem Entschluss sie kommen würde.
Denn sie spürte es mehr denn je: Sehnsucht.
Sie sehnte sich nach Lennox. Es war als hatte sie nur einen Blick in seine dunklen Augen werfen müssen und es war um sie geschehen.
All diese gemischten Gefühle waren zurück. Als wären keine zehn Jahre vergangen.
Sie war komplett fertig mit den Nerven.
Denn sich einzugestehen, sich nach jemand verheirateten zu sehnen, der schon vor zehn Jahren seine Frau nicht für sie verließ, würde ihr nur Herzschmerz und Probleme bereiten.
Und dann war da noch die Tatsache, dass sie ein gemeinsames Kind hatten, von dem er nichts wusste.
Sie würde Teddys Welt in Unruhe bringen und Lennox definitiv den Boden unter den Füßen wegziehen. Sie hatte ihn um sämtliche erste Erinnerungen gebracht. Die ersten Laute, das erste Lachen, die ersten Wörter, die ersten Schritte...
Sie kannte ihn. Er würde ihr das so schnell nicht verzeihen.
Doch diese egoistische Seite in ihr sagte ihr, sie könnte beides haben – sie müsste ihm nur nicht beichten, dass er ihr Sohn war.
Nur das wäre genau dieselbe Nummer, wie er sie hinter ihrem Rücken abgezogen hatte. Er hatte ihr nichts von seiner Frau und seinem Kind erzählt. Er hatte sie im Dunkeln tapsen lassen.
Rachel seufzte schwer.
Die Sache war zum Verrücktwerden.
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„Hast du früher Schluss?", hakte Mine im Aufenthaltsraum nach und rührte ihren Tee um.
„Ja." Rachel nickte schnell und zog ihren Zopf aus ihrem Oberteil. Ständig verfingen sich ihre Haare in ihren Oberteilen. Sie sollte darüber nachdenken, sie etwas zu kürzen.
„Ich muss noch einkaufen", gab sie preis und Mine machte eine verstehende Miene. „Und nachher ist noch Tag der offenen Tür in Teddys Schule." Mines Gesichtsausdruck hellte sich auf. „Ich hab ihm versprochen vorbeizukommen, weil er heute in der Band mitspielt."
„Viel Spaß euch." Sie seufzte sehnsüchtig. „Ich würde gerne mitkommen, aber ich hab noch Visite und einen Termin mit einer Schwangeren, die Drillinge erwartet."
„Du könntest heute Abend mit Miranda zum Abendessen vorbeikommen", schlug Rachel ihr vor.
„Schon", überlegte sie. „Ich frag Rana nachher mal."
„Jo, tu das." Rachel zog sich ihre Lederjacke über ihre Krankenhauskleidung. „Ich bin in der Zeit im Supermarkt und tu langweilige Muttersachen."
„Alles klar." Mine kicherte.
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Für heute hatte sie den Vogel wirklich abgeschossen.
So sehr in Gedanken hatte sie nicht realisiert, dass sie vergessen hatte, sich umzuziehen, bevor sie los zum Einkaufen ging.
So lagen also ihre Klamotten für nachher noch in ihrem Spind im Krankenhaus.
Das bedeutete, sie musste sich Zuhause auch noch schnell umziehen.
Selten ging die sechsunddreißigjährige mit ihren Krankenhausklamotten irgendwo außerhalb des Krankenhauses hin. Maximal in ihrer Pause, weil es sich sonst nicht lohnte, essen zu gehen. Natürlich könnte sie auch im Krankenhaus essen, aber sie mochte den meisten Fraß aus der Cafeteria nicht und es gab ein paar Kollegen, denen sie nicht gerne begegnete.
Sie liebte ihre Arbeit und ihr Kollegium auf ihrer Station. Doch sie mochte nicht jeden. Was natürlich war.
Seufzend schob Rachel den Einkaufswagen vor sich her und packte einmal Ravioli in den Einkaufswagen und Spagetti nur einen Gang weiter auch noch.
Als sie an der Süßwarenabteilung vorbeikam mussten gleich drei verschiedene Packungen Chips und zwei Tafeln Schokolade dran glauben. Heute war sie in keiner gesunden Einstellung.
Vor allem als sie nochmal eine Packung Bon Bons dazulegte, begann sie ein schlechtes Gewissen zu bekommen.
Sie sollte keines bekommen. Diese Süßigkeiten wurden unter drei Personen Minimum aufgeteilt. Sie hatte so oft ihre Freunde bei sich, dass diese Süßigkeiten vermutlich nicht mal eine Woche halten würden.
Sie atmete tief ein und lief zum Tiefkühlbereich weiter.
Dort fuhr sie mit dem Einkaufswagen einige Zeit herum und überlegte, was sie die Tage kochen konnte.
Natürlich hatte sie sich einen Einkaufszettel geschrieben – da Teddy auch bis zu einem gewissen Grad mitentschied, was er zu Essen bekam. Und davon abgesehen hatte sie Zuhause ein Alien, das verrückt nach Garnelen und tiefgefrorenen Himbeeren war.
Nur heute hatte sie natürlich ihren Einkaufszettel nicht wie immer in ihrer Jackentasche – sondern irgendwo, wo sie ihn jetzt nicht fand. Vermutlich in ihrer Jeans, die im Krankenhaus lag, glaubte Rachel.
Deswegen musste sie improvisieren. Sie kannte natürlich Teddy und Sideswipe. Deswegen nahm sie Garnelen und tiefgefrorene Himbeeren mit und einmal Pommes und tiefgefrorene Schnitzel.
Ums „gesünder" zu machen packte sie auch noch gefrorenes Gemüse in ihren Einkaufswagen.
Bei den Tiefkühlpizzen angekommen packte sie verschiedene Sorten hinzu. Es war für ihren typischen Filmabend mit Teddy, der jeden Freitag stattfand.
Nochmals seufzend fuhr sie weiter.
Natürlich bemerkte sie den anderen Einkaufswagen, der vor ihr stand. Aus dem Augenwinkel sah sie aber, dass daneben auch der Besitzer stand – denn eine Hand war um den Wagen gelegt.
Sie dachte, der andere Einkäufer würde weiterlaufen, doch stattdessen fuhr sie in ihn hinein und sah perplex auf.
„Entschuldigung", sagte sie klar und deutlich, ehe sie genauso perplex blinzelte und ihre Augenbrauen hob.
Es war Lennox, der sich mit Telefon am Ohr zu ihr umdrehte und sie nicht minder überrascht ansah.
Er hörte ein paar langen Sekunden der Person am anderen Ende zu. „Fiona, ich ruf dich zurück", sagte er dann und legte auf, sah Rachel in die Augen. „Hey", begrüßte er sie.
Ihre Wangen überzog langsam und mit fortschreiten der Zeit ein rosafarbener Schimmer. Er wurde immer stärker, bis er den Kopf schieflegte.
„Ausatmen", riet er ihr und plötzlich nahm sie tatsächlich einen tiefen und lauten Atemzug.
Seine Mundwinkel zuckten, ehe seine Augen etwas anderes außer ihrem Gesicht wahrnahmen. Ihren losen Zopf mit dem pinkfarbenen dicken Zopfgummi und dunkle lilafarbene Kleidung ohne Nähte unter ihrer hellen Lederjacke.
Er hatte sie noch nie an ihr gesehen. Doch sie stand ihr, sehr sogar.
„Dr. Rachel Dumblin." Er schmunzelte als er auf ihrer Brust ihr Namensschild entdeckte. „Klingt besser als Liaison Dumblin."
Sie brach den Blickkontakt als er ihr wieder in die Augen sehen wollte und blickte stattdessen auf ihren Einkauf.
„Pause?", riet er.
Sie schüttelte den Kopf. „Ich hab vergessen, mich umziehen. Irrsinnige Geschichte." Sie kratzte sich am Hinterkopf und er lehnte sich lächelnd auf seinem Einkaufswagen ab.
„Ich hab Zeit", sagte er ihr.
„Ich... habe mich unterhalten mit einer Kollegin und war... in Gedanken. So habe ich... naja, vergessen..." Sie atmete tief ein, immer röter werdend.
Lennox wollte nicht zu lachen anfangen, aber er fand es so süß, dass sie offensichtlich verlegen und nervös war, dass er es tat.
„Süß", kommentierte er und richtete seinen Rücken wieder gerade.
„Du magst das lustig finden", sagte die Frau vor ihm. „Doch mir ist das gerade echt peinlich. Ich stammle nicht vor mich hin."
„Offensichtlich schon", widersprach er ihr und sein Finger begann auf den Einkaufswagen zu tippen – im Takt mit seinem Handy, das ununterbrochen in seiner Hosentasche vibrierte.
Seine Schwägerin war eine sehr hartnäckige Frau.
„Ich... muss dann weiter." Rachel schüttelte den Kopf und fuhr den Wagen ein Stück zurück. „Man sieht sich."
„Man sieht sich?" Lennox schnaubte. „Komm, ich habe dich mehrere Wochen nicht gesehen und dann möchtest du gleich wieder verschwinden?"
Sie hob den Kopf und sah ihn fragend an. „Was erwartest du?", hakte sie nach.
„Einen Kaffee. Mindestens." Er schob die Unterlippe vor, runzelte aber die Stirn als sie leicht zusammenzuckte.
Einen Moment erinnerte er sie so sehr an ihren Sohn, dass sie ihre körperliche Reaktion nicht mehr hatte kontrollieren können.
„Ich kann nicht." Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin hiernach verabredet."
„Mit wem?", hakte er nach.
„Meinem Kind."
„Du... hast ein Kind?" Er hob beide Augenbrauen, doch der Ton, der seine Lippen beim Sprechen verließ, sagte ihr, dass er es wohl schon wusste. „Hätte ich nicht vermutet." Er wanderte mit seinen Augen ihren Körper hinab.
„Naja, ich bin nicht dicker geworden, weil ich eine Menge Eis in mich reingefressen habe."
Eigentlich schon, widersprach sie sich selbst.
Sie wusste, dass sie in der Schwangerschaft sehr auf ihre Ernährung hätte achten müssen, aber sie hatte gefressen wie ein Schlot. Die Kilos danach wieder runterzubekommen, hatte gedauert, doch es gab Stellen ihres Körpers, die Spuren davongetragen hatten. Zum Beispiel ihre Brüste und ihr Hintern – und erst recht ihre Oberschenkel.
„Ich finde, du siehst klasse aus", schmeichelte er ihr. „Woran haperts?"
„An nichts", log sie. Er schaute nicht überzeugt. „Mir fehlt die Zeit für Sport." Er sah noch immer nicht überzeugt aus. „Ich mochte meinen Körper wie er vor der Schwangerschaft war."
Nun nickte der Soldat. „Nun, wie gesagt. Du musst dich für nichts schämen. Du siehst toll aus."
Sie wurde wieder rot um ihre Wangen, obwohl die Röte von davor noch nicht ganz abgeflaut war. „Danke", sagte sie leise und brach den Blickkontakt.
„Was ist los?", hakte er verwirrt nach. „Früher warst du nicht so verlegen."
„Früher war ich auch blind genug, auf jede Menge Lügen reinzufallen."
Sie wollte nicht beleidigend werden. Das ließ sie entnervt seufzen.
Sie stand unter Strom. Ihr Gewissen plagte sie bei seinem Anblick und ihr Körper sehnte sich nach ihm.
„Tut mir leid, ich... es war ein langer Arbeitstag."
„Es ist vierzehn Uhr."
„Und ich bin seit vier auf den Beinen." Sie hob eine Augenbraue kurz an. „Im Krankenhaus zu arbeiten bedeutet, dass dein Schlafrhythmus im Arsch ist. Und mit einem Kind im Nacken erst recht."
„Ist es denn noch nicht im Alter-"
„Er steht kurz vor der Pubertät", unterbrach sie ihn. „Ich hatte nicht Mal Ruhe als ich heute Morgen aus dem Haus ging."
Er zog die Augenbrauen zusammen. Sie vermutete, dass er rechnete.
„Kaffee klingt gut", platzte es plötzlich aus ihr heraus und er schreckte diesmal aus seinen Gedanken auf. „Wann?" Er zog die Augenbrauen zusammen und sie schüttelte den Kopf. „'Tschuldige, ich vergesse häufig, dass du auch unregelmäßige Arbeitszeiten hast. Jetzt?"
Er legte den Kopf schief. „Halten deine Einkäufe das aus?"
Sie zuckte mit den Schultern. „Müssen sie", behauptete sie.
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Die ehemalige Liaison atmete tief ein als der Soldat ihr die Haustür aufhielt.
Egal was sie erwartet hatte... die leeren Wände im Flur hatte sie nicht erwartet. Sie sah, dass dort Bilder gehangen haben. Einige Stellen waren mal heller und andere nicht.
Es gab eine große dunkle Garderobe und die passende Kommode. Rechts führte eine Treppe ins Obergeschoss und links befand sich das Wohnzimmer, wie sie feststellte als sie ein paar Schritte auf dem hellen Parkettboden machte.
„Sehr offen", behauptete Rachel und sah zu ihm zurück als er die Haustür schloss.
„Ja, ich... ich hätte mir was anderes gesucht." Er zuckte mit den Schultern. Er lächelte matt. „Möchtest du dir die Jacke nicht ausziehen? Es ist warm. Sowohl hier als auch draußen."
Sie erwiderte sein mattes Lächeln. „Ich friere sehr schnell", erzählte sie, ehe sie sich ihre Jacke auszog und sie ihm hinhielt.
Darunter entblößte sie, dass ihr Krankenhausoberteil nur kurze Ärmel hatte.
Und er wusste nicht, was er von dem Tattoo auf ihrem Unterarm halten sollte.
Er hängte ihre Jacke auf, ehe er vortrat und an ihrer Hand zog. Ihr langärmliges dunkelblaues Kleid hatte es verborgen, doch... nun sah er es.
Der dreiundfünfzigjährige strich über die Tinte und sie entzog ihm ruckartig ihren Arm als sie Gänsehaut bekam und sich ihre Härchen aufstellten.
Er hob den Blick.
„Ich mache keinen Hehl daraus, dass sie ein großer Teil meiner Vergangenheit waren."
„Ich bin nicht sauer." Er schüttelte den Kopf. „Viel mehr beeindruckt, Rachel", erklärte er ihr. „Ich würde es für waghalsig halten, sich das Symbol der Autobots zu tätowieren."
„Ich mag das Risiko. Vergessen?"
Sie lächelte diesmal von sich aus, was dem Soldaten das Herz erwärmte.
Er atmete tief ein, bevor er den Flur hinunterdeutete.
„Wollen wir in die Küche?"
Sie nickte.
Nur als sie voranging, kam er nicht umher, ihren Hintern in der dunklen lilafarbenen Hose zu mustern.
Er räusperte sich und musste sich regelrecht zwingen, den Blick zu heben.
Sie drehte beim Laufen kurz ihren Kopf und sah ihn irritiert an, bevor sie die Küche betrat und staunte als sie all die Verglasung sah und dann hinaus in den Garten.
„Wahnsinn", staunte sie beeindruckt.
„Das ist Annabelles absolute Traumküche."
„Das verstehe ich." Rachel nickte und legte den Kopf in den Nacken. „Die Sterne müssten wahnsinnig schön von hier aussehen, würde man sie in einer Großstadt wie Manhattan sehen können."
„Man kann sie sehen." Er lächelte. „Nicht alle, doch ein paar."
„Wahnsinn", flüsterte sie laut und er betrachtete ihren schmalen Hals.
Er nahm sich vor, sich zurückzuhalten, trotzdem juckte es ihn in den Fingern, ihre Haut unter ihrem Kinn zu berühren – und beinahe hätte er es getan.
Er atmete tief ein und lief um die Kücheninsel in der Mitte des Raums herum.
„Trinkst du deinen Kaffee noch immer schwarz?"
Rachel drehte sich zu ihm um und nickte. „Außer du hast auch Süßstoff", sagte sie ihm. „Das mag ich in letzter Zeit besonders in meinem Kaffee."
„Süßstoff?" Er war überrascht.
„Ja, Süßstoff." Sie nickte erneut und lief zu ihm, ehe sie sich hinter ihm an die Kücheninsel anlehnte. „Ich kann dir keine Erklärung liefern, aber das schmeckt."
Er schmunzelte. „Wenn du das sagst."
Er stellte alles ein, holte zwei Tassen aus einem Schrank und lehnte sich danach ihr gegenüber an die Küchenanrichte auf der seine Kaffeemaschine, seine Mikrowelle und sein Thermomix standen.
Sie legte ihre Hände aneinander und er verschränkte seine Arme vor der Brust als sich Stille zwischen ihnen ausbreitete.
Er überlegte fieberhaft nach einem Thema. Er wollte nicht, dass es sich komisch zwischen ihnen anfühlte. Nicht zwischen ihnen beiden.
„Was hast du in den letzten Wochen gemacht?", fragte er sie.
Sie mied den Blick in seine Augen. „Gearbeitet und mein Kind erzogen."
Er nickte. „Und wenn du mir was Verrücktes erzählen müsstet?", hakte er genauer nach.
„Dann würde ich dir erzählen, dass Miranda meine bunten Spaghetti durch die Nase gezogen hat."
Er schnaubte belustigt. „Warum?"
Rachel zuckte mit den Schultern. „Sie ist ein Mysterium."
Er bewegte seinen Kopf hin und her. „Naja. Ich lass das so stehen", meinte er. „Meine Wochen waren... Arbeit und Kindererziehung."
Rachels Mundwinkel zuckten. „Und wenn du mir erzählen müsstest, was du abends im Bett gemacht hast?"
Kaum das sie es ausgesprochen hatte, hörten ihre Mundwinkel zu zucken auf und sie lief rot an.
„Verzeih." Sie räusperte sich. „Das... war nicht okay."
Er legte den Kopf schief. „Warum?", fragte er sie. „Ich kann es dir erzählen."
„Nein, bitte, ich-"
„Ich habe den großen Gatsby gelesen und Annabelle saß meist noch neben mir und hat ihre Hausaufgaben gemacht."
Rachel ließ ihren Mund geöffnet.
„Annabelle... liegt bei dir im Bett?"
Er nickte, ohne das Ganze weiter zu erläutern. Er wüsste auch nicht wie er ihr erklärte, dass seine fünfzehnjährige Tochter seit dem Tod ihrer Mutter schwere Alpträume hatte und schwer alleine schlafen konnte.
Er mochte dran gewöhnt sein, alleine zu schlafen, doch zu Beginn hatte sie im Schlaf geschrien und geweint. Seit sie bei ihm schlief, tat sie es nicht mehr. Sie hatte noch Alpträume, doch sie wurde nicht mehr laut. Und wenn er nicht da war, wusste er, dass Fiona bei ihr schlief.
„Klingt wie mein Sohn, wenn er Alpträume hat."
Lennox runzelte die Stirn und wandte sich kurz ab, wegen des fertigen Kaffees.
Eine Tasse reichte er der sechsunddreißigjährigen, die sie gleich wieder neben sich abstellte und sich kurz bei ihm bedankte.
„Sie hat Alpträume", gestand er ihr und atmete tief ein. „Ich weiß nicht, was es besser macht."
Rachel schaute mitleidig mit ihm drein und er seufzte. „Eine warme Milch hat ihm abends meist geholfen. Und ein paar Tropfen pflanzlicher Hilfsmittel zum Schlafen waren der Bonus."
„CBD?" Er riss die Augen auf und hob seine Tasse an die Lippen.
Sie kicherte und verneinte. „Es sind Lavendeltropfen und ein paar andere harmlose Pflanzen. Das kannst du rezeptfrei in der Apotheke oder im Supermarkt erwerben."
„Oh", machte er. „Okay."
„Es schmeckt allein sehr bitter. Deswegen mache ich ihm dann immer eine warme Milch."
„Und das hilft? Wirklich?"
Sie nickte. „Wenn sie sehr schlimme Alpträume hat und schreit, Will... dann solltest du sie ins Schlaflabor schicken. Manchmal kann das auch physische Ursachen haben."
Er schüttelte den Kopf. „Sie möchte das nicht."
Rachel seufzte. „Wir möchten auch nicht nochmal aufstehen und auf Toilette, weil wir kurz davor sind einzuschlafen, aber uns bleibt keine Wahl."
Er lächelte leicht. „Könnten wir ein einfacheres Thema anschneiden?", fragte er sie. „Ich glaube, ich muss mir darüber erst mal nochmal Gedanken machen."
„Natürlich." Sie legte den Kopf schief und nahm ihre Tasse in die Hand. Den ersten Schluck den sie tätigte, der hinterließ auf ihrer Oberlippe doch tatsächlich Kaffeeschaum.
Und hätte sich der Soldat besser im Griff, wäre er nicht vorgetreten und hätte seine Hand an ihre Lippen gelegt und über ihre zarte Haut gestrichen.
„Das ist kein Thema." Ihr Atem spürte er auf der Haut seiner Finger und er atmete tief ein als sein Herz schnell in seiner Brust schlug.
„Entschuldige", entschuldigte er sich. „Du hattest da Schaum."
„Komisch", murmelte sie und leckte sich über die Oberlippe. „Ich dachte, der ist schwarz."
Sie sah in den Kaffee und betrachtete ihn.
Der Soldat atmete tief ein als er seine Hände um ihre legte und sie mit ihm so gemeinsam ihren Kaffee wieder abstellte.
„Es ist komisch", murmelte er als er sie am Kinn fasste und ihr Gesicht hob, um ihr in ihre grauen Augen sehen zu können. „Es... fühlt sich fast genau wie früher an", beschrieb er es.
„Will, bitte." Sie seufzte und zog seine Hand von ihrem Kinn. „Wir können das nicht erneut tun. Diesmal haben wir... Kinder."
Er legte den Kopf schief. „Rachel, ich kann nicht ignorieren, dass ich mich noch immer zu dir hingezogen fühle."
Das war's. Er hatte es ausgesprochen. Und er spürte, wie er es zu bereuen begann als sie nichts erwiderte.
„Rachel?"
Sie schlug den Blick nieder, ehe sie den Kopf schüttelte. „Ich... kann nicht, Will", sagte sie ihm. „Wir standen damals an unterschiedlichen Punkten in unserem Leben und diesmal tun wir das auch."
Als sie wieder aufblickte tat es ihm leid, dass er ihr gestanden hatte, sich noch immer zu ihr hingezogen zu fühlen. Er hatte nicht erwartet, sie würde kurz davorstehen, zu weinen.
„Ich habe Entscheidungen getroffen, die mein Leben sehr stark beeinflussen und wenn ich dich wieder in mein Leben lasse, dann wird es auf den Kopf gestellt." Sie schüttelte den Kopf.
„Rachel", murmelte er und hob die Hand erneut. Sie schlug sie weg.
„Es... war ein Fehler herzukommen." Sie schüttelte den Kopf und machte Anstalten, sich von der Stelle zu bewegen.
Der dreiundfünfzigjährige handelte instinktiv als er seine Hände zu ihren beiden Seiten ausstreckte und ihr den Weg versperrte.
Sie hob als natürliche Reaktion sofort ihren Kopf und sah ihm in die Augen.
„Rede mit mir", bat er sie. „Ich... möchte es verstehen."
„Kann ich nicht." Sie hob beide Augenbrauen. „Und abgesehen davon bist du verheiratet und hast eine Tochter und-"
Er schüttelte den Kopf. „Rachel, ich bin nicht mehr verheiratet", gestand er ihr und sie schloss ihren Mund.
„Wie bitte?", fragte sie nachdem für mehrere Sekunden Stille eingetroffen war.
„Ich bin nicht mehr verheiratet", wiederholte er für sie.
Es trat erneute Stille ein. Sie war geladen, das spürten beide.
Doch der Soldat rechnete nicht damit, dass sie wieder den ersten Schritt machte und ihre Hände an sein Gesicht legte, um ihn zu sich zu ziehen und zu küssen.
Nur diesmal völlig nüchtern.
Er atmete tief ein, legte seine Hände an ihre Taille.
Sie schien wenige Sekunden später zu realisieren, was sie gerade tat, denn sie löste sich erschrocken von ihm und seinen verfluchten Lippen, die sie immer wieder magisch anzogen.
„Nein, warte, ich..." Sie gab einen erstickten Laut von sich als er sie auf die Kochinsel hob und seine Lippen wieder auf ihre drückte.
Damit sie ihm nicht entkam legte er seine Hand an ihren Hinterkopf und drückte seine Lippen energischer gegen ihre.
Sie keuchte, gab verzückende Laute von sich, die tief im Soldaten etwas anregten.
Sie spürte ihr Herz gegen ihre Rippen hämmern, völlig verzweifelt zwischen ihren tosenden Gefühlen und ihren widersprüchlichen Gedanken.
Es war wie früher. Küsse, die sanft und unschuldig begannen, arteten aus. Die Hände des Soldaten blieben nicht für lang an ihrer Seite. Als er sie nah an sich heranzog begann er, mit einer Hand unter ihr Oberteil zu wandern – die andere in die entgegengesetzliche Richtung.
„Will." Sie seufzte, keuchte erneut und atmete tief ein als sie spürte, wie er seine Hand gegen ihre Mitte drückte.
Sie lief rot an – wahrscheinlich nicht nur im Gesicht.
Egal ob sie seit zehn Jahren nur Sex mit sich selbst gehabt hatte. Es war, als hätten sie nie aufgehört. Es fühlte sich nicht nur genau wie früher an, wie er es gesagt hatte. Es fühlte sich besser an.
Rachel wusste nicht, ob es daran lag, dass sie so lange keinen Sex gehabt hatte oder nun älter und reifer war. Aber wie sie spürte, feucht zu werden und den Puls zwischen ihren Beinen zu fühlen, ließ ihre widersprüchlichen Gedanken in den Hintergrund rücken.
„Will." Als ein Stöhnen sich tief in ihrer Kehle anbahnte, keuchte der Soldat. Dass er allein seine Hand zwischen ihre Beine halten musste, um solche Laut aus ihr herauszulocken, turnte ihn an.
Leider blieben die erfreuten Gefühle zwischen ihnen nicht.
Sie hatten in ihrem Rausch die Haustür überhört, die geöffnet worden war.
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Datum der Veröffentlichung: 2017
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